Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Zivilrechtliche Abteilung, Beschwerde in Zivilsachen 5A.684/2014
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
5A_684/2014

Urteil vom 3. Dezember 2014

II. zivilrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter von Werdt, Präsident,
Bundesrichter Herrmann,
nebenamtlicher Bundesrichter Th. Geiser,
Gerichtsschreiber Buss.

Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Advokat Marco Albrecht,
Beschwerdeführer,

gegen

Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde KESB U.________.

Gegenstand
Errichtung von Vormundschaften, Besuchsrechte,

Beschwerde gegen das Urteil des Kantonsgerichts Basel-Landschaft, Abteilung
Verfassungs- und Verwaltungsrecht, vom 23. Juli 2014.

Sachverhalt:

A. 
Am 17. November 2012 verstarb die eritreische Asylbewerberin B.________. Sie
hinterliess die drei Kinder C.________ (geb. 2007), D.________ (geb. 2008) und
E.________ (geb. 2010).

B. 
Die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde U.________ (KESB) errichtete in der
Folge mit Entscheid vom 31. Oktober 2013 für die drei bei Pflegefamilien
untergebrachten Kinder C.________, D.________ und E.________ eine Vormundschaft
und ernannte die bisherige Beiständin zur Vormundin. Die KESB begründete die
Ernennung einer Vormundin im Wesentlichen damit, dass nach dem Tod der Mutter
niemand mehr da sei, der die elterliche Sorge über die Kinder ausüben könne.
A.________ komme mangels rechtlichen Kindesverhältnisses zu den Kindern keine
elterliche Sorge zu und es könne ihm diese aus dem gleichen Grund auch nicht
übertragen werden. Die von ihm geltend gemachte Heirat mit der Kindesmutter
könne in der Schweiz nicht anerkannt werden, weil sie in Italien nur kirchlich
erfolgt sei und am locus celebrationis nicht anerkannt werde. Mangels Ehe mit
der Mutter sei kein rechtliches Kindesverhältnis zwischen A.________ und den
Kindern entstanden. Die KESB räumte A.________ dennoch ein auf vier Monate
beschränktes Besuchsrecht ein.
Eine gegen diese Verfügung der KESB erhobene Beschwerde von A.________ wies das
Kantonsgericht Basel-Landschaft mit Urteil vom 23. Juli 2014 ab.

C. 
A.________ (Beschwerdeführer) gelangt mit Beschwerde in Zivilsachen nach Art.
72 ff. BGG an das Bundesgericht und wiederholt im Wesentlichen seine bereits im
kantonalen Verfahren gestellten Anträge, nämlich es sei festzustellen, dass ihm
die elterliche Sorge über die drei Kinder zustehe und es sei ihm im Sinne einer
vorsorglichen Massnahme ein Besuchsrecht ihnen gegenüber einzuräumen. Er hat
zudem einen Antrag auf unentgeltliche Prozessführung gestellt.

 Mit Präsidialverfügung vom 11. September 2014 wurde das Gesuch um vorsorgliche
Massnahmen nach Art. 104 BGG abgewiesen.

 Es wurden keine Vernehmlassungen eingeholt.

Erwägungen:

1.

1.1. Angefochten ist ein kantonal letztinstanzlicher (Art. 75 Abs. 1 BGG)
Entscheid in einem Verfahren auf dem Gebiet des Kindesschutzes, mithin in einer
öffentlich-rechtlichen Streitigkeit in unmittelbarem Zusammenhang mit dem
Zivilrecht (Art. 72 Abs. 2 Bst. b Ziff. 6 BGG). Es handelt sich um eine
nichtvermögensrechtliche Frage, so dass keine Streitwertbeschränkung besteht
(Art. 74 BGG). Der Beschwerdeführer ist gemäss Art. 76 Abs. 1 BGG zur
Beschwerde berechtigt und die Beschwerdefrist ist eingehalten (Art. 100 Abs. 1
BGG). Insofern kann auf die Beschwerde eingetreten werden (Art. 72 Abs. 2 Bst.
b Ziff. 6, Art. 75 Abs. 1 und Art. 90 BGG).

1.2. Mit der Beschwerde in Zivilsachen können Rechtsverletzungen gemäss Art. 95
f. BGG geltend gemacht werden. Das Bundesgericht wendet das Recht in diesem
Bereich grundsätzlich von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG), befasst sich
aber nur mit ausreichend begründeten Vorbringen (Art. 42 Abs. 2 BGG; BGE 134
III 102 E. 1.1 S. 104 f.). Es ist indessen weder an die rechtliche
Betrachtungsweise der Vorinstanz noch an jene des Beschwerdeführers gebunden.
Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die
Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Wird eine
Sachverhaltsfeststellung beanstandet, muss in der Beschwerdeschrift mit klar
und detailliert erhobenen und soweit möglich belegten Rügen (BGE 134 II 244 E.
2.2 S. 246) dargelegt werden, inwiefern diese Feststellung offensichtlich
unrichtig und damit willkürlich oder durch eine andere Rechtsverletzung im
Sinne von Art. 95 BGG zustande gekommen ist und inwiefern die Behebung des
Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1
i.V.m. Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 135 III 127 E. 1.5 S. 129 f.; 137 III 226 E.
4.2 S. 234). Die Sachverhaltsfeststellung bzw. Beweiswürdigung erweist sich nur
dann als willkürlich, wenn das Gericht Sinn und Tragweite eines Beweismittels
offensichtlich verkannt hat, wenn es ohne sachlichen Grund ein wichtiges und
für den Entscheid relevantes Beweismittel unberücksichtigt gelassen oder wenn
es auf der Grundlage der festgestellten Tatsachen unhaltbare Schlussfolgerungen
gezogen hat (BGE 136 III 552 E. 4.2 S. 560; 137 III 226 E. 4.2 S. 234).

1.3. Im vorliegenden Verfahren kommt der KESB U.________ als verfügende Behörde
vor Bundesgericht keine Parteistellung zu. Sie war auch im kantonalen
Beschwerdeverfahren nur Vorinstanz und konnte dort nicht als Partei auftreten
(s. Botschaft vom 28. Juni 2006 zur Änderung des Schweizerischen
Zivilgesetzbuches [Erwachsenenschutz, Personenrecht und Kindesrecht], BBl 2006
7001 ff., 7086 Ziff. 2.3.3). An dieser Rechtslage ändert nichts, dass das
Kantonsgericht die KESB irrtümlicher Weise als Beschwerdegegnerin bezeichnet.

2.

2.1. Sind beide Eltern Inhaber der elterlichen Sorge und stirbt ein Elternteil,
so steht die elterliche Sorge dem überlebenden Elternteil zu. Das hielt bis zum
30. Juni 2014 aArt. 297 Abs. 2 ZGB fest. Waren die Eltern zwar verheiratet,
aber der Überlebende nicht Inhaber der elterlichen Sorge, rechtfertigte es sich
nicht, ihm von Gesetzes wegen nunmehr die elterliche Sorge zukommen zu lassen.
Vielmehr hatte die Kindesschutzbehörde zu entscheiden, ob ihm nunmehr die
elterliche Sorge zu übertragen oder eine Vormundschaft zu ernennen sei (
HAUSHEER/GEISER/AEBI-MÜLLER, Das Familienrecht des Schweizerischen
Zivilgesetzbuches, 5. Aufl. 2014, S. 389 Rz. 17.83). An dieser zum Zeitpunkt,
in dem vorliegend die Mutter der Kinder gestorbenen ist, geltenden Rechtslage
hat auch die Sorgerechtsrevision nichts geändert. Vielmehr hält Art. 297 ZGB in
seiner seit dem 1. Juli 2014 geltenden Fassung nach wie vor ausdrücklich fest,
dass der Tod des einen Elternteils keinen Einfluss auf die elterliche Sorge des
andern hat. Für den Fall, dass der Verstorbene allein Inhaber der elterlichen
Sorge war, sieht das Gesetz vor, dass die Kindesschutzbehörde dem überlebenden
Elternteil die elterliche Sorge überträgt oder dem Kind einen Vormund bestellt,
"je nachdem, was zur Wahrung des Kindeswohls besser geeignet ist" (Art. 297
Abs. 2 ZGB). Der Überlebende kann aber weiterhin die elterliche Sorge nur
erhalten, wenn ein rechtliches Kindesverhältnis zwischen ihm und dem Kind
besteht.

2.2. Die KESB hat vorliegend eine Vormundschaft errichtet, weil das Bestehen
eines Kindesverhältnisses zum Beschwerdeführer und damit auch seine elterliche
Sorge nicht nachgewiesen sind. Dieses Vorgehen kann vom rechtlichen her nicht
beanstandet werden. Es steht ausser Zweifel, dass einem unmündigen Kind ein
Vormund zu bestellen ist, wenn es nicht unter elterlicher Sorge steht (Art.
327a ZGB; vgl. SCHWENZER/COTTIER, in: Basler Kommentar, Zivilgesetzbuch, Bd. I,
5. Aufl. 2014, N. 5 zu Art. 296 ZGB). Elterliche Sorge kann nur einer Person
zukommen, zu der ein rechtliches Kindesverhältnis besteht ( HAUSHEER/GEISER/
AEBI-MÜLLER, a.a.O., S. 386 Rz. 17.69).

2.2.1. Damit ist vorliegend entscheidend, ob ein rechtliches Kindesverhältnis
zwischen dem Beschwerdeführer und den drei Kindern besteht. Der
Beschwerdeführer hat sich diesbezüglich im kantonalen Verfahren auf den
Standpunkt gestellt, dass er mit der Mutter verheiratet sei und deshalb kraft
Vaterschaftsvermutung ein rechtliches Kindesverhältnis bestehe. Dem hat die
Vorinstanz zu Recht entgegengehalten, dass auf Grund ihrer
Sachverhaltsfeststellungen höchstens die religiöse Zeremonie am 10. Oktober
2010 in Italien als rechtlich gültige Eheschliessung in Frage komme. Alle drei
Kinder seien aber vor diesem Zeitpunkt geboren, so dass die
Vaterschaftsvermutung hier nicht greife, auch nicht nach dem italienischen oder
eritreischen Recht. Dies bestreitet der Beschwerdeführer nicht.
Der Beschwerdeführer macht aber geltend, es handle sich um eine überspitzt
formalistische Betrachtungsweise. Soweit er nunmehr in seiner Beschwerdeschrift
einführt, dass inzwischen seine genetische Vaterschaft durch DNA-Analysen
nachgewiesen sei, verkennt er, dass es darauf nicht ankommt. Entscheidend ist
ausschliesslich, ob ein  rechtliches Kindesverhältnis vorliegt. Ob ein
biologisches gegeben ist oder nicht, bleibt dabei ohne Bedeutung. Zudem handelt
es sich um ein neues Sachverhaltsvorbringen, was vor Bundesgericht nicht
zulässig ist, so dass darauf auch gar nicht eingetreten werden kann. Das gilt
auch bezüglich seiner Ausführungen, eine Anerkennung sei nicht innert
nützlicher Frist möglich, weil er als Flüchtling nicht in der Lage sei, die
dafür notwendigen Dokumente beizubringen. Dem angefochtenen Urteil sind
diesbezüglich keinerlei Sachverhaltsfeststellungen zu entnehmen, so dass es
sich auch hier um ein neues und damit unzulässiges Vorbringen handelt.

2.2.2. Die Vorinstanz hat somit zu Recht festgehalten, dass kein rechtliches
Kindesverhältnis zwischen dem Beschwerdeführer und den drei Kindern besteht.
Ist der Bestand eines Kindesverhältnisses nicht nachgewiesen, kann dem
Beschwerdeführer auch keine elterliche Sorge zustehen und es ist zwingend den
Kindern ein Vormund zu bestellen. Der angefochtene Entscheid ist somit insofern
nicht zu beanstanden.

3.

3.1. Gemäss Art. 273 Abs. 1 ZGB haben Eltern, denen die elterliche Sorge oder
die Obhut über das Kind nicht zusteht, Anspruch auf angemessenen persönlichen
Verkehr. Voraussetzung für ein Besuchsrecht nach dieser Bestimmung ist aber
wiederum das Bestehen eines rechtlichen Kindesverhältnisses. Andernfalls
handelt es sich nicht um "Eltern" im Sinne des Gesetzes ( HAUSHEER/GEISER/
AEBI-MÜLLER, a.a.O., S. 403 Rz. 17.130; SCHWENZER/COTTIER, a.a.O., N. 7 zu Art.
273 ZGB). Insofern haben die kantonalen Instanzen zu Recht eine Regelung des
persönlichen Verkehrs abgelehnt.
Wenn ausserordentliche Verhältnisse vorliegen, kann allerdings auch einem
Dritten ein Besuchsrecht eingeräumt werden (Art. 274a ZGB). Solche
ausserordentlichen Verhältnisse können gegeben sein, wenn es sich beim Dritten
um den genetischen Vater der Kinder handelt und die Erstellung des rechtlichen
Kindesverhältnisses in Vorbereitung ist. Allerdings steht der KESB insoweit ein
grosses Ermessen zu.
Diesbezüglich hält die Vorinstanz fest, dass der Beschwerdeführer die Anordnung
eines Besuchsrechts nur als vorsorgliche Massnahme beantragt hat (angefochtenes
Urteil, E. 8, S. 7). Entsprechend könnte diese Massnahme nur während des
Verfahrens Bestand haben. Da der Antrag aber erst an der Hauptverhandlung
gestellt worden ist und das Kantonsgericht sein Urteil unmittelbar nach dieser
gefällt hat, war das Gesuch gegenstandslos. Mit dieser Argumentation setzt sich
der Beschwerdeführer gar nicht auseinander.
Ob sich ein Besuchsrecht des Beschwerdeführers als Drittem im Interesse der
Kinder aufdrängt oder nicht, kann das Bundesgericht nicht in diesem Verfahren
beurteilen. Diese Frage war nicht Gegenstand des kantonalen Verfahrens.
Entsprechend ist auch hier nicht dazu Stellung zu nehmen und die Beschwerde ist
auch in diesem Punkt abzuweisen.

4. 
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Den Umständen des
konkreten Falles entsprechend sind keine Gerichtskosten zu erheben (Art. 66
Abs. 1 BGG).

5. 
Der Beschwerdeführer ersucht um unentgeltliche Rechtspflege für das
bundesgerichtliche Verfahren. Mit Blick auf die Komplexität internationaler
Kindesverhältnisse kann die Beschwerde nicht als eher aussichtslos bezeichnet
werden. Der Beschwerdeführer belegt zudem seine Prozessarmut. Er wird
vollumfänglich von der Sozialhilfe finanziert. Dem Gesuch ist daher zu
entsprechen. Advokat Marco Albrecht ist als amtlicher Rechtsbeistand für das
bundesgerichtliche Verfahren zu bestellen und aus der Bundesgerichtskasse zu
entschädigen.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2. 
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird gutgeheissen. Dem
Beschwerdeführer wird Advokat Marco Albrecht als amtlicher Rechtsbeistand
bestellt.

3. 
Es werden keine Kosten erhoben.

4. 
Advokat Marco Albrecht wird für seine Bemühungen im bundesgerichtlichen
Verfahren mit Fr. 2'000.-- aus der Bundesgerichtskasse entschädigt.

5. 
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Kindes- und
Erwachsenenschutzbehörde U.________ und dem Kantonsgericht Basel-Landschaft,
Abteilung Verfassungs- und Verwaltungsrecht, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 3. Dezember 2014
Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: von Werdt

Der Gerichtsschreiber: Buss

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