Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.432/2013
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
6B_432/2013

Urteil vom 12. Dezember 2013

Strafrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Mathys, Präsident,
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari,
Bundesrichter Oberholzer,
Gerichtsschreiber Faga.

Verfahrensbeteiligte
X.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Franz Hollinger,
Beschwerdeführer,

gegen

Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Aargau,
Frey-Herosé-Strasse 12, Wielandhaus, 5001 Aarau,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Verletzung der Verkehrsregeln,

Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts des Kantons Aargau,
Strafgericht, 3. Kammer, vom 19. März 2013.

Sachverhalt:

A.

 Am 20. März 2009 fuhr X.________ mit einem Personenwagen von A.________
herkommend in Richtung B.________. Beim Kreuzen eines entgegenkommenden
Fahrzeugs kam es auf der geraden und vier Meter breiten Strasse zur
Streifkollision. X.________ wird vorgeworfen, die Geschwindigkeit nicht
angepasst und sich unberechtigterweise von der Unfallstelle entfernt zu haben.

B.

 Die Staatsanwaltschaft Brugg-Zurzach sprach X.________ mit Strafbefehl vom 7.
Dezember 2011 der einfachen Verletzung der Verkehrsregeln (Nichtanpassen der
Geschwindigkeit an die konkreten Umstände sowie bei Anzeichen unrichtigen
Verhaltens eines anderen Verkehrsteilnehmers) und des pflichtwidrigen
Verhaltens bei Unfall schuldig. Sie bestrafte ihn mit einer Busse von Fr.
300.--. Gegen diesen Strafbefehl erhob X.________ Einsprache.

 Das Gerichtspräsidium Brugg verurteilte und bestrafte X.________ am 24.
Februar 2012 im Sinne des Strafbefehls.

 Auf Berufung von X.________ erkannte ihn das Obergericht des Kantons Aargau am
19. März 2013 der einfachen Verletzung der Verkehrsregeln (fahrlässiges
Nichtanpassen der Geschwindigkeit beim Kreuzen) und des pflichtwidrigen
Verhaltens bei Unfall schuldig. Es bestätigte die ausgefällte Busse.

C.

 X.________ führt Beschwerde in Strafsachen. Er beantragt, das Urteil des
Obergerichts des Kantons Aargau sei aufzuheben, und er sei vom Vorwurf der
einfachen Verletzung der Verkehrsregeln freizusprechen. Die Sache sei zur
Festsetzung der Busse wegen pflichtwidrigen Verhaltens bei Unfall an die
Vorinstanz zurückzuweisen.

Erwägungen:

1.

1.1. Der Beschwerdeführer bringt vor, ihm könne beim Kreuzen des anderen
Fahrzeugs kein pflichtwidriges Verhalten zur Last gelegt werden. Er sei
verpflichtet gewesen, sich ganz an den rechten Strassenrand zu halten, was er
getan habe. Ein Ausweichen nach rechts über den Strassenrand werde in der
Anklage nicht verlangt und wäre gefährlich gewesen. Ebenso wenig könne ihm
vorgeworfen werden, nicht abgebremst zu haben. Falls das entgegenkommende
Fahrzeug weiter auf seine (des Beschwerdeführers) Fahrbahn geraten wäre, hätte
ein Abbremsen erst recht zu einer Frontalkollision geführt. Ein Beschleunigen
hätte in diesem Fall die Kollision verhindert. Da der Spurverlauf des
entgegenkommenden Fahrzeugs unbekannt sei, sei unklar, welches die beste
Reaktion gewesen wäre (Beschwerde S. 4 ff.).

1.2. Die Geschwindigkeit ist stets den Umständen anzupassen, namentlich den
Besonderheiten von Fahrzeug und Ladung, sowie den Strassen-, Verkehrs- und
Sichtverhältnissen (Art. 32 Abs. 1 SVG). Hinsichtlich der Anpassung der
Geschwindigkeit an die Sichtverhältnisse darf der Fahrzeuglenker nach Art. 4
Abs. 1 der Verkehrsregelnverordnung vom 13. November 1962 (VRV; SR 741.11) nur
so schnell fahren, dass er innerhalb der überblickbaren Strecke halten kann. Wo
das Kreuzen schwierig ist, muss er auf halbe Sichtweite halten können. Dieses
Gebot soll den Gegenverkehr schützen (Peter König, in: Strassenverkehrsrecht,
42. Aufl. 2013, N. 16 zu § 3 StVO).

 Welche Geschwindigkeit jeweils als angemessen zu gelten hat, ist eine
Rechtsfrage, die das Bundesgericht frei überprüfen kann. Indes hängt deren
Beantwortung weitgehend von der Würdigung der örtlichen Verhältnisse ab, die
der kantonale Richter im Allgemeinen aus eigener Wahrnehmung kennt. Diesem muss
ein gewisses Ermessen eingeräumt werden, weil die Angemessenheit einer
Fahrweise sich naturgemäss nicht genau feststellen, sondern bloss abschätzen
lässt. Das Bundesgericht weicht von der Ansicht der kantonalen Instanzen über
die Zulässigkeit oder Unzulässigkeit einer Geschwindigkeit nur ab, wenn es sich
aufdrängt (BGE 99 IV 227 E. 2 S. 229 mit Hinweisen).

1.3.

1.3.1. Für die Sicherheit im Strassenverkehr ist von grundlegender Bedeutung,
dass die Verkehrsteilnehmer ihre Geschwindigkeit den Umständen anpassen. Die
Nebenstrasse, die der Beschwerdeführer befuhr, war mit einer Breite von vier
Metern schmal. Eine Sicherheits- oder Leitlinie, welche die Fahrbahnmitte
gekennzeichnet hätte, war nicht vorhanden (vorinstanzliche Akten pag. 10 und
11). Nach den erstinstanzlichen Sachverhaltsfeststellungen, auf welche die
Vorinstanz verweist, fuhren beide Personenwagen mit ihrer linken Seite im
Bereich der Strassenmitte aufeinander zu. Ihre Geschwindigkeit betrug zur Zeit
der Streifkollision je etwa 50 bis 60 km/h. Für das Kreuzen stand im optimalen
Fall (bei einer Wagenbreite von je ca. 1.7 - 1.8 Metern und wenn beide
Fahrzeuge sich ganz an den rechten Fahrbahnrand gehalten hätten) ein Freiraum
von 40 bis 60 cm zur Verfügung.

 Als der Beschwerdeführer das entgegenkommende Fahrzeug wahrnahm, wäre er in
der Lage gewesen, auf halbe Sichtweite anzuhalten. Daraus vermag er mit den
Vorinstanzen nichts für sich abzuleiten (Entscheid S. 7 und erstinstanzliches
Urteil S. 10), selbst wenn er den Sichtverhältnissen im Sinne von Art. 4 Abs. 1
VRV genügend Rechnung trug (E. 1.3.3 nachfolgend). Der Beschwerdeführer hat
weder abgebremst, noch ist er vom Gaspedal gegangen, als er das herannahende
Fahrzeug erblickte, welches sich mit der linken Seite im Bereich der
Strassenmitte hielt. Eine an die Verkehrsverhältnisse angepasste
Geschwindigkeit gebietet allgemein, langsam zu fahren, wo es die
Verkehrssicherheit erfordert. Die vom Beschwerdeführer gewählte,
gleichbleibende Geschwindigkeit war entgegen seinem Vorbringen nicht den
Umständen angepasst. Nebst der Tatsache, dass die fragliche Nebenstrasse ein
Kreuzen selbst unter optimalen Bedingungen (Personenfahrzeuge, die sich
möglichst an den rechten Strassenrand halten) nur erschwert zulässt, erscheint
die vom Beschwerdeführer beibehaltene Geschwindigkeit vor allem mit Blick auf
die Fahrweise des entgegenkommenden Autos als nicht adäquat. Wer bei
Gegenverkehr nicht genügend freien Raum hat, muss verlangsamen. Der
Beschwerdeführer hätte mithin seine Geschwindigkeit der erkennbaren
Gefahrensituation anpassen müssen. Dadurch hätten die Beteiligten nach den
zutreffenden Erwägungen der Vorinstanz mehr Zeit zu reagieren und auszuweichen
gehabt. Das Kreuzen hätte dadurch mit einem geringeren Unfallrisiko ausgeführt
werden können, und bei einer Kollision wäre die Aufprallgeschwindigkeit
verringert gewesen. Der Beschwerdeführer stellt sich demgegenüber unter anderem
auf den Standpunkt, ein Abbremsen hätte erst recht zu einer Frontalkollision
führen müssen, "falls er [der entgegenkommende Personenwagen] weiter auf die
Fahrbahnhälfte des Beschwerdeführers abgedriftet wäre". Eine solche Fahrweise
respektive unklare Verkehrslage oder Anzeichen dafür stellt die Vorinstanz
nicht fest. Sie hätte aber entgegen dem Dafürhalten des Beschwerdeführers auf
der nur vier Meter breiten Strasse zweifelsohne kein Beschleunigen geboten.

1.3.2. Nicht relevant ist und offenbleiben durfte, ob die Streifkollision hätte
vermieden werden können. Art. 90 SVG stellt die Verletzung der Verkehrsregeln
unter Strafe. aArt. 90 Ziff. 1 SVG (die Strafbestimmungen des SVG wurden per 1.
Januar 2013 vom Gesetzgeber im Rahmen des Handlungsprogramms des Bundes für
mehr Sicherheit im Strassenverkehr ["Via sicura"] verschärft, wobei die
bisherigen Bestimmungen in Ziffer 1 und 2 keine Änderungen erfuhren) ist ein
abstraktes Gefährdungsdelikt (vgl. dazu BGE 138 IV 258 E. 3.1.2 S. 265 mit
Hinweisen). Die Verletzung von Verkehrsregeln des SVG und der
Vollziehungsvorschriften ist als solche, um der Verkehrssicherheit willen,
unter Strafe gestellt, ohne Rücksicht darauf, ob sie zu einem Unfall führt und
ob es auch unter anderen Umständen zu einem solchen gekommen wäre (BGE 92 IV 33
E. 1 S. 35; Urteil 6B_491/2011 vom 3. November 2011 E. 2.3).

1.3.3. Die Vorinstanz qualifiziert die Fahrweise des Beschwerdeführers als
einfache Verletzung der Verkehrsregeln im Sinne von "[a]Art. 90 Ziff. 1 SVG in
Verbindung mit Art. 32 Abs. 1 SVG in Verbindung mit Art. 4 Abs. 1 VRV". Dazu
ist festzuhalten, dass der Beschwerdeführer in der Lage war, auf halbe Sicht
anzuhalten. Diese erstinstanzlichen Feststellungen zu Gunsten des
Beschwerdeführers waren im Berufungsverfahren grundsätzlich verbindlich (Art.
398 Abs. 4 StPO) und blieben unangefochten. Die Vorinstanz bezeichnet sie
ausdrücklich als zutreffend (Entscheid S. 6 und erstinstanzliches Urteil S.
10). Lässt sie, soweit erkennbar, dieselbe Frage an anderer Stelle offen
(Entscheid S. 7), ist von einem Versehen auszugehen. Wenn aber der
Beschwerdeführer mit einer Geschwindigkeit fuhr, die ihm ein Anhalten auf halbe
Sicht ermöglichte, so ist der vorinstanzliche Verweis auf Art. 4 Abs. 1 VRV
unrichtig (Entscheid S. 8 und 10). Der Beschwerdeführer hat seine
Geschwindigkeit gleichwohl nicht den Umständen angepasst (E. 1.3.1 hievor).
Deshalb hat die Vorinstanz im Ergebnis Art. 32 Abs. 1 SVG bundesrechtskonform
angewendet und zu Recht eine sorgfaltswidrige Fahrweise angenommen. Der
Beschwerdeführer ist durch den Hinweis auf Art. 4 Abs. 1 VRV nicht beschwert,
weshalb es sich nicht rechtfertigt, die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen.

1.4. Die Vorinstanz bejaht nebst einer Verletzung von Art. 32 Abs. 1 SVG auch
eine mangelnde Vorsicht des Beschwerdeführers im Sinne von Art. 26 Abs. 2 SVG.
Jene Bestimmung gehe als lex specialis Art. 26 Abs. 2 SVG vor (Entscheid S. 8).
Die Vorinstanz stützt ihren Schuldspruch deshalb einzig auf Art. 32 Abs. 1 SVG.
Damit gebricht es aber am notwendigen Rechtsschutzinteresse, die (abstrakte)
Rechtsfrage nach der Anwendung von Art. 26 Abs. 2 SVG und, mit Blick auf das
Verschlechterungsverbot, dessen Verhältnis zu Art. 32 Abs. 1 SVG zu beantworten
(vgl. zu Art. 26 SVG als Subsidiärnorm BGE 94 IV 140 E. 1 S. 141 mit Hinweisen
und zum Verschlechterungsverbot Urteil 6B_712/2012 vom 26. September 2013 E.
2.5, zur Publikation vorgesehen).

2.

 Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Der
Beschwerdeführer wird ausgangsgemäss kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3. 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Aargau,
Strafgericht, 3. Kammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 12. Dezember 2013

Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Mathys

Der Gerichtsschreiber: Faga

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