Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.26/2013
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
6B_26/2013

Urteil vom 14. März 2013
Strafrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Mathys, Präsident,
Bundesrichter Schneider,
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari,
Gerichtsschreiber C. Monn.

Verfahrensbeteiligte
X.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Daniel Gränicher,
Beschwerdeführer,

gegen

Polizei- und Militärdirektion des Kantons Bern, Kramgasse 20, 3011 Bern,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Bedingte Entlassung,

Beschwerde gegen den Beschluss des Obergerichts
des Kantons Bern, 2. Strafkammer,
vom 24. Dezember 2012.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Der Beschwerdeführer verbüsst zurzeit zur Hauptsache eine Freiheitsstrafe von
22 Monaten wegen Widerhandlungen gegen das Betäubungsmittelgesetz, die am 3.
November 2011 durch das Regionalgericht Bern-Mittelland ausgefällt wurde. Am 4.
Juni 2012 wies die Abteilung Straf- und Massnahmenvollzug des Amts für
Freiheitsentzug und Betreuung des Kantons Bern ein Gesuch um bedingte
Entlassung ab. Dagegen eingereichte Beschwerden wiesen die Polizei- und
Militärdirektion des Kantons Bern am 17. Oktober 2012 und das Obergericht des
Kantons Bern am 24. Dezember 2012 ab.

Der Beschwerdeführer beantragt dem Bundesgericht, der Entscheid des
Obergerichts vom 24. Dezember 2012 sei aufzuheben. Er sei sofort bedingt aus
dem Strafvollzug zu entlassen.

Das Obergericht verlangt die Abweisung der Beschwerde (act. 17). Die Polizei-
und Militärdirektion hat auf eine Stellungnahme verzichtet (act. 18).

2.
2.1 Der Beschwerdeführer macht unter Hinweis auf Art. 30 Abs. 1 BV, Art. 6
Ziff. 1 EMRK und Art. 56 lit. c (recte lit. b) StPO geltend, der am
angefochtenen Entscheid vom 24. Dezember 2012 beteiligte Oberrichter A.________
sei bereits als Staatsanwalt am Strafverfahren beteiligt gewesen, welches am 3.
November 2011 zu seiner Verurteilung wegen Widerhandlungen gegen das
Betäubungsmittelgesetz durch das Regionalgericht Bern-Mittelland geführt habe.
Er sei folglich in der Angelegenheit vorbefasst gewesen (Beschwerde S. 4 Art.
3).

Die Vorinstanz bestätigt, dass Oberrichter A.________ vor seinem Amtsantritt
als Oberrichter bei der Staatsanwaltschaft Bern-Mittelland als Staatsanwalt
tätig war und in dieser Funktion seinerzeit beim Regionalgericht gegen den
Beschwerdeführer Anklage erhoben hat. Nach ihrer Auffassung ging indessen das
selbständige, rechtskräftig abgeschlossene Strafverfahren wegen Widerhandlungen
gegen das Betäubungsmittelgesetz, an welchem Oberrichter A.________ als
Staatsanwalt und Ankläger teilnahm, dem Vollzug der seinerzeit ausgesprochenen
Strafe lediglich voraus. Heute gehe es in einem neuen, weitgehend gemäss
Verwaltungsrechtspflegegesetz durchzuführenden Verfahren um die Überprüfung
einer Vollzugsfrage. Die Thematik sei eine völlig andere. Oberrichter
A.________ sei unter keinem Titel gehalten gewesen, in den Ausstand zu treten
(act. 17).

2.2 Nach Art. 30 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK hat jede Person Anspruch
darauf, dass ihre Sache von einem unparteiischen, unvoreingenommenen und
unbefangenen Richter ohne Einwirken sachfremder Umstände entschieden wird.

Die Garantie des verfassungsmässigen Richters wird verletzt, wenn bei
objektiver Betrachtung Umstände vorliegen, die den Anschein der Befangenheit
oder die Gefahr der Voreingenommenheit zu begründen vermögen. Solche Umstände
können in einem bestimmten Verhalten des betreffenden Richters oder in gewissen
äusseren Gegebenheiten funktioneller und organisatorischer Natur begründet
sein. Eine Besorgnis der Voreingenommenheit und damit Misstrauen in die
Unabhängigkeit des Gerichts kann bei den Parteien insbesondere entstehen, wenn
ein Richter bereits in einem anderen, die gleiche Strafsache betreffenden
Verfahren tätig war. Ein solcher Richter hat in Anwendung von Art. 56 lit. b
StPO in den Ausstand zu treten.

Das Bundesgericht hat erkannt, dass der Anschein der Befangenheit entstehen
kann, wenn jemand, der in einem zu einer Freiheitsstrafe führenden Verfahren
als Staatsanwalt die Anklage vertrat, später Einsitz in eine Fachkommission
nimmt, die über die bedingte Entlassung des Verurteilten aus derselben
Freiheitsstrafe zu befinden hat. Indem er im ersten Verfahren, in dem Anklage
und Verteidigung sich gegenüberstehen, die Funktion des Anklägers ausübte, war
er die Gegenpartei des Angeklagten. Seine Mitwirkung in einem zweiten
Verfahren, in dem über die bedingte Entlassung des Verurteilten aus dem Vollzug
der Strafe entschieden wird, welche er in seiner Eigenschaft als Partei selber
beantragt hatte, kann beim Gefangenen berechtigte Zweifel an seiner
Unparteilichkeit wecken und das Vertrauen in die Justizorgane untergraben (BGE
134 IV 289 E. 6.3).

2.3 Die vorstehenden Überlegungen gelten auch, wenn der Staatsanwalt wie im
vorliegenden Verfahren als Richter am gerichtlichen Verfahren teilnimmt, in
welchem es um die bedingte Entlassung aus dem Vollzug einer Strafe geht, die er
früher als Staatsanwalt selber beantragte. Auch in diesem Fall können beim
Gefangenen berechtigte Zweifel an seiner Unparteilichkeit entstehen.
Oberrichter A.________ hätte deshalb in Anwendung von Art. 56 lit. b StPO in
den Ausstand treten müssen.

Die Beschwerde ist gutzuheissen, der angefochtene Entscheid aufzuheben und die
Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen.

3.
Der Beschwerdeführer bemängelt unter Hinweis auf Art. 5 StPO, das kantonale
Beschwerdeverfahren habe zu lange gedauert (Beschwerde S. 3 Art. 1). Die
genannte Bestimmung betrifft jedoch die Strafverfolgung und nicht das
vorliegende Verfahren.

4.
Da sich die Vorinstanz mit der Sache nochmals befassen muss, hat sich das
Bundesgericht zu den weiteren Vorbringen und dem Antrag des Beschwerdeführers,
er sei bedingt aus dem Strafvollzug zu entlassen, heute nicht zu äussern.

5.
Gerichtskosten sind nicht zu erheben.

Der Beschwerdeführer beantragt eine Entschädigung für das bundesgerichtliche
Verfahren. Eine solche steht gemäss Art. 68 BGG der obsiegenden Partei zu und
umfasst neben den Anwaltskosten die allfälligen weiteren notwendigen Kosten und
Umtriebe, die durch den Rechtsstreit verursacht wurden, sofern besondere
Verhältnisse dies rechtfertigen (Art. 1 und 11 des Reglements über die
Parteientschädigung und die Entschädigung für die amtliche Vertretung im
Verfahren vor dem Bundesgericht vom 31. März 2006; SR 173.110.210.3).
Anwaltskosten fallen ausser Betracht, da die Beschwerde durch den
Beschwerdeführer persönlich verfasst wurde. Sein jetziger Rechtsanwalt ist erst
später dazugetreten (act. 12). Auch in anderer Hinsicht ist nicht ersichtlich,
dass die besonderen Voraussetzungen für eine Entschädigung erfüllt wären. Eine
solche ist nicht zuzusprechen.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen, der Beschluss des Obergerichts des Kantons
Bern vom 24. Dezember 2012 aufgehoben und die Sache zu neuer Entscheidung an
die Vorinstanz zurückgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben und keine Entschädigung für das
bundesgerichtliche Verfahren ausgerichtet.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Bern, 2.
Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 14. März 2013

Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Mathys

Der Gerichtsschreiber: Monn