Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.273/2013
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
8C_273/2013

Urteil vom 20. Dezember 2013

I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Leuzinger, Präsidentin,
Bundesrichter Frésard, Bundesrichterin Heine,
Gerichtsschreiber Nabold.

Verfahrensbeteiligte
J.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Rémy Wyssmann,
Beschwerdeführerin,

gegen

Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA), Fluhmattstrasse 1, 6004
Luzern,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Unfallversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungs-gerichts des Kantons Solothurn
vom 26. Februar 2013.

Sachverhalt:

A. 
Mit Verfügung vom 25. Juli 2011 und Einspracheentscheid vom 1. Mai 2012 stellte
die Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA) ihre Leistungen an die
1987 geborene J.________ per 25. Juli 2011 ein, da die über dieses Datum hinaus
geklagten Beschwerden nicht adäquat kausal auf das Ereignis vom 12. Januar 2004
zurückzuführen seien.

B. 
Die von J.________ hiegegen erhobene Beschwerde wies das Versicherungsgericht
des Kantons Solothurn unter Abweisung des Antrags auf Durchführung einer
öffentlichen Gerichtsverhandlung mit Entscheid vom 26. Februar 2013 ab, soweit
es auf die Beschwerde eintrat.

C. 
Mit Beschwerde beantragt J.________, die Sache sei unter Aufhebung des
kantonalen Gerichtsentscheides an die Vorinstanz zur Durchführung einer
öffentlichen Gerichtsverhandlung zurückzuweisen, eventuell sei die Sache unter
zusätzlicher Aufhebung des Einspracheentscheides an die SUVA zur Gewährung des
rechtlichen Gehörs zurückzuweisen, subeventuell seien ihr die gesetzlichen
Leistungen zuzusprechen. In prozessualer Hinsicht beantragt sie vom
Bundesgericht die Durchführung einer öffentlichen Gerichtsverhandlung im Sinne
von Art. 6 Ziff. 1 EMRK.
Während die SUVA auf Abweisung der Beschwerde schliesst, verzichtet das
Bundesamt für Gesundheit auf eine Vernehmlassung.

D. 
In ihren Eingaben vom 16. August und vom 14. Oktober 2013 hält J.________ an
den gestellten Begehren fest.

Erwägungen:

1.

1.1. Nach Art. 6 Ziff. 1 Satz 1 EMRK hat jedermann Anspruch darauf, dass seine
Sache in billiger Weise öffentlich und innerhalb einer angemessenen Frist von
einem unabhängigen und unparteiischen, auf Gesetz beruhenden Gericht gehört
wird, das über zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen oder über die
Stichhaltigkeit der gegen ihn erhobenen strafrechtlichen Anklage zu entscheiden
hat.

1.2. Nach der Rechtsprechung stehen im vorliegenden Verfahren zivilrechtliche
Ansprüche in Frage, auf welche Art. 6 Ziff. 1 EMRK anwendbar ist (BGE 122 V 47
E. 2a S. 50 mit Hinweisen). Wie das Eidgenössische Versicherungsgericht im
erwähnten Leiturteil weiter erkannt hat, hat das kantonale Gericht, welchem es
primär obliegt, die Öffentlichkeit der Verhandlung zu gewährleisten (E. 3 S.
54), bei Vorliegen eines klaren und unmissverständlichen Parteiantrages
grundsätzlich eine öffentliche Verhandlung durchzuführen (E. 3a und 3b S. 55
f.).

1.3. Von einer ausdrücklich beantragten öffentlichen Verhandlung kann abgesehen
werden, wenn der Antrag der Partei als schikanös erscheint oder auf eine
Verzögerungstaktik schliessen lässt und damit dem Grundsatz der Einfachheit und
Raschheit des Verfahrens zuwiderläuft oder sogar rechtsmissbräuchlich ist.
Gleiches gilt, wenn sich ohne öffentliche Verhandlung mit hinreichender
Zuverlässigkeit erkennen lässt, dass eine Beschwerde offensichtlich unbegründet
oder unzulässig ist.
Keine Probleme ergeben sich diesbezüglich, wenn formelle
Eintretensvoraussetzungen nicht erfüllt sind, etwa weil die Rechtsmittelfrist
eindeutig versäumt wurde oder wenn die Rechtsschrift allfälligen unabdingbaren
Formerfordernissen nicht genügt. In solchen Fällen kann ohne weiteres auf
Nichteintreten wegen offensichtlicher Unzulässigkeit erkannt werden, weshalb
sich eine mündliche Verhandlung über die materiellrechtliche Streitsache zum
vornherein erübrigt.
Etwas problematischer erscheint die Verweigerung einer öffentlichen Verhandlung
demgegenüber wegen offensichtlicher Unbegründetheit der Beschwerde, weil damit
bereits über die Streitsache entschieden wird, welche Gegenstand einer
allfälligen Verhandlung bilden würde. Immerhin sind aber auch hier Fälle
denkbar, in welchen von einer öffentlichen Verhandlung zum vornherein keine
Auswirkungen auf den zu fällenden Entscheid erwartet werden können und deren
Anordnung deshalb im Hinblick auf die gebotene Verfahrensökonomie ohne
Verletzung von Art. 6 Ziff. 1 EMRK unterbleiben kann. Sicher trifft dies zu,
wenn die Beschwerdeführung als mutwillig oder rechtsmissbräuchlich zu
bezeichnen ist. Auch wenn ein überzeugend begründeter Verwaltungsakt mit nicht
sachbezogenen Argumenten angefochten wird oder die erhobenen Einwände - selbst
wenn sie an sich zutreffen würden - mangels Relevanz für die zu beurteilende
Streitfrage am Ergebnis nichts zu ändern vermögen, kann von einer öffentlichen
Verhandlung abgesehen werden. Dasselbe gilt, wenn ein vom Gesetz gar nicht
vorgesehener Anspruch geltend gemacht wird oder wenn einzig eine Rechtsfrage
zur Diskussion steht, deren Antwort sich bereits klar aus der veröffentlichten
höchstrichterlichen Rechtsprechung ergibt. In solchen Fällen ist die Beschwerde
im erstinstanzlichen Verfahren zum vornherein als aussichtslos zu
qualifizieren, weshalb sich auch im Hinblick auf die von Art. 6 Ziff. 1 EMRK
gewährleistete Verfahrensgarantie nicht beanstanden lässt, wenn der kantonale
Richter den Antrag auf Durchführung einer öffentlichen Verhandlung ablehnt (BGE
122 V 47 E. 3b/cc und 3b/dd S. 56).

1.4. In neueren Urteilen wurde demgegenüber offengelassen, ob diese
Rechtsprechung in allen Teilen - insbesondere in Bezug auf das Kriterium der
offensichtlichen Unbegründetheit - mit jener des Europäischen Gerichtshofes für
Menschenrechte vereinbar ist (SVR 2006 IV Nr. 1, I 573/03 E. 3.10; Urteil
1A.120/2004 vom 19. Oktober 2004 E. 2.5). Diese Frage braucht auch vorliegend
nicht abschliessend beantwortet zu werden.

2. 

2.1. Die Beschwerdeführerin beantragte im kantonalen Verfahren die Durchführung
einer öffentlichen Verhandlung im Sinne von Art. 6 Ziff. 1 EMRK. Das kantonale
Gericht entsprach diesem Begehren nicht, wobei es sich auf den Standpunkt
stellte, das Absehen von einer Verhandlung sei zulässig, weil die Beschwerde,
soweit zulässig, aussichtslos sei.

2.2. Nach der Rechtsprechung (vgl. E. 1.2 hievor) obliegt es grundsätzlich dem
kantonalen Gericht, die Öffentlichkeit des Verfahrens zu gewährleisten. Die
Beschwerdeführerin hat vor dem kantonalen Gericht rechtzeitig einen
entsprechenden Antrag gestellt. Im Rechtsbegehren des bundesgerichtlichen
Verfahrens wird (erneut) die Durchführung einer öffentlichen
Gerichtsverhandlung nach Art. 6 Ziff.1 EMRK beantragt. Diesem Rechtsbegehren
ist insofern Rechnung zu tragen als zu prüfen ist, ob das kantonale Gericht
eine öffentliche Verhandlung hätte durchführen müssen. Erweist es sich, dass
eine öffentliche Verhandlung im kantonalen Verfahren Platz zu greifen hat, kann
auf eine öffentliche Verhandlung vor Bundesgericht schon deshalb verzichtet
werden, weil dem Antrag der Beschwerdeführerin auf Aufhebung des angefochtenen
Entscheides entsprochen wird. Angemerkt sei in diesem Zusammenhang, dass dem
aus Art. 6 Ziff. 1 EMRK abgeleiteten Anspruch auf Durchführung einer
öffentlichen Verhandlung nach der Rechtsprechung des EGMR Genüge getan ist,
wenn die Recht suchende Person mindestens vor einer Instanz in einer
öffentlichen Verhandlung gehört wird (Urteil des EGMR vom 8. Januar 2009 i.S.
Schlumpf; Nr. 29002/06, Ziff. 65).

3. 
Das kantonale Gericht verneinte einen Anspruch der Beschwerdeführerin auf eine
öffentliche Verhandlung, da die Beschwerde, soweit zulässig, aussichtslos
gewesen sei. Soweit sich die Vorinstanz hiebei darauf beruft, das Bundesgericht
habe die Beweiskraft des umfassenden Gutachtens vom 25. März 2011 bereits in
dem dieselbe Versicherte betreffenden Urteil 8C_258/2012 vom 2. August 2012
bejaht, ist daran zu erinnern, dass jenes Verfahren lediglich die Frage der
Ausrichtung von Leistungen für Heilbehandlung in Form von Therapien am
Optologischen Zentrum Solothurn betraf (vgl. E. 1 des erwähnten Urteils).
Abgesehen von der engen Kognition des Bundesgerichts im Verfahren um
Zusprechung oder Verweigerung von Sachleistungen folgt daraus noch nicht
zwingend, dass dem Gutachten für jegliche sich stellende medizinische Frage
Beweiswert zukommt. Ob die Zusatzfragen, welche die Versicherte den Gutachtern
zu stellen wünschte, für die Anspruchsbeurteilung irrelevant sind, ist
jedenfalls nicht so eindeutig, dass deswegen von einer öffentlichen Verhandlung
abgesehen werden könnte. Zudem erscheint eine solche Verhandlung durchaus
geeignet, die Frage zu klären, weshalb die rechtskundig vertretene
Beschwerdeführerin den Gutachtern Fragen zu stellen sucht, welche nach Ansicht
des kantonalen Gerichts unerheblich sind. Unter den gegebenen Umständen
bestanden für das kantonale Gericht also keine Veranlassung und keine
Rechtfertigung, von der grundsätzlichen Verpflichtung zur Durchführung einer
öffentlichen Verhandlung ausnahmsweise abzuweichen.

4. 
Indem die Vorinstanz von der beantragten öffentlichen Verhandlung abgesehen
hat, wurde dieser in Art. 6 Ziff. 1 EMRK gewährleisteten Verfahrensgarantie
nicht Rechnung getragen. Es ist daher unumgänglich, die Sache an das
Versicherungsgericht zurückzuweisen, damit dieses den Verfahrensmangel behebt
und die von der Beschwerdeführerin verlangte öffentliche Verhandlung
durchführt. Hernach wird es über die Beschwerde materiell neu befinden.

5. 
Dem Prozessausgang entsprechend sind die Gerichtskosten der unterliegenden SUVA
aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Diese hat der Beschwerdeführerin überdies
eine Parteientschädigung zu bezahlen (Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird gutgeheissen und der Entscheid des Versicherungsgerichts
des Kantons Solothurn vom 26. Februar 2013 aufgehoben. Die Sache wird zu neuer
Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt.

3. 
Die Beschwerdegegnerin hat die Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 2800.- zu entschädigen.

4. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Solothurn
und dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 20. Dezember 2013
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Die Präsidentin: Leuzinger

Der Gerichtsschreiber: Nabold

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