Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.213/2013
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
8C_213/2013

Urteil vom 21. August 2013

I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Leuzinger, Präsidentin,
Bundesrichter Maillard, Bundesrichterin Heine,
Gerichtsschreiberin Polla.

Verfahrensbeteiligte
S.________,
vertreten durch Fürsprecher Gerhard Lanz,
Beschwerdeführerin,

gegen

IV-Stelle Bern,
Scheibenstrasse 70, 3014 Bern,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Invalidenversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern
vom 7. Februar 2013.

Sachverhalt:

A.
Die 1981 geborene S.________ meldete sich am 14. November 2000 unter Hinweis
auf seit der Geburt bestehende Schlafrhythmus-Störungen bei der
Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Am 1. November 2001 trat sie eine
50 %-Stelle an. Mit Verfügung vom 20. Dezember 2001 gewährte die IV-Stelle Bern
Berufsberatung und Abklärung der beruflichen Eingliederungsmöglichkeiten und
übernahm die Kosten für eine erstmalige berufliche Ausbildung in Form eines
zweijährigen Handelsdiplomkurses (Verfügung vom 9. August 2002). Zudem sprach
sie S.________ verfügungsweise am 17. Oktober 2002 eine halbe Rente der
Invalidenversicherung ab 1. November 1999 zu, welche auf Revision hin mit
Verfügung vom 14. Oktober 2005 bestätigt wurde. Mit Vorbescheid vom 8. Oktober
2010 teilte die IV-Stelle der Versicherten mit, sie trete auf ihr Gesuch um
Erhöhung der bisherigen halben auf eine ganze Invalidenrente mangels
Glaubhaftmachung einer erheblichen Tatsachenänderung nicht ein. Auf Einwand von
S.________ hin liess die IV-Stelle sie bei der Psychiaterin Frau Dr. med.
I.________ begutachten (Expertise vom 27. Mai 2011) und nach erfolgtem
Abstinenznachweis von Cannabis, Tranquilizern und Alkohol einer weiteren
Schlaflabor-Abklärung unterziehen. Nach Rücksprache mit ihrem Regionalen
Ärztlichen Dienst (RAD) lehnte die IV-Stelle das Gesuch um Rentenerhöhung mit
Verfügung vom 13. April 2012 ab. Seit 1. Januar 2013 ist die Versicherte zu
einem Pensum von 30 % als Fachmitarbeiterin Verlagsauslieferung tätig.

B.
Die gegen die Verfügung vom 13. April 2012 erhobene Beschwerde wies das
Verwaltungsgericht des Kantons Bern mit Entscheid vom 7. Februar 2013 ab.

C.
S.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen
mit dem Rechtsbegehren, unter Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheids sei ihr
eine Dreiviertelsrente der Invalidenversicherung zuzusprechen. Eventualiter sei
die Sache zu weiteren medizinischen Abklärungen und neuem Entscheid an die
Vorinstanz zurückzuweisen.
Auf die Durchführung eines Schriftenwechsels wurde verzichtet.

Erwägungen:

1.

1.1. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen
Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 f. BGG erhoben werden. Das Bundesgericht
wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es legt seinem
Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105
Abs. 1 BGG), und kann deren Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen nur
berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer
Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG).

1.2. Bei den vorinstanzlichen Feststellungen zum Gesundheitszustand und zur
Arbeitsfähigkeit der versicherten Person handelt es sich grundsätzlich um
Entscheidungen über eine Tatfrage (BGE 132 V 393 E. 3.2 S. 397 ff.), welche das
Bundesgericht seiner Urteilsfindung zugrunde zu legen hat. Die konkrete
Beweiswürdigung stellt ebenfalls eine Tatfrage dar. Dagegen ist die Beachtung
des Untersuchungsgrundsatzes und der Beweiswürdigungsregeln nach Art. 61 lit. c
ATSG Rechtsfrage (BGE 132 V 393 E. 3.2 und 4 S. 397 ff.; Urteil 9C_665/2011 vom
21. November 2011 E. 2.2 mit Hinweisen), die das Bundesgericht im Rahmen der
den Parteien obliegenden Begründungs- bzw. Rügepflicht (Art. 42 Abs. 2 BGG und
Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 133 II 249 E. 1.4.1 und 1.4.2 S. 254) frei überprüfen
kann (Art. 106 Abs. 1 BGG).

2.
Die Vorinstanz hat die rechtlichen Grundlagen über die Arbeitsunfähigkeit (Art.
6 ATSG), die Erwerbsunfähigkeit (Art. 7 ATSG) und die Invalidität (Art. 8 Abs.
1 ATSG) sowie die Rechtsprechung zur invalidisierenden Wirkung psychischer
Gesundheitsschäden (BGE 131 V 49 E. 1.2 S. 50 f. mit Hinweisen) richtig
dargelegt. Gleiches gilt zu den Voraussetzungen und zum Umfang des
Rentenanspruchs (Art. 28 Abs. 1 IVG), zur Rentenrevision (Art. 17 Abs. 1 ATSG;
vgl. BGE 133 V 108, 130 V 343 E. 3.5 S. 349 ff.), zum Untersuchungsgrundsatz
(Art. 43 Abs. 1 ATSG; vgl. auch Art. 61 lit. c ATSG; BGE 132 V 368 E. 5 S. 374,
130 V 64 E. 5.2.5 S. 68 f.) und zum Beweiswert von Arztberichten (BGE 134 V 231
f. E. 5.1). Darauf wird verweisen.

3.
Streitig und zu prüfen ist, ob das kantonale Gericht zu Recht eine die Erhöhung
der bisherigen halben Invalidenrente rechtfertigende Verschlechterung der
gesundheitlichen Situation im Zeitraum zwischen den Verfügungen der
Beschwerdegegnerin vom 17. Oktober 2002 und 13. April 2013 verneinte.

3.1. Nach den verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz beruhte die
Rentenfestsetzung vom 17. Oktober 2002 auf Angaben des Hausarztes Dr. med.
M.________, Innere Medizin/Kardiologie FMH, gemäss welchen ausgeprägte
Schlafstörungen im Rahmen eines Delayed Sleep Phase Syndroms bestanden (Bericht
vom 29. November 2000), und des Dr. med. H.________, Kinder- und
Jugendpsychiatrische Poliklinik X.________, der ein leicht depressives Syndrom
und schwere Schlafstörungen mit phasenweiser Tagesschläfrigkeit feststellte
(Bericht vom 4. September 2001). Gestützt hierauf errechnete die
Beschwerdegegnerin wegen der aufgrund des unsteten Tages- und Nachtrhythmus
durchschnittlich um 50 % verminderten Leistungsfähigkeit einen Invaliditätsgrad
von 51 %.

3.2.

3.2.1. Anlässlich des Rentenerhöhungsgesuchs erging das vorinstanzlich als
beweistauglich eingestufte Gutachten der Frau Dr. med. I.________ vom 27. Mai
2011. Danach leidet die Beschwerdeführerin an einem verzögerten
Schlafphasensyndrom, wobei die Tagesmüdigkeit bzw. -schläfrigkeit multiplen
Einflussfaktoren unterliege und nicht allein auf die Schlafstörung des
zirkadianen Rhythmus zurückzuführen sei. Als neue Aspekte seien z.B.
Adipositas, beeinträchtigte Lungen- und Leberfunktion und (vermutlich sekundär
bedingter) schädlicher Gebrauch psychotroper Substanzen hinzugekommen. Aus
psychiatrischer Sicht werde die Arbeitsfähigkeit durch die psychomotorische
Verlangsamung infolge einer erhöhten Tagesmüdigkeit bzw. -schläfrigkeit
reduziert. Eine Reduktion der Arbeitsfähigkeit unter das bisherige 50%ige
Arbeitspensum auf 30 % aufgrund von erhöhter Ermüdbarkeit sei wahrscheinlich
zumindest tageweise zutreffend. Wenig komplexe Bürotätigkeiten könne die
Versicherte bei freier Aufgabeneinteilung wie bisher qualitativ gut erledigen,
die bisherige Tätigkeit sei 3-4 Stunden täglich zumutbar, aufgrund einer
psychomotorischen Verlangsamung müsse, je nach Tageskondition, eine
Leistungsminderung von ca. 15 % beachtet werden. Die bestehenden
Beeinträchtigungen liessen sich vermindern; es sei eine Abstinenz von den
nachgewiesenen abhängigkeitserzeugenden psychotropen Substanzen zu fordern und
anschliessend eine Schlaflabordiagnostik zur differenzierten Einordnung der
Restsymptome zu empfehlen.

3.2.2. Die Vorinstanz hielt fest, die Gutachterin beziehe sich dabei einzig auf
die Diagnose des Delayed Sleep Phase Syndroms, eine Depression habe sie nicht
festgestellt und eine entsprechende Diagnose des behandelnden Dr. med.
H.________ nachvollziehbar ausgeschlossen. Gestützt auf die Expertise habe sich
der Gesundheitszustand nicht wesentlich verschlechtert. Soweit Frau Dr. med.
I.________ eine gegenüber der rentenzusprechenden Verfügung vom 17. Oktober
2002 geringfügig tiefere Arbeitsfähigkeit attestiert habe, habe sie den im
Wesentlichen gleich gebliebenen Sachverhalt lediglich anders beurteilt.

3.3. Angesichts dieser Verhältnisse ist die eine erhebliche Verschlechterung
des Gesundheitszustandes verneinende Betrachtungsweise des kantonalen Gerichts,
welche auf einer eingehenden Auseinandersetzung, namentlich auch mit den
Angaben des behandelnden Dr. med. H.________, der überdies nach einer
angeblichen Remission der diagnostizierten depressiven Erkrankung weiterhin von
einer 30%igen Arbeitsfähigkeit ausging, fusst, nicht offensichtlich unrichtig
oder gar willkürlich. Vielmehr wird die entsprechende Würdigung des
medizinischen Sachverhalts ebenfalls durch die Darlegungen des RAD-Arztes Dr.
med. B.________, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, vom 13. Oktober
2011 gestützt, wonach sich die gesundheitliche Situation der Versicherten -
insbesondere in Berücksichtigung der Ergebnisse der polysomnographischen
Untersuchung des Zentrums für Schlafmedizin, Klinik Y.________, vom 3. Oktober
2011 - nicht verbessert, aber auch nicht wesentlich verschlechtert habe; die
Gutachterin Frau Dr. med. I.________ habe bei ihrer Arbeitsfähigkeitsschätzung
von "3 bis 4 Stunden täglich¨ ebenfalls berücksichtigt, dass die Tagesmüdigkeit
nicht allein durch die Schlafstörung zu erklären und die Verminderung der
Arbeitsfähigkeit unter dem Vorbehalt der Ergebnisse des Schlaflabors angegeben
worden sei, wobei die Versicherte nun die Abstinenz der problematischen
Substanzen nachgewiesen habe und im Zentrum für Schlafmedizin keine weiteren
Ursachen festgestellt worden seien.
Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin durfte die Vorinstanz daher,
ohne Bundesrecht zu verletzen, von einer lediglich anderen und damit
revisionsrechtlich nicht relevanten Neubeurteilung eines im Wesentlichen gleich
gebliebenen Sachverhalts (nicht publ. E. 3.2 des Urteils BGE 136 V 216,
veröffentlicht in SVR 2011 IV Nr. 1 S. 1 E. 3.2 [8C_972/2009]) ausgehen, da
eine substanzbedingte, somatische oder andere psychische Erkrankung nicht
vorliegt. Von weiteren medizinischen Abklärungen ist kein entscheidrelevanter
neuer Aufschluss zu erwarten, weshalb das kantonale Gericht zu Recht davon
absehen konnte und auch den Untersuchungsgrundsatz durch den Verzicht, die
Ergebnisse des Zentrums für Schlafmedizin der Gutachterin Frau Dr. med.
I.________ zur Stellungnahme vorzulegen, nicht verletzte, zumal eine schlüssige
Beurteilung der medizinischen Situation durch den psychiatrischen Facharzt des
RAD vorlag.

3.4. In Anbetracht der im Übrigen unbestritten gebliebenen erwerblichen
Invaliditätsbemessungsfaktoren bleibt es somit bei der Feststellung des
kantonalen Gerichts, dass im relevanten Referenzzeitraum keine Verschlechterung
der gesundheitlichen Situation ausgewiesen ist. Trotz der bestehenden
gesundheitlichen Beeinträchtigungen darf dementsprechend auch weiterhin von
einer wirtschaftlichen Verwertbarkeit der Restarbeitsfähigkeit auf dem
ausgeglichenen Arbeitsmarkt (BGE 130 V 343 E. 3.2 S. 346 f., 110 V 273 E. 4b S.
276) von 50 % ausgegangen werden.

3.5. Mit Blick auf die unabhängig von Art. 17 Abs. 1 ATSG gegebene
Revidierbarkeit von Invalidenrenten, die bei pathogenetisch-ätiologisch
unklaren syndromalen Beschwerdebildern ohne nachweisbare organische Grundlage
gesprochen wurden (Schlussbestimmung a Abs. 1 der auf den 1. Januar 2012 in
Kraft getretenen Änderung des IVG vom 18. März 2011; AS 2011 5672), warf die
Vorinstanz zu Recht die Frage nach der invalidisierenden Wirkung der
vorliegenden primären (DSM-IV-TR 307.45), nach ICD-10 Kodifizierung
nichtorganischen Störung des Schlaf-Wach-Rhythmus (ICD-10: F51.2) und zur
sinngemässen Anwendbarkeit der Grundsätze zur Überwindbarkeit des Leidens
gemäss der sog. Schmerzstörungspraxis nach BGE 130 V 352 (vgl. bezüglich
nichtorganischer Hypersomnie: BGE 137 V 64) auf. Da eine reformatio in peius im
bundesgerichtlichen Verfahren durch die Bindung des Gerichts an die
Parteibegehren ausgeschlossen ist (Art. 107 Abs. 1 BGG), erübrigen sich jedoch
Weiterungen hierzu. Damit hat es mit der Bestätigung des vorinstanzlichen
Entscheids sein Bewenden.

4.
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend hat die Beschwerdeführerin die
Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern,
Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, der Ausgleichskasse des Kantons Bern
und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 21. August 2013
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Die Präsidentin: Leuzinger

Die Gerichtsschreiberin: Polla

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