Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.583/2013
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
6B_583/2013

Urteil vom 20. Dezember 2013

Strafrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Mathys, Präsident,
Bundesrichter Schneider, Denys,
Gerichtsschreiber Held.

Verfahrensbeteiligte
X.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Daniel Bellwald,
Beschwerdeführer,

gegen

1.  Staatsanwaltschaft des Kantons Wallis, Amt der Region Oberwallis,
Kantonsstrasse 6, 3930 Visp,
2. Y.________,
vertreten durch Rechtsanwältin Monique Sieber,
Beschwerdegegner.

Gegenstand
Gefährdung des Lebens, fahrlässige einfache Körperverletzung; Willkür; Bindung
an die Anklage; Genugtuung,

Beschwerde gegen das Urteil des Kantonsgerichts des Kantons Wallis, I.
Strafrechtliche Abteilung, vom 3. Mai 2013.

Sachverhalt:

A.

 Das Kantonsgericht Wallis sprach X.________ am 3. Mai 2013 im
Berufungsverfahren vom Vorwurf der fahrlässigen Körperverletzung zum Nachteil
von Y.________ frei.
Dem Urteil liegt folgender Sachverhalt zu Grunde:
X.________ und Y.________ sind Jäger. Am 19. September 2011 lagen beide in
ihren Ansitzen, die sich in einem Graben zwischen zwei Waldgebieten befinden.
X.________ hatte seinen Ansitz bereits am Vorabend bezogen, während Y.________
seinen bei Tagesanbruch erreichte. Der von X.________ benutzte Ansitz liegt
rund fünf bis sechs Meter in Blick-/Schussrichtung hinter demjenigen von
Y.________ und seitlich leicht links in Richtung Grabenmitte versetzt. Als
einige Stunden später vom rechten Waldrand kommend in einer Entfernung von
50-60 Metern ein Hirsch im Graben erschien, schoss X.________ seitlich links an
dem vor ihm postierten Y.________ vorbei und erlegte den Hirsch. Nach einer
verbalen Auseinandersetzung wegen des Vorfalls, setzte Y.________ die Jagd fort
und schoss zwei Stunden später eine Hirschkuh. Er trug während der Jagd keinen
Gehörschutz.
Am 21. September 2011 suchte Y.________ aufgrund von Ohrenpfeifen den
Hals-Nasen-Ohren-Arzt Dr. Z.________ auf, der ein Knalltrauma sowie einen
Tinnitus diagnostizierte.

B.

 Y.________ führt Beschwerde in Strafsachen mit dem Antrag, das Urteil des
Walliser Kantonsgerichts sei aufzuheben und X.________ wegen Gefährdung des
Lebens und fahrlässiger Körperverletzung zu verurteilen. Eventualiter sei die
Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Ihm sei für das
bundesgerichtliche Verfahren eine angemessene Parteientschädigung zuzusprechen.

Erwägungen:

1.

1.1. Der Beschwerdeführer rügt eine willkürliche Sachverhaltsfeststellung. Die
Vorinstanz habe zu Unrecht eine gesundheitliche Beeinträchtigung durch den
Schuss des Beschwerdegegners verneint. Dieser habe aus einer Entfernung von
sechs Metern nur ein bis eineinhalb Meter an ihm vorbeigeschossen, wodurch er
ein Knalltrauma und einen Tinnitus im linken Ohr erlitten habe. Dass er zwei
Stunden später eine Hirschkuh geschossen habe, unterbreche entgegen der Annahme
der Vorinstanz den Kausalzusammenhang nicht.

1.2. Die Vorinstanz erwägt, die Messungen des Sachverständigen hätten ergeben,
dass die Lärmbelastung des Ohres bei einem Selbstschuss (145.7 db) höher sei
als bei einem Vorbeischuss (144.7/144.3 db), ein erwarteter Schuss aber besser
verkraftet werden könne als ein unerwarteter (E. 4.2.4 S. 9). Demnach sei in
Anwendung des Grundsatzes in dubio pro reo nicht ausgeschlossen, dass der
Beschwerdeführer sich das Knalltrauma beim Erlegen der Hirschkuh zugezogen
habe. Hierfür spreche auch sein Aussageverhalten. Bei der verbalen
Auseinandersetzung mit dem Beschwerdegegner habe er nicht erwähnt, dass sein
"Ohr wie ein Dampfkessel pfeife", und er habe die Jagd nach dem Schuss des
Beschwerdegegners nicht abgebrochen. Von der Beschwerdegegnerin einvernommen
habe er wahrheitswidrig ausgesagt, vor dem Vorbeischuss noch nie einen Vorfall
erlebt zu haben, der zu einem Tinnitus hätte führen können. Im Laufe des
Verfahrens habe sich jedoch ergeben, dass er schon früher Gehörbeschwerden
hatte und wegen eines Tinnitus infolge eines Unfalls beim Militär mit einer
Handgranate in ärztlicher Behandlung war. Dr. med. Z.________ habe aufgrund der
Vorgeschichte seine Beurteilung geändert und ausgeführt, dass die Befunde beim
Beschwerdeführer teilweise nicht typisch für ein Knalltrauma seien.

1.3. Die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz kann vor Bundesgericht nur
gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer
Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des
Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1
BGG). Offensichtlich unrichtig ist die Sachverhaltsfeststellung, wenn sie
willkürlich ist (BGE 137 IV 1 E. 4.2.3). Willkür bei der Beweiswürdigung liegt
vor, wenn der angefochtene Entscheid offensichtlich unhaltbar ist oder mit der
tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch steht. Dass eine andere Lösung
oder Würdigung ebenfalls vertretbar oder gar zutreffender erscheint, genügt für
die Annahme von Willkür nicht (BGE 138 I 305 E. 4.3; 137 I 1 E. 2.4). Die Rüge
der Willkür muss präzise vorgebracht und begründet werden (Art. 106 Abs. 2
BGG). Der Beschwerdeführer hat im Einzelnen darzulegen, inwiefern der
angefochtene Entscheid an einem qualifizierten und offensichtlichen Mangel
leidet. Auf eine rein appellatorische Kritik am angefochtenen Urteil tritt das
Bundesgericht nicht ein (BGE 137 IV 1 E. 4.2.3).

1.4. Die Rügen sind ungeeignet, Willkür darzulegen. Der Beschwerdeführer
beschränkt sich über weite Strecken darauf, die Ereignisse aus seiner Sicht zu
schildern, ohne auf die umfassende Beweiswürdigung der Vorinstanz einzugehen.
Das Bundesgericht ist keine Appellationsinstanz, die eine freie Prüfung in
tatsächlicher Hinsicht vornimmt. Für die Rüge einer willkürlichen
Beweiswürdigung reicht es nicht aus, wenn der Beschwerdeführer zum
Beweisergebnis wie in einem appellatorischen Verfahren frei plädiert und
darlegt, wie seiner Auffassung nach die vorhandenen Beweise richtigerweise zu
würdigen sind.
Die Vorbringen erweisen sich im Übrigen als unbegründet und gehen an der Sache
vorbei. Unzutreffend ist die Behauptung, die Vorinstanz verneine seine
gesundheitliche Beeinträchtigung. Eine solche wird nicht in Frage gestellt. Die
Vorinstanz kommt in Anwendung des Grundsatzes in dubio pro reo jedoch zum
Ergebnis, dass der Schuss des Beschwerdegegners das Knalltrauma nicht
verursachte, da dieses ebenso gut durch den Selbstschuss beim Erlegen der
Hirschkuh verursacht worden sein könnte. Insofern fehlt es bereits an einer
ursächlichen Handlung des Beschwerdegegners für das Knalltrauma. Dass beide
Schüsse für sich alleine oder aber auch gemeinsam das Trauma hätten hervorrufen
können, genügt nicht zum Nachweis von Willkür.

2.
Die Rüge, die Vorinstanz habe Art. 125 Abs. 1 StGB verletzt, ist nicht zu
prüfen, da es nach den willkürfreien Sachverhaltsfeststellungen bereits an
einer Tathandlung des Beschwerdegegners fehlt.

3.

3.1. Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung von Art. 344 StPO und Art. 129
StGB. Er habe im Berufungsverfahren explizit darauf hingewiesen, dass aufgrund
des Anklagesachverhalts der Tatbestand der Gefährdung des Lebens erstellt sei.
Dass die Staatsanwaltschaft sich weigere, diese anzuklagen, hindere die
Vorinstanz nicht, den Anklagesachverhalt rechtlich anders zu würdigen.

3.2. Die Vorinstanz erwägt, die Beschwerdegegnerin sei nicht verpflichtet, die
Anklage zu erweitern. Da sie dies nicht getan habe, sei lediglich zu prüfen, ob
der Beschwerdegegner sich der fahrlässigen Körperverletzung schuldig gemacht
hat. Mangels einer nachgewiesenen Verletzung durch die Schussabgabe des
Beschwerdegegners seien sämtliche Straftatbestände der Körperverletzung nicht
erfüllt.
Im Rahmen der Kostenfestsetzung führt die Vorinstanz aus, laut Sachverständigem
sei es unter Jägern üblich, dass die erste Person vor Ort schiesse bzw. dass
die später eintreffende Person dieser den Vortritt lasse. Es entspreche jedoch
einer waidmännischen Regel, sich in einer solchen Situation zu kontaktieren.
Dies vorausgesetzt, hätte auch der Experte an der Stelle des Beschwerdegegners
geschossen, was eine unmittelbare Gefährdung für das Leben des
Beschwerdeführers ausschliesse. Demnach sei der Tatbestand der Gefährdung des
Lebens nicht gegeben, zumal dem Beschwerdegegner auch kein direkter Vorsatz
vorgeworfen werden könne.

3.3.

3.3.1. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1
BGG). Es ist folglich weder an die in der Beschwerde geltend gemachten
Argumente noch an die Erwägungen der Vorinstanz gebunden. Es kann eine
Beschwerde aus einem anderen als dem angerufenen Grund gutheissen, und es kann
eine Beschwerde mit einer von der Argumentation der Vorinstanz abweichenden
Begründung abweisen (BGE 132 II 257 E. 2.5 S. 262; 130 III 136 E. 1.4 S. 140).

3.3.2. Nach Art. 350 StPO ist das Gericht an den in der Anklage umschriebenen
Sachverhalt, nicht aber an die darin vorgenommene rechtliche Würdigung
gebunden.

3.3.3. Gemäss Art. 129 StGB wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder
Geldstrafe bestraft, wer einen Menschen in skrupelloser Weise in unmittelbare
Lebensgefahr bringt. Objektiv ist eine konkrete, unmittelbare Lebensgefahr
erforderlich. Eine Gefahr bloss für die Gesundheit genügt nicht. Unmittelbar
ist die Gefahr, wenn sich aus dem Verhalten des Täters direkt die
Wahrscheinlichkeit oder nahe Möglichkeit der Todesfolge ergibt. Skrupellos ist
ein in schwerem Grade vorwerfbares, ein rücksichts- oder hemmungsloses
Verhalten. Art. 129 StGB erfordert direkten Vorsatz bezüglich der unmittelbaren
Lebensgefahr. Eventualvorsatz genügt nicht (vgl. BGE 133 IV 1 E. 5.1 S. 8;
6B_54/2013 vom 23. August 2013 E. 3.1).

3.4. Ob die Vorinstanz Art. 344 StPO verletzt, da sie den angeklagten
Lebensvorgang nicht hinsichtlich des Tatbestands der Gefährdung des Lebens
(Art. 129 StPO) prüft, kann vorliegend offen bleiben. Nach den verbindlichen
Sachverhaltsfeststellungen ist eine konkrete Lebensgefahr für den
Beschwerdeführer durch den Schuss zu verneinen. Der Beschwerdegegner erlegte
auf eine Distanz von 50-60 Metern den Hirsch mit einem einzigen Schuss. Um den
nur rund sechs Meter entfernten und seitlich zwei Meter versetzten
Beschwerdeführer zu gefährden, hätte der Beschwerdegegner seine Schussrichtung
erheblich ändern müssen. Auch eine (Selbst-) Gefährdung aufgrund
unvorhergesehener Bewegungen des Beschwerdeführers war nicht gegeben. Dieser
gab in seiner polizeilichen Einvernahme an, den Graben seit seinem Eintreffen
am Ansitz beobachtet und dabei das Gewehr im Anschlag gehalten zu haben, um ein
auftauchendes Tier erlegen zu können. Somit bestehen keinerlei Anhaltspunkte
dafür, dass er seinen Ansitz verlassen wollte, was erforderlich gewesen wäre,
um in die (Nähe der) Schusslinie zu geraten.

4.

 Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Die
Gerichtskosten sind dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG).
Dem Beschwerdegegner 2 ist keine Entschädigung zuzusprechen, da ihm im
bundesgerichtlichen Verfahren keine Kosten erwachsen sind.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 4'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3. 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Kantonsgericht des Kantons Wallis, I.
Strafrechtliche Abteilung, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 20. Dezember 2013

Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Mathys

Der Gerichtsschreiber: Held

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