Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.302/2013
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
8C_302/2013        
{T 0/2}

Urteil vom 5. Juli 2013

I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Leuzinger, Präsidentin,
Bundesrichter Ursprung, Bundesrichterin Heine,
Gerichtsschreiber Lanz.

Verfahrensbeteiligte
Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO),
Direktion, Arbeitsmarkt/Arbeitslosenversicherung, TCRV, Effingerstrasse 31,
3003 Bern,
Beschwerdeführer,

gegen

Firma X.________ GmbH,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Konrad Willi,
Beschwerdegegnerin,

Amt für Wirtschaft und Arbeit,
Rathausgasse 16, 4509 Solothurn.

Gegenstand
Arbeitslosenversicherung (Kurzarbeitsentschädigung),

Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Solothurn
vom 14. März 2013.

Sachverhalt:

A.
Die Firma X.________ GmbH betreibt an der Autobahnraststätte Y.________ eine
Tankstelle mit Ladengeschäft. Am 6. Juli/2. August 2012 reichte sie beim Amt
für Wirtschaft und Arbeit des Kantons Solothurn (nachfolgend: AWA) für die Zeit
vom 1. Mai bis 31. Juli 2013 eine Voranmeldung von Kurzarbeit ein. Zur
Begründung gab sie an, wegen des Ausbaus der A1 auf sechs Spuren sei der
Rastplatz voraussichtlich vom 3. Mai bis 4. Juli 2013, d.h. für neun Wochen,
geschlossen. Das AWA verfügte am 6. November 2012, gegen die Auszahlung von
Kurzarbeitsentschädigung werde kein Einspruch erhoben; die Gutheissung der
Voranmeldung erfolge jedoch unter dem Vorbehalt, dass die Firma X.________ GmbH
gegenüber dem Bund (Bundesamt für Strassen [ASTRA]) Schadenersatzansprüche
geltend mache und keine Entschädigung zugesprochen erhalte sowie dass sie
keinen anderen Dritten für den Schaden haftbar machen könne. Das
Staatssekretariat für Wirtschaft und Arbeit (nachfolgend: SECO) reichte
Einsprache ein. Das AWA hiess diese gut, hob die Verfügung vom 6. November 2012
auf und erhob Einspruch gegen die Auszahlung von Kurzarbeitsentschädigung
(Einspracheentscheid vom 21. Dezember 2012).

B.
Die Firma X.________ GmbH führte hiegegen Beschwerde. Das Versicherungsgericht
des Kantons Solothurn hiess diese gut, hob den Einspracheentscheid vom 21.
Dezember 2012 auf und stellte fest, gegen die Auszahlung von
Kurzarbeitsentschädigung für den Zeitraum vom 1. Mai bis 31. Juli 2013 liege
kein Einspruch vor (Entscheid vom 14. März 2013).

C.
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragt das SECO,
der vorinstanzliche Entscheid sei aufzuheben und das Gesuch der Firma
X.________ GmbH sei abzulehnen.

Die Firma X.________ GmbH lässt auf Abweisung der Beschwerde schliessen;
eventuell sei der Anspruch auf Kurzarbeitsentschädigung unter dem Vorbehalt zu
bestätigen, dass im Enteignungsverfahren vor der Eidgenössischen
Schätzungskommission gegenüber dem Bund keine Entschädigung erhältlich gemacht
werden könne und auch kein anderer Dritter für den Arbeitsausfall einzustehen
habe. Das AWA verzichtet auf eine Vernehmlassung.

Erwägungen:

1.
Die Legitimation des SECO zur Einreichung der Beschwerde ergibt sich aus Art.
89 Abs. 2 lit. a BGG in Verbindung mit Art. 102 Abs. 2 AVIG. Die übrigen
Voraussetzungen für das Eintreten auf die Beschwerde sind ebenfalls erfüllt.

2.
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten (Art. 82 ff. BGG) kann
wegen Rechtsverletzung gemäss Art. 95 f. BGG erhoben werden. Das Bundesgericht
legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt
hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann deren Sachverhaltsfeststellungen nur
berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig sind oder auf
einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruhen (Art. 105 Abs. 2 BGG).

3.
Das kantonale Gericht hat im angefochtenen Entscheid, auf den verwiesen wird,
die Bestimmungen zum Anspruch auf Kurzarbeitsentschädigung (Art. 31 Abs. 1
AVIG), zum hiefür nebst anderem erforderlichen anrechenbaren Arbeitsausfall
(Art. 31 Abs. 1 lit. b und d, Art. 32 Abs. 1 AVIG), zu den Voraussetzungen,
unter denen ein Arbeitsausfall - insbesondere unter den Gesichtswinkeln des
normalen Betriebsrisikos des Arbeitgebers sowie der Branchen-, Berufs- oder
Betriebsüblichkeit - als nicht anrechenbar gilt (Art. 33 Abs. 1 lit. a und b
AVIG) und zur Regelung bei Härtefällen u.a. bei auf behördliche Massnahmen
zurückzuführenden Arbeitsausfällen (Art. 32 Abs. 3 AVIG in Verbindung mit Art.
51 AVIV) zutreffend dargelegt. Gleiches gilt für die dazu ergangene
Rechtsprechung.

Hervorzuheben ist, dass der Vorbehalt des normalen Betriebsrisikos resp. der
Branchen-, Berufs- oder Betriebsüblichkeit auch bei den in Art. 32 Abs. 3 AVIG
in Verbindung mit Art. 51 AVIG geregelten Sachverhalten gilt, mithin auch bei
einer Sperrung von Zufahrtswegen gemäss Art. 51 Abs. 2 lit. c AVIV (BGE 121 V
371 E. 2c S. 374 mit Hinweisen; in ARV 2002 S. 59 publiziertes Urteil C 60/01
des Eidgenössischen Versicherungsgerichts [EVG; heute: I. und II.
sozialrechtliche Abteilungen des Bundesgerichts] vom 17. Juli 2001 E. 1).

4.
In sachverhaltlicher Hinsicht steht fest, dass die Zufahrt zur
Autobahnraststätte Y.________ in der Zeit von Mai bis Juli 2013 für etwa neun
Wochen gesperrt werden muss, da die A1 in diesem Bereich saniert und zugleich
von vier auf sechs Spuren erweitert wird. Das zwingt die Beschwerdegegnerin,
den Betrieb von Tankstelle und Ladengeschäft während dieser Zeit einzustellen.

 Streitig ist, ob der daraus entstehende Arbeitsausfall der Beschwerdegegnerin
anrechenbar ist.

5.
Die Vorinstanz hat erwogen, nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung kämen
Sanierungsarbeiten auf Autobahnen immer wieder vor. Betriebe einer Raststätte
müssten deshalb kurzzeitige Sperrungen der Zufahrt einkalkulieren. Hier gehe es
jedoch einerseits um einen Ausbau der Autobahn mit Spurerweiterung. Das stelle,
im Gegensatz zu den unabdingbaren Reparatur- und Instandhaltungsarbeiten, ein
aussergewöhnliches Vorhaben dar, welches nicht mehr unter das normale
Betriebsrisiko falle. Anderseits sei eine komplette Sperrung der Zufahrt für
zwei Monate vorgesehen. Ein solcher Zeitraum könne nicht mehr ohne weiteres
überbrückt werden, insbesondere nicht durch den Bezug von Ferien oder die
Kompensation mit Überstunden. Dies müsse umso mehr gelten, als sich die
Sperrung je nach dem Voranschreiten der Bauarbeiten verschieben oder verlängern
könne, was die Planbarkeit stark erschwere. Den Arbeitnehmern der
Beschwerdegegnerin entstehe somit ein vorübergehender Arbeitsausfall, der auf
eine behördliche Massnahme zurückgehe, unvermeidbar sei, nicht als normales
Betriebsrisiko gewertet werden könne und daher anrechenbar sei.

 Das Beschwerde führende SECO vertritt im Wesentlichen den Standpunkt,
Komplettsperrungen von Zufahrten zu Autobahnraststätten wegen
Sanierungsarbeiten oder aber wegen Erweiterungsbauten träten regelmässig auf
bzw. träfen jeden Betreiber einer Autobahnraststätte und stellten daher nichts
Aussergewöhnliches dar.

Die Beschwerdegegnerin postuliert, es sei der vorinstanzlichen Beurteilung zu
folgen.

6.

6.1. Gemäss dem erwähnten Urteil C 60/01 treten Sanierungsarbeiten bei
Autobahnen regelmässig und wiederholt auf und sind allfällige damit
zusammenhängende Arbeitsausfälle infolge erschwerter oder unterbrochener
Zufahrt zu einer Raststätte voraussehbar bzw. kalkulierbar. Sie gehören somit
zum normalen Betriebsrisiko einer Autobahnraststätte (Urteil C 60/01 E. 3b).
Das gilt letztlich unabhängig davon, ob die Sanierungsarbeiten mit einer 3/
1-Verkehrsführung (wie im Urteil C 60/01 konkret zur Diskussion gestanden) oder
aber mit einer vorübergehenden Verlagerung sämtlicher Fahrstreifen (etwa
mittels 4/0-Verkehrsführung) erfolgen.

6.2. Die Beurteilung der Vorinstanz, das normale Betriebsrisiko sei zwar bei
Sanierungen einer Autobahn gegeben, beim hier erfolgenden Spurenausbau aber zu
verneinen, kann nicht gefolgt werden. Denn im konkreten Fall geht die
Erweiterung der A1 von vier auf sechs Spuren mit einer gänzlichen Sanierung der
bisherigen Fahrbahn einher (vgl. "Projektdokumentation 6-Streifen-Ausbau A1
Härkingen-Wiggertal 2011-2014" des ASTRA vom Mai 2012, http://
www.astra.admin.ch/autobahnschweiz/01337/03606/-lang=de [besucht am 27. Juni
2013]). Es ist gerichtsnotorisch, dass der betreffende Autobahnabschnitt seit
Jahren in einem ausgesprochen schlechten Zustand ist, was die Befahrbarkeit
erschwert und zunehmend auch ein Sicherheitsrisiko darstellt (vgl. erwähnte
Projektdokumentation). Selbst nach Auffassung des ASTRA handelt es sich hiebei
um eine "Holperpiste", die nach über 45 Jahren intensiver Belastung auch ohne
den Ausbau auf sechs Spuren dringend hätte saniert werden müssen (erwähnte
Projektdokumentation). Der Bedarf für eine solche Sanierung ist denn auch
unbestritten. Diese erfolgt nun zweckmässigerweise zusammen mit der
Spurerweiterung. Wie sich aus den Angaben des ASTRA ergibt, kann damit die
Gebrauchstauglichkeit der Strasse für weitere 20 bis 30 Jahre erhalten werden
(erwähnte Projektdokumentation). Damit kommen das Bauprojekt und die damit
verbundenen Einschränkungen einer Sanierung, mit welcher rechtsprechungsgemäss
von Zeit zu Zeit gerechnet werden muss und die vorhersehbar ist, gleich und
sind als normales Betriebsrisiko eines Raststättenbetreibers zu betrachten. Der
dadurch entstehende Arbeitsausfall ist daher nicht anrechenbar.

Die Dauer der Sperrung und die Möglichkeit von Verschiebungen rechtfertigen
entgegen dem angefochtenen Entscheid und der Vorbringen der Beschwerdegegnerin
keine andere Betrachtungsweise. Eine Beeinträchtigung während etwa neun Wochen
hält sich für derartige Projekte im Rahmen des Üblichen. So wurde im Urteil C
60/01 eine mit vier Monaten noch deutlich länger dauernde Zufahrtsbehinderung
nicht als Grund dafür angesehen, den Arbeitsausfall als anrechenbar zu
betrachten. Im Weiteren bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass es hier zu
nicht einkalkulierbaren erheblichen zeitlichen Verschiebungen der nun schon
seit geraumer Zeit terminlich festgelegten Arbeiten kommt. Das SECO weist
sodann darauf hin, dass leichte wetterbedingte Verzögerungen resp.
Terminverschiebungen nicht auszuschliessen seien, aber auch nichts
Aussergewöhnliches darstellten. Dem ist beizupflichten.

6.3. Nach dem Gesagten ist der Arbeitsausfall nicht anrechenbar, weshalb kein
Anspruch auf Kurzarbeitsentschädigung besteht. Dies führt zur Gutheissung der
Beschwerde.

Damit muss nicht geprüft werden, ob die Voraussetzungen für
Kurzarbeitsentschädigung auch aufgrund eines Entschädigungsanspruchs der
Beschwerdegegnerin aus Enteignungsrecht zu verneinen wären.

7.
Die Kosten des Verfahrens sind von der unterliegenden Beschwerdegegnerin zu
tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Der Entscheid des Versicherungsgerichts des
Kantons Solothurn vom 14. März 2013 wird aufgehoben und der Einspracheentscheid
des Amtes für Wirtschaft und Arbeit des Kantons Solothurn vom 21. Dezember 2012
bestätigt.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Amt für Wirtschaft und Arbeit und dem
Versicherungsgericht des Kantons Solothurn schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 5. Juli 2013

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Die Präsidentin: Leuzinger

Der Gerichtsschreiber: Lanz

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