Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.758/2013
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
6B_758/2013

Urteil vom 11. November 2013

Strafrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Schneider, präsidierendes Mitglied,
Bundesrichter Denys, Oberholzer,
Gerichtsschreiberin Siegenthaler.

Verfahrensbeteiligte
X.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Sylvain M. Dreifuss,
Beschwerdeführerin,

gegen

Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich, Florhofgasse 2, 8001 Zürich,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Genugtuung,

Beschwerde gegen den Beschluss des Obergerichts des Kantons Zürich, III.
Strafkammer, vom 12. Juli 2013.

Sachverhalt:

A.

 Am 20. Februar 2012 wurde X.________ verhaftet aufgrund des Verdachts, am
Tötungsdelikt zum Nachteil von Y.________ beteiligt gewesen zu sein. Am 8. März
2012 wurde sie aus der Untersuchungshaft entlassen. Mit Verfügung vom 7. März
2013 stellte die Staatsanwaltschaft IV des Kantons Zürich die Strafuntersuchung
gegen X.________ ein und sprach ihr eine Genugtuung von Fr. 5'600.--, hingegen
keine Entschädigung, zu.

 Die Beschwerde von X.________ wies das Obergericht des Kantons Zürich am 12.
Juli 2013 ab, soweit es darauf eintrat.

B.

 Mit Beschwerde in Strafsachen beantragt X.________, es seien ihr eine
Genugtuung von Fr. 8'600.-- sowie eine Entschädigung von Fr. 1'230.--
auszurichten. Eventualiter sei die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz
zurückzuweisen. Die vorinstanzlichen Gerichtskosten und Kosten der amtlichen
Verteidigung seien auch im Falle des Unterliegens vom Staat zu bezahlen.
X.________ ersucht um unentgeltliche Prozessführung und Verbeiständung.

 Das Obergericht und die Staatsanwaltschaft IV des Kantons Zürich verzichten
auf eine Vernehmlassung.

Erwägungen:

1.

1.1. Die Beschwerdeführerin rügt, bei der Berechnung ihrer Genugtuung sei die
Vorinstanz von einem zu niedrigen Grundbetrag ausgegangen. Gemäss
bundesgerichtlicher Rechtsprechung stehe ihr ein minimaler Grundbetrag von
jedenfalls einigen tausend Franken zu. Mit der zusätzlichen Abgeltung von Fr.
200.-- pro Hafttag hingegen sei sie einverstanden.

1.2. Dieser Argumentation kann nicht gefolgt werden.

1.2.1. Zwar hat das Bundesgericht den Grundsatz festgehalten, dass demjenigen,
der zu Unrecht einer schweren Straftat verdächtigt und deshalb ungerechtfertigt
inhaftiert wurde, ein minimaler Grundbetrag von jedenfalls einigen tausend
Franken zusteht, der im Verhältnis zu den mit der erlittenen Haft zusätzlich
verbundenen immateriellen Beeinträchtigungen heraufzusetzen ist (Urteil 6B_574/
2010 vom 31. Januar 2011 E. 2.3 mit Hinweisen). Das bedeutet indes nicht, dass
zuerst ein Grundbetrag von einigen tausend Franken festzulegen ist und überdies
pro Hafttag noch Fr. 200.-- zu entschädigen sind.

 Die zitierte bundesgerichtliche Rechtsprechung ist vielmehr dahingehend zu
verstehen, dass die Genugtuung für eine zu Unrecht einer schweren Straftat
verdächtigten und deshalb inhaftierten Person insgesamt mindestens einige
tausend Franken zu betragen hat.

 Aufgrund der Art und Schwere der Verletzung ist zunächst die Grössenordnung
der in Frage kommenden Genugtuung zu ermitteln. Im Falle einer
ungerechtfertigten Inhaftierung erachtet das Bundesgericht grundsätzlich Fr.
200.-- pro Tag als angemessen, sofern nicht aussergewöhnliche Umstände
vorliegen, die eine höhere oder geringere Entschädigung rechtfertigen. In einem
zweiten Schritt sind ebendiese Besonderheiten des Einzelfalls zu würdigen, wozu
unter anderem die Schwere des Tatverdachts gehört, dem eine Person ausgesetzt
war. Im Falle einer sehr schwerwiegenden Verdächtigung ist die pro Hafttag
auszurichtende Genugtuung entsprechend zu erhöhen, sodass die betroffene Person
in jedem Fall (also selbst wenn sie sich nur wenige Tage in Haft befand) einen
Mindestbetrag von einigen tausend Franken erhält (vgl. zum Ganzen: BGE 113 Ib
155 E. 3b; Urteil 8G.122/2002 vom 9. September 2003 E. 6.1 mit Hinweisen;
Urteil 6B_574/2010 vom 31. Januar 2011 E. 2.3 mit Hinweisen).

1.2.2. Indem die Vorinstanz nach eingehender Prüfung (zutreffend) feststellt,
die Staatsanwaltschaft habe alle für die Bemessung der Genugtuung relevanten
Aspekte berücksichtigt und der Betrag von Fr. 5'600.-- erscheine insgesamt
angemessen, verletzt sie kein Bundesrecht. Dem erläuterten Grundsatz wird mit
dieser Genugtuungssumme Rechnung getragen.

 Entgegen der Behauptung der Beschwerdeführerin geht die Vorinstanz zu Recht
davon aus, dass sich ihre Überprüfungsbefugnis in Bezug auf die Höhe der
Genugtuung auf eine Missbrauchskontrolle beschränkt. Bei der Festsetzung einer
Genugtuungssumme steht dem Sachrichter selbst unter der Geltung des erwähnten
Grundsatzes ein weites Ermessen zu (vgl. Urteil 6B_628/2012 vom 18. Juli 2013
E. 2.3; Urteil 6B_111/2012 vom 15. Mai 2012 E. 4.2). Dass in Ermessensfragen
auch eine Rechtsmittelbehörde, der volle Kognition zusteht, einen
Entscheidungsspielraum der Vorinstanz zu respektieren und nur unangemessene
Entscheidungen zu korrigieren hat, ist anerkannt (BGE 130 II 449 E. 4.1; Urteil
1A.61/2006 vom 11. Dezember 2006 E. 3; je mit Hinweisen; vgl. auch WEHRENBERG/
BERNHARD, in: Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung, 2011, N. 30
zu Art. 429 StPO). Eine Verletzung des Verbots der (formellen)
Rechtsverweigerung (Art. 29 Abs. 1 BV) und eine Verletzung des rechtlichen
Gehörs (Art. 29 Abs. 2 BV) durch die Kognitionsbeschränkung der Vorinstanz
liegen nicht vor.

2.

2.1. Die Beschwerdeführerin verlangt, dass ihr der Aufwand, der ihrem Anwalt im
Zusammenhang mit der Organisation ihrer Beistandschaft entstanden sei und
bisher nicht ersetzt wurde, im Umfang von Fr. 1'230.-- entschädigt werde.

2.2. Ursprünglich wies der Verteidiger der Beschwerdeführerin diese
Aufwendungen als Teil seiner amtlichen Mandatsführung aus, was die
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich nicht akzeptierte. Sie sprach ihm mit
Verfügung vom 21. März 2013 ein entsprechend gekürztes Honorar zu. Dass die
Beschwerdeführerin bzw. ihr Anwalt korrekterweise gegen diese Verfügung hätten
Beschwerde führen müssen, stellt die Vorinstanz zutreffend fest (Art. 135 Abs.
3 lit. a StPO; vgl. Ziffer 4 des vorinstanzlichen Beschlusses). Ihr
Nichteintretensentscheid verletzt kein Bundesrecht.

2.3. Vor Bundesgericht begründet die Beschwerdeführerin ihren Anspruch neu
damit, dass die betreffenden anwaltlichen Aufwendungen in einem unabhängigen
Mandatsverhältnis erfolgt und ihr die entsprechenden Kosten deshalb in Form
einer Entschädigung zu erstatten seien. Diese Argumentation greift nicht. Da
die Beschwerdeführerin bereits über eine anwaltliche Vertretung verfügte, war
die Errichtung einer Beistandschaft nicht nötig, um die angemessene Ausübung
ihrer Verfahrensrechte zu gewährleisten (Art. 429 Abs. 1 lit. a StPO). Auch
entstanden die fraglichen Kosten nicht infolge ihrer notwendigen Beteiligung am
Strafverfahren (Art. 429 Abs. 1 lit. b StPO). Vielmehr ergab sich die
Notwendigkeit einer Beistandschaft - wie schon die Staatsanwaltschaft in ihrer
Vernehmlassung vom 11. April 2013 festhielt - aufgrund der Strafuntersuchung
gegen den Ehemann der Beschwerdeführerin bzw. dessen Inhaftierung. Eine
Entschädigung von Fr. 1'230.-- rechtfertigt sich damit nicht.

3.

3.1. Die Beschwerdeführerin beantragt, die vorinstanzlichen Verfahrenskosten
und Kosten der amtlichen Verteidigung seien auch im Falle ihres Unterliegens
auf die Staatskasse zu nehmen. Sie sei mittellos und bereits vor Vorinstanz
wäre ihr die unentgeltliche Rechtspflege zugesprochen worden, wenn nicht
aufgrund der Zürcher Praxis die Fortsetzung der amtlichen Verteidigung Vorrang
gehabt hätte. Es könne nicht sein, dass sie deswegen nun schlechter dastehe.
Dieser Begründung kann nicht gefolgt werden.

3.2. Dass die Vorinstanz die Kosten des Rechtsmittelverfahrens der
vollumfänglich unterliegenden Beschwerdeführerin auferlegt, ist
bundesrechtskonform (Art. 428 Abs. 1 StPO). An der Pflicht zur Tragung der
Verfahrenskosten hätte auch nichts geändert, wenn der Beschwerdeführerin die
unentgeltliche Rechtspflege zugesprochen worden wäre. Im Gegensatz zur
unentgeltlichen Rechtspflege für die Privatklägerschaft, die auch die Befreiung
von den Verfahrenskosten umfasst (Art. 136 Abs. 2 lit. b StPO), beschränkt sich
jene für die beschuldigte Person auf die Beiordnung einer amtlichen
Verteidigung (Art. 132 Abs. 1 lit. b StPO).

3.3. Bezüglich der Entschädigung für die amtliche Verteidigung führt die
Beschwerdeführerin zutreffend aus, dass sie diese dem Staat nur
zurückzuerstatten hat, wenn es ihre wirtschaftlichen Verhältnisse erlauben
(Art. 135 Abs. 4 StPO). Gemäss Ziffer 3 des vorinstanzlichen Beschlusses vom
12. Juli 2013 werden der Beschwerdeführerin die gesamten Verfahrenskosten
einschliesslich der Entschädigung für die amtliche Verteidigung auferlegt. Der
Vorbehalt gemäss Art. 135 Abs. 4 StPO findet sich weder im Dispositiv noch in
den Erwägungen des angefochtenen Entscheids. Ebenso wenig ist dem Beschluss
aber zu entnehmen, dass sich die Vorinstanz mit den wirtschaftlichen
Verhältnissen der Beschwerdeführerin auseinandersetzte bzw. weshalb sie
gegebenenfalls zum Schluss kam, diese erlaubten die sofortige Rückzahlung des
Anwaltshonorars. Der vorinstanzliche Beschluss erweist sich in dieser Hinsicht
als unzulänglich und nicht nachvollziehbar begründet, weshalb er an die
Vorinstanz zurückzuweisen ist (Art. 112 Abs. 1 lit. b sowie Abs. 3 BGG).

4.

 Die Beschwerde ist teilweise gutzuheissen. Ziffer 3 des Beschlusses vom 12.
Juli 2013 ist aufzuheben und die Sache zur neuen Entscheidung bzw.
nachvollziehbaren Begründung bezüglich der Kosten für die amtliche Verteidigung
an die Vorinstanz zurückzuweisen. Im Übrigen ist die Beschwerde abzuweisen.

 Die Beschwerdeführerin wird im Umfang ihres Unterliegens kostenpflichtig (Art.
66 Abs. 1 BGG). Ihr Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung
ist infolge Aussichtslosigkeit der entsprechenden Rechtsbegehren abzuweisen
(Art. 64 Abs. 1 BGG). Bei der Festsetzung der Gerichtskosten ist der
finanziellen Lage der Beschwerdeführerin Rechnung zu tragen (Art. 65 Abs. 2
BGG).

 Im Umfang ihres teilweisen Obsiegens hat der Kanton Zürich der
Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche Verfahren eine angemessene
Parteientschädigung auszurichten (Art. 68 Abs. 2 BGG). Die Entschädigung ist
praxisgemäss dem Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin zuzusprechen. Das
Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird in diesem Umfang
gegenstandslos.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen. Der Beschluss des Obergerichts des
Kantons Zürich vom 12. Juli 2013 wird hinsichtlich Ziffer 3 aufgehoben und die
Sache zur neuen Beurteilung an die Vorinstanz zurückgewiesen.

 Im Übrigen wird die Beschwerde abgewiesen.

2. 
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird abgewiesen,
soweit es nicht gegenstandslos geworden ist.

3. 
Der Beschwerdeführerin werden Gerichtskosten von Fr. 800.-- auferlegt.

4. 
Der Kanton Zürich hat Rechtsanwalt Sylvain M. Dreifuss für das
bundesgerichtliche Verfahren eine Parteientschädigung von Fr. 1'000.--
auszurichten.

5. 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich, III.
Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 11. November 2013

Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Das präsidierende Mitglied: Schneider

Die Gerichtsschreiberin: Siegenthaler

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