Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.313/2013
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
6B_313/2013

Urteil vom 3. Mai 2013
Strafrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Mathys, Präsident,
Bundesrichter Schneider,
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari,
Gerichtsschreiber C. Monn.

Verfahrensbeteiligte
X._______,
Beschwerdeführer,

gegen

Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Aargau, Frey-Herosé-Strasse 12, Wielandhaus,
5001 Aarau,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Bemessung der Geldstrafe (Höhe des Tagessatzes),

Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau, Strafgericht,
1. Kammer, vom 14. Februar 2013.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
X._______ fuhr am 2. März 2012, um 15.35 Uhr, mit einem Personenwagen von Arni
in Richtung Oberlunkhofen. Dabei überschritt er bewusst die zulässige
Höchstgeschwindigkeit ausserorts von 80 km/h um 58 km/h. Das Bezirksgericht
Bremgarten sprach ihn am 6. September 2012 der groben Verletzung der
Verkehrsregeln schuldig und bestrafte ihn mit zwölf Monaten Freiheitsstrafe.
Das Obergericht des Kantons Aargau hiess am 14. Februar 2013 eine Berufung
teilweise gut und verurteilte X._______ zu einer unbedingten Geldstrafe von 360
Tagessätzen zu Fr. 140.--. Im Übrigen wurde die Berufung abgewiesen.

X._______ beantragt mit Beschwerde beim Bundesgericht, er sei zu einer
unbedingten Geldstrafe von 360 Tagessätzen zu Fr. 60.-- zu verurteilen.

Vorinstanz und Staatsanwaltschaft haben auf eine Vernehmlassung verzichtet.

2.
2.1 Die Beschwerde richtet sich gegen die Höhe des Tagessatzes. Dieser bestimmt
sich nach den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisses des Täters im
Zeitpunkt des Urteils, namentlich nach Einkommen und Vermögen, Lebensaufwand,
allfälligen Familien- und Unterstützungspflichten sowie nach dem
Existenzminimum (Art. 34 Abs. 2 StGB).

Ausgangspunkt für die Bemessung bildet das Einkommen, welches dem Täter an
einem Tag zukommt. Was gesetzlich geschuldet ist oder dem Täter wirtschaftlich
nicht zufliesst, ist abzuziehen, so die laufenden Steuern, die Beiträge an die
obligatorische Kranken- und Unfallversicherung oder allfällige Berufsauslagen.
Das Nettoprinzip verlangt, dass bei den ermittelten Einkünften - innerhalb der
Grenzen des Rechtsmissbrauchs - nur der Überschuss der Einnahmen über die damit
verbundenen Aufwendungen berücksichtigt wird. Unter dem in Art. 34 Abs. 2 StGB
erwähnten Existenzminimum ist nicht der betreibungsrechtliche Notbedarf zu
verstehen, weshalb das unpfändbare Einkommen keine absolute Schranke darstellt.
Die Wohnkosten können in der Regel nicht abgezogen werden. Der Hinweis auf das
Existenzminimum gibt dem Gericht jedoch ein Kriterium an die Hand, das erlaubt,
vom Nettoeinkommensprinzip abzuweichen und den Tagessatz insbesondere bei
geringen Einkommen tiefer zu bemessen. Um einer schwierigen finanziellen Lage
neben einer allfälligen Herabsetzung des Tagessatzes Rechnung zu tragen, schuf
der Gesetzgeber für unbedingte Geldstrafen allerdings auch die Möglichkeit von
Zahlungserleichterungen. Gemäss Art. 35 Abs. 1 StGB kann die Vollzugsbehörde
eine Zahlungsfrist bis zu zwölf Monaten bestimmen, Ratenzahlungen anordnen und
auf Gesuch die Frist verlängern.

Bei einer hohen Anzahl Tagessätze - namentlich bei Geldstrafen von mehr als 90
Tagessätzen - ist regelmässig eine Reduktion um 10 - 30 Prozent angebracht, da
mit zunehmender Dauer die wirtschaftliche Bedrängnis und damit das Strafleiden
progressiv ansteigt. Ein ausschliesslich an den Tageseinnahmen ausgerichtetes
Strafzumessungsprinzip liefert insbesondere bei vermögenslosen Tätern mit
kleinem und mittlerem Einkommen für eine Mehr- oder Vielzahl von Monaten unter
Umständen nicht mehr das richtige Ergebnis (BGE 134 IV 60 E. 6; Urteil 6B_610/
2009 vom 13. Juli 2010 E. 1.3; Annette Dolge, Basler Kommentar, Strafrecht I,
2. Aufl., Basel 2007, Art. 34 N 48 und 85).

Das Bundesgericht greift auf Beschwerde hin in die Strafzumessung nur ein, wenn
die Vorinstanz den gesetzlichen Strafrahmen über- oder unterschritten hat, wenn
sie von nicht massgebenden Kriterien ausgegangen ist oder wesentliche
Gesichtspunkte ausser acht gelassen bzw. in Überschreitung oder Missbrauch
ihres Ermessens falsch gewichtet hat (BGE 136 IV 55 E. 5.6). Dieser
Ermessensspielraum kommt dem Gericht auch bei der Festsetzung der Höhe des
Tagessatzes zu, dessen Bemessung im Einzelfall dem sorgfältigen Ermessen
anheimgestellt ist (BGE 134 IV 60 E. 6.5.2; Urteil 6B_792/2011 vom 19. April
2012 E. 1.4.3).

2.2 Gemäss den Feststellungen der Vorinstanz verfügt der Beschwerdeführer über
ein Nettoeinkommen von Fr. 5'721.-- (inkl. des 13. Monatslohns). Davon zieht
sie für Krankenkasse, Steuern und dergleichen 25 % bzw. Fr. 1'430.25 ab. Die
verbleibenden Fr. 4'290.75. ergeben einen Tagessatz von Fr. 140.--. Besondere
Umstände, die eine Reduktion des Tagessatzes rechtfertigen könnten, liegen nach
Auffassung der Vorinstanz nicht vor (Urteil S. 10 E. 2.3.3).

2.3 Der Beschwerdeführer verfügt über ein mittleres Einkommen. Dass er Vermögen
hätte, wird im angefochtenen Entscheid nicht festgestellt.

Die Vorinstanz ist bei der Bemessung des Tagessatzes korrekt nach dem
Nettoprinzip vorgegangen und hat nebst Krankenkasse, Steuern und dergleichen
entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers bei seinen
Einkommensverhältnissen die Wohn- und allgemeinen Lebenshaltungskosten zu Recht
nicht berücksichtigt.

Mit 360 Tagessätzen hat die Vorinstanz auf eine hohe Anzahl erkannt. Diese
Strafe wirkt sich bei einem vermögenslosen Täter ein Jahr lang aus. Bei dieser
Dauer vermögen die möglichen Vollzugserleichterungen im Sinne von Art. 35 Abs.
1 StGB allein die wirtschaftliche Belastung kaum in einigermassen zumutbaren
Grenzen zu halten. Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung darf in solchen
Fällen nicht ohne Weiteres nur von den Tageseinnahmen ausgegangen werden.
Sondern es stellt sich regelmässig die Frage nach einer Reduktion der
Tagessatzhöhe. Die Auffassung der Vorinstanz, wonach keine Umstände ersichtlich
seien, die eine Reduktion zu rechtfertigen vermögen, widerspricht der
bundesgerichtlichen Praxis. Sie wird sich mit dieser Frage nochmals befassen
müssen.

Immerhin ist schon heute anzumerken, dass die vom Beschwerdeführer geforderte
Reduktion des Tagessatzes auf Fr. 60.-- nicht in Betracht kommen dürfte, weil
dies einer Reduktion um mehr als 55 Prozent entspräche.

Die Beschwerde ist gutzuheissen, der angefochtene Entscheid aufzuheben und die
Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen.

3.
Bei diesem Ausgang sind keine Gerichtskosten zu erheben. Damit wird das Gesuch
um unentgeltliche Rechtspflege gegenstandslos.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen, das Urteil des Obergerichts des Kantons
Aargau, Strafgericht, 1. Kammer, vom 14. Februar 2013 aufgehoben und die Sache
zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Aargau,
Strafgericht, 1. Kammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 3. Mai 2013

Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Mathys

Der Gerichtsschreiber: Monn

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