Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.69/2013
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
8C_69/2013

Urteil vom 5. Juni 2013

I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Leuzinger, Präsidentin,
Bundesrichter Ursprung, Frésard, Maillard, Bundesrichterin Heine,
Gerichtsschreiber Nabold.

Verfahrensbeteiligte
B.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Oskar Gysler,
Beschwerdeführer,

gegen

IV-Stelle für Versicherte im Ausland IVSTA, Avenue Edmond-Vaucher 18, 1203
Genf,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung
(Invalidenrente; Prozessvoraussetzung),

Beschwerde gegen den Entscheid
des Bundesverwaltungsgerichts
vom 22. November 2012.

Sachverhalt:

A.
Der 1953 geborene, in Kroatien wohnhafte Schweizer Bürger B.________ meldete
sich am 23. November 2004 über die Schweizer Botschaft in Kroatien bei der
IV-Stelle für Versicherte im Ausland (IVSTA) zum Leistungsbezug an und
beantragte unter anderem eine Rente. Mit Verfügungen vom 31. Juli 2007 und vom
6. Januar 2010 verneinte die IVSTA einen Leistungsanspruch des Versicherten;
die beiden Verfügungen wurden auf Beschwerde des Versicherten hin vom
Bundesverwaltungsgericht mit Entscheid vom 10. Dezember 2007 und 22. Februar
2012 aufgehoben und die Sache jeweils zu weiteren Abklärungen an die IVSTA
zurückgewiesen. Mit Zwischenverfügung vom 25. September 2012 ordnete die IVSTA
eine polydisziplinäre Begutachtung des Versicherten an; die Gutachterstelle
werde zu einem späteren Zeitpunkt in Anwendung des Zuweisungssystems
"SuisseMED@P" festgelegt.

B.
Auf die von B.________ hiegegen erhobene Beschwerde trat das
Bundesverwaltungsgericht mit Entscheid vom 22. November 2012 nicht ein.

C.
Mit Beschwerde beantragt B.________, die Vorinstanz sei unter Aufhebung ihres
Entscheides vom 22. November 2012 zu verpflichten, seine Beschwerde vom 10.
Oktober 2012 materiell zu beurteilen. Gleichzeitig beantragt er, der Beschwerde
sei aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.
Während die IVSTA auf eine Vernehmlassung verzichtet, beantragt das Bundesamt
für Sozialversicherungen (BSV) die Gutheissung der Beschwerde.

Erwägungen:

1.
Das Bundesgericht prüft von Amtes wegen und mit freier Kognition, ob ein
Rechtsmittel zulässig ist (BGE 135 III 212 E. 1 S. 216 mit Hinweisen).

2.
Gegen das unrechtmässige Verweigern oder Verzögern eines anfechtbaren
Entscheids (Rechtsverweigerung und Rechtsverzögerung) kann gemäss Art. 94 BGG
Beschwerde geführt werden. Eröffnet allerdings eine Behörde oder ein Gericht
ihre Weigerung, einen Entscheid zu treffen, der betroffenen Person förmlich, so
liegt keine Rechtsverweigerung im Sinne von Art. 94 BGG vor. Vielmehr ist ein
solcher Nichteintretensentscheid unter den Voraussetzungen von Art. 90 ff. BGG
anfechtbar (vgl. FELIX UHLMANN, Basler Kommentar, Bundesgerichtsgesetz, 2.
Aufl. 2011, N. 2 zu Art. 94 BGG mit weiteren Hinweisen).

3.

3.1. Gemäss Art. 90 BGG ist die Beschwerde zulässig gegen Entscheide, die das
Verfahren abschliessen. Ebenfalls zulässig ist nach Art. 91 Abs. 1 BGG die
Beschwerde gegen selbständig eröffnete Vor- und Zwischenentscheide über die
Zuständigkeit und über Ausstandsbegehren. Gegen andere selbständig eröffnete
Vor- und Zwischenentscheide ist von hier nicht interessierenden Ausnahmen in
Anwendung von Art. 93 Abs. 1 BGG die Beschwerde zulässig, wenn sie einen nicht
wieder gutzumachenden Nachteil bewirken können (lit. a) oder wenn die
Gutheissung der Beschwerde sofort einen Endentscheid herbeiführen und damit
einen bedeutenden Aufwand an Zeit oder Kosten für ein weitläufiges
Beweisverfahren ersparen würde (lit. b).

3.2. Damit ein Entscheid der Vorinstanz als Endentscheid im Sinne von Art. 90
BGG qualifiziert werden kann, muss er das Verfahren vor der ersten Instanz
abschliessen (Botschaft zur Totalrevision der Bundesrechtspflege vom 28.
Februar 2001, BBl 2001 4202, Kap. 4.1.4.1 S. 4332; Bernard Corboz, in:
Commentaire de la LTF, 2009, N. 9 zu Art. 90 BGG). Befindet das kantonale
Gericht oder das Bundesverwaltungsgericht über einen Zwischenentscheid einer
unteren Instanz, so stellt der Rechtsmittelentscheid regelmässig ebenfalls
einen Zwischenentscheid dar: Mit einem solchen Entscheid wird nicht über ein
Rechtsverhältnis endgültig entschieden, sondern nur über einen Schritt auf dem
Weg zum Endentscheid. Anders ist lediglich dann zu entscheiden, wenn durch den
Entscheid der letzten kantonalen Instanz ein Zwischenentscheid der ersten
Instanz umgestossen und das Verfahren vor erster Instanz damit abgeschlossen
wird (in SVR 2011 IV Nr. 16 S. 41, 8C_699/2009, nicht aber in BGE 136 V 156
publizierte E. 1).

3.3. Mit dem Entscheid des Bundesverwaltungsgerichts vom 22. November 2012
wurde das Verfahren vor der IVSTA um Zusprechung oder Verweigerung von
Leistungen der Invalidenversicherung nicht abgeschlossen; der vorinstanzliche
Entscheid ist mithin als Zwischenentscheid zu qualifizieren.

4.

4.1. Da eine Gutheissung der Beschwerde nicht sofort zu einem Endentscheid in
der Sache (mithin über den Rentenanspruch des Versicherten) führen würde (vgl.
Art. 93 Abs. 1 lit. b BGG), wäre auf die Beschwerde nur einzutreten, wenn
dieser Zwischenentscheid einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken
könnte (Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG).

4.2. Der Beschwerdeführer verweist in seiner Beschwerde auf BGE 137 V 210.
Damit macht er sinngemäss geltend, durch die Zwischenverfügung vom 25.
September 2012 einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil zu erleiden. Für die
Beurteilung, ob ein solcher Nachteil gegeben ist, muss im Kontext des
IV-rechtlichen Abklärungsverfahrens mit seinen spezifischen Gegebenheiten (dazu
eingehend BGE 137 V 210) berücksichtigt werden, dass ein
Sachverständigengutachten im Rechtsmittelverfahren mit Blick auf die fachfremde
Materie faktisch nur beschränkt überprüfbar ist: Der Rechtsanwender sieht sich
mangels ausreichender Fachkenntnisse kaum in der Lage, in formal korrekt
abgefassten Gutachten objektiv-fachliche Mängel zu erkennen. Zugleich steht die
faktisch vorentscheidende Bedeutung der medizinischen Gutachten für den
Leistungsentscheid in einem Spannungsverhältnis zur grossen Streubreite der
Möglichkeiten, einen Fall medizinisch zu beurteilen, und zur entsprechend
geringen Vorbestimmtheit der Ergebnisse (BGE 137 V 210 E. 2.5 S. 241 mit
Hinweisen).

4.3. Diesen Umständen ist mit verfahrensrechtlichen Garantien zu begegnen (BGE
137 V 210 a.a.O. und E. 3.4.2.3 in fine S. 253). Die Mitwirkungsrechte müssen
im Beschwerdeverfahren durchsetzbar sein. Ist dies durch Anfechtung des
Endentscheids nicht mehr möglich, kann ein nicht wieder gutzumachender Nachteil
entstehen, der den Rechtsweg an eine Beschwerdeinstanz eröffnet. Da
systemimmanent kein Anspruch auf Einholung eines Gerichtsgutachtens besteht
(vgl. BGE 136 V 376), ist das Administrativgutachten häufig zugleich die
wichtigste medizinische Entscheidungsgrundlage im Beschwerdeverfahren. In
solchen Fällen kommen die bei der Beweiseinholung durch ein Gericht
vorgesehenen Garantien zugunsten der privaten Partei im gesamten Verfahren
nicht zum Tragen. Um dieses Manko wirksam auszugleichen, müssen die
gewährleisteten Mitwirkungsrechte durchsetzbar sein, bevor präjudizierende
Effekte eintreten (BGE 137 V 210 E. 3.4.2.4 S. 254). Mit Blick auf das
naturgemäss begrenzte Überprüfungsvermögen der rechtsanwendenden Behörden
genügt es daher nicht, die Mitwirkungsrechte erst nachträglich, bei der
Beweiswürdigung im Verwaltungs- und Beschwerdeverfahren, einzuräumen. Für die
Annahme eines drohenden unumkehrbaren Nachteils spricht schliesslich auch, dass
die mit medizinischen Untersuchungen einhergehenden Belastungen zuweilen einen
erheblichen Eingriff in die physische oder psychische Integrität bedeuten (BGE
137 V 210 E. 3.4.2.7 S. 257).

4.4. Aus diesen Gründen hat das Bundesgericht die Anfechtbarkeitsvoraussetzung
des nicht wieder gutzumachenden Nachteils für das erstinstanzliche
Beschwerdeverfahren in IV-Angelegenheiten bejaht, zumal die nicht sachgerechte
Begutachtung in der Regel einen rechtlichen und nicht nur tatsächlichen
Nachteil bewirkt (BGE a.a.O. mit Hinweisen). Hebt das kantonale Gericht oder
das Bundesverwaltungsgericht die Verfügung auf, weist es die Sache an die
IV-Stelle zurück, damit diese den Begutachtungsauftrag wiederum nach dem
Zufallsprinzip, aber unter Berücksichtigung der im Gerichtsentscheid
festgelegten zusätzlichen Rahmenbedingungen, an eine MEDAS vergebe (vgl. BGE
138 V 271 E. 1.2.3 S. 276 f.).

4.5. In BGE 138 V 271 E. 3 ff. S. 278 ff. hat das Bundesgericht zudem
präzisiert, dass eine solche Gutachtensanordnung in der Regel lediglich im
erstinstanzlichen Verfahren anfechtbar ist. Aus BGE 137 V 210 kann somit nicht
gefolgert werden, es sei auch der nicht wieder gutzumachende Nachteil im Sinne
von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG zu bejahen. Somit ist auf die Beschwerde gegen
den vorinstanzlichen Entscheid auch nach dieser Norm nicht einzutreten. Dies
gilt umso mehr, als in der Zwischenverfügung vom 25. September 2012 keine
Gutachterstelle benannt wird, sondern lediglich die Bestimmung einer solchen in
Anwendung von Art. 72bis IVV durch das Zuweisungssystem "SuisseMED@P"
angekündigt wird. Selbst für das erstinstanzliche Verfahren ist somit nicht
ersichtlich, worin der Nachteil des Versicherten bestehen sollte, wenn er die
Gutachtensanordnung vor Bundesverwaltungsgericht nicht anfechten kann, bevor in
Anwendung des Zuweisungssystems "SuisseMED@P" auch die Gutachterstelle
feststeht.

4.6. Zu einer abweichenden Beurteilung gibt auch die Vernehmlassung des BSV
keinen Anlass. In dieser wird unter Hinweis auf die Rz. 2074 ff. des
Kreisschreibens über das Verfahren in der Invalidenversicherung (KSVI)
ausgeführt, im Interesse einer möglichst grossen Planungssicherheit für die
Gutachterstellen sei eine Zweiteilung des Verfahrens zweckmässig. Zunächst
solle geklärt werden, ob eine polydisziplinäre Begutachtung in der Schweiz
notwendig ist, welche Fachdisziplinen zu berücksichtigen und welche Fragen zu
stellen sind. Erst wenn diese Punkte - allenfalls gerichtlich - geklärt seien,
solle über die Plattform "SuisseMED@P" eine Gutachterstelle zugelost werden.
Damit könne die Zahl der Begutachtungstermine, die nachträglich annulliert
werden müssen, gering gehalten werden.
Eine mangelnde Planungssicherheit der Gutachterstellen und die
organisatorischen Schwierigkeiten, welche allenfalls durch die Annullierung von
Begutachtungsterminen verursacht werden, stellen keinen nicht wieder
gutzumachenden Nachteil für die versicherte Person dar. Da zudem
Zwischenverfügungen, mit welchen ein Gutachten angeordnet wird, in aller Regel
nicht beim Bundesgericht anfechtbar sind (vgl. BGE 138 V 271 E. 3 ff. S. 278
ff.), kann es auch keine rechtskräftige Erledigung gewisser umstrittener Punkte
vor dem Endentscheid geben: Aufgrund von Art. 93 Abs. 3 BGG wird eine
versicherte Person bei der Anfechtung des Endentscheids noch geltend machen
können, die Anordnung sei nicht rechtmässig gewesen. Daran würde im Übrigen
auch eine Änderung der Rechtsprechung von BGE 138 V 271 nichts ändern, ist doch
nach dem System des BGG die Anfechtung von Zwischenentscheiden, welche weder
die Zuständigkeit noch den Ausstand betreffen, stets freiwillig. Die vom BSV
angestrebte Zweiteilung des Verfahrens könnte daher lediglich mittels einer
Gesetzesänderung eingeführt werden.

5.
Demnach ist auf die Beschwerde nicht einzutreten. Dem Ausgang des Verfahrens
entsprechend sind die Gerichtskosten dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66
Abs. 1 BGG). Mit diesem Entscheid in der Sache wird das Gesuch um aufschiebende
Wirkung gegenstandslos.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Bundesverwaltungsgericht und dem Bundesamt
für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 5. Juni 2013
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Die Präsidentin: Leuzinger

Der Gerichtsschreiber: Nabold

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