Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.2/2013
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
6B_2/2013

Urteil vom 4. März 2013
Strafrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Mathys, Präsident,
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari,
Bundesrichter Oberholzer,
Gerichtsschreiber C. Monn.

Verfahrensbeteiligte
X.________,
Beschwerdeführer,

gegen

1. Staatsanwaltschaft Zürich-Limmat, Stauffacherstrasse 55, 8004 Zürich,
2. Y.________,
Beschwerdegegner.

Gegenstand
Beschimpfung; Unschuldsvermutung,

Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts
des Kantons Zürich, II. Strafkammer, vom 30. Oktober 2012.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Am 2. September 2010 ereignete sich in Zürich ein Verkehrsunfall. Eine Person
wurde verletzt. Die Beteiligten trafen sich zusammen mit ihren Vertretern,
X.________ und Y.________, am 19. Januar 2011 am Unfallort zu einem
Augenschein, wobei auch über die Bedingungen für einen allfälligen Rückzug des
Strafantrags wegen fahrlässiger Körperverletzung verhandelt werden sollte. Eine
Einigung kam nicht zustande. Das Gespräch mündete vielmehr in einen heftigen
Streit zwischen den Vertretern. Als sich X.________ mit der von ihm vertretenen
Person und deren Ehemann vom Ort des Geschehens entfernte, rief ihm Y.________
zu, er habe einen Zeugen und werde ihn anzeigen. Darauf rief X.________ zurück,
"du kannst mich mal", und zeigte ihm den Mittelfinger.

Das Obergericht des Kantons Zürich verurteilte X.________ am 30. Oktober 2012
im Berufungsverfahren wegen Beschimpfung im Sinne von Art. 177 Abs. 1 StGB zu
einer Geldstrafe von vier Tagessätzen zu Fr. 30.--, mit aufgeschobenem Vollzug
bei einer Probezeit von zwei Jahren. Er wurde verpflichtet, Y.________ für die
Untersuchung und beide Gerichtsverfahren mit insgesamt Fr. 2'353.60 zu
entschädigen.

X.________ beantragt dem Bundesgericht, das Urteil vom 30. Oktober 2012 sei
aufzuheben. Er sei freizusprechen. Eventualiter sei er in Anwendung von Art.
177 Abs. 2 StGB von einer Strafe zu befreien. Allenfalls sei Art. 52 Abs. 2
StGB anzuwenden. Subeventualiter sei die Y.________ zugesprochene
Parteientschädigung als nichtig zu erkennen bzw. zu reduzieren.

2.
In einer Beschwerde ist unter Bezugnahme auf den angefochtenen Entscheid
darzutun, inwieweit dieser gegen das Recht im Sinne von Art. 95 BGG verstösst
(Art. 42 Abs. 2 BGG). Soweit der Beschwerdeführer auf einen Schriftenwechsel
der Parteien in einem anderen Verfahren und auf eine frühere Eingabe verweist
(Beschwerde S. 6), ist darauf nicht einzutreten.

3.
Nach Auffassung des Beschwerdeführers wurde der Beschwerdegegner 2 durch die
zürcherischen Strafbehörden bevorzugt. Er vermag diesen Vorwurf indessen nicht
glaubhaft zu machen. Dass er durch die Vorinstanz mit einem Alias-Namen
geführt, der Alias-Name des Beschwerdegegners 2 demgegenüber nicht genannt
worden sein soll (Beschwerde S. 5/6), spricht nicht für eine Bevorzugung des
Beschwerdegegners 2. Dasselbe gilt für den Umstand, dass der Vorsitzende den
Beschwerdegegner 2, der Rechtsanwalt ist, als Kollegen bezeichnete (Beschwerde
S. 6). Mit diesen Vorbringen kann eine Verletzung des Gleichbehandlungsgebotes
nicht belegt werden.

4.
Der Beschwerdeführer macht geltend, die Stellungnahme des Beschwerdegegners 2
zu seiner Berufung sei ihm nicht zugänglich gemacht worden (Beschwerde S. 7).
Die Rüge ist unbegründet. Der Beschwerdegegner 2 hat keine Stellungnahme zur
Berufung abgegeben, sondern nur mitgeteilt, er erhebe keine Anschlussberufung
(angefochtener Entscheid S. 4 lit. d). Dass ihm diese Erklärung zugestellt
werden musste, behauptet der Beschwerdeführer nicht.

5.
Die Beweiswürdigung kann vor Bundesgericht gerügt werden, wenn sie
offensichtlich unrichtig im Sinne von Art. 97 Abs. 1 BGG bzw. willkürlich im
Sinne von Art. 9 BV ist. Auch die Frage, ob die Unschuldsvermutung in ihrer
Funktion als Beweiswürdigungsregel verletzt wurde, prüft das Bundesgericht nur
unter dem Gesichtswinkel der Willkür. Solche liegt vor, wenn der angefochtene
Entscheid offensichtlich unhaltbar ist, mit der tatsächlichen Situation in
klarem Widerspruch steht, eine Norm oder einen unumstrittenen Rechtsgrundsatz
krass verletzt oder in stossender Weise dem Gerechtigkeitsgedanken
zuwiderläuft. Dass eine andere Lösung ebenfalls vertretbar erscheint, genügt
nicht (BGE 137 I 1 E. 2.4). Die angebliche Willkür ist in der Beschwerde
präzise zu rügen, und die Rüge ist zu begründen (Art. 106 Abs. 2 BGG). Kritik,
wie sie vor einer Instanz mit voller Kognition vorgebracht werden kann, genügt
nicht.

Die Ausführungen des Beschwerdeführers enthalten nur unzulässige
appellatorische Kritik. So macht er geltend, die persönliche Glaubwürdigkeit
des Beschwerdegegners 2 sei von ihm im Vorverfahren aus mehreren präzise
angegebenen Gründen grundsätzlich in Frage gestellt worden (angefochtener
Entscheid S. 6). Aus seinen Vorbringen und z.B. dem Umstand, dass der
Beschwerdegegner 2 seine Behauptungen als "absurd" bezeichnet hat, folgt
indessen nicht zwingend, dass der Beschwerdegegner 2 unglaubwürdig wäre.

Ungenügend begründet ist auch die Rüge des Beschwerdeführers, sein
Beweisantrag, dem Beschwerdegegner 2 eine Frage stellen zu dürfen, sei zu
Unrecht abgelehnt worden (Beschwerde S. 8). Er sagt nicht, welche Frage er
hätte stellen wollen. Unter diesen Umständen kann das Bundesgericht nicht
prüfen, ob die Frage wesentlich gewesen wäre.

Der Beschwerdeführer sagte in der ersten Befragung vor der Staatsanwaltschaft
aus, er habe dem Beschwerdegegner 2 mit seiner linken Hand den Mittelfinger
gezeigt, welche Geste im Sinne von "du kannst mich mal" gemeint gewesen sei
(angefochtener Entscheid S. 5/6 E. 1b und 2a, S. 7 E. 3a; KA Urk. 2 S. 5/6 und
8). Der Beschwerdeführer hat das Protokoll der Einvernahme trotz einer
angeblichen Blasenschwäche gründlich gelesen, denn er hat es handschriftlich
sogar korrigiert, und schliesslich unterschrieben (Entscheid S. 7 lit. c).
Inwieweit er nach erneuter Vorlage des Protokolls imstande sein könnte, die
darin enthaltene "Behauptung" zu "widerlegen" (Beschwerde S. 9), ist nicht
ersichtlich.

Auf diese und die weiteren ähnlichen Vorbringen zum Sachverhalt ist nicht
einzutreten.

6.
Beim von der Vorinstanz festgestellten Sachverhalt ist der Schuldspruch wegen
Beschimpfung nicht zu beanstanden. Dass der Ruf des Beschwerdeführers und die
Geste auch hätten bedeuten können, "du kannst mich mal in Oberwil besuchen",
oder "mach was du willst" (Beschwerde S. 11), ist abwegig. Dem Beschwerdeführer
war die Bedeutung seiner Geste denn auch sehr wohl bekannt (Entscheid S. 8 lit.
b und c).

7.
Der Beschwerdeführer legt nicht dar, aus welchem Grund ihn die Vorinstanz in
Anwendung von Art. 177 Abs. 2 StGB hätte von Strafe befreien sollen. Insoweit
kann auf deren Erwägungen verwiesen werden (Entscheid S. 9 E. IV).

8.
Aus den Ausführungen des Beschwerdeführers unter dem Titel "Strafzumessung"
(vgl. Beschwerde S. 12/13) ergibt sich nicht, inwieweit die Strafe von vier
Tagessätzen zu Fr. 30.-- unangemessen hoch wäre. Es kann auch in diesem Punkt
auf die Erwägungen der Vorinstanz verwiesen werden (Entscheid S. 10/11 E. V).

9.
Der Beschwerdeführer macht geltend, er habe "aus Versehen" in seinem Plädoyer
nicht auf Art. 52 StGB hingewiesen, weshalb diese Bestimmung durch die
Vorinstanz nicht in Erwägung gezogen worden sei (Beschwerde S. 5). Er legt
indessen nicht dar, dass die Voraussetzungen einer Anwendung von Art. 52 StGB
erfüllt gewesen wären.

10.
Zur Parteientschädigung macht der Beschwerdeführer zunächst geltend, der
Vorsitzende habe ihn zu seinen persönlichen Auslagen nicht befragt, während
dies im Falle des Beschwerdegegners 2 geschehen sei, weshalb das Gericht dem
Beschwerdeführer im Falle eines Freispruchs keine Entschädigung hätte
zusprechen können (Beschwerde S. 4/5). Das Vorbringen geht an der Sache vorbei,
da der Beschwerdeführer verurteilt wurde und es nach dem Gesagten dabei bleibt.

Im Übrigen kann in Bezug auf die Parteientschädigungen auf die Ausführungen der
Vorinstanz verwiesen werden (Entscheid S. 12/13 E. VI und VII). Die
Entschädigungen wurden dem Beschwerdegegner 2 zu Recht zugesprochen, weil der
Beschwerdeführer, der vor beiden Instanzen einen Freispruch beantragt hatte,
sowohl vor Bezirksgericht als auch vor der Vorinstanz verurteilt wurde. Wegen
eines Nebenpunktes, in dem der Beschwerdegegner 2 unterlag, wurden die
Entschädigungen reduziert. Was daran gegen das Recht im Sinne von Art. 95 BGG
verstossen könnte, sagt der Beschwerdeführer nicht (vgl. Beschwerde S. 12/13)
und ist auch nicht ersichtlich.

11.
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Die
Gerichtskosten sind dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Das
Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege ist in Anwendung von Art. 64 BGG
abzuweisen, weil die Rechtsbegehren aussichtslos erschienen. Der finanziellen
Lage des Beschwerdeführers ist bei der Bemessung der Gerichtskosten Rechnung zu
tragen (Art. 65 Abs. 2 BGG). Dem Beschwerdegegner 2 ist keine Entschädigung
auszurichten, weil er vor Bundesgericht keine Umtriebe hatte.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.

3.
Die Gerichtskosten von Fr. 800.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich, II.
Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 4. März 2013

Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Mathys

Der Gerichtsschreiber: Monn