Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.485/2013
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
6B_485/2013

Urteil vom 22. Juli 2013

Strafrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Mathys, Präsident,
Bundesrichter Schneider, Oberholzer,
Gerichtsschreiberin Andres.

Verfahrensbeteiligte
X.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Pascal Baumgardt,
Beschwerdeführerin,

gegen

Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen, Schützengasse 1, 9001 St. Gallen,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Grobe Verletzung von Verkehrsregeln,

Beschwerde gegen den Entscheid des Kantonsgerichts St. Gallen, Strafkammer, vom
6. März 2013.

Sachverhalt:

A.

 X.________ überschritt am 28. Oktober 2011 mit ihrem Personenwagen in Andwil
die allgemein gültige Höchstgeschwindigkeit innerorts um 33 km/h.

B.

 Die Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen, Untersuchungsamt Gossau,
verurteilte X.________ mit Strafbefehl vom 4. Januar 2012 wegen grober
Verletzung der Verkehrsregeln zu einer bedingten Geldstrafe von 14 Tagessätzen
zu Fr. 120.-- sowie einer Busse von Fr. 700.-- u nd auferlegte ihr die
Verfahrenskosten.

 Dagegen erhob X.________ Einsprache und beantragte, das Verfahren wegen grober
Verkehrsregelverletzung sei einzustellen, und ihr sei eine Ordnungsbusse von
Fr. 40.-- wegen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um 3 km/h
ausserorts aufzuerlegen.

 Die Staatsanwaltschaft hielt am Strafbefehl fest und überwies die Akten dem
erstinstanzlichen Gericht.

C.

 Das Kreisgericht St. Gallen büsste X.________ am 18. Juli 2012 wegen einfacher
Verkehrsregelverletzung mit Fr. 800.--, auferlegte ihr die hälftigen
Verfahrenskosten und sprach ihr eine Parteientschädigung von Fr. 4'140.70 zu.

 Auf Berufung der Staatsanwaltschaft bestätigte das Kantonsgericht St. Gallen
am 6. März 2013 den Schuldspruch und setzte die Busse auf Fr. 1'200.-- fest. Es
auferlegte X.________ die gesamten Kosten des Vorverfahrens und des
erstinstanzlichen Gerichtsverfahrens sowie ein Drittel der Kosten des
Berufungsverfahrens. Es sprach ihr eine Parteientschädigung von Fr. 2'005.50
für das Berufungsverfahren zu, verweigerte ihr jedoch eine solche für das
Verfahren vor erster Instanz.

 Das Kantonsgericht hält für erwiesen, dass X.________ auf die bis zum 8. April
2008 geltende Höchstgeschwindigkeit von 70 km/h vertraute. Bis 2007/2008 habe
sie die Strecke viermal täglich zurückgelegt. Am 28. Oktober 2011 habe sie
diese erstmals nach der Signalisationsänderung befahren und nicht bemerkt, dass
das Schild mit der (vormals) signalisierten Höchstgeschwindigkeit von 70 km/h
gefehlt habe. Zudem würden die Streckenverhältnisse Ausserortscharakter
aufweisen. Die Umstände sprächen gegen ein rücksichtsloses und bedenkenloses
Verhalten (Urteil S. 5 ff.).

D.

 X.________ führt Beschwerde in Strafsachen und beantragt, der angefochtene
Entscheid sei teilweise aufzuheben, und sie sei zu einer Busse von Fr. 800.--
zu verurteilen. Der Kanton St. Gallen sei zu verpflichten, ihr eine
Parteientschädigung für das Einsprache- und das erstinstanzliche
Gerichtsverfahren von Fr. 8'281.40 und eine solche von Fr. 3'008.25 für das
Berufungsverfahren zu bezahlen. Ihr seien einzig die Gebühren des Strafbefehls
von Fr. 250.-- aufzuerlegen. Die übrigen Kosten seien vom Kanton St. Gallen zu
tragen.

Erwägungen:

1.

 Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen die Strafzumessung. Sie treffe nur
ein leichtes Verschulden, weshalb die um 50 % erhöhte Busse unbegründet sei und
Art. 47 StGB und Ziffer 303.1 lit. c Anhang 1 der Ordnungsbussenverordnung
(OBV; SR 741.031) verletze. Die Vorinstanz verstosse gegen das
Verschlechterungsverbot (Art. 391 Abs. 2 der Schweizerischen
Strafprozessordnung [StPO; SR 312.0]), da die Staatsanwaltschaft lediglich eine
Busse von Fr. 700.-- gefordert habe.

 Die Vorinstanz führt aus, die Beschwerdeführerin habe die
Höchstgeschwindigkeit effektiv um 33 km/h und nach ihren Vorstellungen um 13 km
/h überschritten. Die Pflichtverletzung sei nicht mehr geringfügig und zudem
mit einem Mindestmass an Aufmerksamkeit vermeidbar gewesen. Der
Beschwerdeführerin sei zumindest ein nicht mehr leichtes Verschulden
anzulasten. Aufgrund ihres Einkommens von Fr. 5'200.-- erscheine eine Busse von
Fr. 1'200.-- ihrem Verschulden angemessen (Urteil S. 7 f.).

 Soweit die Beschwerdeführerin einwendet, sie habe die zulässige
Höchstgeschwindigkeit nur um 3 km/h überschritten, widerspricht sie dem
verbindlichen Sachverhalt, was unzulässig ist (Art. 105 Abs. 1 BGG).

 Die vorinstanzliche Strafe hält sich im Rahmen des sachrichterlichen
Ermessens ( vgl. BGE 136 IV 55 E. 5.6 S. 61 mit Hinweisen ). Der Einwand der
Beschwerdeführerin, die Vorinstanz habe den erstinstanzlichen Schuldspruch
bestätigt und damit auch deren Feststellungen zum subjektiven Tatbestand und
der Schuldfrage übernommen, geht fehl. Aufgrund der vollen Kognition ersetzen
die vorinstanzlichen Erwägungen jene des Kreisgerichts St. Gallen (Art. 398
Abs. 2 StPO).

 Da die Staatsanwaltschaft Berufung erhoben und eine Verurteilung wegen grober
Verkehrsregelverletzung sowie eine strengere Bestrafung der Beschwerdeführerin
beantragt hatte, war die Vorinstanz nicht an das Verschlechterungsverbot
gebunden (Art. 391 Abs. 1 und 2 StPO). Im Übrigen geht die Vorinstanz nicht
über den Antrag der Staatsanwaltschaft hinaus, da diese eine Geldstrafe und
eine (Verbindungs-) Busse gefordert hatte.

2.

 Die Beschwerdeführerin rügt, sie sei zwar verurteilt worden, jedoch mit ihren
Anträgen im Einspracheverfahren vollumfänglich durchgedrungen. Sie habe sich
gegen den Vorwurf der groben Verkehrsregelverletzung gewehrt und eine
Verurteilung wegen bloss einfacher Verkehrsregelverletzung beantragt. Ihr seien
demnach ausschliesslich die Verfahrenskosten des Strafbefehls von Fr. 250.--
aufzuerlegen. Die weiteren Kosten habe die Anklagebehörde verursacht, weshalb
der Staat sie nach dem Verursacherprinzip zu tragen habe. In (allenfalls
analoger) Anwendung des Erfolgsprinzips (Art. 428 StPO) habe der Staat alle
Kosten der privaten Verteidigung zu übernehmen. Indem die Vorinstanz ihr die
gesamten Verfahrenskosten auferlege und eine Parteientschädigung verweigere,
obwohl sie im Vorverfahren und erstinstanzlichen Gerichtsverfahren obsiegt
habe, werde sie zusätzlich bestraft. Dies verletze das Recht auf ein faires
Verfahren und das Legalitätsprinzip (Art. 1 StGB, Art. 5 Abs. 1, Art. 29 Abs. 1
BV, Art. 6 Ziff. 1 und 2 sowie Art. 7 Ziff. 1 EMRK).

2.1. Die beantragte Kostenverteilung und Entschädigung für das Vorverfahren und
das erstinstanzliche Gerichtsverfahren setzen einen Anspruch der
Beschwerdeführerin voraus, dass ihr Strafverfahren durch einen Strafbefehl
erledigt wird. Verneint man diesen Anspruch, kann der Staatsanwaltschaft nicht
vorgeworfen werden, sie habe durch den Erlass eines "falschen" Strafbefehls
zusätzliche Kosten verursacht. Die Frage ist umstritten, kann jedoch
offenbleiben (vgl. zum Ganzen Urteil 6B_367/2012 vom 21. Dezember 2012 E. 3.
mit Hinweisen).

 Denn ein Strafbefehl kann nur erlassen werden, wenn die beschuldigte Person im
Vorverfahren den Sachverhalt eingestanden hat oder dieser anderweitig
ausreichend geklärt ist (Art. 352 Abs. 1 StPO).

2.2. Die Beschwerdeführerin anerkannte anlässlich ihrer polizeilichen
Einvernahme, die zulässige Geschwindigkeit von 50 km/h um 33 km/h überschritten
zu haben. Zur Begründung führte sie an, sie habe einen Arzttermin gehabt und
sei wahrscheinlich abwesend gewesen. Auch habe die Sonne sie geblendet (Akten
Untersuchungsamt, act. 4). Gestützt darauf erliess die Staatsanwaltschaft den
Strafbefehl. In ihrer Eingabe vom 24. Februar 2012 machte die
Beschwerdeführerin geltend, das Signal "Ende der Höchstgeschwindigkeit 50
generell" befinde sich viel zu weit dorfauswärts Richtung Gossau und sei nicht
gesetzeskonform und unverbindlich. Die Geschwindigkeitsmessstelle habe sich auf
einem Strassenabschnitt mit Ausserortscharakter befunden, weshalb sie darauf
habe vertrauen können, dass die Höchstgeschwindigkeit 80 km/h betrage. Als sie
die betreffende Stelle noch mehrmals täglich gefahren sei, habe sich das
besagte Signal weiter dorfeinwärts befunden. Bis ins Jahr 2010 habe die
zulässige Höchstgeschwindigkeit bei der Geschwindigkeitsmessstelle 80 km/h
betragen. Sie habe sich über den Sachverhalt getäuscht, weshalb dieser in
subjektiver Hinsicht nicht erfüllt sei (a.a.O., act. 17). Anlässlich ihrer
staatsanwaltschaftlichen Einvernahme gab die Beschwerdeführerin an, sie sei
nicht abgelenkt gewesen, habe die neue Signalisation nicht gesehen, und es sei
alles wie früher gewesen (a.a.O., act. 27).

2.3. Angesichts der verfügbaren Beweismittel war der von der Beschwerdeführerin
behauptete Sachverhalt nicht klar. Insbesondere in subjektiver Hinsicht war von
einer umstrittenen Beweislage auszugehen. Streitig war weiter, ob früher eine
Geschwindigkeit von 70 km/h oder 80 km/h zulässig war. Dies ergibt sich nicht
zuletzt daraus, dass die Beschwerdeführerin im Vorverfahren beantragte, ihr sei
eine Ordnungsbusse von Fr. 40.-- wegen Überschreitens der zulässigen
Höchstgeschwindigkeit um 3 km/h ausserorts aufzuerlegen. Die Vorinstanz
erachtete jedoch als erstellt, dass sie nach ihren Vorstellungen die zulässige
Höchstgeschwindigkeit um 13 km/h überschritten hatte (Urteil S. 7 f.). Bei
dieser Sachlage hatte die Beschwerdeführerin keinen Anspruch darauf, dass das
Strafverfahren mit einem (zweiten) Strafbefehl erledigt wurde. Der
Staatsanwaltschaft kann nicht vorgeworfen werden, dass sie das Verfahren zur
gerichtlichen Beurteilung an das Kreisgericht überwies.

 Die Anklagebehörde hat die Verfahrens- und Verteidigungskosten des
Vorverfahrens und des erstinstanzlichen Verfahrens nicht (unnötig) verursacht
(vgl. auch Art. 426 Abs. 3 lit. a StPO). Die Bestimmungen des
Rechtsmittelverfahrens (Art. 428 Abs. 1 und Art. 436 Abs. 2 StPO), wonach die
Parteien die Kosten nach Massgabe ihres Obsiegens oder Unterliegens tragen,
sind nicht analog heranzuziehen (vgl. Urteile 6B_574/2012 vom 28. Mai 2013 E.
2.4.3 und 6B_671/2012 vom 11. April 2013 E. 1.2). Die Vorinstanz hat die
erstinstanzlichen Verfahrenskosten inkl. die Kosten der Anklagebehörde zu Recht
gemäss Art. 426 Abs. 1 StPO der Beschwerdeführerin auferlegt. Die Kostenauflage
gestützt auf diese Bestimmung schliesst in der Regel eine Entschädigung aus (
BGE 137 IV 352 E. 2.4.2 S. 357 mit Hinweisen). Weil die Voraussetzungen von
Art. 429 Abs. 1 StPO nicht erfüllt sind, durfte die Vorinstanz der
Beschwerdeführerin eine Parteientschädigung für das Vorverfahren und das
erstinstanzliche Verfahren verweigern. Folglich ist die Rüge unbegründet, die
Kostenauflage stelle eine verkappte Strafe dar, die mangels gesetzlicher
Grundlage das Legalitätsprinzip verletze (vgl. BGE 138 IV 13 E. 4.1 S. 19 f.).

2.4. Die Rüge, das Gebot des fairen Verfahrens sei verletzt, ist nicht genügend
substanziiert. D arauf ist nicht einzutreten (Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 137 IV 1
E. 4.2.3 S. 5 mit Hinweis).

3.

 Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen die Kostenverlegung des
Berufungsverfahrens. Sie begründet die Rüge einzig mit der Gutheissung ihrer
Beschwerde bezüglich der Kosten- und Entschädigungsfrage im Vorverfahren und
erstinstanzlichen Verfahren. Da sie mit diesen Begehren nicht durchdringt, ist
auf die Rüge nicht einzutreten.

4.

 Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann.

 Bei diesem Verfahrensausgang sind die bundesgerichtlichen Kosten der
Beschwerdeführerin aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 4'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Kantonsgericht St. Gallen, Strafkammer,
schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 22. Juli 2013

Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Mathys

Die Gerichtsschreiberin: Andres

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