Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.45/2013
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     

{T 0/2}            
8C_45/2013

Urteil vom 4. Oktober 2013

I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Leuzinger, Präsidentin,
Bundesrichter Ursprung, Maillard,
Gerichtsschreiber Grunder.

Verfahrensbeteiligte
A.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Luzius Hafen,
Beschwerdeführer,

gegen

IV-Stelle des Kantons Zürich, Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung (Invalidenrente; Revision),

Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons
Zürich vom 22. November 2012.

Sachverhalt:

A. 
Mit Verfügung vom 3. Juni 2005 sprach die IV-Stelle des Kantons Zürich dem 1970
geborenen A.________ ab 1. August 2002 eine halbe Invalidenrente zu. Sie
stützte sich dabei auf das Gutachten des Institutes X.________, vom 26. April
2004, wonach aufgrund der diagnostizierten Halswirbelsäulenabknick- und milden
traumatischen Gehirnverletzung (Auffahrunfall vom 8. August 2001) sowie der
Spondylitis ankylosans (Morbus Bechterew) eine hälftige Arbeitsunfähigkeit für
körperlich leichte Arbeiten anzunehmen war.

Im Rahmen einer revisionsweisen Überprüfung holte die Verwaltung die
polydisziplinäre Expertise der Medizinischen Abklärungsstelle Y.________ vom 2.
Juli 2008 ein. Die medizinischen Sachverständigen gelangten zum Schluss, die
Arbeitsfähigkeit sei wegen der (rheumatologischen) Diagnose eines Morbus
Bechterew und der damit verbundenen Symptomatik (versteifte thorakale
Hyperkyphose; verminderte Thoraxexkursion; chronifiziertes Nacken-, Kopf-,
Schultergürtel- und lumbales Schmerzsyndrom; beidseitige Ileosakralgelenks- und
Koxarthrose) eingeschränkt; der Explorand sei für körperlich leichte,
wechselbelastend verrichtbare Tätigkeiten, die ohne Zwangshaltungen, ohne
regelmässiges Hantieren auf Kopfhöhe, ohne repetitive Kopfrotationen und ohne
regelmässiges Begehen von Gerüsten und Leitern ausgeführt werden könnten, im
Umfang von 80 % leistungsfähig. Am 9. September 2008 teilte die IV-Stelle dem
Versicherten mit, er habe weiterhin Anspruch auf eine halbe Invalidenrente.

Im Mai 2009 eröffnete die Verwaltung ein weiteres Revisionsverfahren und
bestellte u.a. das Gutachten der Klinik Z.________ vom 6. Juli 2010. Die
rheumatologischen Sachverständigen führten eine Evaluation der funktionellen
Leistungsfähigkeit (EFL) durch und gelangten zum Ergebnis, dem Versicherten sei
die Ausübung der angestammten Erwerbstätigkeit als Autoverkäufer wie auch jede
andere, körperlich leichte und wechselbelastende Arbeit zeitlich und
leistungsmässig uneingeschränkt zuzumuten. Mit Verfügung vom 24. Juni 2011 hob
die IV-Stelle in Bestätigung ihres Vorbescheids die bislang ausgerichtete halbe
Invalidenrente auf das Ende des der Zustellung folgenden Monats auf.

B. 
Die hiegegen eingereichte Beschwerde wies das Sozialversicherungsgericht des
Kantons Zürich ab (Entscheid vom 22. November 2012).

C. 
Mit Beschwerde lässt A.________ beantragen, der vorinstanzliche Entscheid sei
aufzuheben; eventualiter sei die Angelegenheit an das kantonale Gericht zur
Durchführung eines rechtsgenüglichen interdisziplinären Gutachtens bei der
Medizinischen Abklärungsstelle Y.________ zurückzuweisen. Ferner wird um
Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege für das bundesgerichtliche Verfahren
ersucht.

Die IV-Stelle und das Bundesamt für Sozialversicherungen verzichten auf
Vernehmlassung.

Erwägungen:

1. 
Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die
Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG), und kann deren
Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen nur berichtigen oder ergänzen, wenn
sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von
Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG). Offensichtlich unrichtig im Sinne von
Art. 97 Abs. 1 BGG ist die Sachverhaltsfeststellung, wenn sie willkürlich ist (
BGE 134 IV 36 E. 1.4.1 S. 39). Zu den Rechtsverletzungen im Sinne von Art. 95
lit. a BGG gehören die unvollständige Feststellung der rechtserheblichen
Tatsachen, die Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes bzw. der
Beweiswürdigungsregeln nach Art. 61 lit. c ATSG sowie die Missachtung der
Anforderungen an den Beweiswert ärztlicher Auskünfte (BGE 134 V 231 E. 5.1 S.
232). Das Bundesgericht prüft dabei, angesichts der allgemeinen Rüge- und
Begründungspflicht der Beschwerde (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG), grundsätzlich nur
die geltend gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu
offensichtlich sind (Art. 106 Abs. 1 BGG; BGE 133 II 249 E. 1.4.1 S. 254).

2. 
Ändert sich der Invaliditätsgrad einer Rentenbezügerin oder eines
Rentenbezügers erheblich, so wird die Rente von Amtes wegen oder auf Gesuch hin
für die Zukunft entsprechend erhöht, herabgesetzt oder aufgehoben (Art. 17 Abs.
1 ATSG). Anlass zur Rentenrevision gibt jede wesentliche Änderung in den
tatsächlichen Verhältnissen, die geeignet ist, den Invaliditätsgrad und damit
den Rentenanspruch zu beeinflussen. Insbesondere ist die Rente nicht nur bei
einer wesentlichen Änderung des Gesundheitszustands, sondern auch dann
revidierbar, wenn die erwerblichen Auswirkungen des an sich gleich gebliebenen
Gesundheitszustands sich erheblich verändert haben (BGE 130 V 343 E. 3.5 S. 349
mit Hinweisen).

3.

3.1. Den Erwägungen des kantonalen Gerichts gemäss hat die Verwaltung in dem im
Jahre 2008 durchgeführten Revisionsverfahren keine anspruchserhebliche
Veränderung festgestellt (Mitteilung vom 9. September 2008), weshalb der
Sachverhalt, welcher der Rentenzusprache (Verfügung vom 3. Juni 2005) zugrunde
lag, mit demjenigen zu vergleichen sei, der im Zeitpunkt bei Erlass der
angefochtenen Rentenaufhebungsverfügung vom 24. Juni 2011 vorgelegen habe. Der
Beschwerdeführer zieht diese Feststellung nicht explizit in Frage, er macht
aber geltend, die ihm vorgängig der Mitteilung vom 9. September 2008 am 8.
September 2008 von der IV-Stelle auferlegte Pflicht, sich künftig einer
regelmässig durchzuführenden Physiotherapie zu unterziehen, habe einzig dem
Ziel gedient, eine nach der Rechtsprechung unzulässige "second opinion"
einzuholen; schon deshalb sei das rheumatologische Gutachten der Klinik
Z.________ vom 6. Juli 2010 nicht beweistauglich. Zum anderen hätten sich die
Sachverständigen nicht mit den anderslautenden Beurteilungen der
Arbeitsfähigkeit im Gutachten der Medizinischen Abklärungsstelle Y.________
sowie den Berichten des Spitals U.________ auseinandergesetzt und sie seien
auch nicht den festgehaltenen Hinweisen auf ein psychopathologisches Geschehen
nachgegangen.

3.2. Die rheumatologischen Sachverständigen der Klinik Z.________ (Gutachten
vom 6. Juli 2010) wiesen zwar darauf hin, die von ihnen erhobenen Befunde
stimmten mit denjenigen überein, die Dr. med. K.________ (rheumatologisches
Konsilium vom 15. Mai 2008 zum Hauptgutachten der Medizinischen
Abklärungsstelle Y.________ vom 2. Juli 2008) festhielt. Allerdings
berücksichtigten sie den ebenfalls erwähnten vermehrten Pausenbedarf bei der
Einschätzung der Arbeitsfähigkeit nicht. Dieser Mangel lässt sich entgegen der
vorinstanzlichen Auffassung nicht damit erklären, das Gutachten der Klinik
Z.________ beruhe auf einer EFL und sei daher aussagekräftig. Die Ergebnisse
der EFL waren wegen der unzuverlässigen Leistungsbereitschaft des Versicherten
und aufgrund der in den Tests gezeigten Inkonsistenzen nur beschränkt
brauchbar, weshalb die Arbeitsfähigkeit "medizinisch-theoretisch" eingeschätzt
werden musste. In diesem Punkt, der aus revisionsrechtlicher Sicht erheblich
sein kann, überzeugt das Gutachten der Klinik Z.________ nicht. Weiter konnte
laut Darlegungen des Dr. med. K.________ der Verlauf des seit Jahren gleich
gebliebenen Morbus Bechterew nicht vorausgesagt werden, weshalb künftig zu
dessen Auswirkungen auf die Arbeitsfähigkeit auf die jeweils aktuell zu
erhebenden medizinischen Befunde zurückgegriffen werden müsse. Die
Sachverständigen der Klinik Z.________ zitieren zwar die abweichenden
Schlussfolgerungen der behandelnden Frau Dr. med. S.________, Rheumaklinik und
Institut für Physikalische Medizin, Spital U.________ (Bericht vom 31. Juli
2009), diskutieren diese aber nicht. U.a. überprüften sie die nach dem
Auffahrunfall vom 18. Mai 2009 verstärkt aufgetretenen zervikalen und lumbalen
Schmerzen rechtsseitig nicht, auch nicht beispielsweise mittels Beizug eines
neurologischen Konsiliums. An diesem Mangel des Gutachtens der Klinik
Z.________ ändert entgegen der vorinstanzlichen Auffassung nichts, dass auf dem
von der Klinik B.________ durchgeführten Ganzkörper-MRI (magnetic resonance
imaging) vom 28. Januar 2010 ("Bechterew-Protokoll") keine traumatisch
bedingten Verletzungen zu sehen waren. Schliesslich gingen die
rheumatologischen Sachverständigen trotz festgestellter Anhaltspunkte (Verdacht
auf ein dysfunktionales Verhalten im Sinne einer Schmerzverarbeitungsstörung)
der Frage nicht nach, ob sich ein die Arbeitsfähigkeit beeinträchtigendes
psychopathologisches Geschehen entwickelt hatte. Zusammengefasst lässt sich
gestützt auf das Gutachten der Klinik Z.________ vom 6. Juli 2010 nicht
zuverlässig beurteilen, ob sich der medizinische Sachverhalt in
revisionsrechtlich erheblicher Weise verändert hat. Die Beschwerde ist daher
gutzuheissen. Damit erübrigen sich Ausführungen zur Frage, ob der medizinische
Sachverhalt gleich geblieben war und die rheumatologischen Sachverständigen der
Klinik Z.________ bloss eine unterschiedliche Beurteilung im Vergleich zu
früheren medizinischen Gutachten vornahmen. Der IV-Stelle ist unbenommen,
gestützt auf den ersten Teil der 6. IVG-Revision vom 18. März 2011
(Schlussbestimmung a) ein erneutes Revisionsverfahren einzuleiten.

4. 
Bei diesem Verfahrensausgang sind die Gerichtskosten der unterliegenden
IV-Stelle aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG). Sie hat dem
Beschwerdeführer eine Parteientschädigung auszurichten (Art. 68 Abs. 1 f. BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
In Gutheissung der Beschwerde werden der Entscheid des
Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 22. November 2012 und die
Verfügung der IV-Stelle des Kantons Zürich 24. Juni 2011 aufgehoben.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt.

3. 
Die Beschwerdegegnerin hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 2800.- zu entschädigen.

4. 
Die Sache wird zur Neuverlegung der Kosten und der Parteientschädigung des
vorangegangenen Verfahrens an das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich
zurückgewiesen.

5. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 4. Oktober 2013

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Die Präsidentin: Leuzinger

Der Gerichtsschreiber: Grunder

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