Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.49/2013
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
6B_49/2013

Urteil vom 29. Juli 2013

Strafrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Mathys, Präsident,
Bundesrichter Denys, Oberholzer,
Gerichtsschreiber Faga.

Verfahrensbeteiligte
X.________,
vertreten durch Rechtsanwalt André Kuhn,
Beschwerdeführer,

gegen

1.  Staatsanwaltschaft Zürich-Sihl, Postfach, 8026 Zürich,
2. Y.________,
Beschwerdegegnerinnen.

Gegenstand
Fahrlässige Körperverletzung, einfache Verletzung der Verkehrsregeln; Willkür,
rechtliches Gehör etc.,

Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich, I.
Strafkammer, vom 1. November 2012.

Sachverhalt:

A.

 Y.________ fuhr am 17. August 2011 mit dem Fahrrad auf dem Fahrradstreifen der
Birmensdorferstrasse in Zürich stadtauswärts. X.________ wird vorgeworfen, er
habe kurz vor ihr unvermittelt den Radstreifen betreten und die Strasse
überquert. Um eine Kollision zu verhindern, habe Y.________ eine Vollbremsung
eingeleitet. Sie stürzte und zog sich verschiedene (nicht schwere) Verletzungen
zu. X.________ wird zudem vorgeworfen, sich nicht um die Verunfallte gekümmert,
sondern sich zügigen Schrittes von der Unfallstelle entfernt zu haben.

B.

 Das Obergericht des Kantons Zürich verurteilte X.________ am 1. November 2012
zweitinstanzlich der fahrlässigen einfachen Körperverletzung sowie der
einfachen Verletzung der Verkehrsregeln. Es bestrafte ihn mit einer bedingten
Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu Fr. 30.-- bei einer Probezeit von zwei Jahren
sowie mit einer Busse von Fr. 500.--. Zudem verpflichtete es ihn, Y.________
eine Genugtuung von Fr. 500.-- zu bezahlen.

C.

 X.________ führt Beschwerde in Strafsachen. Er beantragt, das Urteil des
Obergerichts des Kantons Zürich sei aufzuheben, und er sei von Schuld und
Strafe freizusprechen. Eventualiter sei die Sache zur Neubeurteilung an die
Vorinstanz zurückzuweisen. Zudem ersucht er um Gewährung der unentgeltlichen
Rechtspflege und der amtlichen Verteidigung sowie um Erteilung der
aufschiebenden Wirkung.

Erwägungen:

1.

 Der Beschwerdeführer wirft der Vorinstanz eine willkürliche Beweiswürdigung
(Art. 9 BV) sowie die Verletzung der Unschuldsvermutung (Art. 32 Abs. 1 BV,
Art. 6 Ziff. 2 EMRK und Art. 10 StPO), des rechtlichen Gehörs (Art. 29 Abs. 2
BV) und des Untersuchungsgrundsatzes (Art. 6 StPO) vor (Beschwerde S. 5 ff.).

1.1. Die vorinstanzliche Sachverhaltsfeststellung kann nur gerügt werden, wenn
sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von
Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des
Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG; vgl. auch Art. 105 Abs.
1 und 2 BGG). Offensichtlich unrichtig im Sinne von Art. 97 Abs. 1 BGG ist die
Sachverhaltsfeststellung, wenn sie willkürlich ist (BGE 137 III 226 E. 4.2 S.
234 mit Hinweisen; vgl. zum Begriff der Willkür BGE 138 I 49 E. 7.1 S. 51; 136
III 552 E. 4.2 S. 560; je mit Hinweisen).

 Inwiefern das Sachgericht den Grundsatz "in dubio pro reo" als
Beweiswürdigungsregel verletzt hat, prüft das Bundesgericht ebenfalls unter dem
Gesichtspunkt der Willkür. Diese aus der Unschuldsvermutung abgeleitete Maxime
wurde wiederholt dargelegt, worauf zu verweisen ist (BGE 127 I 38 E. 2a S. 41
mit Hinweisen).

 Wird die Verletzung von Grundrechten (einschliesslich der willkürlichen
Anwendung von kantonalem Recht und Willkür bei der Sachverhaltsfeststellung)
gerügt, gelten qualifizierte Anforderungen an die Begründung. Eine solche Rüge
prüft das Bundesgericht nicht von Amtes wegen, sondern nur, wenn sie in der
Beschwerde vorgebracht und substanziiert begründet worden ist. Das bedeutet,
dass klar und detailliert anhand der Erwägungen des angefochtenen Entscheids
darzulegen ist, inwiefern verfassungsmässige Rechte verletzt worden sein sollen
(Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 138 I 225 E. 3.2 S. 228; 137 IV 1 E. 4.2.3 S. 5; 136
I 65 E. 1.3.1 S. 68; je mit Hinweisen).

1.2. Unbestritten ist, dass Y.________ (nachfolgend: Beschwerdegegnerin) mit
ihrem Fahrrad stürzte und sich dabei verletzte. Die Vorinstanz wirft dem
Beschwerdeführer vor, die Birmensdorferstrasse unaufmerksam betreten und
deshalb die Vollbremsung der Fahrradfahrerin nötig gemacht und den Unfall
verursacht zu haben. Jener will die Strasse noch vor der Unfallstelle auf der
Höhe eines asiatischen Lebensmittelgeschäfts überquert haben.

1.2.1. Die Vorinstanz würdigt insbesondere die Aussagen der Beschwerdegegnerin
anlässlich der einen Tag nach dem Unfall durchgeführten polizeilichen
Einvernahme und der staatsanwaltschaftlichen Befragung vom 22. Februar 2012.
Sie schätzt deren Sachverhaltsschilderungen als konstant, schlüssig und deshalb
als glaubhaft ein. Gestützt darauf stellt sie fest, dass der Beschwerdeführer
auf dem Gehweg der Birmensdorferstrasse in die gleiche Richtung wie die
Beschwerdegegnerin ging. Etwa auf der Höhe einer Einfahrt zu einem Parking
respektive kurz vorher hat er, ohne sich umzusehen, den Radstreifen betreten,
um die Strasse zu überqueren. Die Beschwerdegegnerin, welche nicht mehr
ausweichen konnte, bremste stark ab und kam dadurch zu Fall. Während der
Beschwerdeführer sich von der Unfallstelle entfernte, rief die
Beschwerdegegnerin ihm nach, stieg wieder auf ihr Fahrrad und fuhr ihm in die
nächste Querstrasse (Weststrasse) hinterher. Die Vorinstanz schliesst eine
Verwechslung des Unfallverursachers durch die Beschwerdegegnerin aus. Weiter
würdigt sie die Darstellung des Beschwerdeführers, nicht entlang der
Birmensdorferstrasse spaziert zu sein, sondern aus einem asiatischen Geschäft
kommend die Strasse direkt überquert zu haben, als nicht überzeugend. Sie zeigt
verschiedene Ungereimtheiten in dessen Sachverhaltsvariante auf und wertet
seine zahlreichen Versuche, die Beschwerdegegnerin in ein schlechtes Licht zu
stellen (beispielsweise mit der Unterstellung, die Beschwerdegegnerin könne
nicht Fahrrad fahren und sei nicht normal; er habe überlegt, ob es um einen
Versicherungsbetrug gehen könnte etc.), als deutliche Lügensignale. Ebenso
trägt sie dem Umstand Rechnung, dass der Beschwerdeführer sich vom Ort des
Geschehens entfernte, obwohl die Beschwerdegegnerin ihm nachrief und nachfuhr
(vgl. angefochtenes Urteil S. 6 ff.).

1.2.2. Der Beschwerdeführer setzt sich mit der vorinstanzlichen Beweiswürdigung
nicht auseinander. Während die Vorinstanz gestützt auf die Aussagen der
Beschwerdegegnerin (die den Unfallverursacher bereits aus einer gewissen
Entfernung auf dem Gehsteig der Birmensdorferstrasse erblickte, vor ihm
abbremste und ihm unmittelbar nach dem Unfall nachrief und hinterherfuhr) etwa
ausdrücklich eine Verwechslung ausschliesst, führt der Beschwerdeführer an, es
hätten sich mehrere Personen in der Nähe des Unfallortes befunden. Die
Vorinstanz lasse unberücksichtigt, dass jemand anders in den Unfall habe
verwickelt sein können und sich die Beschwerdegegnerin in Bezug auf den
Unfallverursacher geirrt haben könnte (Beschwerde S. 10). Dass die fragliche
Strasse wochentags kurz vor 17 Uhr befahren und belebt ist, ist notorisch. Das
Vorbringen des Beschwerdeführers bringt zu Tage, dass er sich auf die
Erwägungen im angefochtenen Entscheid nicht einlässt. Seine Argumentation
stellt eine Verwechslung als blosse Möglichkeit in den Raum. Dass aber eine
andere Lösung oder Würdigung auch vertretbar erscheint oder gar vorzuziehen
wäre, genügt praxisgemäss für die Begründung von Willkür nicht (BGE 138 I 49 E.
7.1 S. 51; 136 III 552 E. 4.2 S. 560; je mit Hinweisen). Der Beschwerdeführer
macht weiter geltend, es sei durchaus nachvollziehbar, dass er nicht entlang
der Birmensdorferstrasse spaziert sei. Er habe auf der Höhe des asiatischen
Geschäfts die Strasse überquert, um gegenüber in einem anderen Geschäft eine
Statue anzuschauen. Damit wiederholt er lediglich die im kantonalen Verfahren
vorgetragenen Tatsachenbehauptungen, ohne jedoch im Einzelnen darzutun,
inwiefern die Beweismittel von der Vorinstanz willkürlich gewürdigt worden
seien. Dies wäre jedoch am Beschwerdeführer gelegen, und er hätte alsdann
substanziiert aufzeigen müssen, inwiefern die vorhandenen Beweise andere
Schlussfolgerungen geradezu aufgedrängt hätten und die Beweiswürdigung der
Vorinstanz (auch) im Ergebnis offensichtlich unhaltbar sei. Seine Ausführungen
sind nicht geeignet, Willkür respektive eine Verletzung der Unschuldsvermutung
darzutun, und genügen den Begründungsanforderungen gemäss Art. 106 Abs. 2 BGG
nicht. Darauf ist nicht einzutreten.

1.3. Soweit der Beschwerdeführer geltend macht, die Vorinstanz habe in
Verletzung seines rechtlichen Gehörs die Einvernahme einer Zeugin unterlassen,
ist seine Rüge unbegründet. Der in Art. 29 Abs. 2 BV garantierte Anspruch auf
rechtliches Gehör räumt dem Betroffenen das persönlichkeitsbezogene
Mitwirkungsrecht ein, erhebliche Beweise beizubringen, mit solchen
Beweisanträgen gehört zu werden und an der Erhebung wesentlicher Beweise
mitzuwirken. Dem Mitwirkungsrecht entspricht die Pflicht der Behörden, die
Argumente und Verfahrensanträge der Parteien entgegenzunehmen und zu prüfen,
sowie die ihr rechtzeitig und formrichtig angebotenen Beweismittel abzunehmen (
BGE 138 V 125 E. 2.1 S. 127; 137 II 266 E. 3.2 S. 270; 136 I 265 E. 3.2 S. 272;
je mit Hinweisen). Das hindert aber den Richter nicht, einen Beweisantrag
abzulehnen, wenn er in willkürfreier Würdigung der bereits abgenommenen Beweise
zur Überzeugung gelangt, der rechtlich erhebliche Sachverhalt sei genügend
abgeklärt, und er überdies in willkürfreier antizipierter Würdigung der
zusätzlich beantragten Beweise annehmen kann, seine Überzeugung werde auch
durch diese nicht mehr geändert (BGE 136 I 229 E. 5.3 S. 236 f. mit Hinweisen).

 Die Vorinstanz setzt sich eingehend mit den Aussagen beider Parteien
auseinander. Sie beurteilt die Schilderungen der Beschwerdegegnerin als
glaubhaft und entkräftet die Sachverhaltsversion des Beschwerdeführers als
nicht überzeugend. Diese Beweiswürdigung ist ohne Weiteres vertretbar und die
gegen sie gerichtete Kritik appellatorisch (E. 1.2.2 hievor). Der
Beschwerdeführer vermag deshalb mit der angerufenen Zeugeneinvernahme die
vorinstanzliche antizipierte Beweiswürdigung nicht zu erschüttern. Zudem durfte
bei der Vorinstanz Skepsis erregen, dass der Beschwerdeführer erstmals vor
Vorinstanz näher darlegte, weshalb die von ihm angerufene Zeugin aus dem
Geschäft heraus das Überqueren der Birmensdorferstrasse beobachtet haben
sollte. Die Annahme, der Beschwerdeführer habe sich die behaupteten
Beobachtungen der Zeugin im Hinblick auf die Berufungsverhandlung
zurechtgelegt, ist nicht schlechthin unhaltbar. Noch anlässlich der Einvernahme
durch die Polizei hatte der Beschwerdeführer lediglich behauptet, die Zeugin
könne bestätigen, dass er im asiatischen Geschäft Visitenkarten geholt habe
(während er im Übrigen anlässlich der staatsanwaltschaftlichen Einvernahme zu
Protokoll gab, ohne Erfolg nach einer Visitenkarte gefragt zu haben). Vor
diesem Hintergrund durfte die Vorinstanz den als glaubhaft beurteilten Aussagen
der Beschwerdegegnerin einen grösseren Beweiswert einräumen und als erstellt
ansehen, dass der Beschwerdeführer die Birmensdorferstrasse nicht bereits auf
der Höhe des asiatischen Geschäfts überquert hatte. Mithin konnte die
Vorinstanz aufgrund dieses Beweisergebnisses ohne Willkür in antizipierter
Beweiswürdigung auf die beantragte Zeugeneinvernahme verzichten. Der Schluss,
es seien hievon keine neuen sachrelevanten Erkenntnisse zu erwarten, ist nicht
unhaltbar. Der angefochtene Entscheid ist deshalb verfassungs- und
konventionsrechtlich nicht zu beanstanden. Ebenso wenig verletzt die Vorinstanz
Bundesrecht im Sinne von Art. 6 und Art. 139 StPO. Die Beschwerde ist, soweit
sie überhaupt den Begründungsanforderungen genügt (Art. 42 Abs. 2 und Art. 106
Abs. 2 BGG), unbegründet.

2.

 Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Der
Beschwerdeführer wird ausgangsgemäss kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 1 BGG). Er
ersucht um unentgeltliche Rechtspflege und stellt ein Gesuch um amtliche
Verteidigung. Dieses ist als Ersuchen um Gewährung der unentgeltlichen
Verbeiständung entgegenzunehmen. Das Gesuch ist abzuweisen, da die Beschwerde
von vornherein aussichtslos war (Art. 64 Abs. 1 BGG e contrario). Seinen
angespannten finanziellen Verhältnissen ist mit reduzierten Gerichtskosten
Rechnung zu tragen (Art. 65 Abs. 2 BGG).

 Mit dem Entscheid in der Sache wird das Gesuch um aufschiebende Wirkung
gegenstandslos.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird abgewiesen.

3.
Die Gerichtskosten von Fr. 800.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich, I.
Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 29. Juli 2013

Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Mathys

Der Gerichtsschreiber: Faga

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