Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.980/2013
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
6B_980/2013

Urteil vom 28. Januar 2014

Strafrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Mathys, Präsident,
Bundesrichter Schneider, Denys,
Gerichtsschreiber C. Monn.

Verfahrensbeteiligte
1. A.X.________,
2. B.X.________,
beide vertreten durch Rechtsanwalt Serge Flury,
Beschwerdeführer,

gegen

1.  Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Aargau,
Frey-Herosé-Strasse 12, Wielandhaus, 5001 Aarau,
2. C.________, ausserordentlicher Staatsanwalt,
3. D.________,
vertreten durch Rechtsanwältin Marianne Wehrli,
4. E.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Dominik Rothacher,
5. F.________,
Beschwerdegegner.

Gegenstand
Einstellungs- und Nichtanhandnahmeverfügung (fahrlässige Tötung),

Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts des Kantons Aargau,
Beschwerdekammer in Strafsachen, vom 28. August 2013.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.

 Am 15. Dezember 2009 und 11. Januar 2010 reichte A.X.________ beim
Untersuchungsrichteramt Aargau wegen der Tötung seiner Tochter eine
Strafanzeige ein. Es bestünden erhebliche Verdachtsmomente, dass Personen, die
in den Vollzug der vom Bezirksgericht Bremgarten am 4. Juni 2004 gegenüber dem
Täter ausgesprochenen Massnahme involviert gewesen seien, Vorschriften nicht
beachtet hätten und dass diese Unterlassungen adäquat kausal und voraussehbar
zum Tod seiner Tochter geführt hätten.

 Die Beschwerdekammer in Strafsachen des Obergerichts des Kantons Aargau setzte
am 14. Februar 2011 einen ausserordentlichen Staatsanwalt ein.

 Am 17. Juni 2011 eröffnete dieser eine Untersuchung wegen fahrlässiger Tötung
unter anderem gegen den seinerzeit für die Betreuung des Täters zuständigen
Sachbearbeiter sowie dessen Vorgesetzten in der Sektion Straf- und
Massnahmenvollzug der Abteilung Strafrecht des Departementes Volkswirtschaft
und Inneres des Kantons Aargau (DVI).

 Am 21. Januar 2013 stellte der ausserordentliche Staatsanwalt das
Strafverfahren gegen die beiden Beschuldigten ein. Zudem verfügte er, eine
Strafverfolgung gegen den Chef der Abteilung Strafrecht des DVI werde nicht an
die Hand genommen.

 Eine von A.X.________ und B.X.________ gegen die Einstellungs- und
Nichtanhandnahmeverfügung eingereichte Beschwerde wies das Obergericht des
Kantons Aargau am 28. August 2013 ab.

 A.X.________ und B.X.________ wenden sich mit Beschwerde ans Bundesgericht und
beantragen, der Entscheid vom 28. August 2013 sei aufzuheben. Der
ausserordentliche Staatsanwalt sei anzuweisen, das Strafverfahren gegen die
Beschuldigten weiterzuführen bzw. an die Hand zu nehmen, wobei der Fall einem
anderen ausserordentlichen Staatsanwalt zuzuweisen sei.

2.

 Gemäss Art. 81 Abs. 1 BGG ist zur Beschwerde in Strafsachen berechtigt, wer
vor der Vorinstanz am Verfahren teilgenommen oder keine Möglichkeit zur
Teilnahme erhalten (lit. a) und ein rechtlich geschütztes Interesse an der
Aufhebung oder Änderung des angefochtenen Entscheids hat (lit. b). Nach lit. b
Ziff. 5 derselben Bestimmung ist zur Erhebung der Beschwerde insbesondere die
Privatklägerschaft legitimiert, wenn der angefochtene Entscheid sich auf die
Beurteilung ihrer Zivilansprüche auswirken kann.

 Als Zivilansprüche im Sinne von Art. 81 Abs. 1 lit. b Ziff. 5 BGG gelten
solche, die ihren Grund im Zivilrecht haben und deshalb ordentlicherweise vor
dem Zivilgericht durchgesetzt werden müssen. In erster Linie handelt es sich um
Ansprüche auf Schadenersatz und Genugtuung nach Art. 41 ff. OR. Nicht in diese
Kategorie gehören Ansprüche, welche sich aus öffentlichem Recht ergeben.
Öffentlich-rechtliche Ansprüche, auch solche aus Staatshaftungsrecht, können
nicht adhäsionsweise im Strafprozess geltend gemacht werden und zählen nicht zu
den Zivilansprüchen im Sinne von Art. 81 Abs. 1 lit. b Ziff. 5 BGG (Urteil
6B_530/2013 vom 13. September 2013, E. 2.1, mit Hinweis auf BGE 133 IV 228 E.
2.3.3 und 128 IV 188 E. 2).

 Gemäss § 75 Abs. 1 der Verfassung des Kantons Aargau vom 25. Juni 1980 (SAR
110.000) haften der Kanton und die Gemeinden für den Schaden, den ihre
Behörden, Beamten und übrigen Mitarbeitenden in Ausübung der amtlichen
Tätigkeit Dritten widerrechtlich verursachen. Die Geschädigten haben insoweit
gegenüber den Mitarbeitenden, die den Schaden verursacht haben, keinen Anspruch
auf Schadenersatz oder Genugtuung (§ 10 Abs. 1 des Haftungsgesetzes des Kantons
Aargau vom 24. März 2009; SAR 150.200). Die von den Beschwerdeführern erhobenen
strafrechtlichen Vorwürfe können sich allenfalls auf ihre
Staatshaftungsansprüche, nicht aber auf Zivilansprüche im Sinne von Art. 81
Abs. 1 lit. b Ziff. 5 BGG auswirken.

3.

 Unbekümmert um die fehlende Legitimation in der Sache selbst können die
Privatkläger die Verletzung von Verfahrensrechten geltend machen. Das nach Art.
81 Abs. 1 lit. b BGG erforderliche rechtlich geschützte Interesse ergibt sich
in diesem Fall aus der Berechtigung, am Verfahren teilzunehmen. Als Parteien
des kantonalen Verfahrens können die Privatkläger die Verletzung jener
Parteirechte rügen, die ihnen nach dem kantonalen Verfahrensrecht, der
Bundesverfassung oder der EMRK zustehen und deren Missachtung eine formelle
Rechtsverweigerung bedeutet. Unzulässig sind allerdings Rügen, deren
Beurteilung von der Prüfung in der Sache nicht getrennt werden kann und die im
Ergebnis auf eine materielle Prüfung des angefochtenen Entscheids hinauslaufen
(BGE 136 IV 41 E. 1.4).

3.1. Die Beschwerdeführer rügen eine Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches
Gehör unter anderem deshalb, weil der ausserordentliche Staatsanwalt es
unterlassen habe, ihnen eine Stellungnahme des Beschwerdegegners 3 vom 17.
Dezember 2012 zur Vernehmlassung zuzustellen, bevor er die Verfügung vom 21.
Januar 2013 erliess (vgl. Beschwerde S. 3-5 Ziff. 5).

 Die Vorinstanz hat sich zur Frage des rechtlichen Gehörs geäussert. Einerseits
liege keine Verletzung vor. Anderseits wäre eine solche gemäss der
bundesgerichtlichen Rechtsprechung als geheilt zu betrachten, weil sie - die
Vorinstanz - über dieselbe Kognition wie der ausserordentliche Staatsanwalt
verfüge und den Beschwerdeführern deshalb aus einer Gehörsverletzung kein
Nachteil erwachsen wäre (Entscheid S. 11-13 E. 2).

 Enthält der angefochtene Entscheid eine Haupt- und eine Eventualbegründung,
die je für sich den Ausgang der Sache besiegeln, müssen für eine Gutheissung
der Beschwerde beide Begründungen das Recht im Sinne von Art. 95 BGG verletzen
(BGE 136 III 536 E. 2.2; 133 IV 119 E. 6).

 Die Beschwerdeführer äussern sich zur Eventualbegründung der Vorinstanz,
wonach eine allfällige Verletzung des rechtlichen Gehörs geheilt wäre, mit
keinem Wort. Folglich genügt die Beschwerde in diesem Punkt den
Begründungsanforderungen von Art. 42 Abs. 2 bzw. Art. 106 Abs. 2 BGG nicht.

 Nachdem auf die Beschwerde in Bezug auf die Eventualbegründung des
angefochtenen Entscheids nicht eingetreten werden kann, muss sich das
Bundesgericht mit der Hauptbegründung nicht befassen.

3.2. Nach Auffassung der Beschwerdeführer hat der ausserordentliche
Staatsanwalt den Grundsatz in dubio pro duriore verletzt, weil er das
Strafverfahren einstellte bzw. nicht an die Hand nahm, obwohl er zunächst
zumindest einen Teil der Vorwürfe zur Anklage bringen wollte (Beschwerde S. 5
Ziff. 6).

 Ob sich eine Anklageerhebung aufgedrängt hätte, könnte nur nach einer
materiellen Prüfung beurteilt werden, die das Bundesgericht nicht vornehmen
darf (vgl. oben E.2). Der Umstand, dass der zuständige Staatsanwalt im Laufe
der von ihm getätigten Ermittlungen seine Meinung änderte und in Bezug auf die
Anklageerhebung zu einem anderen Schluss kam, stellt jedenfalls für sich allein
keine Verletzung des Grundsatzes in dubio pro duriore dar.

3.3. Die Beschwerdeführer machen eine Verletzung der Ausstandsbestimmung von
Art. 56 lit. b StPO geltend. Der ausserordentliche Staatsanwalt habe am 28.
November (recte März) 2011 G.________ als sachverständigen Zeugen unter
ausdrücklichem Hinweis auf die Wahrheitspflicht einvernommen, obwohl dieser
bereits 2009 als Gutachter einen Bericht über die Arbeit der Vollzugsorgane zu
Handen der Aargauer Behörden erstellt habe. Unter diesen Umständen sei es
offensichtlich, dass G.________ in den Ausstand hätte treten müssen (vgl.
Beschwerde S. 5-7 Ziff. 7).

 Ein Ausstandsgrund ist ohne Verzug geltend zu machen, sobald die Partei davon
Kenntnis erhält (Art. 58 Abs. 1 StPO). Dies haben die Beschwerdeführer
unterlassen. Wie dem Protokoll zu entnehmen ist, nahm der Vertreter der
Beschwerdeführer am 28. März 2011 an der Einvernahme von G.________ teil.
Obwohl der ausserordentliche Staatsanwalt einleitend ausdrücklich erläuterte,
dass und aus welchen Gründen er G.________ als sachverständigen Zeugen befragen
werde (S. 1), hatte der Vertreter gegen dieses Vorgehen nichts einzuwenden.
Auch in der von ihm vor Bundesgericht zitierten Eingabe vom 15. August 2012
stellte er nur fest, er gehe davon aus, dass der ausserordentliche Staatsanwalt
bei seiner Beurteilung des Falles nicht auf den Bericht von G.________ aus dem
Jahre 2009 abstelle (Beschwerdebeilage 3 S. 15 Ziff. 10). Dass G.________
überdies in den Ausstand hätte treten müssen und durch den ausserordentlichen
Staatsanwalt nicht als Zeuge hätte einvernommen werden dürfen, machte der
Vertreter in der Eingabe vom 15. August 2012 nicht geltend. Vor Bundesgericht
kann er damit nicht mehr gehört werden, zumal weder dem angefochtenen Entscheid
noch der Eingabe vor Bundesgericht zu entnehmen ist, dass er die Rüge im
kantonalen Beschwerdeverfahren nachträglich noch erhoben hätte.

4.

 Die Beschwerde ist im Verfahren nach Art. 109 BGG abzuweisen, soweit darauf
eingetreten werden kann. Bei diesem Ausgang sind die Gerichtskosten den
Beschwerdeführern je zur Hälfte unter solidarischer Haftung aufzuerlegen (Art.
66 Abs. 1 und 5 BGG). Den Beschwerdegegnern 3-5 ist keine Entschädigung
auszurichten, weil sie vor Bundesgericht keine Umtriebe hatten.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden den Beschwerdeführern je zur Hälfte
unter solidarischer Haftung auferlegt.

3. 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Aargau,
Beschwerdekammer in Strafsachen, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 28. Januar 2014

Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Mathys

Der Gerichtsschreiber: Monn

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