Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.651/2013
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
6B_651/2013

Urteil vom 23. Januar 2014

Strafrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Mathys, Präsident,
Bundesrichter Denys,
nebenamtlicher Bundesrichter Rüedi,
Gerichtsschreiber Moses.

Verfahrensbeteiligte
X.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Mark A. Schwitter,
Beschwerdeführerin,

gegen

1.  Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Aargau,
Frey-Herosé-Strasse 12, Wielandhaus, 5001 Aarau,
2. Y.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Urs Hochstrasser,
Beschwerdegegner.

Gegenstand
Fahrlässige schwere Körperverletzung, Verletzung der Verkehrsregeln, Verletzung
des Grundsatzes in dubio pro reo, Willkür,

Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau, Strafgericht,
2. Kammer, vom 7. Mai 2013.

Sachverhalt:

A.

 Am 30. September 2009, um 06.30 Uhr, ereignete sich auf der
Othmarsingerstrasse in Dottikon ein Verkehrsunfall. Als X.________ mit ihrem
Personenwagen den Motorfahrradlenker Y.________ überholte, bog dieser nach
links in die Abzweigung Griggelacher ein. Es kam zu einer Kollision, bei der
Y.________ auf die Windschutzscheibe des Personenwagens und von dort auf die
Strasse geschleudert wurde, wobei er sich schwer verletzte.

B.

 Der Präsident des Bezirksgerichts Bremgarten sprach X.________ frei. Auf
Berufung von Y.________ hin verurteilte das Obergericht des Kantons Aargau
X.________ wegen fahrlässiger schwerer Körperverletzung zu einer Geldstrafe von
90 Tagessätzen zu Fr. 100.--, bedingt aufgeschoben bei einer Probezeit von 2
Jahren, und zu einer Busse von Fr. 500.--. Die Zivilklage verwies es auf den
Zivilweg.

C.

 X.________ führt Beschwerde in Strafsachen und beantragt, das angefochtene
Urteil sei aufzuheben und sie sei freizusprechen.

Erwägungen:

1.

1.1. Die Beschwerdeführerin rügt eine Verletzung des Anklageprinzips. In der
Anklageschrift seien die schlechten Sichtverhältnisse, welche einen der Gründe
für die unklare und gefahrenträchtige Verkehrssituation bildeten, nicht
genannt. Erwähnt werde ausschliesslich die Fahrweise des Beschwerdegegners 2
gegen die Mitte der Fahrbahn als Anzeichen eines Fehlverhaltens. Weitere
Gründe, weshalb sie nicht hätte überholen dürfen, würden nicht erwähnt. Die
Vorinstanz habe den Sachverhalt in Verletzung von Art. 333 Abs. 4 StPO
erweitert, ohne ihr das rechtliche Gehör zu gewähren. Dies wäre umso mehr
geboten gewesen, als die schlechten Sichtverhältnisse auch in der
Berufungsbegründung des Beschwerdegegners 2 nicht erwähnt worden seien
(Beschwerde S. 12).

1.2. Nach dem Anklageprinzip (Art. 9 StPO) bestimmt die Anklageschrift den
Gegenstand des Gerichtsverfahrens (Umgrenzungsfunktion). Die Anklage hat die
der beschuldigten Person zur Last gelegten Delikte in ihrem Sachverhalt so
präzise zu umschreiben, dass die Vorwürfe in objektiver und subjektiver
Hinsicht genügend konkretisiert sind. Das Gericht ist an den in der Anklage
umschriebenen Sachverhalt gebunden, nicht aber an die darin vorgenommene
rechtliche Würdigung (Art. 350 Abs. 1 StPO). Das Anklageprinzip bezweckt
zugleich den Schutz der Verteidigungsrechte der beschuldigten Person und dient
dem Anspruch auf rechtliches Gehör (Informationsfunktion; BGE 133 IV 235 E. 6.2
f. mit Hinweisen).

1.3. Die Staatsanwaltschaft Muri-Bremgarten legt der Beschwerdeführerin in der
Anklageschrift vom 31. Oktober 2011 zur Last, sie habe am 30. September 2009,
um 06.30 Uhr, auf der Othmarsingerstrasse in Dottikon bei der Abzweigung
Rosenbühlstrasse [recte: Griggelacher] den Beschwerdegegner 2 überholt. Nachdem
dieser mit der Hand angezeigt habe, dass er links abbiegen werde, sei ihr
untersagt gewesen, ihn zu überholen. Infolge des Vertrauensprinzips sei ihr das
Überholmanöver auch ohne das Handzeichen des Beschwerdegegners 2 verboten
gewesen, da aufgrund seiner Fahrweise gegen die Mitte der Fahrbahn zumindest
Anzeichen eines Fehlverhaltens bestanden hätten (vorinstanzliche Akten, act.
234 ff.).

1.4. Die Vorinstanz geht nicht über den in der Anklageschrift formulierten
Anklagevorwurf hinaus. Eine Änderung oder Erweiterung im Sinne von Art. 333
Abs. 4 StPO liegt nicht vor. Die Zeitangabe in der Anklageschrift darf die
Vorinstanz dahingehend konkretisieren, dass die Beschwerdeführerin bei
Dunkelheit unterwegs war, weshalb die Sichtverhältnisse schlecht waren. Die
Vorinstanz nimmt zur Konkretisierung der in der Anklageschrift umschriebenen
Umstände direkt Bezug auf die Aussagen, welche die Beschwerdeführerin vor der
Anklageerhebung machte. Sie erwähnte anlässlich der polizeilichen Einvernahme,
es sei dunkel gewesen und habe keine Strassenbeleuchtung gehabt
(vorinstanzliche Akten, act. 22). Mit Blick auf ihre eigenen Aussagen wusste
die Beschwerdeführerin von Anfang an, was ihr vorgeworfen wird, und konnte sich
folglich gegen das ihr zur Last Gelegte wirksam verteidigen. Die Vorinstanz
verlässt den angeklagten Sachverhalt auch nicht, wenn sie aufgrund der
wahrnehmbaren Fahrweise des Beschwerdegegners 2 und der Abzweigung auf unklare
Verhältnisse und eine gefahrenträchtige Situation schliesst (Urteil S. 16).
Welche normativen Schlussfolgerungen sie daraus zieht und ob Straftatbestände
erfüllt sind, ist eine Rechtsfrage, die losgelöst von der jeweiligen
Darstellung in der Anklageschrift zu beantworten ist. Das Anklageprinzip ist
nicht verletzt.

2.

2.1. Die Beschwerdeführerin rügt eine willkürliche sowie einseitige
Beweiswürdigung und eine Verletzung des Grundsatzes in dubio pro reo. Die
unklare und gefährliche Verkehrssituation sowie deren Erkennbarkeit für die
Beschwerdeführerin seien nicht zweifelsfrei nachgewiesen (Beschwerde S. 7-10).

2.2. Die vorinstanzliche Sachverhaltsfeststellung kann vor Bundesgericht nur
gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer
Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des
Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1
BGG). Offensichtlich unrichtig ist die Sachverhaltsfeststellung, wenn sie
willkürlich ist (BGE 137 III 226 E. 4.2 mit Hinweisen). Dem Grundsatz in dubio
pro reo kommt in seiner Funktion als Beweiswürdigungsregel im Verfahren vor dem
Bundesgericht keine über das Willkürverbot von Art. 9 BV hinausgehende
Bedeutung zu (BGE 127 I 38 E. 2a mit Hinweisen). Willkür bei der
Beweiswürdigung liegt vor, wenn der angefochtene Entscheid offensichtlich
unhaltbar ist oder mit der tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch steht
(BGE 138 I 305 E. 4.3 mit Hinweis). Die Rüge der Willkür muss präzise
vorgebracht und begründet werden (Art. 106 Abs. 2 BGG). Auf eine rein
appellatorische Kritik am angefochtenen Urteil tritt das Bundesgericht nicht
ein (BGE 137 IV 1 E. 4.2.3; 136 II 489 E. 2.8; je mit Hinweisen).

2.3.

2.3.1. Die Vorinstanz würdigt die Aussagen des Beschwerdegegners 2 (Urteil S.
9-10) und der Beschwerdeführerin (Urteil S. 10-11). Diese gab anfänglich an,
der Beschwerdegegner 2 sei eher gegen die Mittellinie hin gefahren. Als sie ihn
habe überholen wollen, sei er plötzlich nach links abgebogen. Ob er die
Richtungsänderung angezeigt habe, habe sie nicht erkennen können. Es sei dunkel
gewesen und habe keine Strassenbeleuchtung gehabt. Davon abweichende spätere
Aussagen der Beschwerdeführerin wertet die Vorinstanz als unglaubhaft.
Die Vorinstanz stellt in dubio pro reo fest, der Beschwerdegegner 2 habe kein
Handzeichen gegeben (Urteil S. 12). Er sei nicht am rechten Strassenrand
sondern in der Mitte der Fahrbahn gefahren und habe nicht korrekt nach links
eingespurt (Urteil S. 14-15). Die Beschwerdeführerin habe wegen der
morgendlichen Dunkelheit davon ausgehen müssen, ein allfälliges Handzeichen vor
dem Überholmanöver nicht erkannt zu haben. Sie habe bloss das Rücklicht des
Motorfahrrads des Beschwerdegegners 2 erkannt. Ob das Motorfahrrad vorne Licht
gehabt oder ob der Beschwerdegegner 2 einen Helm getragen habe, habe sie nicht
sagen können (Urteil S. 15-16).
Die Erwägungen der Vorinstanz sind ohne Weiteres nachvollziehbar. Was die
Beschwerdeführerin dagegen vorbringt, lässt die vorinstanzliche Würdigung nicht
als willkürlich erscheinen.

2.3.2. Die Beschwerdeführerin rügt, die Vorinstanz stelle fest, der
Beschwerdegegner 2 sei dunkel gekleidet gewesen, obwohl in den Akten von einer
hellen Jacke und blauen Stoffhosen die Rede sei (Beschwerde S. 9, 13).
Die Vorinstanz erwähnt, der Beschwerdegegner 2 habe ausgesagt, er habe eine
helle Jacke und blaue Stoffhosen getragen (Urteil S. 9). Die Auskunftsperson
A.________ habe ausgeführt, der Beschwerdegegner 2 sei dunkel gekleidet gewesen
(Urteil S. 11). Unter Hinweis auf eine Broschüre der Beratungsstelle für
Unfallverhütung erwägt die Vorinstanz, gerade dunkel gekleidete Personen würden
bei Dunkelheit von Autolenkern erst aus einer Distanz von 25 Metern
wahrgenommen (Urteil S. 15-16). Diese Erwägung vermag keine Willkür in der
Sachverhaltsfeststellung zu begründen, zumal der Kleidung des Beschwerdegegners
2 bei der Beweiswürdigung keine entscheidende Bedeutung zukommt.

2.3.3. Die Beschwerdeführerin wendet ein, die Vorinstanz habe nicht
berücksichtigt, dass unmittelbar vor dem Unfall ein Personenwagen auf die
Gegenfahrbahn eingespurt sei, weshalb sie beim Überholmanöver überhaupt nicht
weit auf die Gegenfahrbahn habe kommen können. Dies schliesse aus, dass sich
der Beschwerdegegner 2 im Zeitpunkt der Kollision bereits in der Strassenmitte
befunden habe (Beschwerde S. 9). Die Vorinstanz würdigt die Aussagen der
Beschwerdeführerin und qualifiziert diese als widersprüchlich. Die
Beschwerdeführerin legt nicht dar, inwiefern die vorinstanzliche Feststellung,
wonach der Beschwerdegegner 2 sich gegen die Mitte der Fahrbahn bewegte,
willkürlich sein soll (Urteil S. 14).

2.3.4. Die Beschwerdeführerin bringt vor, soweit sich die unklare und
gefahrenträchtige Situation daraus ergeben habe, dass der Beschwerdegegner 2
über keinen Führerausweis für Motorfahrräder verfügt und noch Restalkohol vom
Vorabend im Blut gehabt habe, seien diese Umstände für sie nicht erkennbar
gewesen (Beschwerde S. 10). Die Vorinstanz schliesst nicht aus diesen Umständen
auf eine gefahrenträchtige Situation.

2.4. Die Vorinstanz geht willkürfrei davon aus, es habe eine unklare und
gefährliche Verkehrssituation bestanden, die für die Beschwerdeführerin
erkennbar war. Unbegründet sind die Vorbringen der Beschwerdeführerin, wonach
die Verkehrssituation auch anders hätte sein können (Beschwerde S. 7-8). Dass
eine andere Lösung oder Würdigung ebenfalls vertretbar oder gar zutreffender
erscheint, genügt für die Annahme von Willkür nicht (BGE 138 I 305 E. 4.3 mit
Hinweis).

3.

3.1. Die Beschwerdeführerin macht geltend, die Vorinstanz hätte die Aussagen
von A.________ nicht berücksichtigen dürfen. Sie habe ihm keine
Ergänzungsfragen stellen können. Die Vorinstanz hätte ihn als Zeuge oder
Auskunftsperson nach den einschlägigen Vorschriften zu Protokoll einvernehmen
müssen (Beschwerde S. 13).

3.2. Die Vorinstanz würdigt "sinngemäss protokollierte Aussagen" von A.________
und B.________ (Urteil S. 11). Sie berücksichtigt die "Aussage der
Auskunftsperson A.________", wonach es zu dunkel gewesen sei, um zu erkennen,
ob der Beschwerdegegner 2 die Richtungsänderung angezeigt habe (Urteil S. 15)
sowie die Angabe, er sei dunkel gekleidet gewesen (Urteil S. 11, 15 unten).
Ferner würdigt sie, in welchem Zeitpunkt der hinter der Beschwerdeführerin
fahrende A.________ die Rücklichter des Motorfahrrads gesehen habe (Urteil S.
14).

3.3. Ob die Vorinstanz die Aussagen von A.________ hätte berücksichtigen
dürfen, kann offenbleiben. Die Vorinstanz durfte auch ohne seine Aussage
willkürfrei davon ausgehen, es sei dunkel gewesen, nachdem sowohl die
Beschwerdeführerin als auch der Beschwerdegegner 2 übereinstimmend ausgesagt
hatten, es sei dunkel gewesen. Ohnehin geht die Vorinstanz in dubio pro reo
davon aus, der Beschwerdegegner 2 habe kein Handzeichen gegeben (E. 2.3.1). Der
Kleidung des Beschwerdegegners 2 kommt bei der Beweiswürdigung keine
entscheidende Bedeutung zu (E. 2.3.2). Die Vorinstanz durfte auch ohne die
Aussage von A.________ davon ausgehen, der Beschwerdegegner 2 habe sich gegen
die Mitte der Fahrbahn bewegt (E. 2.3.3).

4.

4.1. Die Beschwerdeführerin macht geltend, die Vorinstanz habe Art. 35 und Art.
26 i.V.m. Art. 39 SVG falsch angewendet. Die Vorinstanz stelle fest, der
Beschwerdegegner 2 habe sein beabsichtigtes Abbiegemanöver nicht angezeigt,
habe nicht korrekt gegen die Strassenmitte eingespurt und es hätten keine
klaren Anzeichen für ein fehlerhaftes Verhalten des Beschwerdegegners 2
bestanden. Er sei damit seinen Pflichten gegenüber den nachfolgenden
Verkehrsteilnehmern im Sinne von Art. 34 Abs. 3 SVG nicht nachgekommen. Sie
habe wegen des Fehlens einer Richtungsanzeige darauf vertrauen dürfen, dass der
Motorfahrradlenker weiterhin geradeaus fährt (Beschwerde S. 10-12).

4.2. Nach dem von der Rechtsprechung aus Art. 26 Abs. 1 SVG abgeleiteten
Vertrauensgrundsatz darf jeder Strassenbenützer darauf vertrauen, dass sich die
anderen Verkehrsteilnehmer ebenfalls ordnungsgemäss verhalten. Auf den
Vertrauensgrundsatz kann sich indes nur berufen, wer sich selbst
verkehrsregelkonform verhält. Wer gegen die Verkehrsregeln verstösst und
dadurch eine unklare oder gefährliche Verkehrslage schafft, kann nicht
erwarten, dass andere diese Gefahr durch erhöhte Vorsicht ausgleichen (BGE 125
IV 83 E. 2b mit Hinweisen). Der Vertrauensgrundsatz wird eingeschränkt durch
Art. 26 Abs. 2 SVG. Danach ist besondere Vorsicht u.a. geboten, wenn bereits
Anzeichen dafür bestehen, dass sich ein Strassenbenützer nicht richtig
verhalten wird oder wenn ein Fehlverhalten eines anderen Verkehrsteilnehmers
auf Grund einer unklaren Verkehrssituation nach der allgemeinen Erfahrung
unmittelbar in die Nähe rückt (BGE 129 IV 282 E. 2.2.1 mit Hinweisen).

4.3. Die Vorinstanz erwägt, der Beschwerdeführerin könne keine Verletzung von
Art. 35 Abs. 5 SVG vorgeworfen werden, weil der Beschwerdegegner 2 kein
Handzeichen gegeben habe. Allerdings sei die wahrnehmbare Fahrweise des
Beschwerdegegners 2 sowohl mit einer Weiterfahrt geradeaus als auch mit einem
allenfalls verkehrsregelwidrigen Linksabbiegen vereinbar gewesen. Die
Beschwerdeführerin habe den Beschwerdegegner 2 auf der Höhe einer Abzweigung
überholt. Es habe Anzeichen eines Einspurens gegeben. Wegen der Dunkelheit habe
sie davon ausgehen müssen, ein allfälliges Handzeichen vor dem Überholmanöver
nicht erkannt zu haben (Urteil S. 12-16).

4.4. Aufgrund der insgesamt unklaren und gefahrenträchtigen Situation durfte
die Beschwerdeführerin nicht annehmen, der Beschwerdegegner 2 werde weiter
geradeaus fahren. Vielmehr hätte sie besondere Vorsicht walten lassen und auf
das Überholen verzichten müssen. Sie hatte keine Gewissheit, dass die
Überholstrecke bis zum Abschluss des Manövers frei bleiben würde. Die
Beschwerdeführerin leitete das Überholmanöver trotz der unübersichtlichen,
unsicheren und gefahrenträchtigen Situation ein. Damit verstiess sie gegen Art.
26 Abs. 2 und 35 Abs. 2 SVG. Die vorinstanzliche Beurteilung verletzt kein
Bundesrecht.

5.

5.1. Die Beschwerdeführerin rügt eine Verletzung von Art. 404 StPO und macht
geltend, sie sei nach Art. 125 Abs. 2 StGB verurteilt worden, obwohl der
Beschwerdegegner 2 in seiner Berufungserklärung eine Verurteilung nach Art. 125
Abs. 2 SVG verlangt habe (Beschwerde S. 14-15). Die Vorinstanz hätte ihr keine
Kosten auferlegen dürfen, da der Beschwerdegegner 2 das erstinstanzliche Urteil
im Kostenpunkt nicht angefochten habe (Beschwerde S. 15-16).

5.2. Der Beschwerdegegner 2 beantragte mit Berufungserklärung vom 15. März
2012, das erstinstanzliche Urteil sei aufzuheben, die Beschwerdeführerin sei
"wegen Verletzung von Art. 35 SVG, Art. 26 SVG, Art. 32 SVG, Art. 34 SVG sowie
SVG Art. 125 Abs. 2 schuldig zu sprechen", die Haftung der Beschwerdeführerin
sei im Grundsatz festzustellen, ihm sei die unentgeltliche Rechtspflege zu
gewähren und allfällige weitere Kosten seien dem Staat aufzuerlegen. Am 13.
April 2012 stellte die Beschwerdeführerin unter anderem den Antrag, auf die
Berufung sei nicht einzutreten, insoweit der Beschwerdegegner 2 beantrage, sie
sei "gemäss Art. 125 SVG schuldig zu sprechen". Nachdem die Verfahrensleitung
das schriftliche Verfahren angeordnet hatte, erneuerte der Beschwerdegegner 2
mit Berufungsbegründung vom 14. September 2012 seine Anträge und präzisierte,
die Beschwerdeführerin sei "wegen Verletzung von Verkehrsregeln gemäss SVG und
gemäss StGB Art. 125 schuldig zu sprechen".

5.3. Gemäss Art. 399 Abs. 3 lit. b StPO ist in der schriftlichen
Berufungserklärung anzugeben, welche Abänderungen des erstinstanzlichen Urteils
verlangt werden. Wer nur Teile des Urteils anficht, hat in der
Berufungserklärung verbindlich anzugeben, auf welche Teile sich die Berufung
beschränkt (Art. 399 Abs. 4 StPO). Art. 399 StPO verpflichtet die Parteien
nicht, in ihrer Berufungserklärung neben allfälligen Beweisanträgen (Abs. 3
lit. c) weitere Begehren zu stellen. Dass der Beschwerdegegner 2 dies trotzdem
getan hat, schadet nicht. Er ist ebenso wenig wie die Vorinstanz an die in der
Berufungserklärung gestellten Anträge gebunden. Diese sind erst nach Abschluss
des Beweisverfahrens zu stellen und zu begründen (Art. 346 Abs. 1 Satz 1 StPO
i.V.m. Art. 379 StPO) und können vorher geändert werden.

5.4. Es ist offensichtlich, dass der Beschwerdegegner 2 mit der
Berufungserklärung vom 15. März 2012 nur versehentlich eine Verurteilung wegen
Art. 125 Abs. 2 SVG beantragte, zumal das SVG bloss 108 Artikel umfasst und
bereits die Staatsanwaltschaft in ihrer Anklageschrift eine Verurteilung wegen
fahrlässiger schwerer Körperverletzung gemäss Art. 125 Abs. 1 und 2 StGB
verlangt hatte (vorinstanzliche Akten, act. 234 ff.). Ohnehin hat er den Fehler
in der Berufungsbegründung vom 14. September 2012 rechtzeitig korrigiert. Indem
er die Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils beantragte, hat er auch die
Kosten- und Entschädigungsregelung angefochten. An seine weitergehenden Anträge
war die Vorinstanz bei der ausgangsgemässen Neuregelung der Kosten- und
Entschädigungsfolgen nicht gebunden (Art. 428 StPO). Die Vorinstanz hat das
erstinstanzliche Urteil nur in den angefochtenen Punkten überprüft. Art. 404
Abs. 1 StPO wurde nicht verletzt. Die Rüge ist unbegründet.

6.

 Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Bei
diesem Ausgang trägt die Beschwerdeführerin die Kosten des bundesgerichtlichen
Verfahrens (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 4'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3. 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Aargau,
Strafgericht, 2. Kammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 23. Januar 2014

Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Mathys

Der Gerichtsschreiber: Moses

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