Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Sozialrechtliche Abteilung, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten 8C.122/2013
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
8C_122/2013

Urteil vom 7. Mai 2013
I. sozialrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichterin Leuzinger, Präsidentin,
Bundesrichter Ursprung, Maillard,
Gerichtsschreiber Nabold.

Verfahrensbeteiligte
R.________,
vertreten durch Rechtsanwältin Dr. Heidi Frick-Moccetti,
Beschwerdeführerin,

gegen

ÖKK Kranken- und Unfallversicherungen AG, Bahnhofstrasse 13, 7302 Landquart,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Unfallversicherung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons
Zürich vom 21. Dezember 2012.

Sachverhalt:

A.
Mit Einspracheentscheid vom 20. September 2012 wies die ÖKK Kranken- und
Unfallversicherungen AG (nachstehend: die ÖKK) eine von R.________ gegen eine
Verfügung vom 20. April 2012 gerichtete Einsprache ab. Gemäss
Rechtsmittelbelehrung dieses Entscheides hätte die Versicherte innert drei
Monaten seit seiner Zustellung beim kantonalen Versicherungsgericht Beschwerde
erheben können.

B.
Auf die von R.________ am 11. Dezember 2012 erhobene Beschwerde gegen diesen
Einspracheentscheid trat das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit
Entscheid vom 21. Dezember 2012 nicht ein, da das Rechtsmittel verspätet sei.

C.
Mit Beschwerde beantragt R.________, das kantonale Gericht sei unter Aufhebung
des Entscheides vom 21. Dezember 2012 zu verpflichten, ihre Beschwerde vom 11.
Dezember 2012 materiell zu beurteilen.

Erwägungen:

1.
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen
Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 und 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht
wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist folglich
weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die
Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine Beschwerde aus einem anderen
als dem angerufenen Grund gutheissen und es kann eine Beschwerde mit einer von
der Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen (vgl. BGE 132
II 257 E. 2.5 S. 262; 130 III 136 E. 1.4 S. 140). Immerhin prüft das
Bundesgericht, unter Berücksichtigung der allgemeinen Begründungspflicht der
Beschwerde (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG), grundsätzlich nur die geltend gemachten
Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu offensichtlich sind. Es ist
jedenfalls nicht gehalten, wie eine erstinstanzliche Behörde alle sich
stellenden rechtlichen Fragen zu untersuchen, wenn diese vor Bundesgericht
nicht mehr vorgetragen werden (BGE 133 II 249 E. 1.4.1 S. 254).

2.
Gemäss Art. 60 Abs. 1 ATSG ist die Beschwerde an das kantonale Gericht
innerhalb von 30 Tagen nach der Eröffnung des Einspracheentscheides oder der
Verfügung, gegen welche eine Einsprache ausgeschlossen ist, einzureichen. Bis
zum 31. Dezember 2006 bestimmte Art. 106 UVG, dass für die Unfallversicherung
in Abweichung von Art. 60 ATSG die Beschwerdefrist bei Einspracheentscheiden
über Versicherungsleistungen drei Monate betrug. Auf den 1. Januar 2007 wurde
dieser UVG-Artikel ersatzlos aufgehoben.

3.
Es steht fest und ist unbestritten, dass die Beschwerde vom 11. Dezember 2012
nicht innerhalb der in Art. 60 Abs. 1 ATSG statuierten Frist eingereicht wurde.
Ebenso steht fest, dass sie innerhalb der in der (unrichtigen)
Rechtsmittelbelehrung angegebenen Frist von drei Monaten erfolgte. Streitig und
zu prüfen ist einzig, ob die Beschwerdeführerin in ihrem Vertrauen in die
falsche Rechtsmittelbelehrung zu schützen ist.

4.
4.1 Aus dem Prinzip von Treu und Glauben (Art. 5 Abs. 3 und Art. 9 BV) leitet
die Rechtsprechung ein Recht auf Vertrauensschutz ab. Daraus ergibt sich, dass
den Parteien aus einer unrichtigen Rechtsmittelbelehrung grundsätzlich keine
Nachteile erwachsen dürfen. Den erwähnten Schutz kann eine Prozesspartei nur
dann beanspruchen, wenn sie sich nach Treu und Glauben auf die fehlerhafte
Rechtsmittelbelehrung verlassen durfte. Dies trifft auf die Partei nicht zu,
welche die Unrichtigkeit erkannte oder bei gebührender Aufmerksamkeit hätte
erkennen müssen. Allerdings vermag nur eine grobe prozessuale Unsorgfalt der
betroffenen Partei oder ihres Anwalts eine unrichtige Rechtsmittelbelehrung
aufzuwiegen (BGE 135 III 374 E. 1.2.2.1 S. 376 f. mit Hinweisen). Wann der
Prozesspartei eine als grob zu wertende Unsorgfalt vorzuwerfen ist, beurteilt
sich nach den konkreten Umständen und nach ihren Rechtskenntnissen, wobei bei
Anwälten naturgemäss ein strengerer Massstab anzulegen ist. Von ihnen wird
jedenfalls eine "Grobkontrolle" der Rechtsmittelbelehrung durch Konsultierung
der anwendbaren Verfahrensbestimmungen erwartet. Dagegen wird nicht verlangt,
dass neben den Gesetzestexten auch noch die einschlägige Rechtsprechung oder
Literatur nachgeschlagen wird (BGE 138 I 49 E. 8.3.2 S. 53 f. mit Hinweisen;
vgl. auch Urteil 4A_121/2012 vom 10. September 2012 E. 2.6.1). Insbesondere ist
in der Regel nicht von einer groben Unsorgfalt des Anwalts auszugehen, wenn die
unzutreffende Rechtsmittelbelehrung nicht auf einem Versehen der Behörde
beruht, sondern auf eine nicht im vorneherein unhaltbaren Würdigung der
Rechtslage verbunden mit der behördlichen Überzeugung, die Belehrung entspreche
der gesetzlichen Ordnung, zurückzuführen ist (vgl. etwa Urteile 5A_536/2011 vom
12. Dezember 2011 E. 4.3.5; 6B_4/2012 vom 12. Juni 2012 E. 2 und 4A_121/2012
vom 10. September 2012 E. 2). Ergibt sich demgegenüber die Fehlerhaftigkeit
schon aus dem Wortlaut des Gesetzes, so wird die grobe Sorgfaltswidrigkeit des
Anwaltes in der Regel zu bejahen sein (vgl. etwa Urteil 1C_280/2010 vom 16.
September 2010 E. 2.3).

4.2 Gemäss der Rechtsmittelbelehrung des Einspracheentscheides der ÖKK vom 20.
September 2012 wäre dieser Entscheid innert drei Monaten seit seiner Zustellung
anfechtbar gewesen. Die unüblich lange Beschwerdefrist wird in dieser Belehrung
mit einem Verweis auf Art. 106 UVG begründet. Hätte die Rechtsvertreterin der
Beschwerdeführerin versucht, diesen Artikel nachzuschlagen, so hätte sie sofort
festgestellt, dass dieser auf den 1. Januar 2007 ersatzlos aufgehoben wurde.
Daraus ist zu folgern, dass sie es unterlassen hat, die anwendbare
Verfahrensbestimmung anhand des Gesetzestextes zu kontrollieren. Damit hat sie
als Anwältin eine grobe Unsorgfältigkeit begangen. Daran vermag auch der
Umstand nichts zu ändern, dass sie durch die Konsultation eines veralteten
Kommentars die falsche Belehrung bestätigt sah. Ausgangspunkt jeder
juristischen Abklärung ist der Gesetzestext; wenn eine rechtskundige Person an
Stelle des Gesetzestextes die Lehre konsultiert, so muss sie stets damit
rechnen, dass sich das Gesetz zwischenzeitlich geändert haben könnte.

4.3 Die Beschwerdeführerin bringt weiter vor, materiell gehe der Streit auf
einen Unfall im Jahre 2005 zurück. Für die Anfechtung des ersten
Einspracheentscheids in ihrer Sache vom 4. April 2006 hätten ihr damals noch
drei Monate zur Verfügung gestanden. Auch aufgrund dieser Erfahrung habe sie
sich auf die Richtigkeit der entsprechenden Rechtsmittelbelehrung verlassen
dürfen.

Der Umstand, dass in der Sache der Beschwerdeführerin im Jahre 2006 - mithin
noch unter Geltung der alten Frist - ein erster Einspracheentscheid erging,
vermag allenfalls zu erklären, wie es zur fehlerhaften Rechtsmittelbelehrung
kommen konnte. Er ändert aber nichts daran, dass die Rechtsvertreterin der
Beschwerdeführerin gehalten gewesen wäre, die unüblich lange Beschwerdefrist
anhand des Gesetzestextes zu überprüfen. Dies gilt umso mehr, als jedenfalls in
Anwaltskreisen bekannt ist, dass es in der Zeit zwischen 2006 und 2012 zu
bedeutenden Änderungen in den schweizerischen Prozessvorschriften gekommen ist.
Somit vermag der erste Einspracheentscheid aus dem Jahre 2006 nichts daran zu
ändern, dass der heutigen Rechtsvertreterin eine grobe Unsorgfältigkeit
unterlaufen ist.

4.4 Hätte die anwaltlich vertretene Beschwerdeführerin demnach die
Unrichtigkeit der Rechtsmittelbelehrung erkennen müssen, so ist nicht zu
beanstanden, dass das kantonale Gericht nicht auf die verspätete Beschwerde
eingetreten ist. Ihre Beschwerde gegen den kantonalen Entscheid ist somit
abzuweisen.

5.
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend sind die Gerichtskosten der
Beschwerdeführerin aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich und dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt.

Luzern, 7. Mai 2013

Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Die Präsidentin: Leuzinger

Der Gerichtsschreiber: Nabold

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