Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.447/2013
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
8C_447/2013

Urteil vom 29. August 2013

I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Leuzinger, Präsidentin,
Bundesrichter Ursprung, Bundesrichterin Heine,
Gerichtsschreiberin Fleischanderl.

Verfahrensbeteiligte
IV-Stelle Luzern,
Landenbergstrasse 35, 6005 Luzern,
Beschwerdeführerin,

gegen

K.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Bruno Häfliger,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung (Invalidenrente; Revision),

Beschwerde gegen den Entscheid
des Verwaltungsgerichts des Kantons Luzern
vom 6. Mai 2013.

Sachverhalt:

A.
Der 1957 geborenen K.________ wurde mit Verfügung der IV-Stelle Luzern vom 18.
Juni 1998 auf Grund der Spätfolgen eines am 16. April 1983 erlittenen
Auffahrunfalles (Cervicodorsalgie nach Schleudertrauma der Halswirbelsäule)
rückwirkend ab 1. Oktober 1995 eine Viertelsrente zugesprochen. Am 8. Februar
2001 verfügte die Verwaltung die Erhöhung auf eine halbe Rente mit Wirkung ab
1. Dezember 1999. Im Rahmen eines in der Folge durchgeführten
Revisionsverfahrens gelangte die IV-Stelle schliesslich zum Ergebnis, dass neu
eine 100%ige Invalidität gegeben und der Versicherten deshalb ab 1. April 2004
eine ganze Rente auszurichten sei (Verfügung vom 24. September 2004). Unter
Hinweis auf lit. a Abs. 1 der per 1. Januar 2012 in Kraft getretenen
Schlussbestimmungen der Änderung des IVG vom 18. März 2011 (6. IV-Revision,
erstes Massnahmenpaket [AS 2011 5659; BBl 2011 2723 und 2010 1817];
nachfolgend: SchlB IVG) wurde die bisherige Rente am 16. Januar 2013 nach
Durchführung des Vorbescheidverfahrens verfügungsweise auf 1. März 2013
eingestellt.

B.
Die dagegen erhobene Beschwerde hiess das Verwaltungsgericht des Kantons Luzern
(heute: Kantonsgericht Luzern) mit Entscheid vom 6. Mai 2013 dahin gehend gut,
dass es die angefochtene Verfügung aufhob und die IV-Stelle verpflichtete,
K.________ weiterhin eine ganze Rente zu gewähren.

C.
Die IV-Stelle führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten und
ersucht um Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheids. Ferner sei dem
Rechtsmittel die aufschiebende Wirkung zu erteilen.
Das erstinstanzliche Gericht und K.________ schliessen auf Abweisung der
Beschwerde. Das Bundesamt für Sozialversicherungen verzichtet auf eine
Vernehmlassung.

Erwägungen:

1.

1.1. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten (Art. 82 ff. BGG)
kann wegen Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 f. BGG erhoben werden. Das
Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zu Grunde, den die Vorinstanz
festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann die Sachverhaltsfeststellung
der Vorinstanz von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie
offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art.
95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG). Mit Blick auf diese Kognitionsregelung ist
auf Grund der Vorbringen in der Beschwerde an das Bundesgericht zu prüfen, ob
der angefochtene Gerichtsentscheid in der Anwendung der massgeblichen
materiell- und beweisrechtlichen Grundlagen (u.a.) Bundesrecht verletzt (Art.
95 lit. a BGG), einschliesslich einer allfälligen rechtsfehlerhaften
Tatsachenfeststellung (Art. 97 Abs. 1, Art. 105 Abs. 2 BGG).

1.2. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1
BGG; vgl. dazu BGE 132 II 257 E. 2.5 S. 262; 130 II 136 E. 1.4 S. 140).
Immerhin prüft es - unter Berücksichtigung der allgemeinen Begründungspflicht
der Beschwerde (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG) - grundsätzlich nur die geltend
gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu offensichtlich
sind. Es ist jedenfalls nicht gehalten, wie eine erstinstanzliche Behörde alle
sich stellenden rechtlichen Fragen zu untersuchen, wenn diese vor Bundesgericht
nicht mehr vorgetragen werden (BGE 133 II 249 E. 1.4.1 S. 254 mit Hinweisen).

2.

2.1. Streitig und zu prüfen ist, ob die Beschwerdegegnerin weiterhin Anspruch
auf eine Invalidenrente hat. Dies wird seitens der Beschwerdeführerin unter
Bezugnahme auf lit. a Abs. 1 SchlB IVG verneint.

2.2. Gemäss lit. a Abs. 1 SchlB IVG, gültig seit 1. Januar 2012, werden Renten,
die bei pathogenetisch-ätiologisch unklaren syndromalen Beschwerdebildern ohne
nachweisbare organische Grundlage (sog. PÄUSBONOG; Urteil [des Bundesgerichts]
8C_1014/2012 vom 3. Juli 2013 E. 7.2.1; vgl. auch Rumo-Jungo/Holzer,
Rechtsprechung des Bundesgerichts zum Sozialversicherungsrecht, Bundesgesetz
über die Unfallversicherung, 4. Aufl. 2012, S. 132) gesprochen wurden,
innerhalb von drei Jahren nach Inkrafttreten dieser Änderung überprüft. Sind
die Voraussetzungen nach Art. 7 ATSG nicht erfüllt, so wird die Rente
herabgesetzt oder aufgehoben, auch wenn die Voraussetzungen von Art. 17 Abs. 1
ATSG nicht erfüllt sind. Abs. 4 der Bestimmung präzisiert, dass Abs. 1 keine
Anwendung findet auf Personen, die im Zeitpunkt des Inkrafttretens der Änderung
das 55. Altersjahr zurückgelegt haben oder im Zeitpunkt, in dem die Überprüfung
eingeleitet wird, seit mehr als 15 Jahren eine Rente der Invalidenversicherung
beziehen.

3.

3.1. Zu beurteilen ist auf Grund des Wortlauts von lit. a Abs. 4 SchlB IVG, ob
massgeblicher Anknüpfungspunkt für den Tatbestand, wonach Abs. 1 der Norm nicht
für Personen gilt, die seit mehr als 15 Jahren eine Rente der
Invalidenversicherung beziehen, der Beginn des Rentenanspruchs oder der
Zeitpunkt des Verfügungserlasses bildet.

3.2.

3.2.1. Das Bundesgericht hat sich im Urteil 8C_324/2013 vom heutigen Tag (E. 4)
eingehend mit dieser Frage befasst. Es ist dabei als Ergebnis einer
insbesondere das historische/geltungszeitliche sowie teleologische Element
berücksichtigenden Auslegung der fraglichen Bestimmung zum Schluss gelangt,
dass einzig das Abstellen auf den Anspruchsbeginn dem Kernanliegen der darin
verankerten Besitzstandsgarantie - Gewährleistung von Rechtssicherheit und
Vertrauensschutz sowie Vermeidung fruchtloser Eingliederungsversuche - Rechnung
trage. Es handle sich dabei um einen klar terminierten Fixpunkt, welcher die
effektive Anspruchsbegründung markiere und damit das alleinige taugliche
Anknüpfungskriterium darstelle. Nur dieser vermöge die lange währende, auf 15
Jahre bezifferte Absenz vom Arbeitsmarkt und die sich daraus ergebende
faktische Aussichtslosigkeit von (Wieder-) Eingliederungsmassnahmen zu belegen,
wohingegen dem von diversen Faktoren abhängigen, zufälligen Verfügungszeitpunkt
stets etwas Willkürliches anhafte.

3.2.2. Diese Überlegungen treffen auch auf den vorliegenden Fall zu. Es sind
keine Argumente ersichtlich, welche eine andere Sichtweise als überzeugender
erscheinen liessen. Da die Beschwerdegegnerin seit 1. Oktober 1995 eine Rente
der Invalidenversicherung bezieht, fällt eine Aufhebung im Sinne von lit. a
Abs. 1 SchlB IVG gestützt auf Abs. 4 der Bestimmung folglich ausser Betracht.

4.

4.1. Zu keinem anderen Resultat führt der Einwand der Beschwerdeführerin, die
Tatsache, wonach die Beschwerdegegnerin von 1999 bis 2003 sowie von 2005 bis
2009 jeweils teilzeitlich gearbeitet habe und sie erst seit 1. April 2004 eine
ganze Rente beziehe, belege, dass sie im Zeitpunkt der Einleitung der Revision
gemäss SchlB IVG, jedenfalls aber bei Erlass des Vorbescheids vom 11. Oktober
2012 noch nicht über 15 Jahre aus dem Arbeitsprozess ausgeschieden sei.

4.2. Im erwähnten Urteil 8C_324/2013 (E. 5) hat sich das Bundesgericht auch zu
dieser Problematik geäussert und festgestellt, dass lit. a Abs. 4 SchlB IVG
einen kategorischen Ausschluss derjenigen Personen vorsehe, die über 15 Jahre
Rentenleistungen bezogen hätten. Aus diesem Umstand allein sei zu schliessen,
dass allfällige Wiedereingliederungsversuche realistischerweise zwecklos seien.
Weitere Anforderungen an die Eingliederungsunwirksamkeit, insbesondere ein
vollständiges Fernbleiben vom Arbeitsmarkt über den gesamten Zeitraum, würden
nicht gestellt. Als eingliederungsunwirksam werde vom Gesetzgeber somit
offenbar nicht nur der Versuch gewertet, jemanden nach 15 Jahren vollständigen
Ausscheidens aus dem Arbeitsprozess wieder einzugliedern, sondern auch jener,
bei teilweiser Absenz das Pensum nach eben dieser Dauer wieder aufzustocken.
Der Invaliditätsgrad, auf Grund dessen die Bezüger eine Rente erhielten - und
damit die Höhe der Leistung -, stelle mithin kein taugliches Kriterium dar, das
ein Abweichen vom klaren Wortlaut erlaubte. Das Instrument der
eingliederungsorientierten Rentenrevision, welches mit dem Inkrafttreten der 6.
IVG-Revision zu greifen begonnen habe und mit dem die Wiedereingliederung aktiv
gefördert werde, indem Rentenbezügerinnen und -bezüger mit
Eingliederungspotenzial durch persönliche Beratung, Begleitung und weitere
spezifische Massnahmen gezielt auf eine Wiedereingliederung vorbereitet würden
(Urteil [des Bundesgerichts] 9C_228/2010 vom 26. April 2011 E. 3.3 in fine mit
Hinweisen, publ. in: SVR 2011 IV Nr. 73 S. 220), erweise sich daher bei der
generellen - losgelöst von den in Art. 17 Abs. 1 ATSG festgehaltenen
Revisionsvoraussetzungen statthaften - Überprüfung von Renten gemäss lit. a
Abs. 1 SchlB IVG als unbehelflich, sofern eines der beiden Abgrenzungskriterien
nach Abs. 4 der Norm gegeben sei.
Es hat damit beim vorinstanzlichen Entscheid sein Bewenden.

5.
Mit dem Entscheid in der Hauptsache ist die Frage der aufschiebenden Wirkung
der Beschwerde gegenstandslos (Urteil [des Bundesgerichts] 9C_922/2008 vom 16.
Januar 2009 E. 5 mit Hinweis).

6.
Die Gerichtskosten sind von der unterliegenden Beschwerdeführerin zu tragen
(Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG). Sie hat der anwaltlich vertretenen
Beschwerdegegnerin ferner eine dem letztinstanzlichen Arbeitsaufwand
entsprechende Parteientschädigung auszurichten (Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3.
Die Beschwerdeführerin hat die Beschwerdegegnerin für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 1'500.- zu entschädigen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Kantonsgericht Luzern, 3. Abteilung, der
Eidgenössischen Ausgleichskasse und dem Bundesamt für Sozialversicherungen
schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 29. August 2013
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Die Präsidentin: Leuzinger

Die Gerichtsschreiberin: Fleischanderl

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