Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.216/2013
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
8C_216/2013

Urteil vom 16. Juli 2013

I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Leuzinger, Präsidentin,
Bundesrichter Ursprung, Bundesrichterin Heine,
Gerichtsschreiber Krähenbühl.

Verfahrensbeteiligte
IV-Stelle des Kantons Thurgau, Rechts- und Einsprachedienst,
St. Gallerstrasse 13, 8500 Frauenfeld,
Beschwerdeführerin,

gegen

Politische Gemeinde X.________,
vertreten durch den Gemeinderat,
und dieser vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Hans Munz,
Beschwerdegegnerin,

G.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Silvan Meier Rhein.

Gegenstand
Invalidenversicherung (Rückerstattung; Verwirkung),

Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Thurgau
vom 13. Februar 2013.

Sachverhalt:

A.
Mit unangefochten in Rechtskraft erwachsenem Entscheid vom 7. November 2012
bestätigte das Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau als Versicherungsgericht
eine Verfügung der IV-Stelle des Kantons Thurgau vom 4. Februar 2011, mit
welcher die G.________ (Jg. 1952) für die Zeit ab 1. Mai 2003 gewährte ganze
Rente der Invalidenversicherung wegen Verbesserung des Gesundheitszustandes auf
Ende März 2011 hin revisionsweise aufgehoben worden war. Bis 31. März 2012
wurden diese Rentenbetreffnisse indessen im Sinne einer Drittauszahlung
weiterhin der Gemeinde X.________ überwiesen, weil die Rentenaufhebung statt
der für die Auszahlung zuständigen Ausgleichskasse des Kantons Thurgau
versehentlich der Schweizerischen Ausgleichskasse in Genf eröffnet worden war.
Nachdem die Gemeinde X.________ am 1. März 2012 mitgeteilt hatte, die künftigen
Rentenzahlungen seien wieder G.________ direkt und nicht mehr ihr auszuzahlen,
forderte die IV-Stelle am 25. Mai 2012 von der Gemeinde die ab 1. April 2011
bis 31. März 2012 bezahlten Rentenbetreffnisse in Höhe von insgesamt Fr.
6'468.- als unrechtmässig bezogen zurück.

B.
Das Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau hiess die hiegegen erhobene
Beschwerde mit Entscheid vom 13. Februar 2013 gut und hob die
Rückforderungsverfügung vom 25. Mai 2012 mit der Begründung ersatzlos auf, die
geltend gemachte Rückforderung sei verwirkt.

C.
Die IV-Stelle lässt beschwerdeweise die Aufhebung des kantonalen Entscheids und
die Bestätigung ihrer Verfügung vom 25. Mai 2012 beantragen.

 Die Gemeinde X.________ und G.________ schliessen je auf Abweisung der
Beschwerde. Das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) trägt auf deren
Gutheissung an.

Erwägungen:

1.
Die für die Beurteilung der streitigen Rückforderung massgebende gesetzliche
Bestimmung in Art. 25 Abs. 1 Satz 1 ATSG und die von der Rechtsprechung hiezu
weiter konkretisierten Grundsätze (vgl. Kieser, ATSG-Kommentar, 2. Aufl.,
Zürich 2009, Rz. 18 zu Art. 20 und Rz. 24 zu Art. 25 ATSG) sind im
angefochtenen Entscheid zutreffend dargelegt worden, worauf verwiesen wird.
Dasselbe gilt für die in Art. 25 Abs. 2 Satz 1 ATSG für die
Rückerstattungsforderung vorgesehene Verwirkungsfrist von einem Jahr seit
Kenntnisnahme des Rückforderungsgrundes.

2.
Die IV-Stelle hat die dem Versicherten bisher gewährte Rente mit Verfügung vom
4. Februar 2011 revisionsweise per Ende März 2011 aufgehoben, diese Verfügung
jedoch nicht der für die Rentenauszahlung zuständigen kantonalen
Ausgleichskasse, sondern - versehentlich - nur der Schweizerischen
Ausgleichskasse in Genf zugestellt. Die Unterlassung einer Mitteilung an die
kantonale Ausgleichskasse führte dazu, dass die Rente vorerst weiterhin zur
Ausrichtung gelangte. Weil die Verfügung vom 4. Februar 2011 mit Entscheid des
kantonalen Gerichts vom 7. November 2012 bestätigt worden war und dieser
Entscheid in der Folge unangefochten in Rechtskraft erwachsen ist, wurden ab
April 2011 Rentenbetreffnisse ausgerichtet, auf welche kein Anspruch mehr
bestand. Nach dem klaren Wortlaut des ersten Satzes von Art. 25 Abs. 1 ATSG
sind diese Leistungen als unrechtmässig bezogen zurückzuerstatten. Die
Rückerstattungspflicht trifft dabei nach den zutreffenden Erwägungen der
Vorinstanz die heutige Beschwerdegegnerin, welche die zur Diskussion stehenden
Beträge im Sinne einer Drittauszahlung nach Art. 85bis Abs. 1 IVV zwecks
Verrechnung mit erbrachten Fürsorgeleistungen entgegengenommen hat. Gegen diese
Rechtslage wird im bundesgerichtlichen Verfahren auch seitens der
Beschwerdegegnerin und des am Verfahren beteiligten Rentenberechtigten nichts
eingewendet.

3.

3.1. Das kantonale Gericht hat die bei ihm erhobene Beschwerde gutgeheissen,
weil es zum Schluss gelangte, die gegenüber der rückerstattungspflichtigen
Beschwerdegegnerin am 25. Mai 2012 geltend gemachte Rückforderung der für die
Zeit ab April 2011 unrechtmässig ausgerichteten Rentenbetreffnisse sei damals
bereits verwirkt gewesen. Dies begründete es damit, dass die einjährige
Verwirkungsfrist gemäss Art. 25 Abs. 2 Satz 1 ATSG schon bei Erlass der die
Rentenaufhebung betreffenden Verfügung vom 4. Februar 2011 zu laufen begonnen
habe und deshalb im Zeitpunkt der angefochtenen Rückerstattungsverfügung vom
25. Mai 2012 bereits abgelaufen gewesen sei.

3.2. Dieser Argumentation kann mit der Beschwerde führenden IV-Stelle und dem
BSV nicht gefolgt werden. Andernfalls könnte die Verwirkungsfrist unter
Umständen - wie hier - schon zu laufen beginnen, bevor es überhaupt zu einer
unrechtmässigen Zahlung gekommen ist. Nach der Rechtsprechung ist für den
Beginn der relativen einjährigen Verwirkungsfrist nach Art. 25 Abs. 2 Satz 1
ATSG nicht das erstmalige unrichtige Handeln und die daran anknüpfende
unrechtmässige Leistungsausrichtung massgebend. Abzustellen ist vielmehr auf
jenen Zeitpunkt, in welchem die Verwaltung bei der gebotenen und ihr zumutbaren
Aufmerksamkeit ihren zur unrechtmässigen Leistungserbringung führenden Fehler
und damit das Bestehen der Voraussetzungen für eine Rückerstattungsforderung
später hätte erkennen können und müssen (BGE 124 V 380 E. 1 S. 383; 122 V 270
E. 5a und 5b/aa S. 274 ff., je mit Hinweisen; vgl. auch BGE 110 V 304 E. 2b S.
305 ff. und Urteil I 678/00 vom 30. Mai 2001 E. 3b, publ. in: SVR 2002 IV Nr. 2
S. 5 f.).

3.3. Erst aufgrund des Schreibens des Fürsorgeamtes der Beschwerdegegnerin vom
1. März 2012, mit welchem um direkte Rentenauszahlung an den Versicherten
selbst ersucht worden war, konnte die IV-Stelle erkennen, dass ihre am 4.
Februar 2011 verfügte Rentenaufhebung keine Wirkung gezeitigt hatte und die
Rente offenbar weiterhin ausgerichtet wurde. Damit erst bestand für sie Anlass,
den Gründen für die unterbliebene Umsetzung ihrer Aufhebungsverfügung vom 4.
Februar 2011 nachzugehen. Die Verwirkungsfrist des Art. 25 Abs. 2 Satz 1 ATSG
konnte damit aber nicht früher zu laufen begonnen haben, sodass die -
betraglich nicht bestrittene - Rückerstattungsforderung am 25. Mai 2012 bei
Weitem nicht verwirkt war.

4.
Die Gerichtskosten für das bundesgerichtliche Verfahren (Art. 65 Abs. 1 und
Abs. 4 lit. a BGG) sind unter diesen Umständen von der Beschwerdegegnerin als
unterliegender Partei zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Diejenigen für das
vorangegangene Verfahren wird das kantonale Gericht entsprechend dem Ausgang
des letztinstanzlichen Prozesses neu zu verlegen haben; ebenso wird es über
eine allfällige Parteientschädigung (an den Verfahrensbeteiligten) befinden
(Art. 67 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Der Entscheid des Verwaltungsgerichts des
Kantons Thurgau vom 13. Februar 2013 wird aufgehoben und die Verfügung der
IV-Stelle des Kantons Thurgau vom 25. Mai 2012 bestätigt.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt.

3.
Die Sache wird zur Neuverlegung der Kosten des vorangegangenen Verfahrens und
zur Festlegung einer allfälligen Parteientschädigung an das Verwaltungsgericht
des Kantons Thurgau zurückgewiesen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, G.________, dem Verwaltungsgericht des Kantons
Thurgau und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 16. Juli 2013
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Die Präsidentin: Leuzinger

Der Gerichtsschreiber: Krähenbühl

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