Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.426/2013
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
6B_426/2013

Urteil vom 18. Dezember 2013

Strafrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Mathys, Präsident,
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari,
Bundesrichter Oberholzer,
Gerichtsschreiber Briw.

Verfahrensbeteiligte
X.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Thomas Fingerhuth,
Beschwerdeführer,

gegen

Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich, Florhofgasse 2, 8001 Zürich,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Widerhandlungen gegen das Tierschutz- und Tierseuchengesetz, Verletzung des
Anklagegrundsatzes, Willkür,

Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich, II.
Strafkammer, vom 22. März 2013.

Sachverhalt:

A. 
Das Statthalteramt des Bezirkes Winterthur warf X.________ vor, er habe
insgesamt 26 verschiedene Unterlassungs- bzw. Vernachlässigungstatbestände
verwirklicht, durch welche er seinen Verpflichtungen als Rindviehhhalter nicht
genügend nachgekommen sei. X.________ bestritt sämtliche Vorwürfe.

Das Statthalteramt erkannte ihn mit Strafbefehl vom 3. Mai 2011 der mehrfachen
Widerhandlungen gegen das Tierseuchengesetz (TSG; SR 916.40) und das
Tierschutzgesetz (TSchG; SR 455) sowie der Widerhandlung gegen das kantonale
Planungs- und Baugesetz und das Heilmittelgesetz (HMG; SR 812.21) schuldig und
bestrafte ihn mit einer Busse von Fr. 2'500.--.

Das Bezirksgericht Winterthur sprach ihn am 25. November 2011 vom Vorwurf der
fahrlässigen Tierquälerei und der Widerhandlung gegen das kantonale Planungs-
und Baugesetz frei. Im Übrigen bestätigte es den Schuldspruch des
Statthalteramts.

B. 
Das Obergericht des Kantons Zürich stellte am 22. März 2013 auf Berufungen von
X.________ und des Kantonalen Veterinäramts die Rechtskraft des
bezirksgerichtlichen Freispruchs von der Widerhandlung gegen das kantonale
Planungs- und Baugesetz fest.

Es verurteilte X.________ wegen

- mehrfacher vorsätzlicher Widerhandlung gegen Art. 47 Abs. 1 und Art. 48 Abs.
1 TSG,
- mehrfacher fahrlässiger Widerhandlung gegen Art. 47 Abs. 1 und 2 sowie Art.
48 Abs. 1 und 2 TSG,
- mehrfacher vorsätzlicher Widerhandlung gegen Art. 28 Abs. 1 lit. a TSchG,
- fahrlässiger Widerhandlung gegen Art. 26 Abs. 1 lit. a und Abs. 2 TSchG sowie
- fahrlässiger Widerhandlung gegen Art. 87 Abs. 1 lit. d und Abs. 3 HMG.

zu einer Busse von Fr. 3'000.--.

C. 
X.________ erhebt Beschwerde in Strafsachen mit dem Antrag, das
obergerichtliche Urteil aufzuheben und die Sache zu neuer Entscheidung an die
Vorinstanz zurückzuweisen.

Erwägungen:

1. 
Der Beschwerdeführer macht geltend, der Strafbefehl vom 3. Mai 2011 genüge den
gesetzlichen Anforderungen an den Inhalt einer Anklageschrift gemäss Art. 325
StPO offensichtlich nicht.

Die Sache wurde zunächst im Strafbefehlsverfahren beurteilt (vgl. Urteil 6B_152
/2013 vom 27. Mai 2013 E. 3). Der Beschwerdeführer erhob gegen den Strafbefehl
Einsprache (Art. 354 Abs. 1 lit. a StPO). Nach durchgeführter Untersuchung
hielt das Statthalteramt am Strafbefehl fest und überwies die Akten an das
Bezirksgericht Winterthur. In diesem Fall gilt der Strafbefehl als
Anklageschrift (Art. 356 Abs. 1 StPO). Das erstinstanzliche Gericht entscheidet
"über die Gültigkeit des Strafbefehls" (Art. 356 Abs. 2 StPO). Falls
erforderlich, weist es die Anklage zur Ergänzung oder Berichtigung zurück (Art.
329 Abs. 2 StPO).

Die Vorwürfe bilden ausschliesslich (Urteil S. 7) Übertretungen (Art. 398 Abs.
4 StPO). Das Berufungsgericht überprüft das erstinstanzliche Urteil nur in den
angefochtenen Punkten (Art. 404 Abs. 1 StPO). Es kann zugunsten der
beschuldigten Person auch nicht angefochtene Punkte überprüfen, um
gesetzwidrige oder unbillige Entscheidungen zu verhindern (Art. 404 Abs. 2
StPO). Es hat nicht nach Rechtsfehlern zu suchen oder sich mit Rechtsfragen
auseinanderzusetzen, die sich ihm nicht stellen (vgl. Urteil 6B_99/2012 vom 14.
November 2012 E. 5.2).

Die beschuldigte Person muss die Einsprache nicht begründen (Art. 354 Abs. 2
StPO). Das Bezirksgericht führte eine mündliche Hauptverhandlung durch und
befragte den Beschwerdeführer zu jedem einzelnen der 26 Vorwürfe (kantonale
Akten, act. 29/1). Er war somit über die Anklage in jeder Hinsicht
vollumfänglich in Kenntnis gesetzt. Im Berufungsverfahren wurde er
rechtsanwaltlich vertreten (act. 33). Der Beschwerdeführer erhob weder vor dem
Bezirksgericht noch der Vorinstanz Einwände gegen die Anklageschrift.

Neue rechtliche Vorbringen werden vom Novenverbot (Art. 99 BGG) zwar nicht
erfasst. Es widerspricht aber dem Grundsatz von Treu und Glauben, vor
Bundesgericht verfahrensrechtliche Einwendungen vorzubringen, die in einem
früheren Verfahrensstadium hätten geltend gemacht werden können (Urteile 6B_676
/2011 vom 7. Februar 2012 E. 1.2, 6B_350/2011 vom 22. Dezember 2011 E. 1.2,
6B_1075/2010 vom 26. April 2011 E. 3). Solche Rügen sind verspätet. Auf die
geltend gemachte Verletzung von Art. 325 StPO ist mangels Erschöpfung des
Instanzenzugs (Art. 80 Abs. 1 BGG) nicht einzutreten.

2. 
Der Beschwerdeführer bringt vor, die Vorinstanz hätte den sachverständigen
Zeugen Dr. A.________ zu Nutzen und Schaden von Impfungen befragen müssen, und
beruft sich auf aussergesetzliche Rechtfertigungsgründe. Er habe im Verfahren
geltend gemacht, dass er über viel Erfahrung verfüge, da er seit über acht
Jahren hätte impfen müssen. Er selber und weitere Bauern hätten Impfschäden
erlitten. Es sei "quasi um Leben und Tod seiner Tiere" gegangen.

Wie die Vorinstanz zutreffend ausführt, scheitert ein "notstandsähnliches
Widerstandsrecht" bereits daran, dass das Verhalten des Beschwerdeführers nicht
die Reaktion auf offensichtlich rechtswidrige Amtshandlungen war (vgl. BGE 98
IV 41 E. 4b S. 45 und 103 IV 73 E. 6b). Trotz der behaupteten Impfproblematik
liegen keine derart ausserordentlichen Umstände im Sinne eines
Rechtfertigungsgrundes der "Wahrnehmung berechtigter Interessen" vor. Die
gesetzgeberische Interessenabwägung ist massgebend. Schäden sind grundsätzlich
haftungsrechtlich zu beurteilen. Die strafrechtliche Praxis anerkennt neben den
gesetzlich erlaubten Handlungen wie insbesondere Notwehr und Notstand (Art. 14
ff. StGB) nur sehr zurückhaltend so genannte "über- oder aussergesetzliche"
Rechtfertigungsgründe (vgl. BGE 129 IV 6 E. 3.3). Der Betroffene hat die vom
Gesetzgeber einkalkulierten Folgen einer gesetzlichen Regelung bzw. der
Anwendung des Gesetzes grundsätzlich hinzunehmen (Urteil 6B_397/2010 vom 26.
Oktober 2010 E. 5.2 zur Weigerung, Rinder und Schafe gegen die
Blauzungenkrankheit zu impfen). Bundesgesetze sind für das Bundesgericht
verbindlich (Art. 190 BV).

Die Ablehnung der Zeugeneinvernahme in antizipierter Beweiswürdigung (BGE 134 I
140 E. 5.3) ist nicht zu beanstanden.

3. 
Soweit der Beschwerdeführer zum Tatvorwurf 18 eine Verletzung des
Anklagegrundsatzes geltend macht, ist darauf aus den erwähnten Gründen (oben E.
1) nicht einzutreten. Die Vorinstanz begründet (hier abweichend vom
Bezirksgericht) den Schuldspruch wegen fahrlässiger Widerhandlung gegen das
Tierschutzgesetz (fahrlässige Tierquälerei) im Sinne von Art. 26 Abs. 1 lit. a
und Abs. 2 TSchG i.V.m. insbesondere Art. 5 Abs. 2 TSchV eingehend (Urteil S.
28-34).

Der Beschwerdeführer bestreitet die vorinstanzliche Feststellung nicht, dass am
11. Februar 2010 anlässlich einer Kontrolle des Veterinäramtes auf seinem
Heimbetrieb in einem mit insgesamt zwölf Tieren belegten Stall ein
festliegendes Rind vorgefunden wurde, das in einem derart schlechten physischen
Zustand war, dass es sogleich euthanasiert werden musste (Urteil S. 29). Die
Vorinstanz hält unter Hinweis auf eine Aussage des Beschwerdeführers fest,
diesem seien aufgrund eines Vorfalls im Jahre 2008 (1,5-jähriger Stier) die
Symptome, der Krankheitsverlauf und die Unheilbarkeit der Paratuberkulose
bestens bekannt gewesen (Urteil S. 32). Der Beschwerdeführer wendet unter
Hinweis auf das bezirksgerichtliche Urteil S. 34 ein, seine Aussage betreffe
nicht diesen Stier. Er habe nicht auf den Verdacht einer Paratuberkulose kommen
können.

Der erwähnte Stier, der drei Tage im Tierspital war, musste eingeschläfert
werden. Im darauffolgenden Jahr hatte der Beschwerdeführer "wieder einen Stier
in diesem Zustand". Der Durchfall habe gestoppt werden können, und der Stier
habe wieder zugelegt. "Das Rind, um welches es vorliegend gehe, habe im Winter
die gleichen Symptome wie der Stier, den sie durchgebracht hätten, aufgezeigt;
(...) Deshalb habe er erneut zur Homöopathie gegriffen. Er habe sicher nicht
wieder das Tierspital oder einen Tierarzt gefragt. Er habe dann gemerkt, dass
das Tier nicht darauf anspreche." Er hätte das Tier erschossen. Doch die
Polizei sei ihm zuvorgekommen (bezirksgerichtliches Urteil S. 34).

Der Beschwerdeführer hatte somit Erfahrung mit der Krankheit. Er erkannte, dass
das Rind schwer erkrankt war und auf seine Behandlung nicht ansprach. Es wird
ihm nicht vorgeworfen, dass er als Nichtfachmann (Veterinärmediziner) die
korrekte Diagnose nicht zu stellen vermochte, sondern trotz einschlägiger
Erfahrungen auf den augenscheinlich besorgniserregenden Zustand des Rindes
nicht reagierte. Der Willkürvorwurf ist unbegründet.

Der Tierhalter ist dafür verantwortlich, dass kranke Tiere unverzüglich ihrem
Zustand entsprechend untergebracht, gepflegt und behandelt oder getötet werden
(Art. 5 Abs. 2 der Tierschutzverordnung [TSchV; SR 455.1]). Angesichts des
"desolaten Zustands" des Rindes (tierärztlicher Bericht, Urteil S. 30) kann
sich der Beschwerdeführer nicht auf den Standpunkt stellen, er "habe sicher
nicht wieder das Tierspital oder den Tierarzt gefragt". Die Vorinstanz erkennt
nicht auf vorsätzliche Tierquälerei. Zumindest den Fahrlässigkeitsvorwurf (Art.
26 Abs. 2 TSchG) muss sich der Beschwerdeführer zurechnen lassen. Er beachtete
die Vorsicht nicht, zu der er nach den Umständen und nach seinen persönlichen
Verhältnissen verpflichtet war (Art. 12 Abs. 3 StGB).

4. 
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Dem
unterliegenden Beschwerdeführer sind die Kosten vor Bundesgericht aufzuerlegen
(Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 4'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3. 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich, II.
Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 18. Dezember 2013

Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Mathys

Der Gerichtsschreiber: Briw

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