Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.523/2013
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
8C_523/2013

Urteil vom 2. Oktober 2013

I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Leuzinger, Präsidentin,
Bundesrichter Maillard, Bundesrichterin Heine,
Gerichtsschreiberin Weber Peter.

Verfahrensbeteiligte
R.________, vertreten durch
Rechtsanwalt Dr. August W. Stolz,
Beschwerdeführerin,

gegen

IV-Stelle des Kantons Thurgau, Rechts- und Einsprachedienst,
St. Gallerstrasse 13, 8500 Frauenfeld,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung (Wiedererwägung),

Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Thurgau vom
5. Juni 2013.

Sachverhalt:

A.

A.a. Mit Verfügung vom 19. Oktober 2000 sprach die IV-Stelle des Kantons
Thurgau der 1961 geborenen R.________, die sich nach einer
Bandscheibenoperation im Juli 1999 zum Bezug von Leistungen der
Invalidenversicherung angemeldet hatte, ab 1. September 1999 eine ganze
Invalidenrente zu. Mit Mitteilungen vom 16. August 2004 und 17. November 2008
bestätigte die IV-Stelle das Bestehen einer ganzen Rente.

A.b. Im Mai 2011 leitete die IV-Stelle von Amtes wegen ein neues
Revisionsverfahren ein. Sie liess die Versicherte durch die Firma C.________
GmbH überwachen und holte dazu eine ärztliche Stellungnahme des Dr. med.
S.________, Facharzt für Innere Medizin, vom 10. Juni 2011 ein. Gestützt darauf
stellte die IV-Stelle mit Verfügung vom 21. Oktober 2011 die Rente der
Versicherten ein. Die dagegen erhobene Beschwerde hiess das Verwaltungsgericht
des Kantons Thurgau mit Entscheid vom 8. Februar 2012 in dem Sinne gut, als es
die angefochtene Verfügung aufhob und die Sache zu weiteren Abklärungen an die
IV-Stelle zurückwies. Diese holte in der Folge beim Medizinischen Zentrum
X.________ ein bidisziplinäres Gutachten ein, welches am 10. September 2012
erstattet wurde. Es besteht aus einem rheumatologischen Gutachten des Dr. med.
O.________, FMH Rheumatologie, vom 14. Mai 2012, mit Evaluation der
funktionellen Leistungsfähigkeit (EFL) sowie einem psychiatrischen Gutachten
des Dr. med. H.________, FMH Psychiatrie und Psychotherapie, vom 30. August
2012. Nach Durchführung des Vorbescheidverfahrens hob die IV-Stelle mit
Verfügung vom 28. Januar 2013 die Invalidenrente per 30. November 2011 auf.

B. 
Die hiegegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons
Thurgau mit Entscheid vom 5. Juni 2013 ab.

C. 
Die Versicherte lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten
führen mit dem Rechtsbegehren, in Aufhebung des kantonalen Gerichtsentscheides
sei ihr weiterhin mindestens eine halbe Invalidenrente auszurichten;
eventualiter sei die Angelegenheit zur Neubeurteilung im Sinne der Erwägungen
an die Vorinstanz zurückzuweisen. Zudem wird um Gewährung der unentgeltlichen
Rechtspflege ersucht.
Die vorinstanzlichen Akten wurden eingeholt. Ein Schriftenwechsel wurde nicht
durchgeführt.

Erwägungen:

1. 
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten (Art. 82 ff. BGG) kann
wegen Rechtsverletzung gemäss Art. 95 f. BGG erhoben werden. Das Bundesgericht
legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt
hat (Art. 105 Abs. 1 BGG), und kann deren Sachverhaltsfeststellung von Amtes
wegen nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder
auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2
BGG). Es wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Immerhin
prüft es, unter Berücksichtigung der allgemeinen Begründungspflicht der
Beschwerde (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG), grundsätzlich nur die geltend gemachten
Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu offensichtlich sind. Es ist
jedenfalls nicht gehalten, wie eine erstinstanzliche Behörde alle sich
stellenden rechtlichen Fragen zu untersuchen, wenn diese vor Bundesgericht
nicht mehr vorgetragen wurden (BGE 133 II 249 E. 1.4.1 S. 254).

2. 
Streitig und zu prüfen ist, ob die Vorinstanz zu Recht die Aufhebung der
Invalidenrente durch die IV-Stelle bestätigt hat.

3. 
Im angefochtenen Entscheid werden die zur Beurteilung der Streitsache
massgebenden Rechtsgrundlagen zutreffend dargelegt. Dies betrifft insbesondere
die Bestimmung über die Revision der Invalidenrente (Art. 17 ATSG ) und die
Rechtsprechung zu den dabei zu vergleichenden Sachverhalten (BGE 133 V 108).
Richtig wiedergegeben werden sodann die Voraussetzungen zur Wiedererwägung
formell rechtskräftiger Verwaltungsverfügungen durch den Versicherungsträger
(Art. 53 Abs. 2 ATSG) und die Rechtspraxis über die gerichtliche Bestätigung
einer zu Unrecht ergangenen Revisionsverfügung mit der substituierten
Begründung der Wiedererwägung (BGE 125 V 368 E. 2 und 3 S. 369 f.; vgl. auch
BGE 127 V 466 E. 2c S. 469). Gleiches gilt zum Beweiswert und zur Würdigung
ärztlicher Berichte und Gutachten (BGE 125 V 351 E. 3a S. 352, vgl. auch 134 V
231 E. 5.1 S. 232). Darauf wird verwiesen.

4.

4.1.

4.1.1. Nach umfassender Würdigung der medizinischen Aktenlage gelangte die
Vorinstanz zum Schluss, dass die ursprüngliche Rentenverfügung vom 19. Oktober
2000 zweifellos unrichtig war, nachdem die Invaliditätsbemessung auf keiner
nachvollziehbaren ärztlichen Einschätzung der massgeblichen Arbeitsfähigkeit
beruhte, und bejahte das Vorliegen der Voraussetzungen für eine Wiedererwägung
nach Art. 53 Abs. 2 ATSG. Die Vorinstanz erwog, dass die IV-Stelle, die bei der
ursprünglichen Rentenverfügung in medizinischer Hinsicht zentral auf den
Bericht des Spitals Y.________ vom 29. Juni 2000 abstellte, von medizinisch
völlig falschen Voraussetzungen ausging. So habe der operative Eingriff vom 12.
Oktober 2000 (Dekompression L5/S1 beidseits und Spondylodese L5/S1), von dem
die IV-Stelle bei Erlass der Verfügung vom 19. Oktober 2000 keinerlei Kenntnis
hatte, zu einer stark veränderten gesundheitlichen Situation geführt, die hätte
berücksichtigt werden müssen. Gemäss Bericht des Spitals Y.________ vom 23.
Dezember 2000 sei die Versicherte nach der Versteifungsoperation schmerzfrei
gewesen. Die Vorinstanz stellte fest, dass die ursprüngliche Verfügung zu früh
erging und auf unzureichenden Abklärungen beruhte. Aufgrund der Aktenlage
bestand gemäss Vorinstanz kein Hinweis darauf, dass die Versicherte im
fraglichen Zeitpunkt in einer adaptierten Tätigkeit in ihrer Arbeitsfähigkeit
bleibend eingeschränkt gewesen wäre. Sie stützte sich dabei u.a. auch auf das
im Rahmen des bidisziplinären Gutachtens erstellte rheumatologische
Teilgutachten des Dr. med. O.________ vom 14. Mai 2012, der die Beurteilung des
Spitals Y.________ im Bericht vom 29. Juni 2000 bezüglich der Arbeitsfähigkeit
retrospektiv als nicht nachvollziehbar bezeichnete, zumal eine Begründung der
attestierten Arbeitsfähigkeit nicht erfolgte. Dies ist nicht zu beanstanden.

4.1.2. Die Einwendungen der Beschwerdeführerin sind nicht geeignet, die
vorinstanzlichen Sachverhaltsfeststellungen als offensichtlich unrichtig, als
Ergebnis willkürlicher Beweiswürdigung oder als rechtsfehlerhaft nach Art. 95
BGG erscheinen zu lassen, oder sonst wie eine Bundesrechtsverletzung zu
begründen. Insbesondere ist keine Bundesrechtswidrigkeit darin zu sehen, dass
die Stellungnahme des Dr. med. S.________ vom 10. Juni 2011 in den Erwägungen
erwähnt worden ist, obwohl sie ergänzende Abklärungen erforderlich machte. Sie
wurde lediglich im Rahmen der umfassenden Beweiswürdigung in einen
Gesamtkontext gestellt. Auch die erneuten Ausführungen der Beschwerdeführerin
zur Untauglichkeit des Observationsberichts vom 23. Mai 2011 ändern nichts,
zumal dieser keinen Eingang in die Begründung gefunden hat. Im Rahmen der
freien, pflichtgemässen Würdigung der Beweise durch die Vorinstanz ergab sich
ein nachvollziehbares und schlüssiges Bild des Gesundheitszustandes und der
Leistungsfähigkeit der Beschwerdeführerin insbesondere im Zeitpunkt der
ursprünglichen Rentenverfügung vom 19. Oktober 2000, das nach dem Beweisgrad
der überwiegenden Wahrscheinlichkeit hinreichende Klarheit über den
rechtserheblichen Sachverhalt vermittelt.

4.2.

4.2.1. In Bezug auf die aktuelle Arbeitsfähigkeit ging die Vorinstanz alsdann
davon aus, dass die Beschwerdeführerin in einer adaptierten Tätigkeit zu 100 %
arbeitsfähig ist und mit Ausnahme kurzer Phasen in den Jahren 1998 und 2000/
2001 auch immer war. Sie stellte dabei in Bestätigung der Verwaltung auf das
bidisziplinäre Gutachten der Dres. med. O.________ und H.________ vom 10.
September 2012 ab, dem sie zu Recht volle Beweiskraft zuerkannte, nachdem
dieses die von der Rechtsprechung aufgestellten Kriterien an ein
beweiskräftiges Gutachten (BGE 134 V 231 E. 5.1 S. 232; 125 V 351 E. 3a S. 352
mit Hinweis) erfüllt und zudem die attestierte 100%ige Arbeitsfähigkeit durch
die EFL bestätigt wurde.

4.2.2. Auch diesbezüglich vermögen die Einwendungen der Beschwerdeführerin
keine Bundesrechtswidrigkeit zu begründen. Insbesondere ist nicht zu erkennen,
inwiefern das psychiatrische Gutachten ungenügend sein soll. Zudem kann nicht
gesagt werden, dass die von der Beschwerdeführerin geschilderten Schmerzen,
namentlich die Hüftbeschwerden, nicht gehörig berücksichtigt bzw. deren
Ursachen nicht erkannt wurden. Wenn die Beschwerdeführerin dies mit Hinweis auf
zwei Hüftoperationen vom 17. Dezember 2012 und 20. Juni 2013 begründet, gilt
festzustellen, dass es sich dabei um im Übrigen unbewiesene neue
Tatsachenvorbringen handelt, die als unzulässige Noven (Art. 99 Abs. 1 BGG) im
vorliegenden Verfahren nicht berücksichtigt werden können. Unzulässig ist das
Vorbringen neuer Tatsachen und Beweismittel, die bereits der Vorinstanz hätten
unterbreitet werden können (BGE 136 III 123 E. 4.4.3 S. 129). Vor Bundesgericht
unzulässig ist sodann die Berufung auf Tatsachen oder Beweismittel, die sich
nach dem angefochtenen Entscheid ereigneten oder die danach entstanden sind
(echte Noven; BGE 133 IV 342 E. 2.1 S. 343 f. mit Hinweisen; Urteil 8C_20/2013
vom 16. Mai 2013 E. 2). Zudem ist darauf hinzuweisen, dass entgegen der
Beschwerdeführerin die Hüftgelenksprobleme im Gutachten des Medizinischen
Zentrums X.________ vom 10. September 2012 Berücksichtigung fanden. Es wurde
eine radiologisch nachgewiesene beginnende beidseitige Coxarthrose erwähnt, die
sich klinisch in einer leichten Bewegungseinschränkung mit Endphasenschmerz im
Hüftgelenk rechts zeigt. Die anlässlich der EFL beobachtete Belastbarkeit, die
einer 100%igen leichten wechselbelastenden Tätigkeit entspricht, wurde in
Kenntnis der Hüftbeschwerden erhoben. Falls sich der Gesundheitszustand bzw.
diese Hüftprobleme seit Verfügungserlass tatsächlich relevant verändert haben
sollten, ist es der Versicherten unbenommen, dies revisionsweise geltend zu
machen. Nachdem im Übrigen bei der Invaliditätsbemessung nicht vom Einkommen
aus der Tätigkeit als Podologin ausgegangen wurde, sondern von demjenigen, das
bei einer 100%igen Arbeitsfähigkeit für eine leichte Tätigkeit gemäss LSE
erzielt werden könnte, sind die Ausführungen der Beschwerdeführerin zur
Untauglichkeit des Observationsberichts auch in diesem Zusammenhang nicht
weiter relevant.

4.2.3. Bei dieser Ausgangslage besteht keine Veranlassung für die beantragte
Rückweisung zur Einholung eines neuen Gutachtens (BGE 136 I 229 E. 5.3 S. 236;
124 V 90 E. 4b S. 94).

4.3. Nachdem die konkrete Invaliditätsbemessung nicht gerügt wird, besteht
diesbezüglich kein Grund zu einer näheren Prüfung. Mit der verfügten und
vorinstanzlich bestätigten Einstellung des Rentenanspruchs hat es daher sein
Bewenden. Die Beschwerde ist somit abzuweisen.

5.

5.1. Das Verfahren ist kostenpflichtig (Art. 65 BGG). Die Gerichtskosten werden
der unterliegenden Beschwerdeführerin auferlegt (Art. 66 Abs. 1 BGG).

5.2. Gemäss Art. 64 Abs. 1 BGG wird einer Partei die unentgeltliche
Rechtspflege nur gewährt, wenn sie bedürftig ist und ihr Rechtsbegehren nicht
aussichtslos erscheint. Die erhobenen Rügen vermochten den angefochtenen
Entscheid nicht ernsthaft in Zweifel zu ziehen. Dem Gesuch um unentgeltliche
Rechtspflege kann daher zufolge Aussichtslosigkeit der Beschwerde (BGE 138 III
217 E. 2.2.4 S. 218) nicht entsprochen werden.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.

3. 
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

4. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau und
dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 2. Oktober 2013

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Die Präsidentin: Leuzinger

Die Gerichtsschreiberin: Weber Peter

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