Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.42/2013
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
8C_42/2013

Urteil vom 15. Oktober 2013

I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Leuzinger, Präsidentin,
Bundesrichter Maillard, Bundesrichterin Heine,
Gerichtsschreiberin Berger Götz.

Verfahrensbeteiligte
L.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Daniel Altermatt,
Beschwerdeführerin,

gegen

Sozialhilfe Basel-Stadt, Klybeckstrasse 15, 4057 Basel, vertreten durch das
Departement für Wirtschaft, Soziales und Umwelt des Kantons Basel-Stadt,
Generalsekretariat, Rheinsprung 16-18, 4051 Basel,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Sozialhilfe (Nothilfe),

Beschwerde gegen den Entscheid des Appellationsgerichts des Kantons Basel-Stadt
als Verwaltungsgericht vom 21. September 2012.

Sachverhalt:

A. 
Die 1954 geborene L.________ leidet an diversen gesundheitlichen Beschwerden
und lebt von ihrem Ehemann, welcher in einem nicht behinderungsangepassten Haus
im Kanton Graubünden wohnt, getrennt in einer Mietwohnung im Kanton
Basel-Stadt. Ihre Einkünfte bestehen insbesondere aus einer ganzen Rente und
einem Assistenzbeitrag der Invalidenversicherung sowie aus einer Rente der
Lebensversicherung. Ergänzungsleistungen lehnte das Amt für Sozialbeiträge
Basel-Stadt unter anderem für die Zeit ab 1. Juni 2009 (Verfügung vom 11.
November 2009) und 1. Januar 2010 (Verfügung vom 9. Februar 2010) ab. Die
Sozialhilfe Basel-Stadt verneinte auf das von L.________ im Dezember 2009
gestellte Gesuch hin einen Anspruch auf Unterstützungsleistungen unter Hinweis
auf einen monatlichen Überschuss von Fr. 985.30 (Verfügung vom 21. Januar
2010). Den dagegen erhobenen Rekurs wies das Departement für Wirtschaft,
Soziales und Umwelt des Kantons Basel-Stadt (WSU) ab (Entscheid vom 20. Januar
2011).

B. 
Das Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt lehnte die dagegen erhobene
Beschwerde ab (Entscheid vom 21. September 2012).

C. 
L.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen
mit dem Rechtsbegehren, die Sozialhilfe Basel-Stadt sei zu verpflichten, den
Anspruch auf Sozialhilfeleistungen unter Einbezug sämtlicher krankheits- und
behinderungsbedingter Kosten, welche nicht durch Leistungen der
Sozialversicherungen, Ergänzungsleistungen, kantonale Beihilfen oder Leistungen
von Privatversicherungen gedeckt seien, neu zu berechnen. Ferner wird um
unentgeltliche Prozessführung und Verbeiständung ersucht.
Das kantonale Gericht und das WSU schliessen auf Abweisung der Beschwerde.

D. 
Der Rechtsvertreter von L.________ bestätigt auf Anfrage des Bundesgerichts,
dass die Rechtsschutzversicherung keine Leistungen mehr erbringt.

Erwägungen:

1.

1.1. Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann die
Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Soweit sich der
angefochtene Entscheid auf Quellen des kantonalen Rechts stützt, welche nicht
in Art. 95 lit. c-e BGG genannt werden, beschränkt sich die Überprüfung durch
das Bundesgericht demgegenüber thematisch auf die erhobenen und begründeten
Rügen (Art. 106 Abs. 2 BGG) und inhaltlich auf die Frage, ob die Anwendung des
kantonalen Rechts zu einer Bundesrechtswidrigkeit führt. Im Vordergrund steht
dabei eine Verletzung verfassungsmässiger Rechte, insbesondere des
Willkürverbots nach Art. 9 BV. Was die Feststellung des Sachverhalts anbelangt,
kann gemäss Art. 97 Abs. 1 BGG nur gerügt werden, diese sei offensichtlich
unrichtig oder beruhe auf einer Rechtsverletzung nach Art. 95 BGG (BGE 137 V
143 E. 1.2 S. 145 mit Hinweis).

1.2. Das Bundesgericht wendet das Recht grundsätzlich von Amtes wegen an (Art.
106 Abs. 1 BGG). Strengere Anforderungen gelten, wenn die Verletzung von
Grundrechten (einschliesslich der willkürlichen Anwendung von kantonalem Recht
und Willkür bei der Sachverhaltsfeststellung) geltend gemacht wird. Dies prüft
das Bundesgericht nicht von Amtes wegen, sondern nur insoweit, als eine solche
Rüge in der Beschwerde vorgebracht und begründet worden ist (Art. 106 Abs. 2
BGG; BGE 134 II 244 E. 2.2 S. 246).

2.

2.1. Das kantonale Gericht legt mit Blick auf die subsidiäre Natur von
Sozialhilfeleistungen dar, dass Personen, welche um Ausrichtung von
Sozialhilfeleistungen ersuchen, der Sozialhilfe - im Rahmen der Meldepflicht -
von Dritten erhältlich gemachte Beiträge an den Lebensunterhalt (z.B.
Lohnzahlungen, Renten), Darlehen oder andere Drittmittel (z.B. Spenden,
Schenkungen) angeben müssten, da diese in der Berechnung zu berücksichtigen
seien. Die Mittel der Beschwerdeführerin rührten teilweise aus Darlehen her.
Diese würden dementsprechend den Sozialhilfeleistungen vorgehen. Zum Zeitpunkt
der Erstberechnung (gemäss Verfügung vom 21. Januar 2010) habe deshalb keine
Bedürftigkeit und folglich kein Anspruch auf Sozialhilfeleistungen bestanden.
Bei diesem Ergebnis könne die grundsätzliche Frage offen bleiben, ob die
Sozialhilfe bei entsprechendem Nachweis ungedeckter Kosten im Rahmen des
Verbleibs in der eigenen Wohnung zur Zahlung von krankheits- und
behinderungsspezifischen Spezialaufwendungen verpflichtet sei, falls solche
Kosten im Rahmen einer stationären, medizinisch ausgerichteten Wohnform durch
die Krankenkasse, Ergänzungsleistungen und andere Beiträge finanziert würden.
Immerhin gelte auch insoweit der Grundsatz der Subsidiarität. Die Sozialhilfe
sei das letzte Auffangnetz.

2.2. Die Beschwerdeführerin bestreitet nicht, dass sie "sowohl bei Einreichung
des Antrages auf Sozialhilfe als auch bis heute" die von den Versicherungen
nicht übernommenen krankheits- und behinderungsbedingten Kosten mittels
privater Zuwendungen zu decken vermochte und vermag. Sie müsse aber hierfür
immer wieder Gesuche an verschiedene Stiftungen stellen oder Verwandte und
Bekannte um Hilfe bitten. Es sei für sie lebensnotwendig, dass sie von Dritten
als sofortige Überbrückungshilfe finanzielle Unterstützung erhalte, wenn die
Sozialhilfe sich weigere, die ungedeckten Kosten namentlich für medizinische
Hilfsmittel und künstliche Ernährung zu finanzieren. Der in Art. 12 BV
statuierte Grundsatz der Subsidiarität könne sich nur auf Leistungen Dritter
beziehen, welche nicht unmittelbar notwendig seien, um die Existenz des
Betroffenen zu sichern. Soweit die von Dritten erbrachten Leistungen ihrerseits
eine "Nothilfe" im Sinne von Art. 12 BV darstellten, dürften diese nicht auf
den Sozialhilfeanspruch der betroffenen Person angerechnet werden. Indem das
kantonale Gericht die Zuwendungen der privaten Stiftungen, der Verwandten und
Freunde der Beschwerdeführerin unbesehen ihres Grundes als der Sozialhilfe
vorgehende Leistungen qualifiziere, verletze es Art. 12 BV, respektive den in
dieser Bestimmung enthaltenen Begriff der Subsidiarität. Die Beschwerdeführerin
sei dazu gezwungen, eine Bettelexistenz zu fristen. Verletzt sei auch Art. 8
EMRK, welcher jeder Person das Recht auf eine Wohnung garantiere. Indem die
Vorinstanz einen Anspruch auf Sozialhilfe verneine, zwinge sie die
Beschwerdeführerin zu einem Heimeintritt. Das Diskriminierungsverbot gemäss
Art. 14 EMRK biete Schutz gegen soziale Ausgrenzungen. Die Beschwerdeführerin
macht geltend, sie werde diskriminiert, indem ihr als kranker Person
lebensnotwendige Mittel versagt würden.

3.

3.1. Nach Art. 12 BV hat, wer in Not gerät und nicht in der Lage ist, für sich
zu sorgen, Anspruch auf Hilfe und Betreuung und auf die Mittel, die für ein
menschenwürdiges Dasein unerlässlich sind (vgl. dazu auch BGE 121 I 367 E. 2c
S. 373 mit Hinweisen). Die in Not geratene Person hat demgemäss nur Anspruch
auf entsprechende Leistungen des Staates, wenn sie sich ausserstande sieht -
d.h. wenn es ihr rechtlich verwehrt oder faktisch unmöglich ist -, selber für
sich zu sorgen. Keinen Anspruch hat somit, wer solche Leistungen beansprucht,
obwohl er objektiv in der Lage wäre, sich aus eigener Kraft die für das
Überleben erforderlichen Mittel selber zu verschaffen; denn solche Personen
stehen nicht in jener Notsituation, auf die das Grundrecht auf Hilfe in
Notlagen zugeschnitten ist. Bei ihnen fehlt es bereits an den
Anspruchsvoraussetzungen, weshalb sich in solchen Fällen die Prüfung erübrigt,
ob die Voraussetzungen für einen Eingriff in das Grundrecht erfüllt sind,
namentlich, ob ein Eingriff in dessen Kerngehalt vorliegt, denn dies setzt
einen rechtmässigen Anspruch voraus (BGE 130 I 71 E. 4.3 S. 75 f. mit diversen
Hinweisen; Urteile [des Bundesgerichts] 8C_787/2011 vom 28. Februar 2012 E. 3
und 8C_156/2007 vom 11. April 2008 E. 6.3).

3.2.

3.2.1. Das WSU macht in seiner letztinstanzlich eingereichten Vernehmlassung zu
Recht darauf aufmerksam, dass vom sozialhilferechtlichen Subsidiaritätsprinzip
lediglich bedürftige Personen betroffen sind, die auf finanzielle Hilfe zur
Deckung ihres Lebensbedarfs angewiesen sind. Für lebensnotwendige Mittel, die
zum existenziellen Grundbedarf gehören, sind neben der Geltendmachung der
sozialversicherungsrechtlichen Ansprüche namentlich auch die Möglichkeiten der
Hilfe Dritter auszuschöpfen. Mit dem Grundsatz der Subsidiarität staatlicher
Unterstützungsleistungen, welche das Sozialhilferecht prägt, wird zum Ausdruck
gebracht, dass der Staat nur dann Mittel zur Sicherung des notwendigen Bedarfs
leisten muss, wenn keine anderen Hilfsquellen ausreichend und rechtzeitig zur
Verfügung stehen (vgl. auch § 3 und 5 des Sozialhilfegesetzes des Kantons
Basel-Stadt vom 29. Juni 2000 [SHG; SG 890.100]). Das Grundrecht auf
Existenzsicherung entlastet die einzelne Person daher nicht davon, auch in
schwierigen Lebenssituationen zunächst ihre Eigenkräfte zu mobilisieren. Die
Beschwerdeführerin übersieht bei ihrer Argumentation, dass ihr dies im
vorliegend massgebenden Zeitraum unstreitig gelungen ist, indem sie neben
weiteren Unterstützungsleistungen Kostenübernahmen durch Stiftungen erreichen
und Zuwendungen aus dem tragfähigen Netz ihrer persönlichen Beziehungen
erhältlich machen konnte. Im Verfahren vor Bundesgericht weisen kantonales
Gericht und WSU daher zutreffend darauf hin, dass sich die Beschwerdeführerin
gar nicht in einer Notsituation im Sinne von Art. 12 BV befunden hat, da sie
alle notwendigen medizinischen Hilfsmittel und Pflegeleistungen fortlaufend und
rechtzeitig (auch) mit privaten Geldern finanzieren konnte. Weil die
Voraussetzungen für den Anspruch auf Sozialhilfe und auf finanzielle Nothilfe
gemäss Art. 12 BV gar nicht erfüllt waren, zielt ihre Rüge der Verletzung des
verfassungsmässigen Rechts auf Hilfe in Notlagen ins Leere.

3.2.2. Die Beschwerdeführerin vermag auch mit ihren Einwendungen, durch den
angefochtenen Gerichtsentscheid werde sie entgegen Art. 8 EMRK zum Heimeintritt
gezwungen und im Sinne von Art. 14 EMRK diskriminiert, indem ihr als kranker
Person lebensnotwendige Mittel versagt würden, nicht durchzudringen. Es ist mit
den Vorinstanzen einig zu gehen, dass durch die vorrangige Leistungspflicht von
Versicherungen und anderen Dritten ausserhalb der Sozialhilfe die Wahlfreiheit
in der Lebensgestaltung gewisse Einschränkungen erfahren kann. Soweit die
Möglichkeit besteht, in einer durch andere Leistungsträger finanzierten,
stationären und medizinisch ausgerichteten Wohnform oder Einrichtung die
notwendige Pflege zu erhalten, besteht deshalb unter dem Aspekt der
Subsidiarität kein unbedingtes Recht auf Führung eines eigenen Haushaltes.
Vorliegend verhielt es sich allerdings so, dass die Beschwerdeführerin ihre
eigene Wohnung behalten konnte, weil die finanziellen Mittel zur Deckung der
notwendigen Kosten ausreichten. Schliesslich ist auch eine krankheitsbedingte
Diskriminierung zu verneinen, da ein Anspruch auf Sozialhilfe nicht infolge des
Gesundheitszustandes, sondern wegen des aus der Bedürftigkeitsabklärung
resultierenden Einkommensüberschusses verneint wurde. Die Beschwerdeführerin
konnte die von der Sozialversicherung und privaten Versicherungsleistungen
nicht gedeckten behinderungsbedingten Mehrkosten durch Drittmittel finanzieren.
Deshalb kann ihr nicht beigepflichtet werden, soweit sie geltend macht, durch
die Verneinung von Sozialhilfeansprüchen seien ihr die lebensnotwendigen Mittel
versagt worden. Eine Konventionsverletzung liegt demgemäss ebenfalls nicht vor.

4. 
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend hat die Beschwerdeführerin die
Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Ihrem Gesuch um unentgeltliche
Rechtspflege für das bundesgerichtliche Verfahren kann entsprochen werden (Art.
64 Abs. 1 BGG). Es wird jedoch ausdrücklich auf Art. 64 Abs. 4 BGG hingewiesen,
wonach sie der Gerichtskasse Ersatz zu leisten hat, wenn sie später dazu in der
Lage ist.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 
Der Beschwerdeführerin wird die unentgeltliche Rechtspflege gewährt und
Rechtsanwalt Daniel Altermatt wird als unentgeltlicher Anwalt bestellt.

3. 
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt, indes
vorläufig auf die Gerichtskasse genommen.

4. 
Dem Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin wird aus der Gerichtskasse eine
Entschädigung von Fr. 2'800.- ausgerichtet.

5. 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Appellationsgericht des Kantons
Basel-Stadt als Verwaltungsgericht schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 15. Oktober 2013
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Die Präsidentin: Leuzinger

Die Gerichtsschreiberin: Berger Götz

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