Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.38/2013
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
6B_38/2013

Urteil vom 8. Juli 2013

Strafrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Mathys, Präsident,
Bundesrichter Schneider,
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari,
Gerichtsschreiber Held.

Verfahrensbeteiligte
X.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Marcel Bühler,
Beschwerdeführer,

gegen

Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Vorsätzliches Fahren in fahrunfähigem Zustand mit einer qualifizierten
Blutalkoholkonzentration im Sinne von Art. 91 Abs. 1 Satz 2 SVG; Willkür;
bedingter Strafvollzug,

Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich, I.
Strafkammer, vom 6. November 2012.

Sachverhalt:

A.
X.________ befuhr am 9. Oktober 2011 um ca. 5.00 Uhr mit seinem Personenwagen
Mercedes-Benz Vito die Flughofstrasse in Kloten. Beim Hinausfahren aus dem
Kreisverkehr Flughof-/Werftstrasse kollidierte er frontal mit einem am
Strassenrand stehenden Verkehrszeichen. Es entstand erheblicher Sachschaden am
Schild und Personenwagen. X.________ entfernte sich, ohne den Unfall zu melden.
Eine am selben Tag durchgeführte Blutanalyse ergab für den Zeitpunkt der
Unfallfahrt eine Blutalkoholkonzentration zwischen 2.63 und 3.48
Gewichtspromille.

B.
Das Bezirksgericht Bülach sprach X.________ am 5. Juni 2012 schuldig des
vorsätzlichen Fahrens in fahrunfähigem Zustand mit einer qualifizierten
Blutalkoholkonzentration, der Vereitelung von Massnahmen zur Feststellung der
Fahrunfähigkeit, des vorsätzlichen pflichtwidrigen Verhaltens bei einem Unfall
sowie des Nichtbeherrschens eines Fahrzeugs. Es verurteilte ihn zu einer
unbedingten Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu Fr. 100.-- und einer Busse von
Fr. 500.--.

C.
Das Obergericht des Kantons Zürich sprach X.________ am 6. November 2012 im
Berufungsverfahren vom Vorwurf der Vereitelung von Massnahmen zur Feststellung
der Fahrunfähigkeit frei und verurteilte ihn in den übrigen Punkten zu einer
unbedingten Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu Fr. 100.-- sowie einer Busse von
Fr. 500.--.

D.
X.________ führt Beschwerde in Strafsachen mit dem Antrag, das obergerichtliche
Urteil aufzuheben und ihn vom Vorwurf des vorsätzlichen Fahrens in
fahrunfähigem Zustand mit einer qualifizierten Blutalkoholkonzentration
freizusprechen. Eventualiter sei ihm im Falle eines Schuldspruchs der bedingte
Strafvollzug bei einer 4-jährigen Probezeit zu gewähren. Subeventualiter sei
das Verfahren zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.

E.
Das Obergericht und die Oberstaatsanwaltschaft haben auf eine Vernehmlassung
verzichtet.

Erwägungen:

1.

1.1. Der Beschwerdeführer rügt eine willkürliche Sachverhaltsdarstellung und
eine damit einhergehende Verletzung des Grundsatzes in dubio pro reo. Die
Vorinstanz habe zu Unrecht angenommen, dass er betrunken Auto gefahren sei. Er
habe vor der Fahrt zwischen 18.00 und 2.00 Uhr "nur" ca. zweieinhalb bis drei
Liter Bier konsumiert. Nach seiner Ankunft zu Hause habe er gemeinsam mit
seiner Ehefrau noch zwei Flaschen Champagner und er selber noch zwei bis drei
kleine Gläser Cognac getrunken. Dies habe seine Ehefrau als Zeugin vor beiden
kantonalen Instanzen bestätigt. Da er von den Beamten nicht danach gefragt
worden und ihm der Begriff "Nachtrunk" nicht verständlich gewesen sei, habe er
anlässlich der polizeilichen Befragung nicht erwähnt, dass er nach dem Unfall
zu Hause noch Alkohol getrunken habe. Zudem habe die Vorinstanz seinen Anspruch
auf rechtliches Gehör verletzt, da sie ihn nicht über die als "Hilfsbegründung"
herangezogene Approximativrechnung bezüglich seines Blutalkoholgehalts aufgrund
der Angaben seiner Frau informiert habe.

1.2.

1.2.1. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die
Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Die Sachverhaltsfeststellung
kann vor Bundesgericht nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist
oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die
Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann
(Art. 97 Abs. 1 BGG). Offensichtlich unrichtig ist die
Sachverhaltsfeststellung, wenn sie willkürlich ist (vgl. BGE 137 IV 1 E. 4.2.3;
zum Begriff der Willkür vgl. BGE 138 I 305 E. 4.3). Die Willkürrüge prüft das
Bundesgericht gemäss Art. 106 Abs. 2 BGG nur insoweit, als sie in der
Beschwerde explizit vorgebracht und substantiiert begründet worden ist. Auf
eine bloss appellatorische Kritik am angefochtenen Urteil tritt es nicht ein (
BGE 138 I 171 E. 1.4; 136 II 489 E. 2.8; je mit Hinweisen). Dem Grundsatz in
dubio pro reo kommt in der vom Beschwerdeführer angerufenen Funktion als
Beweiswürdigungsregel im Verfahren vor dem Bundesgericht keine über das
Willkürverbot von Art. 9 BV hinausgehende Bedeutung zu (BGE 127 I 38 E. 2a mit
Hinweisen).

1.2.2. Der Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV) beinhaltet das
Recht des Betroffenen, sich vor Erlass eines in seine Rechtsstellung
eingreifenden Entscheids zur Sache zu äussern (BGE 136 I 265 E. 3.2 mit
Hinweisen).

1.3. Was der Beschwerdeführer gegen die vorinstanzliche Beweiswürdigung
vorbringt, erschöpft sich in appellatorischer Kritik, die nicht geeignet ist,
Willkür zu begründen. Er beschränkt sich darauf, die Ereignisse aus seiner
Sicht zu schildern, ohne auf die umfassende Beweiswürdigung der Vorinstanz
einzugehen. Das Bundesgericht ist keine Appellationsinstanz, die eine freie
Prüfung in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht vornimmt. Für die Rüge einer
willkürlichen Beweiswürdigung reicht es nicht aus, wenn der Beschwerdeführer
zum Beweisergebnis wie in einem appellatorischen Verfahren frei plädiert und
darlegt, wie seiner Auffassung nach die vorhandenen Beweise richtigerweise zu
würdigen gewesen wären. Auf eine solche Kritik tritt das Bundesgericht nicht
ein (vgl. BGE 137 IV 1 E. 4.2.3 mit Hinweis).
Ein Verletzung des rechtlichen Gehörs ist nicht gegeben. Der beanstandeten
Approximativberechnung auf Grundlage der Aussagen der Ehefrau des
Beschwerdeführers kommt für den Schuldspruch keine Bedeutung zu, da die
Vorinstanz mit überzeugender Begründung gerade nicht auf diese abstellt. Auf
die Rügen ist nicht einzutreten.

2.

2.1. Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung von Art. 42 Abs.1 StGB. Er macht
geltend, eine unbedingte Geldstrafe sei nicht notwendig, um ihn von weiteren
Trunkenheitsfahrten abzuhalten. Bei der Legalprognose dürfe nicht
berücksichtigt werden, ob der Betroffene im gerichtlichen Verfahren Einsicht
und Reue demonstriere oder sich in Wahrnehmung seiner Parteirechte gegen eine
Verurteilung wehre. Es bestünden keine sachlichen Gründe, die Strafe nicht
aufzuschieben.

2.2.

2.2.1. Gemäss Art. 42 Abs. 1 StGB schiebt das Gericht den Vollzug einer
Geldstrafe in der Regel auf, wenn eine unbedingte Strafe nicht notwendig
erscheint, um den Täter von der Begehung weiterer Verbrechen oder Vergehen
abzuhalten. Bei der Prüfung, ob der Verurteilte für ein dauerndes Wohlverhalten
Gewähr bietet, ist eine Gesamtwürdigung aller wesentlichen Umstände
vorzunehmen. In die Beurteilung miteinzubeziehen sind neben den Tatumständen
auch das Vorleben und der Leumund sowie alle weiteren Tatsachen, die gültige
Schlüsse auf den Charakter des Täters und die Aussichten seiner Bewährung
zulassen (BGE 134 IV 140 E. 4.4 mit Hinweisen). Es ist unzulässig, einzelnen
Umständen eine vorrangige Bedeutung beizumessen und andere zu vernachlässigen
oder ausser Acht zu lassen. Wie bei der Strafzumessung (Art. 50 StGB) müssen
die Gründe im Urteil so wiedergegeben werden, dass sich die richtige Anwendung
des Bundesrechts überprüfen lässt (BGE 134 IV 1 E. 4.2.1 mit Hinweisen).

2.2.2. Ergeben sich ganz erhebliche Bedenken an der Legalbewährung des Täters,
die bei einer Gesamtwürdigung aller Umstände eine eigentliche Schlechtprognose
noch nicht zu begründen vermögen, so kann das Gericht den Vollzug der
Geldstrafe teilweise aufschieben (BGE 134 IV 60 E. 7.4 mit Hinweis). Auf diesem
Wege kann es im Bereich höchst ungewisser Prognosen dem Dilemma "Alles oder
Nichts" entgehen. Art. 43 StGB hat die Bedeutung, dass die Warnwirkung des
Teilaufschubs angesichts des gleichzeitig angeordneten Teilvollzugs für die
Zukunft eine weitaus bessere Prognose erlaubt. Erforderlich ist aber stets,
dass der teilweise Vollzug der Strafe für die Erhöhung der Bewährungsaussichten
unumgänglich erscheint. Das trifft nicht zu, solange die Gewährung des
bedingten Strafvollzugs, kombiniert mit einer Verbindungsgeldstrafe bzw. Busse
(Art. 42 Abs. 4 StGB), spezialpräventiv ausreichend ist. Diese Möglichkeit hat
das Gericht vorgängig zu prüfen (vgl. zum Ganzen: BGE 134 IV 60 E. 7.4 f. mit
Hinweisen). Die subjektiven Voraussetzungen des teilbedingten Vollzugs richten
sich nach denselben Kriterien, die für den vollbedingten Vollzug gemäss Art. 42
Abs. 1 StGB gelten (BGE 134 IV 1 E. 5.3.1 mit Hinweisen).

2.2.3. Dem Sachrichter steht bei der Beurteilung der Legalprognose ein
Ermessensspielraum zu. Das Bundesgericht greift nur ein, wenn der Richter sein
Ermessen über- bzw. unterschreitet oder missbraucht und damit Bundesrecht
verletzt (BGE 134 IV 140 E. 4.2 mit Hinweis).

2.3.

2.3.1. Die Vorinstanz geht aufgrund der einschlägigen Vorstrafe und des
fehlenden Problembewusstseins des Beschwerdeführers in Bezug auf seinen
Alkoholkonsum von einer negativen Legalprognose aus. Weitere Kriterien nennt
sie nicht. Dies ist bundesrechtswidrig, denn sie nimmt keine Gesamtwürdigung
sämtlicher Prognosekriterien vor. Zudem prüft die Vorinstanz nicht, ob Aussicht
besteht, der Beschwerdeführer lasse sich bei Anordnung von Weisungen zur
Überwachung der erforderlichen Alkoholtotalabstinenz durch einen bedingten
Strafvollzug in Kombination mit einer Verbindungsgeldstrafe bzw. Busse oder
durcheinen teilweise gewährten Strafaufschub beeinflussen (vgl. vorstehend E.
2.2.2).

2.3.2. Die Nichtberücksichtigung weiterer Prognosekriterien führt dazu, dass
die Vorinstanz den "Rückfall" zu stark gewichtet. Dass sie die einschlägige
Vorstrafe aus dem Jahr 2003 (Selbstunfall mit erheblichem Sachschaden infolge
Trunkenheitsfahrt mit 1.9 Promille) negativ gewichtet und die beiden Unfälle
mit einer derart hohen Blutalkoholkonzentration als Hinweise auf eine akute
Alkoholsucht ansieht, ist nicht zu beanstanden und wird durch die
verkehrsmedizinische Begutachtung, die von einem "verkehrsrelevanten
Alkoholüberkonsum" des Beschwerdeführers ausgeht, bestätigt. Allein aus dem
Umstand, dass der Beschwerdeführer seinen Alkoholkonsum offensichtlich nicht im
Griff hat, darf nicht ohne weiteres darauf geschlossen werden, dieser werde in
Zukunft weiterhin alkoholisiert Auto fahren. Zudem lässt die Vorinstanz ausser
Betracht, dass zwischen den beiden Trunkenheitsfahrten neun Jahre liegen. Ein
Warneffekt durch die Verurteilung kann unter diesen Umständen nicht pauschal
verneint werden, denn es ist zugunsten des Beschwerdeführers davon auszugehen,
dass er während dieser Zeit nicht (verkehrsrelevant) delinquiert hat. Zu
berücksichtigen ist, dass der Beschwerdeführer seit Anfang 2012 bis zur
Erstellung des Gutachtens bzw. der Ausfällung des vorinstanzlichen Urteils
totalabstinent war, auch wenn dies keinen Beweis hinsichtlich seiner
zukünftigen Entwicklung im Umgang mit Alkohol zu erbringen vermag, insbesondere
aufgrund der verhältnismässig kurzen Alkoholtotalabstinenz und der Schwere des
"Rückfalls".

3.
Die Beschwerde ist gutzuheissen, soweit darauf eingetreten werden kann. Das
angefochtene Urteil ist aufzuheben und die Sache zur neuen Beurteilung an die
Vorinstanz zurückzuweisen. Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind dem
Beschwerdeführer reduzierte Gerichtskosten aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 und
Abs. 4 BGG). Der Kanton Zürich hat dem Beschwerdeführer für das
bundesgerichtliche Verfahren eine reduzierte Parteientschädigung auszurichten
(Art. 68 Abs. 1 und Abs. 2 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen, soweit darauf einzutreten ist. Das Urteil des
Obergerichts des Kantons Zürich vom 6. November 2012 wird aufgehoben und die
Sache zur neuen Beurteilung an die Vorinstanz zurückgewiesen.

2.
Dem Beschwerdeführer werden Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- auferlegt.

3.
Der Kanton Zürich hat dem Beschwerdeführer eine Parteientschädigung von Fr.
1'500.-- auszurichten.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich, I.
Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 8. Juli 2013

Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Mathys

Der Gerichtsschreiber: Held

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