Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Zivilrechtliche Abteilung, Beschwerde in Zivilsachen 5A.558/2014
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
5A_558/2014

Urteil vom 7. September 2015

II. zivilrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter von Werdt, Präsident,
Bundesrichter Marazzi, Herrmann, Schöbi, Bovey,
Gerichtsschreiber V. Monn.

Verfahrensbeteiligte
X.________,
vertreten durch Rechtsanwältin Eva Lanz,
Beschwerdeführerin,

gegen

Y.________,
vertreten durch Fürsprecher Dr. Urs Oswald,
Beschwerdegegner.

Gegenstand
Ehescheidung (Revision),

Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts
des Kantons Aargau, Zivilgericht, 1. Kammer,
vom 22. April 2014.

Sachverhalt:

A. 
X.________ und Y.________ (beide Jahrgang 1964) hatten 1988 geheiratet. Sie
sind die Eltern dreier Kinder (geb. 1989, 1991 und 1992). Ende Dezember 2010
hatten sie die Scheidung beantragt. Über deren Folgen konnten sie sich nicht
einigen.

B.
Das Bezirksgericht A.________ schied die Ehe am 17. September 2012. Es
verpflichtete X.________ zu einer güterrechtlichen Zahlung von Fr. 493.80.
Y.________ wurde verurteilt, seiner geschiedenen Frau eine monatliche
Entschädigungsrente gemäss Art. 124 ZGB von Fr. 279.10 und vom 1. Januar 2018
bis zum 31. August 2028 einen monatlichen Betrag von Fr. 600.-- als reinen
Vorsorgeunterhalt gemäss Art. 125 ZGB zu bezahlen. Y.________s
Vorsorgeeinrichtung wurde gerichtlich angewiesen, diese Beträge auf ein Konto
der geschiedenen Frau zu überweisen.

C. 
Y.________ erhob Berufung beim Obergericht des Kantons Aargau. Dieses hiess das
Rechtsmittel teilweise gut. Es bestimmte die güterrechtliche Ausgleichszahlung
von X.________ an Y.________ auf Fr. 13'876.80. Streitig war überdies, ob
Y.________ über seine IV-Rente von monatlich Fr. 2'900.-- hinaus ein
Zusatzeinkommen erzielt. Das Obergericht stellte fest, es bestünden keine
klaren Hinweise auf ein höheres als das von der Firma B.________ bescheinigte
Einkommen von Fr. 952.-- von April bis Dezember 2011, weshalb Y.________ neben
der Rente ein Einkommen von Fr. 105.-- pro Monat anzurechnen sei. Im Ergebnis
wurde Y.________ verurteilt, seiner geschiedenen Frau eine monatliche
Entschädigungsrente gemäss Art. 124 ZGB von Fr. 41.-- (bis 31. März 2013), von
Fr. 151.-- (1. April 2013 bis 30. April 2029) und von Fr. 46.-- (ab 1. Mai
2029) zu bezahlen, verbunden mit der Zahlungsanweisung an die
Vorsorgeeinrichtung. Nur für den Fall, dass er nach Italien zurückkehrt, wurde
Y.________ verpflichtet, X.________ monatlich Fr. 279.10 gemäss Art. 124 ZGB
und Fr. 600.-- als reinen Vorsorgeeunterhalt gemäss Art. 125 ZGB zu bezahlen.
Der obergerichtliche Entscheid datiert vom 22. Januar 2013. Die
Prozessvertreterin von X.________ hat ihn am 19. Februar 2013 in Empfang
genommen.

D. 
X.________ legte gegen den Berufungsentscheid eine Beschwerde in Zivilsachen an
das Bundesgericht ein. Gleichzeitig gelangte sie am 21. März 2013 mit einem
Revisionsbegehren an das Obergericht. Der Präsident der II. zivilrechtlichen
Abteilung des Bundesgerichts sistierte das Beschwerdeverfahren 5A_214/2013 mit
Verfügung vom 22. März 2013 bis zum Revisionsentscheid des Obergerichts.

E.
Ihr Revisionsgesuch stützte X.________ auf einen Lohnausweis vom 2. Februar
2013, der Y.________ für die Zeit vom 1. Januar bis zum 30. Juni 2012 einen
Nettolohn von Fr. 7'211.-- bescheinigt, sowie auf einen Vorsorgeausweis von
Y.________ vom 8. September 2011 mit der Angabe eines Jahresbruttolohns von Fr.
15'840.-- bei einem Beschäftigungsgrad von 30 %. In der Sache beantragte sie,
die monatliche Entschädigungsrente von Fr. 279.-- sei ihr ab 1. April 2013
zuzusprechen. Weiter sei Y.________ zu verurteilen, ihr monatlich vorschüssig
Fr. 600.-- als reinen Vorsorgeunterhalt zu zahlen. Ausserdem verlangte sie von
ihm gestützt auf Art. 124 und/oder 125 und Art. 126 ZGB eine Entschädigung von
Fr. 13'876.80. In prozessualer Hinsicht ersuchte X.________ im
Revisionsverfahren um unentgeltliche Rechtspflege und um vorsorgliche Anweisung
der Vorsorgeeinrichtung des früheren Ehemannes, den monatlichen Betrag von Fr.
279.-- auf ihr Konto zu überweisen. Mit Verfügung vom 28. März 2013 wies der
Instruktionsrichter am Obergericht beide Begehren ab. Die dagegen erhobene
Beschwerde hiess das Bundesgericht im Streit um das Armenrecht gut.
Hinsichtlich der vorsorglichen Anweisung trat es hingegen nicht auf die
Beschwerde ein (Urteil 5A_313/2013 vom 11. Oktober 2013). Mit Entscheid vom 22.
April 2014 wies das Obergericht das Gesuch um Revision des Berufungsentscheids
vom 22. Januar 2013 ab.

F. 
Mit Beschwerde vom 8. Juli 2014 wendet sich X.________ (Beschwerdeführerin) an
das Bundesgericht. Sie stellt den Antrag, den Entscheid des Obergerichts vom
22. April 2014 aufzuheben und ihre Revisionsbegehren (Bst. E) gutzuheissen. Im
Sinne eines Eventualantrages verlangt sie, die Sache zur Neubeurteilung an die
Vorinstanz zurückzuweisen. Für das bundesgerichtliche Verfahren ersucht sie um
unentgeltliche Rechtspflege. Zur Stellungnahme eingeladen lässt Y.________
(Beschwerdegegner) in seiner Eingabe vom 17. März 2015 beantragen, die
Beschwerde abzuweisen, soweit darauf "überhaupt eingetreten werden kann".
Überdies ersucht er für das bundesgerichtliche Verfahren um unentgeltliche
Rechtspflege. Das Obergericht hat auf eine Stellungnahme verzichtet. Zur
Wahrung des rechtlichen Gehörs hat das Bundesgericht die Eingabe des
Beschwerdegegners der Beschwerdeführerin zugestellt.

Erwägungen:

1. 
Die Beschwerde richtet sich gegen den Entscheid, mit dem das Obergericht ein
Gesuch um Revision eines Berufungsentscheids über die finanziellen Folgen einer
Ehescheidung abweist. Das ist ein Endentscheid (Art. 90 BGG; Urteil 5A_382/2014
vom 9. Oktober 2014 E. 1 mit Hinweis) einer letzten kantonalen Instanz (Art. 75
Abs. 1 BGG) in einer Zivilsache (Art. 72 Abs. 1 BGG), deren Streitwert Fr.
30'000.-- übersteigt (Art. 74 Abs. 1 Bst. b BGG). Auf die rechtzeitig (Art. 100
BGG) eingereichte Beschwerde in Zivilsachen ist einzutreten. Entgegen dem, was
der Beschwerdegegner anzunehmen scheint, genügen die Rechtsbegehren, welche die
Beschwerdeführerin vor Bundesgericht stellt, auch den gesetzlichen Vorgaben.

2. 
Im ordentlichen Beschwerdeverfahren sind vor Bundesgericht in rechtlicher
Hinsicht alle Rügen gemäss Art. 95 f. BGG zulässig. Unter Vorbehalt der
Verletzung verfassungsmässiger Rechte wendet das Bundesgericht das Recht in
diesem Bereich von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es kann eine
Beschwerde daher auch aus andern als den geltend gemachten Gründen gutheissen
oder den Entscheid mit einer Begründung bestätigen, die von jener der
Vorinstanz abweicht (BGE 132 II 257 E. 2.5 S. 262). Demgegenüber ist das
Bundesgericht grundsätzlich an den Sachverhalt gebunden, den die Vorinstanz
festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Diesbezüglich kann einzig vorgebracht
werden, die vorinstanzliche Feststellung des Sachverhalts sei offensichtlich
unrichtig oder beruhe auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG (Art.
97 Abs. 1 BGG). Hierfür gilt das strenge Rügeprinzip (Art. 106 Abs. 2 BGG; vgl.
BGE 134 II 244 E. 2.2 S. 246; 133 II 249 E. 1.4.2 S. 254).

3. 
Nach Massgabe von Art. 328 Abs. 1 Bst. a ZPO kann eine Partei die Revision
verlangen, wenn sie nachträglich erhebliche Tatsachen erfährt oder
entscheidende Beweismittel findet, die sie im früheren Verfahren nicht
beibringen konnte; ausgeschlossen sind Tatsachen und Beweismittel, die erst
nach dem Entscheid entstanden sind. Die Beschwerdeführerin begründete ihr
Revisionsgesuch mit zwei Beweismitteln: einem Lohnausweis des Beschwerdegegners
vom 2. Februar 2013 für die Monate Januar bis Juni 2012 und einem
Vorsorgeausweis des Beschwerdegegners vom 8. September 2011 (Sachverhalt Bst.
E).

4.

4.1. Was den zuletzt erwähnten Vorsorgeausweis angeht, kommt das Obergericht
zum Schluss, dieses Beweismittel sei weder für sich allein genommen noch
zusammen mit den im Berufungsverfahren vorhandenen Beweismitteln ein Grund, das
Erwerbseinkommen des Beschwerdegegners anders als im Berufungsentscheid vom 22.
Januar 2013 zu beurteilen. Der auf dem Vorsorgeausweis erwähnte
Erstellungsgrund laute "Eintritt". Jedenfalls bis zum Zeitpunkt der Ausstellung
der Urkunde am 8. September 2011 bzw. bis Ende 2011 habe der Beschwerdegegner
keine Lohnzahlungen erhalten, die dem 30%-Pensum mit einem Jahresbruttolohn von
Fr. 15'840.-- entsprechen, von dem im Vorsorgeausweis die Rede sei. Gemäss den
Lohnabrechnungen, die von der Arbeitgeberin des Beschwerdegegners im
erstinstanzlichen Verfahren auf Geheiss des Gerichts eingereicht worden seien,
habe der Beschwerdegegner in den Monaten April und November 2011 ein
Bruttoeinkommen von Fr. 480.-- und Fr. 510.-- erzielt.

4.2. Die Beschwerdeführerin besteht darauf, dass der Vorsorgeausweis für sich
allein den Beweis dafür erbringt, dass der Beschwerdegegner ein höheres
Einkommen erzielt hat. Sie meint also, diese Urkunde sei ein im Sinne von Art.
328 Abs. 1 Bst. a ZPO "entscheidendes" Beweismittel. Um damit durchzudringen,
müsste sie vor Bundesgericht die (vorweggenommene) Würdigung des fraglichen
Beweismittels, aufgrund derer das Obergericht zum gegenteiligen Schluss kommt,
als offensichtlich unrichtig (Art. 97 Abs. 1 BGG), das heisst als willkürlich
(Art. 9 BV) ausweisen (vgl. BGE 138 III 374 E. 4.3.2 S. 376). Das gelingt ihr
nicht: Die tatsächliche Feststellung, wonach der Beschwerdegegner im Jahr 2011
von der fraglichen Arbeitgeberin nur insgesamt Fr. 990.-- an Lohn bezogen habe,
stellt sie nicht in Frage. Ebenso wenig vermag sie zu erklären, warum das
Obergericht die diesbezüglichen Lohnabrechnungen nicht hätte berücksichtigen
dürfen. Sie wirft dem Obergericht vor, es begnüge sich - als Revisionsinstanz -
mit dem Hinweis auf "vordergründige Widersprüche", obwohl es den
Beschwerdegegner im Berufungsverfahren als unglaubwürdig eingestuft habe.
Dieser Einwand scheitert daran, dass die besagten Lohnabrechnungen gar nicht
vom Beschwerdegegner stammen, sondern von dessen Arbeitgeberin eingereicht
wurden (s. E. 4.1). Dass die Firma B.________ dem Gericht an den
Beschwerdegegner ausbezahlte Löhne verheimlicht hätte, behauptet die
Beschwerdeführerin aber nicht. An der Sache vorbei geht auch der Einwand, der
Vorsorgeausweis führe die im Jahr 2011 "effektiv eingezahlten BVG-Beiträge" und
das "Alterskapital nach rund 7 Monaten Arbeitstätigkeit" im Betrag von Fr.
853.-- auf. Dass die fragliche Urkunde am 8. September 2011 ausgestellt wurde,
bestreitet die Beschwerdeführerin nicht. Damit könnte dieser Ausweis höchstens
für die Zeit vom 1. Mai 2011 (Datum des Eintritts des Beschwerdegegners) bis
zum 8. September 2011 (Datum der Ausstellung des Ausweises) Auskunft über
tatsächlich einbezahlte Beiträge oder angespartes Vorsorgekapital geben. Soweit
sich die darin enthaltenen Angaben auf die Zukunft oder auf ein ganzes
Kalenderjahr beziehen, können sie von vornherein nur theoretischer Natur sein.

5.

5.1. Hauptsächlich dreht sich der Streit um den erwähnten Lohnausweis für das
erste Halbjahr 2012. Das Obergericht entnimmt dieser Urkunde, dass der
Beschwerdegegner in dieser Zeit einen Bruttolohn von Fr. 8'640.-- bzw. ein
Nettoeinkommen von Fr. 7'211.-- erzielt habe. Diese Einkünfte lägen in der
Grössenordnung, die bei dem im Vorsorgeausweis erwähnten Erwerbspensum von 30 %
erwartet werden könnten. Indessen datiere der Lohnausweis vom 2. Februar 2013
"und damit von einem Zeitpunkt nach dem Erlass des Entscheids, der in Revision
gezogen werden soll". Nach dem klaren Wortlaut von Art. 328 Abs. 1 Bst. a ZPO
würden Tatsachen und Beweismittel, die erst nach dem Entscheid entstanden sind,
als Revisionsgrund ausscheiden. Das Obergericht verweist auf "die überwiegende
Lehre", die sich im gleichen Sinne äussere. Die Beschwerdeführerin nennt
verschiedene Gründe, weshalb das Obergericht den Lohnausweis vom 2. Februar
2013 zu Unrecht nicht berücksichtige. Unter anderem macht sie geltend, der
Lohnausweis sei zwar nach dem Urteilsdatum datiert. Der Berufungsentscheid vom
22. Januar 2013 sei ihr jedoch erst nach dem 2. Februar 2013 zugestellt worden.
Ein Beweismittel, das bis zum Versand des in Revision gezogenen Urteils
entstanden ist, müsse selbst bei einer engen Auslegung von Art. 328 Abs. 1 Bst.
a ZPO noch als Beweismittel zugelassen werden.

5.2. Auszugehen ist vom ersten Halbsatz von Art. 328 Abs. 1 Bst. a ZPO. Danach
berechtigen zur Revision nur Tatsachen und Beweismittel, welche die Partei "im
früheren Verfahren nicht beibringen konnte". Die bundesrätliche Botschaft zur
ZPO hält in diesem Zusammenhang ausdrücklich fest, dass eine unsorgfältige
Prozessführung nicht mit Revision belohnt werde (Botschaft zur Schweizerischen
Zivilprozessordnung vom 28. Juni 2006, BBl 2006 7380). Dass es einer Partei
unmöglich war, Tatsachen und Beweise bereits im früheren Verfahren
beizubringen, ist deshalb nur mit Zurückhaltung anzunehmen. Ein Revisionsgrund
ist nur dann gegeben, wenn dem Revisionskläger weder im erstinstanzlichen noch
im Rechtsmittelverfahren eine Vernachlässigung seiner Behauptungs- und
Beweislast vorzuwerfen ist, wozu auch zumutbare Nachforschungen gehören (
DIETER FREIBURGHAUS/SUSANNE AFHELDT, in: Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenberger,
Kommentar zur Schweizerischen Zivilprozessordnung, 2. Aufl. 2013, N 18 zu Art.
328 ZPO; ähnlich MARTIN H. STERCHI, Berner Kommentar, Schweizerische
Zivilprozessordnung, Bd. II, 2012, N 14 zu Art. 328 ZPO; NICOLAS HERZOG, in:
Basler Kommentar, Schweizerische Zivilprozessordnung, 2. Aufl. 2013, N 51 zu
Art. 328 ZPO; vgl. zu Art. 396 Abs. 1 Bst. a ZPO Urteil 4A_105/2012 vom 28.
Juni 2012 E. 2.3, nicht publ. in: BGE 138 III 542; zu Art. 123 Abs. 2 Bst. a
BGG Urteile 4A_528/2007 vom 4. April 2008 E. 2.5.2.2 und 4A_570/2011 vom 23.
Juli 2012 E. 4.1). Die Sorgfalt des Revisionsklägers ist am Verhalten einer
durchschnittlich sorgfältigen Prozesspartei zu messen, wobei die Umstände des
konkreten Falles zu würdigen sind ( NICOLAS HERZOG, a.a.O.). So mag die
Revision je nachdem auch einer Partei offenstehen, die im ordentlichen
Verfahren eine Tatsachenbehauptung unterlassen hat, weil ihr die Beweismittel
dazu fehlten (vgl. IVO SCHWANDER, in: Brunner/Gasser/ Schwander, Schweizerische
Zivilprozessordnung, Kommentar, 2011, N 29 zu Art. 328 ZPO). Allerdings gilt es
zu berücksichtigen, dass eine für den Ausgang des Verfahrens erhebliche
Tatsache selten mit nur gerade einem einzigen Beweismittel bewiesen werden
kann, das zudem erst im Sinne von Art. 328 Abs. 1 Bst. a ZPO nach dem in
Revision gezogenen Entscheid entstanden ist. Entsprechend kann von einer
durchschnittlich sorgfältigen Prozesspartei verlangt werden, ihre Möglichkeiten
zur Beschaffung geeigneter Beweismittel auszuschöpfen. Geht es beispielsweise
darum, Urkunden im Besitz eines Dritten oder des Prozessgegners zu beschaffen,
kommt eine Revision nur in Frage, wenn es dem Revisionskläger im ordentlichen
Verfahren auch mittels Urkundenedition oder vorsorglicher Beweisführung nicht
gelungen ist, an die Beweisstücke zu kommen ( NICOLAS HERZOG, a.a.O., mit
Hinweis auf PETER H. KORNICKER, Die zivilprozessuale Revision im
Spannungsverhältnis zwischen Rechtsfrieden und Rechtsverwirklichung, Basel
1995, S. 92, und auf Urteil 4A_763/2011 vom 30. April 2012 E. 3.3.1 und 3.3.2).
In diesem Sinne gilt die besagte Voraussetzung, dass der Revisionskläger die
entscheidenden Beweismittel "im früheren Verfahren nicht beibringen konnte",
nicht nur für das konkret betroffene Beweismittel - hier für den streitigen
Lohnausweis für das erste Halbjahr 2012 -, sondern auch für andere
Beweismittel, die zum Nachweis der fraglichen Tatsache schon im ordentlichen
Verfahren in Frage kommen.

5.3. Was den konkreten Fall angeht, steht fest, dass die Tatsachenbehauptung,
zu deren Beweis die Beschwerdeführerin den besagten Lohnausweis anruft, nicht
neu ist. Die Beschwerdeführerin hatte sich bereits im ordentlichen Verfahren
vor erster Instanz auf ein höheres als das vom Beschwerdegegner zugestandene
Erwerbseinkommen berufen. Nachdem an der erstinstanzlichen Beweisverhandlung
vom 12. März 2012 herausgekommen war, dass der Beschwerdegegner bei der Firma
B.________ als Gipser arbeitete und seine Lohnabrechnungen trotz richterlicher
Aufforderung nicht einreichte, erwirkte die Beschwerdeführerin im April 2012
vom Gerichtspräsidenten eine an den Arbeitgeber gerichtete Verfügung, die
Lohnabrechnungen des Beschwerdegegners seit April 2011 sowie den Lohnausweis
2011 einzureichen. Dass sie sich in der Folge beim Bezirksgericht nach dem
Verbleib der eingeforderten Urkunden erkundigt oder um Akteneinsicht ersucht
hätte, behauptet die Beschwerdeführerin nicht und ist auch nicht ersichtlich.
In ihrer Berufungsantwort vom 3. Januar 2013 beharrte die Beschwerdeführerin
dann aber ausdrücklich darauf, dass der Beschwerdegegner bei einem 30%-Pensum
ein monatliches Erwerbseinkommen von brutto ca. Fr. 1'200.-- bzw. netto ca. Fr.
1'000.-- erziele und es ihm deshalb "jetzt schon möglich" sei, die
Vorsorgerente zu bezahlen. Allerdings macht sie vor Bundesgericht nicht
geltend, dass sie vom Inhalt der Urkunden, die der Arbeitgeber des
Beschwerdegegners dem erstinstanzlichen Richter eingereicht hatte, erst mit der
obergerichtlichen Urteilsbegründung hätte Kenntnis nehmen können. Insbesondere
behauptet sie auch nicht, dass ihr im Rahmen des Berufungsverfahrens die
Einsicht in die erstinstanzlichen Akten versagt worden wäre.

 Wollte die Beschwerdeführerin aber daran festhalten, dass dem Beschwerdegegner
das besagte Erwerbseinkommen anzurechnen ist, so konnte von ihr unter dem
Blickwinkel der zumutbaren prozessualen Sorgfalt (E. 5.2) auch verlangt werden,
zu ihrer Verteidigung im Berufungsverfahren weitere Beweisanträge zu stellen.
Nachdem ihre letzten Bemühungen im erstinstanzlichen Verfahren etliche Monate
zurücklagen und das Jahr 2012 im Zeitpunkt der Einreichung der Berufungsantwort
verstrichen war, hätte sie dem Obergericht insbesondere beantragen können, beim
Beschwerdegegner oder bei dessen Arbeitgeber zusätzliche Bescheinigungen über
die ausbezahlten Löhne im Jahre 2012 zu edieren. Im Übrigen kann auch nicht
gesagt werden, dass von vornherein nur der Urkundenbeweis (Art. 177 ff. ZPO)
geeignet gewesen wäre, das tatsächliche Ausmass der Erwerbstätigkeit des
Beschwerdegegners ans Licht zu bringen. Nichts hinderte die Beschwerdeführerin
daran, in ihrer Berufungsantwort eine - mit entsprechender Strafandrohung
versehene - Beweisaussage (Art. 192 ZPO) zu beantragen. Hätte der
Beschwerdegegner trotz richterlicher Ermahnung gelogen und sich damit eines
Vergehens schuldig gemacht (Art. 306 i.V.m. Art. 10 StGB), wäre der
Beschwerdeführerin gar der Revisionsgrund nach Art. 328 Abs. 1 Bst. b ZPO
offengestanden. Dass sie sich im kantonalen Verfahren im beschriebenen Sinne
darum bemüht hätte, ihre Behauptungen betreffend die Erwerbstätigkeit des
Beschwerdegegners mit weiteren Beweismitteln zu untermauern, und dass das
Obergericht entsprechende Anträge in verfassungswidriger Weise übersehen oder
abgewiesen hätte, nimmt die Beschwerdeführerin nicht für sich in Anspruch und
lässt sich auch den Akten des Berufungsverfahrens nicht entnehmen.

5.4. Nach dem Gesagten trifft die Beschwerdeführerin der Vorwurf, im Streit um
die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Beschwerdegegners ihre Möglichkeiten
zur Beschaffung geeigneter Beweismittel im ordentlichen Verfahren nicht
ausgeschöpft zu haben. Soweit die Beschwerdeführerin mit ihrem
Revisionsbegehren vom 21. März 2013 den streitigen Lohnausweis vom 2. Februar
2013 aufs Tapet bringen will, scheitert ihr Unterfangen also schon daran, dass
sie sich im ordentlichen Verfahren Unsorgfalt in der Prozessführung
entgegenhalten lassen muss. Mithin gebricht es dem Revisionsbegehren an der
gesetzlichen Tatbestandsvoraussetzung, dass die fraglichen Beweismittel im
früheren Verfahren nicht beigebracht werden konnten (Art. 328 Abs. 1 Bst. a
ZPO). Die weiteren Fragen, die sich im Zusammenhang mit der Tauglichkeit des
besagten Lohnausweises als Revisionsgrund stellen, braucht das Bundesgericht
angesichts dessen gar nicht zu erörtern. Namentlich kann offenbleiben, nach
welchen Massstäben sich in zeitlicher Hinsicht beurteilt, ob eine Tatsache oder
ein Beweismittel im Sinne der zitierten Norm "erst nach dem Entscheid
entstanden" ist.

6. 
Anlass zur Beschwerde geben schliesslich zwei Begehren, mit denen die
Beschwerdeführerin im Revisionsverfahren den Vorsorgeunterhalt von monatlich
Fr. 600.-- "per sofort" und nicht erst - wie vom Bezirksgericht bestimmt (s.
Sachverhalt Bst. B) - ab 1. Januar 2018 beansprucht und gestützt auf Art. 124
und/oder 125 und Art. 126 ZGB eine Kapitalabfindung verlangt (s. Sachverhalt
Bst. E).

6.1. Das Obergericht erachtet diese Rechtsbegehren im Revisionsverfahren als
unzulässig. Zur Begründung führt es im Wesentlichen aus, bei einer Revision
dürfe das Gericht nur im Rahmen der geltend gemachten Revisionsgründe auf sein
Urteil zurückkommen; nur in diesem Rahmen seien auch Klageänderungen möglich.
Einzig der Beschwerdegegner habe das erstinstanzliche Scheidungsurteil mit
Berufung angefochten. Dabei habe er lediglich seine Leistungsfähigkeit
bestritten. Die revisionsweise vorgetragenen neuen Beweismittel bezögen sich
ausschliesslich auf die Höhe des Einkommens des Beschwerdegegners. Die
erwähnten Begehren der Beschwerdeführerin stünden mit dem Auffinden der neuen
Beweismittel nicht in einer Beziehung oder Wechselwirkung. Um damit gehört zu
werden, hätte die Beschwerdeführerin Anschlussberufung erheben können und
erheben müssen. Diese Beurteilung der zwei Sachbegehren hält vor Bundesrecht
stand:

6.2. Wäre das Revisionsgesuch gutzuheissen (Art. 332 ZPO) und der in Revision
gezogene Entscheid aufzuheben gewesen (Art. 331 Abs. 1 ZPO), so wäre der
Prozess damit in denjenigen Stand zurückversetzt worden, in welchem er sich vor
dem Endentscheid befand, und es wäre die ursprüngliche Rechtshängigkeit der in
Frage stehenden Streitsache wieder eingetreten ( DIETER FREIBURGHAUS/SUSANNA
AFHELDT, in: Sutter-Somm/Hasenböhler/Leuenberger, Kommentar zur Schweizerischen
Zivilprozessordnung, 2. Aufl. 2013, N 3 zu Art. 333 ZPO; NICOLAS HERZOG, in:
Basler Kommentar, Schweizerische Zivilprozessordnung, 2. Aufl. 2013, N 3 zu
Art. 333 ZPO; PHILIPPE SCHWEIZER, in: Bohnet et al., Code de procédure civile
commenté, 2011, N 4 zu Art. 333 ZPO). Hier war vor dem Berufungsentscheid vom
22. Januar 2013 einzig die Berufung des Beschwerdegegners vom 8. November 2012
rechtshängig. Die Beschwerdeführerin hat sich gegen den erstinstanzlichen
Entscheid weder mit einer selbständigen Berufung noch mit einer
Anschlussberufung zur Wehr gesetzt. Wie auch der Beschwerdegegner bemerkt, hat
sie sich in ihrer Eingabe vom 3. Januar 2013 damit begnügt, die Abweisung der
Berufung des Beschwerdegegners zu verlangen. Deshalb hätte das Obergericht -
als Berufungsinstanz - auch im Falle einer Gutheissung des Revisionsgesuchs nur
die Berufung des Beschwerdegegners beurteilen können. Die Beschwerdeführerin
hätte zu ihren Gunsten höchstens eine (vollumfängliche) Abweisung der Berufung
des Beschwerdegegners, das heisst eine Bestätigung des erstinstanzlichen
Entscheids erstreiten können. Dies ergibt sich aus dem Verschlechterungsverbot
(Verbot der reformatio in peius). Dieser klare und unumstrittene (BGE 129 III
417 E. 2.1.1 S. 419) Rechtsgrundsatz wird durch eine erfolgreiche Revision
nicht umgestossen. Er besagt namentlich, dass die Rechtsmittelinstanz das
angefochtene Urteil nicht zu Ungunsten des Rechtsmittelklägers abändern, ihn
also nicht zu mehr verurteilen darf, als dies die Vorinstanz im angefochtenen
Entscheid getan hat - es sei denn, die Gegenpartei habe ihrerseits ein
Rechtsmittel ergriffen (vgl. BGE 110 II 113 E. 3a S. 114). Letzteres hat die
Beschwerdeführerin gerade nicht getan. Sie erliegt einem Irrtum, soweit sie
meint, Behauptungen und Anträge, die sie mangels Beweisen im ordentlichen
Berufungsverfahren nicht weiterverfolgte, auf dem Weg der Revision zum
Streitgegenstand machen und damit das Verschlechterungsverbot zum Nachteil des
Beschwerdegegners umgehen zu können. Ihre Beschwerde erweist sich auch in
dieser Hinsicht als unbegründet.

7.

7.1. Nach dem Gesagten ist die Beschwerde abzuweisen. Damit braucht das
bundesgerichtliche Verfahren 5A_214/2013 betreffend die Beschwerde in
Zivilsachen gegen den Berufungsentscheid vom 22. Januar 2013 nicht mehr länger
sistiert zu bleiben. Bei diesem Ausgang des Verfahrens 5A_558/2014 hat die
Beschwerdeführerin als unterliegende Partei für die Gerichtskosten aufzukommen
(Art. 66 Abs. 1 BGG) und den Beschwerdegegner zu entschädigen (Art. 68 Abs. 1
und 2 BGG).

7.2. Indessen kann den jeweiligen Gesuchen der Parteien um unentgeltliche
Rechtspflege und Verbeiständung entsprochen werden (Art. 64 Abs. 1 und 2 BGG).
Angesichts der finanziellen Situation der Beschwerdeführerin ist der
Rechtsanwalt des Beschwerdegegners direkt aus der Bundesgerichtskasse zu
entschädigen. Die Beschwerdeführerin hat der Gerichtskasse Ersatz zu leisten,
wenn sie später dazu in der Lage ist (Art. 64 Abs. 4 BGG). Dieses
Nachforderungsrecht schliesst auch die Parteientschädigung ein, die das
Bundesgericht dem Rechtsanwalt des Beschwerdegegners ausrichtet, denn
geschuldet ist dieser Kostenersatz von der Beschwerdeführerin als
unterliegender Partei (E. 7.1).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.

2.1. Das Gesuch der Beschwerdeführerin um unentgeltliche Rechtspflege für das
bundesgerichtliche Verfahren wird gutgeheissen und es wird der
Beschwerdeführerin Rechtsanwältin Eva Lanz als Rechtsbeiständin beigegeben.

2.2. Das Gesuch des Beschwerdegegners um unentgeltliche Verbeiständung für das
bundesgerichtliche Verfahren wird gutgeheissen und es wird dem Beschwerdegegner
Rechtsanwalt Urs Oswald als Rechtsbeistand beigegeben.

3. 
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt,
indes vorläufig auf die Gerichtskasse genommen.

4.
Die Beschwerdeführerin hat Rechtsanwalt Urs Oswald für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 1'000.-- zu entschädigen. Die Entschädigung wird indes
vorläufig auf die Gerichtskasse genommen und Rechtsanwalt Urs Oswald wird aus
der Gerichtskasse mit Fr. 1'000.-- entschädigt.

5. 
Rechtsanwältin Eva Lanz wird aus der Gerichtskasse mit Fr. 2'000.--
entschädigt.

6. 
Die mit Präsidialverfügung vom 22. März 2013 angeordnete Sistierung des
bundesgerichtlichen Verfahrens 5A_214/2013 wird aufgehoben.

7. 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Aargau,
Zivilgericht, 1. Kammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 7. September 2015
Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: von Werdt

Der Gerichtsschreiber: V. Monn

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