Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.84/2013
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
6B_84/2013

Urteil vom 19. November 2013

Strafrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Mathys, Präsident,
Bundesrichter Schneider,
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari,
Gerichtsschreiberin Arquint Hill.

Verfahrensbeteiligte
X.________, vertreten durch Rechtsanwalt Rainer Cao,
Beschwerdeführerin,

gegen

1.  Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich, Florhofgasse 2, 8001 Zürich,
2. Y.________, vertreten durch Rechtsanwalt Richard
Beschwerdegegner.

Gegenstand
Einstellung/Nichtanhandnahmne (sexuelle Nötigung),

Beschwerde gegen den Beschluss des Obergerichts
des Kantons Zürich, III. Strafkammer, vom 29. November 2012.

Sachverhalt:

A. 
X.________, welche als Prostituierte arbeitete, lernte Y.________ ca. 2007
kennen. Sie unterhielten eine sexuelle Beziehung. Y.________ verhalf X.________
in der Folge zu einer Anstellung bei seiner Arbeitgeberin. Am 27. Mai 2011
wurde X.________ nackt und in verwirrtem Zustand im Treppenhaus eines
Mehrfamilienhauses vorgefunden. Die Polizei rapportierte am 29. Juni 2011 an
die Staatsanwaltschaft wegen Verdachts auf ein Sexualdelikt, "begangen durch
den Chef einer Angestellten, die miteinander eine sexuelle Beziehung führen"
(Hauptdossier). Am 3. Januar und 9. Februar 2012 reichte X.________ der
Staatsanwaltschaft Unterlagen (Korrespondenz, Datenträger, Bildmaterial) ein,
welche belegen sollten, dass Y.________ sie in den Monaten vor dem 27. Mai 2011
zu sexuellen Handlungen genötigt hatte (Nebendossier).

B. 
Die Staatsanwaltschaft I des Kantons Zürich stellte am 13. Juni 2012 das
Strafverfahren gegen Y.________ wegen Verdachts auf ein Sexualdelikt zum
Nachteil von X.________, angeblich begangen am 27. Mai 2011, ein (Hauptdossier)
und nahm die Strafuntersuchung bezüglich des Vorwurfs, Y.________ habe
X.________ vor dem Vorfall vom 27. Mai 2011 während mehrerer Monate sexuell
genötigt, nicht an die Hand (Nebendossier). Die dagegen gerichtete Beschwerde
wies das Obergericht des Kantons Zürich am 29. November 2012 ab.

C. 
Mit Beschwerde in Strafsachen beantragt X.________, der obergerichtliche
Beschluss vom 29. November 2012 sei aufzuheben. Die Strafuntersuchung gegen
Y.________ sei im Hauptdossier fortzuführen und im Nebendossier an die Hand zu
nehmen.

Erwägungen:

1. 
Der vorinstanzliche Beschluss ging der Beschwerdeführerin am 5. Dezember 2012
zu. Die 30-tägige Frist zur Einreichung der Beschwerde endete am 21. Januar
2013 (Art. 45 BGG; Art. 46 Abs. 1 lit. c BGG). Die ergänzende Eingabe der
Beschwerdeführerin vom 22. Februar 2013 ist verspätet und deshalb unbeachtlich.

2.

2.1. Die Beschwerdeführerin rügt eine Verletzung des Grundsatzes "in dubio pro
duriore". Es bestehe der dringende Verdacht, dass sich der Beschwerdegegner der
sexuellen Nötigung oder der Ausnützung einer Notlage schuldig gemacht habe
(Beschwerde, S. 4 ff.).

2.2. Die Frage, ob ein Strafverfahren über eine Nichtanhandnahme oder eine
(definitive) Verfahrenseinstellung durch die Strafverfolgungsbehörde erledigt
werden kann, beurteilt sich nach dem aus dem Legalitätsprinzip abgeleiteten
Grundsatz "in dubio pro duriore" (Art. 5 Abs. 1 BV und Art. 2 Abs. 1 StPO
i.V.m. Art. 319 Abs. 1 und Art. 324 Abs. 1 StPO; BGE 138 IV 86 E. 4.2). Danach
darf eine Nichtanhandnahme oder Einstellung durch die Staatsanwaltschaft
grundsätzlich nur bei klarer Straflosigkeit bzw. offensichtlich fehlenden
Prozessvoraussetzungen angeordnet werden. Bei dieser Beurteilung verfügen die
Staatsanwaltschaft und die Vorinstanz über einen gewissen Ermessensspielraum,
in den das Bundesgericht mit Zurückhaltung eingreift.

2.3.

2.3.1. Eine sexuelle Nötigung gemäss Art. 189 StGB begeht, wer eine Person zur
Duldung einer beischlafsähnlichen oder einer anderen sexuellen Handlung nötigt,
namentlich indem er sie bedroht, Gewalt anwendet, sie unter psychischen Druck
setzt oder zum Widerstand unfähig macht.
Der Tatbestand der sexuellen Nötigung setzt voraus, dass der Täter das Opfer
durch eine Nötigungshandlung dazu bringt, eine sexuelle Handlung zu erdulden
oder vorzunehmen. Das Gesetz umschreibt die Nötigungsmittel nicht abschliessend
(BGE 122 IV 97 E. 2b). Es erwähnt namentlich die Ausübung von Gewalt und von
psychischem Druck sowie das Bedrohen und das Herbeiführen der
Widerstandsunfähigkeit, wobei der zuletzt genannten Variante kaum eigenständige
Bedeutung zukommt (vgl. BGE 131 IV 167 E. 3)

2.3.2. Der Ausnützung einer Notlage nach Art. 193 StGB macht sich schuldig, wer
eine Person veranlasst, eine sexuelle Handlung vorzunehmen oder zu dulden,
indem er eine Notlage oder eine durch ein Arbeitsverhältnis oder eine in
anderer Weise begründete Abhängigkeit ausnützt.
Das Opfer ist abhängig im Sinne des Tatbestandes, wenn es aufgrund eines der im
Gesetz genannten Strukturmerkmale oder aus anderen Gründen nicht ungebunden
bzw. frei und damit auf den Täter angewiesen ist oder zu sein glaubt. Soweit es
um ein Abhängigkeitsverhältnis geht, muss dieses die Entscheidungsfreiheit
wesentlich einschränken. Für die Bestimmung des Ausmasses der Abhängigkeit sind
die konkreten Umstände des Einzelfalles massgebend. Dem Abhängigkeitsverhältnis
liegt in der Regel eine besondere Vertrauensbeziehung und immer ein besonderes
Machtgefälle zugrunde (BGE 131 IV 114 E. 1).

2.4.

2.4.1. Unbestritten ist, dass die Beschwerdeführerin ursprünglich in der
Prostitution tätig war, sie und der Beschwerdegegner eine mehrjährige sexuelle
Beziehung pflegten und der Beschwerdegegner der Beschwerdeführerin zu einer
Anstellung bei seiner Arbeitgeberin verhalf, wo sie ihm hierarchisch
unterstellt war. Ebenfalls unbestritten ist der gemeinsame Kokainkonsum in der
Nacht des 27. Mai 2011. Die Vorinstanz schliesst nach eingehender Prüfung der
Akten- und Beweislage ein Abhängigkeitsverhältnis zu Ungunsten der
Beschwerdeführerin aus und verneint vom Beschwerdegegner ausgehende
Nötigungshandlungen. Diese Beurteilung ist aufgrund der Akten nicht zu
beanstanden. Sie wird durch die Vorbringen der Beschwerdeführerin nicht
erschüttert, die sich darauf beschränkt, ihre bereits im kantonalen Verfahren
vertretenen Standpunkte vor Bundesgericht zu wiederholen, ohne sich hinreichend
mit der vorinstanzlichen Begründung zu befassen (Art. 42 Abs. 2 BGG, Art. 106
Abs. 2 BGG).

2.4.2. Der Umstand, dass der Beschwerdegegner der Beschwerdeführerin eine
Anstellung bei seiner Arbeitgeberin in ihm hierarchisch untergeordneter
Position verschaffte, lässt per se nicht automatisch auf ein
Abhängigkeitsverhältnis schliessen. Die Frage ist anhand der konkreten Umstände
im Einzelfall zu prüfen. Ein ausgeprägtes Machtgefälle ist vorliegend weder
ersichtlich noch dargetan. Die Untersuchungsakten, insbesondere die von der
Beschwerdeführerin eingereichten Unterlagen (Korrespondenz) weisen wohl auf ein
sehr persönliches Verhältnis zwischen der Beschwerdeführerin und dem
Beschwerdegegner hin. Wie die Vorinstanz ausführt, lassen sie jedoch nicht auf
ein Abhängigkeitsverhältnis zuungunsten der Beschwerdeführerin schliessen,
sondern erwecken im Gegenteil eher den Eindruck einer allfälligen Abhängigkeit
des Beschwerdegegners von ihr. Anlässlich ihrer Einvernahme äusserte sich die
Beschwerdeführerin überdies wohlwollend über den Beschwerdegegner und wies auf
die freundschaftliche Beziehung hin. Die Vorinstanz hält diese Darstellung für
authentisch. Unter diesen Umständen konnte sie verneinen, dass die
Beschwerdeführerin vom Beschwerdegegner abhängig war (Entscheid, S. 11 f.).

2.4.3. Ebenso wenig ist erkennbar, dass der Beschwerdegegner die
Beschwerdeführerin in der Nacht des 27. Mai 2011 und in den Monaten zuvor
sexuell nötigte. Die Beschwerdeführerin und der Beschwerdegegner haben ihre
Sexualkontakte und Praktiken, in deren Rahmen sie Sexspielzeug verwendeten,
fotografisch dokumentiert. Dass die festgehaltenen sexuellen Praktiken eine
gewisse Erfahrung voraussetzen, spricht weder für noch gegen eine
Zwangssituation. Unerheblich ist, wem das Sexspielzeug gehörte. Die
dokumentierten sexuellen Praktiken sagen auch nichts darüber aus, zu wessen
Befriedigung sie letztlich dienten. Anhaltspunkte, dass sie gegen den Willen
der Beschwerdeführerin erfolgten und unter Druck stattfanden, ergeben sich
daraus jedenfalls nicht. Nichts Anderes geht aus den Aussagen der
Beschwerdeführerin hervor, welche darauf hinwies, dass die "Spiele"
einvernehmlich erfolgten. Die Vorinstanz schliesst Hinweise auf
Nötigungshandlungen willkür- und rechtsfehlerfrei aus (Entscheid, S. 12 f.).

2.4.4. Auch der Kokainkonsum der Beschwerdeführerin oder das über sie erstellte
psychiatrische Gutachten vom 5. April 2012 vermögen keinen Tatverdacht gegen
den Beschwerdegegner zu begründen. Die Beschwerdeführerin sagte nach der nicht
zu beanstandenden Würdigung der Vorinstanz glaubhaft aus, das Kokain aus
eigenem Interesse und freiwillig zu erwerben (Entscheid, S. 14 f.). Das
psychiatrische Gutachten hat mit den vorliegenden Geschehnissen nichts zu tun.
Es beurteilt in erster Linie die Arbeitsfähigkeit der Beschwerdeführerin (vgl.
Entscheid, S. 13 f.).

2.4.5. Die Vorinstanz hatte vor diesem Hintergrund keine Veranlassung, die
Beschwerdeführerin abermals einzuvernehmen. Sie erwägt im angefochtenen
Entscheid, es seien keine konkreten Anhaltspunkte oder nur schon Anzeichen
ersichtlich, dass die Beschwerdeführerin im Zeitpunkt ihrer Befragung nicht
frei aussagen konnte (Entscheid, S. 9 f.). Soweit jene im bundesgerichtlichen
Verfahren erneut geltend macht, sie sei unbedingt nochmals zu befragen, weil
sie nunmehr ohne Druck und frei aussagen könne, kann ohne weitere Ausführungen
auf die vorinstanzlichen Erwägungen verwiesen werden.

3. 
Die Vorinstanz verletzt kein Bundesrecht, indem sie die Einstellungs- und die
Nichtanhandnahmeverfügung der Staatsanwaltschaft schützte.
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Bei
diesem Verfahrensausgang sind die bundesgerichtlichen Kosten der
Beschwerdeführerin aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BBG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3. 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich, III.
Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 19. November 2013

Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Mathys

Die Gerichtsschreiberin: Arquint Hill

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