Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.201/2013
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]          
8C_201/2013 {T 0/2}     

Urteil vom 17. Juni 2013

I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Leuzinger, Präsidentin,
Bundesrichter Frésard,
Bundesrichterin Heine,
Gerichtsschreiber Jancar.

Verfahrensbeteiligte
KIGA Öffentliche Arbeitslosenkasse
Basel-Landschaft,
Bahnhofstrasse 32, 4133 Pratteln,
Beschwerdeführer,

gegen

S.________,
Beschwerdegegner.

Gegenstand
Arbeitslosenversicherung
(Einstellung in der Anspruchsberechtigung),

Beschwerde gegen den Entscheid des Kantons-
gerichts Basel-Landschaft vom 22. November 2012.

Sachverhalt:

A.
Der 1958 geborene S.________ arbeitete seit 25. Juli 1994 beim Kanton
X.________ als Lehrer an der Sekundarschule A.________. Am 11. April 2011
kündigte er dieses Arbeitsverhältnis per 31. Juli 2011. Am 3. Juli 2011
beantragte er die Ausrichtung von Arbeitslosenentschädigung. Mit Verfügung vom
26. August 2011 stellte ihn die Öffentliche Arbeitslosenkasse Baselland
(nachfolgend Arbeitslosenkasse) wegen selbstverschuldeter Arbeitslosigkeit ab
1. August 2011 für 31 Tage in der Anspruchsberechtigung ein. Daran hielt sie
mit Einspracheentscheid vom 25. November 2011 fest.

B.
Hiegegen erhob der Versicherte beim Kantonsgericht Basel-Landschaft Beschwerde.
Dieses holte schriftliche Auskünfte der Frau G.________, Schulleiterin der
Sekundarschule A.________, vom 9. Mai 2012 und des Psychiaters Dr. med.
M.________ vom 11. Juni 2012 ein. Mit Entscheid vom 22. November 2012 hob die
Vorinstanz den Einspracheentscheid auf.

C.
Mit Beschwerde beantragt die Arbeitslosenkasse die Aufhebung des kantonalen
Entscheides; eventuell sei die Sache zur weiteren Abklärung an die Vorinstanz
zurückzuweisen. Ein Schriftenwechsel wurde nicht angeordnet.

Erwägungen:

1.
Mit der Beschwerde kann eine Rechtsverletzung nach Art. 95 f. BGG geltend
gemacht werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106
Abs. 1 BGG). Trotzdem prüft es - vorbehältlich offensichtlicher Fehler - nur
die in seinem Verfahren geltend gemachten Rechtswidrigkeiten (Art. 42 Abs. 1
und 2 BGG; BGE 135 II 384 E. 2.2.1 S. 389). Es legt seinem Urteil den
Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1
BGG). Es kann deren Sachverhaltsfeststellung nur berichtigen oder ergänzen,
wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne
von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des
Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG in Verbindung mit Art.
105 Abs. 2 BGG). Rechtsfragen sind die vollständige Feststellung erheblicher
Tatsachen sowie die Beachtung des Untersuchungsgrundsatzes bzw. der
Beweiswürdigungsregeln nach Art. 61 lit. c ATSG und der Anforderungen an den
Beweiswert von Arztberichten (BGE 134 V 231 E. 5.1 S. 232). Die aufgrund
Letzterer gerichtlich festgestellte Gesundheitslage bzw. Arbeitsfähigkeit und
die konkrete Beweiswürdigung sind Tatfragen (BGE 132 V 393 E. 3.2 S. 397; nicht
publ. E. 4.1 des Urteils BGE 135 V 254, veröffentlicht in SVR 2009 IV Nr. 53 S.
164 [9C_204/2009]).

2.
Die Vorinstanz hat die Grundlagen über die Einstellung in der
Anspruchsberechtigung wegen selbstverschuldeter Arbeitslosigkeit bei Kündigung
durch die versicherte Person (Art. 30 Abs. 1 lit. a AVIG; Art. 44 Abs. 1 lit. b
AVIV) und die dazu ergangene Rechtsprechung, wonach bei der Frage der
Unzumutbarkeit des Verbleibens am Arbeitsplatz ein strenger Massstab anzulegen
ist (BGE 124 V 234 E. 4b/bb S. 238), zutreffend dargelegt. Beizupflichten ist
der Vorinstanz auch darin, dass ein schlechtes Arbeitsklima und
Meinungsverschiedenheiten mit Vorgesetzten oder Arbeitskollegen grundsätzlich
keine Unzumutbarkeit der Fortführung des Arbeitsverhältnisses zu begründen
vermögen. Belegt die versicherte Person allerdings durch ein eindeutiges
ärztliches Zeugnis (oder allenfalls durch andere geeignete Beweismittel), dass
ihr die Weiterarbeit aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr zumutbar ist, ist
grundsätzlich von einer Unzumutbarkeit aus gesundheitlichen Gründen auszugehen
(BGE 124 V 234 E. 4b/bb S. 238; Urteil 8C_943/2012 vom 13. März 2013 E. 2).
Richtig sind auch die vorinstanzlichen Ausführungen zum Untersuchungsgrundsatz
(Art. 43 Abs. 1, Art. 61 lit. c ATSG; BGE 138 V 218 E. 6 S. 221) und zum
Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit (BGE 134 V 109 E. 9.5 S. 125).
Darauf wird verwiesen.

3.

3.1. Aus den Zeugnissen des Dr. med. N.________, Allgemeine Medizin FMH, vom
24. Januar und 2. März 2011 geht hervor, dass der Versicherte vom 19. Januar
bis 31. März 2011 arbeitsunfähig war. Gemäss den Zeugnissen des Psychiaters Dr.
med. M.________ vom 24. März und 5. August 2011 war er vom 24. März bis 1. Juli
2011 zu 100 % arbeitsunfähig. Im Schreiben vom 8. September 2011 legte Dr. med.
M.________ dar, der Versicherte habe den Schuldienst in der Sekundarschule
A.________ aus medizinischen Gründen aufgeben müssen; ein weiterer Verbleib
hätte seine gesundheitliche Genesung verunmöglicht. Im Schreiben vom 11. Juni
2012 gab Dr. med. M.________ an, die Erlangung der vollen Arbeitsfähigkeit ab
4. Juli 2011 habe sich auf sämtliche Tätigkeiten als Lehrer, mit Ausnahme der
ehemaligen Tätigkeit als Lehrer in der Sekundarschule A der Gemeinde
A.________, bezogen, welche für die Krankheit und die konsekutiv erfolgte
Arbeitsunfähigkeit die Hauptursache dargestellt habe. Da der Versicherte seine
damalige Arbeitsstelle gekündigt habe, habe er diese Einschränkung der
Arbeitsfähigkeit im Zeugnis vom 5. August 2012 nicht mehr explizit aufgeführt.
Die Vorinstanz hat in Würdigung dieser medizinischen Unterlagen richtig
erkannt, dass dem Versicherten ein weiterer Verbleib an der bisherigen
Arbeitsstelle als Lehrer aus gesundheitliche Gründen nicht mehr zumutbar
gewesen sei, weshalb sich die Kündigung vom 11. April 2004 auf triftige Gründe
gestützt habe. Demnach sei der Tatbestand der selbstverschuldeten
Arbeitslosigkeit nicht erfüllt.

3.2. Die Kasse erhebt keine Rügen, die zur Bejahung einer Rechtsverletzung
führen oder die vorinstanzlichen Sachverhaltsfeststellungen zum
Gesundheitszustand bzw. zur Arbeitsfähigkeit des Versicherten als
offensichtlich unrichtig oder als Ergebnis willkürlicher Beweiswürdigung oder
als rechtsfehlerhaft nach Art. 95 BGG erscheinen lassen (E. 1 hievor).
Festzuhalten ist insbesondere Folgendes:

3.2.1. Die Kasse macht geltend, die Zeugnisse der Dres. med. M.________ und
N.________ seien nicht rechtsgenüglich, da sie keine Diagnose und keine
Erklärung für die Arbeitsunfähigkeit des Versicherten enthielten. Zu den von
ihr angeführten bundesgerichtlichen Präjudizien ist Folgendes festzuhalten: Im
Urteil C 228/02 vom 12. Oktober 2004 E. 3.3 wurde ein Arztzeugnis als zu
dürftig angesehen, weil daraus lediglich hervorging, dass der Versicherte
aufgrund psychischer Belastung an seinem Arbeitsplatz seine Anstellung habe
kündigen müssen. Im Urteil C 122/00 vom 30. März 2001 E. 2b/bb wurde erwogen,
die vage ärztliche Aussage, die gesundheitlichen Beschwerden der letzten Jahre
könnten sehr wohl mit der beruflichen Situation des Versicherten
zusammenhängen, genüge offensichtlich nicht, zumal sich das Attest in keiner
Weise zu konkreten gesundheitlichen Problemen während der Anstellung bei der in
Frage stehenden Firma geäussert habe.

Demgegenüber sind die Angaben des Psychiaters Dr. med. M.________ insgesamt
rechtsgenüglich. Denn daraus geht hervor, dass die Tätigkeit des Versicherten
als Lehrer in der Sekundarstufe A der Gemeinde A.________ die Hauptursache
seiner Krankheit und Arbeitsunfähigkeit war.
Die von der Kasse weiter zitierten Urteile C 123/06 vom 13. Juli 2007 E. 5.2
(die Arztzeugnisse waren nicht begründet) und C 318/01 vom 15. Februar 2002 E.
2b (das Arztzeugnis war nicht eindeutig und es wurde keine Arbeitsunfähigkeit
angegeben) sind nicht einschlägig und vermögen zu keinem anderen Ergebnis zu
führen (vgl. auch Urteil 8C_943/2012 E. 3.4).

3.2.2. Die Kasse macht geltend, im Fragebogen betreffend rechtliches Gehör vom
15./16. August 2011 habe der Versicherte angegeben, er habe "grosse Lust auf
Veränderungen und auf neue Herausforderungen an der Sekundarstufe II". Als
Kündigungsgrund habe er "Burn-out/keine ausreichende Berufsperspektive in
dieser Schulgemeinde" angegeben. Diesen "Aussagen der ersten Stunde" müsse
besonders grosses Gewicht zukommen. Damit werde klar, dass die Selbstkündigung
des Versicherten keineswegs medizinisch notwendig gewesen, sondern von ihm
offensichtlich schon längere Zeit angestrebt worden sei. Deshalb seien Zweifel
an der Unzumutbarkeit der aufgegebenen Stelle angebracht, zumal der Versicherte
bereits ab 1. August 2011 wieder als Lehrer gearbeitet habe. Diese Einwände
sind unbehelflich. Denn sie ändern nichts daran, dass die gekündigte
Arbeitsstelle aufgrund der Angaben des Dr. med. M.________ vom 11. Juni 2012
Hauptursache der Krankheit und Arbeitsunfähigkeit war. Im Fragebogen vom 15./
16. August 2011 schilderte der Versicherte denn auch eingehend die ihn
belastende Arbeit mit seiner Schulklasse, die zu seiner Erkrankung führte.

3.2.3. Die Kasse wendet ein, die Vorinstanz habe nur abgeklärt, ob eine
Versetzung des Versicherten innerhalb der Sekundarschule A.________ möglich
gewesen wäre, was die Schulleiterin mit Schreiben vom 9. Mai 2012 verneint
habe. Die Vorinstanz habe sich jedoch nicht erkundigt, ob seine
Weiterbeschäftigung innerhalb des Schulwesens des Kantons X.________ in Frage
gekommen wäre, zumal das Schreiben vom 9. Mai 2012 von der Bildungs-, Kultur-
und Sportdirektion des Kantons X.________ ausgestellt worden und der
Versicherte seit 30. Januar 2012 für diese Direktion nunmehr in der
Sekundarschule Y.________ arbeite. Dies deute darauf hin, dass eine
innerkantonale Versetzung sowohl vom Versicherten als auch von der Schulleitung
in Betracht hätte gezogen werden müssen. Durch ihre unzureichenden Abklärungen
habe die Vorinstanz den Untersuchungsgrundsatz verletzt. Diesem Einwand ist
Folgendes entgegenzuhalten: Vorinstanzlich hatte die Kasse Gelegenheit, zum
Schreiben der Schulleiterin der Sekundarschule A.________ vom 9. Mai 2012
Stellung zu nehmen, was sie am 14. September 2012 tat. In diesem Rahmen
verlangte sie nicht, es sei zusätzlich zu klären, ob eine Weiterbeschäftigung
des Versicherten ausserhalb der Sekundarschule A.________ im Schulwesen des
Kantons X.________ in Frage gekommen wäre. Wenn sie diese Tatsache erstmals
letztinstanzlich behauptet und deren Beweis verlangt, handelt es sich um ein
unzulässiges Novum nach Art. 99 Abs. 1 BGG, zumal nicht gesagt werden kann und
auch nicht geltend gemacht wird, erst der angefochtene Entscheid habe hierzu
Anlass gegeben (nicht publ. E. 1.3 des Urteils BGE 138 V 286, in SVR 2012 FZ
Nr. 3 S. 7 [8C_690/2011]; BGE 135 V 194; SVR 2010 UV Nr. 17 S. 63 E. 4 [8C_239/
2008]; vgl. auch Urteil 8C_131/2011 vom 5. Juli 2011 E. 3).

3.3. Da von weiteren Abklärungen keine neuen entscheidwesentlichen Erkenntnisse
zu erwarten sind, ist darauf zu verzichten; dies verstösst weder gegen den
Untersuchungsgrundsatz noch gegen den Gehörsanspruch (antizipierte
Beweiswürdigung; BGE 136 I 229 E. 5.3 S. 236; Urteil 8C_145/2013 vom 1. Mai
2013 E. 5.6.5). Von einer Verletzung des Rechtsgleichheitsgebots und des
Willkürverbots kann ebenfalls nicht gesprochen werden.

4.
Die unterliegende Kasse trägt die Verfahrenskosten (Art. 66 Abs. 1, Art. 68
Abs. 2 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Kantonsgericht Basel-Landschaft, Abteilung
Sozialversicherungsrecht, und dem Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO)
schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 17. Juni 2013

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Die Präsidentin: Leuzinger

Der Gerichtsschreiber: Jancar

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