Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.380/2013
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
6B_380/2013

Urteil vom 16. Januar 2014

Strafrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Mathys, Präsident,
Bundesrichter Schneider,
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari,
Gerichtsschreiberin Arquint Hill.

Verfahrensbeteiligte
X.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Tim Walker,
Beschwerdeführer,

gegen

Amt für Justizvollzug Graubünden, Gäuggelistrasse 16, 7001 Chur,
Beschwerdegegner.

Gegenstand
Verlängerung der ambulanten Massnahme nach Art. 63 StGB, Anspruch auf
unentgeltliche Rechtspflege,

Beschwerde gegen den Beschluss des Kantonsgerichts von Graubünden, II.
Strafkammer, vom 5. März 2013.

Sachverhalt:

A.

 Das Strassenverkehrsamt des Kantons Graubünden entzog X.________ am 5. April
2006 den Führerausweis auf unbestimmte Zeit. Die Wiedererteilung des
Führerausweises wurde von einer mindestens 12-monatigen kontrollierten
Psychosefreiheit und einem verkehrspsychologischen Gutachten abhängig gemacht.
Die Berufung von X.________ an das Kantonsgericht von Graubünden blieb ebenso
wie seine Beschwerde an das Bundesgericht ohne Erfolg (Urteil 1C_263/2007 vom
18. Januar 2008).
Das Kreisamt Schiers sprach X.________ am 10. Oktober 2007 wegen mehrfachen
Fahrens ohne Führerausweis oder trotz Entzugs gemäss Art. 95 Ziff. 2 SVG sowie
wegen Verletzung der Verkehrsregeln gemäss Art. 42 Abs. 1 SVG und 33 lit. b VRV
in Verbindung mit Art. 90 Ziff. 1 SVG schuldig. Es büsste ihn mit Fr. 300.--
und ordnete eine ambulante Massnahme im Sinne von Art. 63 StGB an.
X.________ liess sich vom 27. Juni 2007 bis zum 30. September 2011 von der
Psychiaterin Dr. med. A.________ ambulant behandeln. Nach einer psychotischen
Entgleisung und einem Therapieunterbruch von rund einem Monat setzte er die
Massnahme bei Dr. med. B.________, Facharzt FMH für Psychiatrie und
Psychotherapie, fort. Infolge einer psychotischen Dekompensation wurde er vom
6. Februar 2012 bis zum 3. Mai 2012 stationär in der Klinik C.________ betreut.
Nach seinem Klinikaustritt nahm X.________ die monatlichen Gesprächstermine bei
seinem Therapeuten Dr. med. B.________ wieder auf.

B.

 Auf Antrag des Amts für Justizvollzug Graubünden vom 31. August 2012 hin
verlängerte das Bezirksgericht Prättigau/Davos am 25. Oktober 2012 die
ambulante Massnahme um drei Jahre. Die von X.________ dagegen gerichtete
Beschwerde wies das Kantonsgericht von Graubünden mit Beschluss vom 5. März
2013 ab.

C.

 Mit Beschwerde in Strafsachen beantragt X.________ die Aufhebung der
Beschlüsse des Bezirksgerichts Prättigau vom 25. Oktober 2012 und des
Kantonsgerichts von Graubünden vom 5. März 2013.

D.

 Das Bundesgericht wies das Gesuch von X.________ um aufschiebende Wirkung der
Beschwerde am 6. Mai 2013 ab.

Erwägungen:

1.

 Vernehmlassungen wurden nicht eingeholt. Folglich muss kein zweiter
Schriftenwechsel durchgeführt werden. Das Gesuch des Beschwerdeführers ist
gegenstandslos.

2.

 Anfechtungsobjekt bildet einzig der kantonal letztinstanzliche Entscheid der
Vorinstanz vom 5. März 2013 (Art. 80 Abs. 1 BGG). Soweit der Beschwerdeführer
den erstinstanzlichen Beschluss kritisiert und dessen Aufhebung verlangt, ist
auf die Beschwerde nicht einzutreten.

3.

 Gegenstand des Verfahrens ist ausschliesslich die Verlängerung der ambulanten
Massnahme nach Art. 63 Abs. 4 StGB. Nicht einzutreten ist auf die Beschwerde,
soweit die Vorbringen des Beschwerdeführers über den Streitgegenstand
hinausgehen. Das ist der Fall, soweit er ausführt, er sei während ca. 35 Jahren
unfallfrei gefahren, habe einen ungetrübten automobilistischen Leumund und sei
wie jede andere Person berechtigt, ein Fahrzeug zu führen, bis ihm eine
konkrete Verkehrsgefährdung nachgewiesen werde. Diese Einwände beschlagen
Fragen betreffend Entzug bzw. Wiedererteilung des Führerausweises und gehören
nicht zum Prozessthema. Entsprechendes gilt für das Vorbringen des
Beschwerdeführers, sein Gesundheitszustand sei derzeit so gut, dass er die
medizinischen Mindestanforderungen zum sicheren Führen eines Motorfahrzeugs
erfülle.

4.

4.1. Der Beschwerdeführer wehrt sich gegen die Verlängerung der ambulanten
Massnahme. Diese sei überflüssig und unverhältnismässig. Bereits die Auflage
des Strassenverkehrsamts, sich regelmässig Depotspritzen verabreichen zu
lassen, halte ihn von weiterer Delinquenz ab.

4.2. Nach Art. 63 Abs. 4 StGB darf die ambulante Behandlung in der Regel nicht
länger als fünf Jahre dauern. Erscheint bei Erreichen der Höchstdauer eine
Fortführung der ambulanten Behandlung notwendig, um der Gefahr weiterer mit
einer psychischen Störung in Zusammenhang stehender Verbrechen und Vergehen zu
begegnen, so kann das Gericht auf Antrag der Vollzugsbehörde die Behandlung um
jeweils ein bis fünf Jahre verlängern. Eine solche Verlängerung ist bei
Massnahmen gegenüber psychisch gestörten Tätern so oft möglich, wie dies
erforderlich erscheint. Allerdings ist immer zu beachten, dass die Behandlung
Aussicht auf Erfolg haben muss, der in der Verhütung von Delinquenz besteht.
Mit zunehmender Dauer der Massnahme ist die Erforderlichkeit der Behandlung
besonders zu begründen. Es lassen sich indessen durchaus Beispiele denken,
welche längere Massnahmen und unter Umständen lebenslange Behandlungen
erforderlich machen, wie beispielsweise die medikamentöse Behandlung von
Schizophreniekranken (siehe MARIANNE HEER, in: Basler Kommentar, Strafrecht I,
3. Aufl., 2013, Art. 63 Rz. 85).

4.3. Die Vorinstanz stützt sich bei ihrem Entscheid auf die bei den Akten
liegenden Therapieberichte von Dr. med. A.________ und Dr. med. B.________ vom
27. September 2011 und 11. Juli 2012. Beide Psychiater gehen davon aus, dass
der Beschwerdeführer an einer schweren paranoiden Schizophrenie leidet und im
Hinblick auf eine günstige Legalprognose weiterhin auf eine regelmässige und
genügende Medikamentenabgabe in Kombination mit einer psychiatrischen
Behandlung angewiesen ist. Eine Weiterführung der von den Fachärzten als
adäquat und notwendig erachteten Massnahme auf freiwilliger Basis fällt nach
der begründeten Auffassung der Vorinstanz ausser Betracht. Sie weist in diesem
Zusammenhang auf die gemäss den Feststellungen der Fachärzte nur beschränkt
vorhandene Einsicht des Beschwerdeführers in die Notwendigkeit einer weiteren
medikamentösen Behandlung hin. Schon kurz nach dem Austritt aus der Klinik
C.________ habe er eine Medikamentenreduktion gewünscht (Entscheid, S. 6). Vor
diesem Hintergrund ist mit der Vorinstanz davon auszugehen, dass nur die
Verlängerung der ambulanten Massnahme als zweckmässig erscheint, um dem
Beschwerdeführer die erforderliche Behandlung zu erweisen und die Legalprognose
zu verbessern. Aus einer allfälligen Anordnung des Strassenverkehrsamtes, sich
regelmässig Depotspritzen injizieren zu lassen, lässt sich entgegen der Ansicht
des Beschwerdeführers nicht ableiten, die Massnahmeverlängerung sei überflüssig
und unverhältnismässig, da angesichts seiner beschränkten Einsicht in die
Notwendigkeit der Therapie und Medikation nicht feststeht, dass er sich an die
fragliche Auflage hielte. Inwiefern die Dauer der verlängerten Massnahme
Bundesrecht verletzen könnte, ist im Übrigen nicht ersichtlich. Der
angefochtene Entscheid ist nicht zu beanstanden.

5.

5.1. Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung von Art. 29 Abs. 3 BV. Als
IV-Rentner könne er weder Prozess- noch Anwaltskosten finanzieren. Dennoch habe
ihm die Vorinstanz die Verfahrenskosten auferlegt und verfügt, dass er die
Kosten der amtlichen Verteidigung zu tragen habe.

5.2. Nach Art. 29 Abs. 3 BV hat jede Person, welche nicht über die
erforderlichen Mittel verfügt, Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege, wenn
ihr Rechtsbegehren nicht aussichtslos erscheint. Soweit es zur Wahrung ihrer
Rechte notwendig ist, hat sie ausserdem Anspruch auf unentgeltlichen
Rechtsbeistand.

5.3. Die Vorinstanz hiess das Gesuch des Beschwerdeführers um amtliche
Verteidigung im Sinne von Art. 132 ff. StPO gut. Sie auferlegte ihm die Kosten
des Beschwerdeverfahrens nach Massgabe seines Unterliegens. Bei der Festsetzung
der Gerichtsgebühr berücksichtigte sie seine wirtschaftlichen Verhältnisse. Die
Vorinstanz überband ihm auch die Kosten für die amtliche Verteidigung. Sie
hielt aber fest, dass diese Kosten vorerst zu Lasten des Kantons gingen und aus
der Gerichtskasse zu bezahlen seien. Sobald es die finanzielle Situation des
Beschwerdeführers erlaube, habe er dem Kanton diese Kosten in Anwendung von
Art. 135 Abs. 4 StPO zurückzuerstatten (Entscheid, S. 8).

5.4. Dass die Vorinstanz dem Beschwerdeführer die Kosten des
Beschwerdeverfahrens nach Massgabe seines Unterliegens gemäss Art. 428 Abs. 1
StPO auferlegt, ist bundesrechtskonform und steht auch mit Art. 29 Abs. 3 BV
nicht in Widerspruch, weil sie seiner angespannten finanziellen Lage bei der
Festsetzung der Kosten Rechnung trägt (vgl. im Übrigen auch Urteil 6B_758/2013
vom 11. November 2013 E. 3.2). Ebenfalls mit Art. 29 Abs. 3 BV vereinbar ist
die bloss vorläufige Tragung der Kosten für die amtliche Verteidigung durch den
Staat unter Vorbehalt der Rückforderung im Sinne von Art. 135 Abs. 4 StPO (vgl.
BGE 135 I 91 E. 2; Urteil 6B_112/2012 vom 5. Juli 2012). Die
verfassungsrechtliche Garantie von Art. 29 Abs. 3 BV gibt keinen Anspruch auf
definitive Befreiung von diesen Kosten.

6.

 Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Das
Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung ist wegen
Aussichtslosigkeit der Beschwerde abzuweisen (Art. 64 BGG). Der finanziellen
Lage des Beschwerdeführers ist bei der Festsetzung der Gerichtskosten Rechnung
zu tragen (Art. 65 Abs. 2 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2. 
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird abgewiesen.

3. 
Die Gerichtskosten von Fr. 800.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

4. 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Kantonsgericht von Graubünden, II.
Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 16. Januar 2014

Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Mathys

Die Gerichtsschreiberin: Arquint Hill

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