Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.53/2013
Zurück zum Index I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2013
Retour à l'indice I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 2013


Wichtiger Hinweis:
Diese Website wird in älteren Versionen von Netscape ohne graphische Elemente
dargestellt. Die Funktionalität der Website ist aber trotzdem gewährleistet.
Wenn Sie diese Website regelmässig benutzen, empfehlen wir Ihnen, auf Ihrem
Computer einen aktuellen Browser zu installieren.
Zurück zur Einstiegsseite Drucken
                                                               Grössere Schrift

Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]         
8C_53/2013 {T 0/2}     

Urteil vom 14. Juni 2013

I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Leuzinger, Präsidentin,
Bundesrichter Maillard,
Bundesrichterin Heine,
Gerichtsschreiber Hochuli.

Verfahrensbeteiligte
CONCORDIA Schweizerische Kranken-
und Unfallversicherung AG,
Bundesplatz 15, 6003 Luzern,
Beschwerdeführerin,

gegen

IV-Stelle des Kantons Appenzell I. Rh.,
Poststrasse 9, 9050 Appenzell,
Beschwerdegegnerin,

D.________.

Gegenstand
Invalidenversicherung (medizinische Massnahme),

Beschwerde gegen den Entscheid des Kantons-
gerichts Appenzell I.Rh. vom 20. November 2012.

Sachverhalt:

A.
Bei D.________, geboren 2006, kam es Mitte Oktober 2011 in der Folge einer
Erkältung zu einem sich rasch verschlechternden Allgemeinzustand mit
verschiedenen Symptomen (unter anderem einem leichten Meningismus und
Ateminsuffizienz), weshalb er am 18. Oktober 2011 in die Intensivstation des
Spitals X.________ (nachfolgend: Kinderspital) eingeliefert werden musste, wo
ein Guillain-Barré-Syndrom mit entzündlichen Veränderungen des peripheren
Nervensystems diagnostiziert wurde. Nachdem er bis zum 22. November 2011 im
Kinderspital hospitalisiert blieb, musste er vom 22. November bis 6. Dezember
2011 stationär im Rehabilitationszentrum des Spitals Y.________ (nachfolgend:
Rehabilitationszentrum) betreut werden. Anschliessend benötigte er ambulante
Physiotherapie. Im Auftrag der zuständigen Krankenpflegeversicherung - der
CONCORDIA Schweizerische Kranken- und Unfallversicherung AG (nachfolgend:
CONCORDIA oder Beschwerdeführerin) - liess D.________ am 29. November 2011
durch seinen Vater bei der IV-Stelle des Kantons Appenzell Innerrhoden
(nachfolgend: IV-Stelle oder Beschwerdegegnerin) medizinische
Eingliederungsmassnahmen beantragen. Nach dem Beizug verschiedener
medizinischer Berichte kündigte die IV-Stelle mit Vorbescheid vom 28. März 2012
für die Dauer vom 6. Dezember 2011 bis 31. Dezember 2012 die Übernahme von
maximal zwei bis drei Physiotherapiesitzungen pro Woche an. Mit Stellungnahme
vom 20. April 2012 ersuchte die CONCORDIA demgegenüber zusätzlich um
vollumfängliche Übernahme des stationären Rehabilitationsaufenthalts vom 22.
November bis 6. Dezember 2011. Nach Kenntnisnahme von weiteren
Untersuchungsberichten verneinte die IV-Stelle einen Anspruch auf medizinische
Massnahmen, weil sowohl der Rehabilitationsaufenthalt als auch die ambulante
Physiotherapie der Leidensbehandlung an sich dienten (Verfügung vom 2. Juli
2012).

B.
Die hiegegen erhobene Beschwerde der CONCORDIA wies das Kantonsgericht
Appenzell Innerrhoden mit Entscheid vom 20. November 2012 ab.

C.
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten lässt die CONCORDIA
unter Aufhebung des angefochtenen Gerichtsentscheids und der Verfügung vom 2.
Juli 2012 beantragen, die Invalidenversicherung habe sowohl die stationäre
Rehabilitation als auch die anschliessende ambulante Physiotherapie als
medizinische Massnahme zu übernehmen.
Während das kantonale Gericht und die IV-Stelle auf Abweisung der Beschwerde
schliessen, verzichtet das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) auf eine
Vernehmlassung.

Erwägungen:

1.

1.1. Das Bundesgericht prüft von Amtes wegen und mit freier Kognition, ob und
inwiefern auf eine Beschwerde einzutreten ist; immerhin muss die Eingabe auch
bezüglich der Prozessvoraussetzungen hinreichend begründet werden (Art. 42 Abs.
1 und 2 BGG; BGE 134 II 120 E. 1 S. 121).

1.2. Zur Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ist berechtigt,
wer vor der Vorinstanz am Verfahren teilgenommen oder keine Möglichkeit zur
Teilnahme erhalten hat, durch den angefochtenen Entscheid besonders berührt ist
und ein schutzwürdiges Interesse an dessen Aufhebung oder Änderung besitzt
(Art. 89 Abs. 1 BGG). Verlangt ist somit neben der formellen Beschwer (Art. 89
Abs. 1 lit. a BGG), dass die Beschwerdeführerin über eine spezifische
Beziehungsnähe zur Streitsache verfügt (Art. 89 Abs. 1 lit. b BGG) und einen
praktischen Nutzen aus der Aufhebung oder Änderung des angefochtenen Entscheids
zieht (Art. 89 Abs. 1 lit. c BGG; BGE 133 II 400 E. 2.2 S. 404; vgl. auch BGE
133 V 188 E. 4.3.1 S. 191, 239 E. 6.2 S. 242).

1.3. Die Beschwerde führende CONCORDIA nahm als zuständige
Krankenpflegeversichererin bereits am Verwaltungsverfahren sowie am
Beschwerdeverfahren vor kantonalem Sozialversicherungsgericht teil (Art. 89
Abs. 1 lit. a BGG). Sie unterlag vor Vorinstanz und ist deshalb durch den
angefochtenen Entscheid beschwert und besonders berührt (Art. 89 Abs. 1 lit. b
BGG), weil das kantonale Gericht die Verfügung der IV-Stelle vom 2. Juli 2012
bestätigte, mit welcher Letztere ihre Leistungspflicht hinsichtlich der
umstrittenen medizinischen Massnahmen verneint und diese Vorkehren damit de
facto dem Aufgabenbereich der sozialen Krankenversicherung (SVR 2011 IV Nr. 40
S. 118, 9C_430/2010 E. 2.3), also der CONCORDIA, zugewiesen hatte. Die
Beschwerdeführerin hat demnach ein schutzwürdiges Interesse an der Aufhebung
des angefochtenen Entscheides und ist folglich beschwerdelegitimiert.

2.

2.1. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen
Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 und 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht
wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist folglich
weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die
Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine Beschwerde aus einem anderen
als dem angerufenen Grund gutheissen und es kann sie mit einer von der
Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen (BGE 134 V 250 E.
1.2 S. 252 mit Hinweisen; 133 III 545 E. 2.2 S. 550; 130 III 136 E. 1.4 S.
140). Immerhin prüft das Bundesgericht, unter Berücksichtigung der allgemeinen
Rüge- und Begründungspflicht der Beschwerde (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG),
grundsätzlich nur die geltend gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel
nicht geradezu offensichtlich sind (BGE 133 II 249 E. 1.4.1 S. 254).

2.2. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die
Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG), und kann deren
Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen nur berichtigen oder ergänzen, wenn
sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von
Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs 2 BGG). Offensichtlich unrichtig im Sinne von
Art. 97 Abs. 1 BGG ist die Sachverhaltsfeststellung, wenn sie willkürlich ist (
BGE 134 IV 36 E. 1.4.1 S. 39). Die entsprechende Rüge prüft das Bundesgericht
nur insoweit, als sie in der Beschwerde explizit vorgebracht und substanziiert
begründet ist (SVR 2012 IV Nr. 50 S. 181, 9C_725/2011 E. 1.2).

3.

3.1. Das kantonale Gericht hat die gesetzlichen Bestimmungen zum Anspruch von
Personen vor vollendetem 20. Altersjahr auf medizinische Massnahmen (Art. 12
Abs. 1 IVG, Art. 5 Abs. 2 IVG in Verbindung mit Art. 8 Abs. 2 ATSG) richtig
dargelegt. Darauf wird verwiesen.

3.2. Ergänzend ist auf die zu Art. 12 IVG (in der bis 31. Dezember 2007 gültig
gewesenen Fassung) ergangene Rechtsprechung (BGE 120 V 279 E. 3a, AHI 2003 S.
104 E. 2, 2000 S. 64 E. 1) hinzuweisen, an welcher auch in Anwendung der seit
1. Januar 2008 gültigen Fassung von Art. 12 IVG festzuhalten ist (Urteil 9C_355
/2012 vom 29. November 2012 E. 1). Vom strikten Erfordernis der Korrektur
stabiler Funktionsausfälle oder Defekte ist im Fall von Minderjährigen
gegebenenfalls abzusehen. Hier können medizinische Vorkehren schon dann
überwiegend der beruflichen Eingliederung dienen und trotz des einstweilen noch
labilen Charakters des Leidens von der Invalidenversicherung übernommen werden,
wenn ohne diese Vorkehren eine Heilung mit Defekt oder ein anderer
stabilisierter Zustand einträte, welcher die Berufsbildung oder die
Erwerbsfähigkeit voraussichtlich beeinträchtigen würde. Die entsprechenden
Kosten werden bei Minderjährigen also von der Invalidenversicherung getragen,
wenn das Leiden mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu einem schwer
korrigierbaren, die spätere Ausbildung und Erwerbsfähigkeit erheblich
behindernden stabilen pathologischen Zustand führen würde (BGE 131 V 9 E. 4.2
S. 21 mit Hinweisen).

4.
Strittig ist der Anspruch auf medizinische Massnahmen des minderjährigen
Versicherten, bei welchem im Oktober 2011 ein Guillain-Barré-Syndroms
diagnostiziert wurde.

4.1. Die Vorinstanz stellte zunächst aufgrund der medizinischen Unterlagen
fest, dass der Versicherte ab 18. Oktober 2011 zur Verhinderung eines
Fortschreitens der akuten Polyradikulitis infolge des Guillain-Barré-Syndroms
während fünf Tagen mit einer intravenösen Immunglobulingabe behandelt und zur
Überwachung der lebensbedrohlichen Atmungseinschränkung in der Intensivstation
des Kinderspitals gepflegt werden musste. Anschliessend habe er noch über
Schmerzen in den Beinen geklagt. Diese seien weiterhin medikamentös behandelt
worden. Gemäss Dr. med. M.________ hätten sich die Paresen im stationären
Verlauf unter physiotherapeutischer Anleitung, Logotherapie und Ergotherapie
deutlich gebessert. Infolge einer anhaltenden Schwäche der Rumpfextensoren und
der unteren Extremitäten habe sich der Versicherte nach dem fünfwöchigen
stationären Aufenthalt im Kinderspital bei Verlegung ins Rehabilitationszentrum
am 22. November 2011 nur auf dem Boden kriechend oder im Kniestand fortbewegen
können. Sodann führte das kantonale Gericht aus, die Heilung der Krankheit
erfolge "in der Regel in umgekehrter Richtung, also absteigend, indem sich die
Myelinscheiden langsam wieder aufbauen, worauf sich auch die
Lähmungserscheinungen" wieder zurückbilden würden. Der Heilungsprozess könne
sich auch spontan und ohne spezifische Therapie einstellen. Die Prognose sei in
der Regel günstig. Mit Physiotherapie werde der Genesungsprozess bzw. die
spontane Regeneration nur unterstützt. Diese Therapie stelle hier
Nachbehandlung der Krankheit und somit Behandlung des Leidens an sich dar. Es
liege jedoch "keine hinreichende Wahrscheinlichkeit vor, dass bei D.________
ohne die erfolgte Physiotherapie eine schwer korrigierbare, die spätere
Ausbildung und Erwerbsfähigkeit erheblich [beeinträchtigende] Gehfähigkeit
zurückgeblieben wäre [...]. Die Therapie [sei] demnach keine medizinische
Massnahme gemäss Art. 12 IVG und somit nicht von der Beschwerdegegnerin zu
übernehmen."

4.2. Die Beschwerde führende CONCORDIA rügt, die Vorinstanz habe den
Sachverhalt offensichtlich unrichtig festgestellt und unter Missachtung der
höchstrichterlichen Rechtsprechung Bundesrecht verletzt. Soweit das kantonale
Gericht den angefochtenen Entscheid auf Ausführungen seines Fachrichters
abstützte und mit Blick auf den Gesundheitsschaden des Versicherten die
Auffassung vertrat, der Heilungsprozess hätte "sich auch spontan und ohne
spezifische Therapie einstellen" können, macht die CONCORDIA geltend, nach der
notfallmässigen Behandlung des akuten entzündlichen Geschehens während des
stationären Aufenthalts im Kinderspital wäre der Versicherte ohne
anschliessende Fortsetzung der rehabilitativen Massnahmen auf einem Niveau der
permanenten Hilfsbedürftigkeit stehen geblieben. Unter Bezugnahme auf die
medizinische Aktenlage legt die Beschwerdeführerindar, dass der akute
Entzündungsprozess während der fünfwöchigen intensiven Leidensbehandlung im
Kinderspital habe gestoppt werden können. Ohne die Übernahme der
anschliessenden stationären und ambulanten Rehabilitation als medizinische
Massnahme hätte nicht mit einer "Spontanheilung", sondern vielmehr mit einem
zurück bleibenden, stabilen Defektzustand gerechnet werden müssen, welcher die
Eingliederung ins spätere Erwerbsleben beeinträchtigt hätte. Sowohl den
stationären Aufenthalt vom 22. November bis 6. Dezember 2011 im
Rehabilitationszentrum wie auch die anschliessende ambulante Physiotherapie
habe demzufolge praxisgemäss die Beschwerdegegnerin als medizinische Massnahme
im Sinne von Art. 12 IVG zu übernehmen.

5.
Vorweg zu prüfen ist, ob Verwaltung und Vorinstanz zu Recht einen Anspruch auf
ambulante Physiotherapie ab 6. Dezember 2011 verneint haben.

6.

6.1. Die IV-Stelle hält auch vor Bundesgericht an ihrer Auffassung fest, wonach
die strittigen Leistungen zur Leidensbehandlung an sich gehörten und deshalb im
Rahmen der Grunderkrankung von der Krankenkasse zu übernehmen seien. In
medizinischer Hinsicht stützt sich die Beschwerdegegnerin auf zwei
Kurzeinschätzungen des Regionalen Ärztlichen Dienstes (RAD) der IV-Stelle,
welchen zwar - wenn überhaupt, dann nur - eine rudimentärste Begründung zu
entnehmen ist, die jedoch eine Auseinandersetzung mit der nachvollziehbar
erläuterten prognostischen Beurteilung der behandelnden Ärztin des
Kinderspitals vom 12. Dezember 2011 vollständig vermissen lassen. In seinem
etwas ausführlicheren Bericht vom 25. Mai 2012 hielt der RAD-Arzt Dr. med.
S.________ demgegenüber fest, die Invalidenversicherung könne die ambulante
Rehabilitation nach Austritt aus dem Rehabilitationszentrum als medizinische
Massnahme nach Art. 12 IVG übernehmen. Das kantonale Gericht begnügte sich -
ohne im angefochtenen Entscheid auf die letztgenannte Aussage des Dr. med.
S.________ einzugehen - mit dem Hinweis darauf, es sei nicht hinreichend
wahrscheinlich, dass ohne Physiotherapie eine schwer korrigierbare, die spätere
Ausbildung und Erwerbsfähigkeit erheblich beeinträchtigende Einschränkung der
Gehfähigkeit zurückgeblieben wäre.

6.2. Weder Verwaltung noch Vorinstanz nahmen mit Vernehmlassungen vom 1. und
15. März 2013 Bezug auf die von der Beschwerdeführerin angerufene
Rechtsprechung des Eidgenössischen Versicherungsgerichts (EVG, heute:
sozialrechtliche Abteilungen des Bundesgerichts), wonach bei Polyradiculitis
Guillain-Barré ein Anspruch auf medizinische Massnahmen im Sinne von Art. 12
Abs. 1 IVG erfahrungsgemäss in der Regel vier Wochen seit Beginn der Lähmung
oder seit dem letzten Krankheitsschub entsteht, sofern nicht ein
Ausnahmetatbestand hinreichend nachgewiesen werden kann (ZAK 1968 S. 693,
Urteil des EVG vom 4. September 1968 in Sachen H.F.). Physiotherapie ist unter
diesen Umständen als medizinische Massnahme von der Invalidenversicherung zu
übernehmen; Gleiches gilt in Bezug auf Physiotherapie bei poliomyelitischen
Lähmungen Jugendlicher (vgl. ULRICH MEYER, Rechtsprechung des Bundesgerichts
zum IVG, 2. Aufl. 2010, S. 131 mit Hinweis). Während das Kreisschreiben des BSV
über die medizinischen Eingliederungsmassnahmen (KSME) in der bis 31. Dezember
2007 gültig gewesenen Fassung unter Rz. 604 noch ausdrücklich zur Krankheit
"Polyradiculitis (Guillain-Barré) " auf die frühestens vier Wochen nach der
letzten Lähmung in Frage kommende Leistungspflicht nach Art. 12 IVG sowie auf
die Rz. 603 (Poliomyelitis) verwies, ist die Rz. 604 im Gegensatz zur Rz. 603
mit der am 1. Januar 2008 in Kraft getretenen Fassung des KSME gestrichen
worden, wobei das Stichwortverzeichnis der KSME immer noch den Hinweis auf
dieses Leiden sowie einen Verweis auf die Rz. 604 enthält. Es ist kein Grund
ersichtlich und wird von keiner Seite geltend gemacht, weshalb die
Invalidenversicherung - insbesondere auch mit Blick auf Rz. 603 der KSME in der
hier massgebenden, seit 1. Januar 2010 gültig gewesenen Fassung - nicht
weiterhin entsprechend der erleichterten Voraussetzungen gemäss BGE 131 V 9 E.
4.2 S. 21 (vgl. hievor E. 3.2 i.f.) bei Polyradiculitis Guillain-Barré im Falle
von nichterwerbstätigen Minderjährigen als vorbeugende Massnahme zur
Verhinderung eines späteren stabilen Defektes frühestens ab einem Zeitpunkt
vier Wochen nach der letzten Lähmung oder dem letzten Krankheitsschub
grundsätzlich Vorkehren wie Physiotherapie als medizinische Massnahme im Sinne
von Art. 12 IVG übernehmen kann.

6.3. Soweit die Beschwerdeführerin beantragt, die Invalidenversicherung habe
die ambulante Physiotherapie im Anschluss an den stationären Aufenthalt im
Rehabilitationszentrum vom 22. November bis 6. Dezember 2011 als medizinische
Massnahme gemäss Art. 12 IVG zu übernehmen, hat das kantonale Gericht in
Verkennung der nach wie vor anwendbaren Rechtsprechung und ohne Grundlage in
tatsächlicher Hinsicht sowie entgegen der RAD-ärztlichen Empfehlung vom 25. Mai
2012 die entsprechenden Voraussetzungen zur Übernahme dieser Vorkehr zu Unrecht
verneint. Insoweit ist demnach die Beschwerde gutzuheissen. Die
Invalidenversicherung hat folglich - wie im Vorbescheid vom 28. März 2012
vorgesehen war - ab 6. De-zember 2011 bis 31. Dezember 2012 die Kosten für
höchstens zwei bis drei ambulante Physiotherapiesitzungen pro Woche nach
ärztlicher Verordnung zu übernehmen und nach IV-Tarif zu vergüten; eine
allfällige Verlängerung dieser Massnahme steht unter dem Vorbehalt der
frühzeitigen Einreichung eines Verlängerungsgesuches und der entsprechenden
Bewilligung dieses Gesuchs.

7.
Soweit die CONCORDIA an ihrem Antrag festhält, wonach die Invalidenversicherung
unter den konkreten Umständen des hier zu beurteilenden Falles nicht nur die
ambulante Physiotherapie ab 6. De-zember 2011, sondern auch den stationären
Rehabilitationsaufenthalt vom 22. November bis 6. Dezember 2011 als
medizinische Massnahme nach Art. 12 IVG zu übernehmen habe, besteht aus
folgenden Gründen weiterer Abklärungsbedarf:

7.1. Ihrer körperlichen und geistigen Entwicklungsphase Rechnung tragend sind
bei Jugendlichen medizinische Vorkehren trotz des einstweilen noch labilen
Leidenscharakters von der Invalidenversicherung zu übernehmen, wenn ohne diese
in absehbarer Zeit eine Heilung mit Defekt oder ein sonst wie stabilisierter
Zustand einträte, wodurch die Berufsbildung oder die Erwerbsfähigkeit oder
beide beeinträchtigt würden (BGE 98 V 214 E. 2 S. 214 f.; 105 V 19 S. 20). Die
Invalidenversicherung hat daher bei Jugendlichen - die Erfüllung der übrigen
Voraussetzungen vorbehalten - nicht nur unmittelbar auf die Beseitigung oder
Korrektur stabiler Defektzustände oder Funktionsausfälle gerichtete Vorkehren
zu übernehmen, sondern nach wiederholt bestätigter Rechtsprechung auch dann
Leistungen zu erbringen, wenn es darum geht, mittels geeigneter Massnahmen
einem die berufliche Ausbildung oder die künftige Erwerbsfähigkeit
beeinträchtigenden Defektzustand vorzubeugen (Urteil 9C_89/2011 vom 27. Juli
2011 E. 3.2 mit Hinweisen).

7.2. Aufgrund einer prognostischen Beurteilung, wie sie bei der Prüfung des
Anspruchs auf medizinische Eingliederungsmassnahmen vorzunehmen ist (SVR 2011
IV Nr. 5 S. 15, 9C_287/2010 E. 5.2 mit Hinweis), kann der Erfolg der Behandlung
mit Wiedergewinnung der Gehfähigkeit nach anfänglicher Lähmung nicht
berücksichtigt werden (Urteil 9C_355/2012 vom 29. November 2012 E. 3.1). Die
für die Beurteilung der Leistungspflicht der Invalidenversicherung massgebliche
fachärztliche Prognose muss zwei Aussagen enthalten: Zunächst muss erstellt
sein, dass ohne die vorbeugende Behandlung in naher Zukunft eine bleibende
Beeinträchtigung eintreten würde; gleichzeitig muss ein ebenso stabiler Zustand
herbeigeführt werden können, in dem vergleichsweise erheblich verbesserte
Voraussetzungen für die spätere Ausbildung und Erwerbsfähigkeit herrschen.
Daraus folgt, dass eine therapeutische Vorkehr, deren Wirkung sich in der
Unterdrückung von Symptomen erschöpft, nicht als medizinische Massnahme im
Sinne des Art. 12 IVG gelten kann, selbst wenn sie im Hinblick auf die
schulische und erwerbliche Eingliederung unabdingbar ist (Urteil 9C_393/2012
vom 20. August 2012 E. 3 mit Hinweisen).

7.3. Für die nach dem in Erwägung 6 Gesagten noch strittige Übernahme des
Rehabilitationsaufenthaltes durch die Invalidenversicherung spricht zunächst
die Praxis, wonach bei Polyradiculitis Guillain-Barré ein Anspruch auf
medizinische Massnahmen im Sinne von Art. 12 Abs. 1 IVG erfahrungsgemäss in der
Regel vier Wochen seit Beginn der Lähmung oder seit dem letzten Krankheitsschub
entsteht (ZAK 1968 S. 693, Urteil des EVG vom 4. September 1968 in Sachen H.F.;
vgl. E. 7.2 hievor), sowie die Tatsache, dass der Versicherte genau fünf Wochen
nach der notfallmässigen Einlieferung zur stationären Behandlung des akuten
Entzündungsprozesses, welche die Beschwerdeführerin unbestritten als
Krankenpflegeleistung übernommen hat, am 22. November 2011 vom Kinderspital ins
Rehabilitationszentrum übertreten konnte.

7.4. Laut RAD-ärztlicher Beurteilung des Dr. med. S.________ vom 25. Mai 2012
bezweckten die therapeutischen Bemühungen im Rehabilitationszentrum den
Kraftaufbau und das Gehtraining. Die Rehabilitationsziele einer Verbesserung
der Gehfähigkeit und des Treppensteigens seien erreicht worden. Die stationäre
Rehabilitation sei "im therapeutischen Kontext der Leidensbehandlung"
gestanden. "Auch unabhängig von einer Beschulung" hätte die grundlegende
Funktion der Gehfähigkeit behandelt werden müssen. Das Wiedererlangen dieser
Fähigkeit sei ganz im Vordergrund gestanden, die schulische
Eingliederungswirkung dagegen sekundär gewesen. Der stationäre
Rehabilitationsaufenthalt könne daher - im Gegensatz zur anschliessenden
ambulanten Physiotherapie (vgl. E. 6.3 hievor) - nicht als medizinische Vorkehr
im Sinne von Art. 12 IVG übernommen werden. Demgegenüber lässt sich der
vertrauensärztlichen Einschätzung des Dr. med. T.________ vom 12. Juli 2012
entnehmen, dass nach einer akuten Phase des Guillain-Barré-Syndroms in 5% der
Fälle signifikante Behinderungen zurück bleiben. Zwar sind Dr. med. T.________
und der RAD-Arzt insoweit gleicher Meinung, als nicht nur die spätere ambulante
Physiotherapie, sondern auch der stationäre Aufenthalt im
Rehabilitationszentrum in erster Linie eine Verbesserung der Gehfähigkeit
bezweckte. Der Vertrauensarzt der CONCORDIA betont jedoch, dass mit Abschluss
der stationären Behandlung des akuten Entzündungsprozesses und dem Übertritt
vom Kinderspital ins Rehabilitationszentrum die "auf die Ursache ausgerichtete
Behandlung des Gesundheitsschadens" beendet war. Die anschliessende
Physiotherapie habe sowohl während des stationären Aufenthaltes im
Rehabilitationszentrum als auch während der darauf folgenden ambulanten Phase
eine Einheit gebildet und ein und demselben Ziel gedient, nämlich der
Wiedereingliederung durch Verbesserung der Gehfähigkeit des den Kindergarten
besuchenden Versicherten. Deshalb gehe nicht nur die ambulante Physiotherapie
(vgl. E. 6.3 hievor), sondern auch der stationäre Aufenthalt im
Rehabilitationszentrum nach Art. 12 IVG zu Lasten der Invalidenversicherung.

7.5. Wie es sich damit verhält, wird das kantonale Gericht in geeigneter Form
abklären und hernach über den noch strittigen Anspruch auf Übernahme des
stationären Rehabilitationsaufenthaltes vom 22. November bis 6. Dezember 2011
als medizinische Vorkehr im Sinne von Art. 12 IVG unter Berücksichtigung der
massgebenden Rechtsprechung (vgl. hievor insbesondere E. 7.1-7.3) neu
entscheiden. Für die Übernahme des Rehabilitationsaufenthaltes durch einen der
beiden am Recht stehenden Sozialversicherungsträger wird ausschlaggebend sein,
wie aus fachärztlicher Sicht die massgebenden Fragen gemäss Erwägung 7.2 hievor
widerspruchsfrei, nachvollziehbar und überzeugend beantwortet werden.

7.5.1. Dabei wird die Vorinstanz nicht allein entscheidwesentlich gemäss
angefochtenem Entscheid auf die nicht in den Akten dokumentierten "Ausführungen
des [im Spruchkörper mitwirkenden] Fachrichters" abstellen, wonach "keine
hinreichende Wahrscheinlichkeit [vorliege], dass bei D.________ ohne die
erfolgte Physiotherapie" - während des stationären Aufenthalts im
Rehabilitationszentrum vom 22. November bis 6. Dezember 2011 - "eine schwer
korrigierbare, die spätere Ausbildung und Erwerbsfähigkeit erheblich
beeinträchtigte Gehfähigkeit zurückgeblieben wäre". In diesem Zusammenhang ist
darauf hinzuweisen, dass die Doppelfunktion der Fachmitglieder kantonaler
Sozialversicherungsgerichte als Richter und Sachverständige unter dem
Blickwinkel von Art. 30 Abs. 1 BV nicht unproblematisch ist (vgl. BGE 138 II 77
E. 5.2 S. 86) und jedenfalls den Anspruch auf Unabhängigkeit des
Sachverständigen verletzt (BGE 137 III 289 E. 4.4 S. 292 mit Hinweisen; Urteil
5A_787/2011 vom 24. November 2011 E. 3.4 i.f.).

7.5.2. Soweit sich die CONCORDIA durch den Entscheid des kantonalen Gerichts
dazu veranlasst sah (Art. 99 Abs. 1 BGG; vgl. BGE 135 V 194), vor Bundesgericht
erstmals die nach Ausfällung des angefochtenen Entscheides eingeholten und
erstellten Berichte vom 24. Dezember 2012 des Leitenden Arztes der
Neuropädiatrie des Kinderspitals O.________, Dr. med. A.________, sowie vom 9.
Januar 2013 ihres Vertrauensarztes Dr. med. T.________, einzureichen, kann hier
offen bleiben, ob es sich dabei um ausnahmsweise nach Art. 99 Abs. 1 BGG
zulässige Noven handelte, weil die Sache diesbezüglich ohnehin zur weiteren
medizinischen Abklärung an die Vorinstanz zurückzuweisen ist. Es sei jedoch
darauf hingewiesen, dass das kantonale Gericht eine Verletzung des Anspruchs
auf rechtliches Gehör riskiert, soweit es seine Entscheidfindung
ausschlaggebend auf medizinischen Tatsacheneinschätzungen gemäss "Ausführungen
des [mitwirkenden] Fachrichters" abstützt, ohne der Beschwerdeführerin hiezu
vorgängig die Gelegenheit zur Stellungnahme einzuräumen (vgl. Urteil 8C_837/
2008 vom 26. Juni 2009 E. 6.3 mit Hinweisen).

8.
Die Rückweisung der Sache an das kantonale Gericht oder an den
Versicherungsträger zur erneuten Abklärung (mit noch offenem Ausgang) gilt
praxisgemäss (BGE 132 V 215 E. 6.1 S. 235 mit Hinweisen) für die Frage der
Auferlegung der Gerichtskosten wie auch der Parteientschädigung als volles
Obsiegen im Sinne von Art. 66 Abs. 1 sowie Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG, unabhängig
davon, ob sie überhaupt beantragt, oder ob das entsprechende Begehren im Haupt-
oder Eventualantrag gestellt wird. Die Gerichtskosten sind der IV-Stelle als
der unterliegenden Partei aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Da sich zwei
Sozialversicherungsträger gegenüberstehen, gilt für die Gerichtsgebühr der
ordentliche Rahmen nach Art. 65 Abs. 3 BGG, während Art. 65 Abs. 4 lit. a BGG
keine Anwendung findet ( Seiler/von Werdt/Güngerich, Bundesgerichtsgesetz
[BGG], Bern 2007, S. 223, N. 28 zu Art. 65 BGG; Geiser, in: Basler Kommentar
zum Bundesgerichtsgesetz, 2. Aufl. 2011, N. 20 zu Art. 65 BGG; Urteile 8C_648/
2010 vom 12. Januar 2011 E. 4, 8C_712/2010 vom 16. No-vember 2010 E. 5, 8C_241/
2008 vom 25. März 2009 E. 9 mit Hinweisen).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen und der Entscheid des
Kantonsgerichts Appenzell I.Rh., Abteilung Verwaltungsgericht, vom 20. November
2012 sowie die Verfügung der IV-Stelle des Kantons Appenzell I. Rh. vom 2. Juli
2012 werden insoweit abgeändert, als die Leistungspflicht der
Invalidenversicherung im Sinne von Erwägung 6.3 zu bejahen ist.

2.
Im Übrigen wird die Beschwerde insoweit teilweise gutgeheissen und der
Entscheid des Kantonsgerichts Appenzell I.Rh., Abteilung Verwaltungsgericht,
vom 20. November 2012 aufgehoben, als die Sache im Sinne der Erwägung 7 zur
weiteren Abklärung und zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen
wird.

3.
Die Gerichtskosten von Fr. 3'000.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, D.________, dem Kantonsgericht Appenzell
I.Rh., Abteilung Verwaltungsgericht, und dem Bundesamt für Sozialversicherungen
schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 14. Juni 2013

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Die Präsidentin: Leuzinger

Der Gerichtsschreiber: Hochuli

Navigation

Neue Suche

ähnliche Leitentscheide suchen
ähnliche Urteile ab 2000 suchen

Drucken nach oben