Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.265/2013
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
6B_265/2013

Urteil vom 26. August 2013

Strafrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Mathys, Präsident,
Bundesrichter Schneider, Denys,
Gerichtsschreiberin Pasquini.

Verfahrensbeteiligte
X.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Andreas Fäh,
Beschwerdeführer,

gegen

Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen, Schützengasse 1, 9001 St. Gallen,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Strafzumessung (versuchte vorsätzliche Tötung etc.); rechtliches Gehör,

Beschwerde gegen den Entscheid des Kantonsgerichts St. Gallen, Strafkammer, vom
19. Dezember 2012.

Sachverhalt:

A.

A.a. Das Kreisgericht St. Gallen sprach X.________ am 27. September 2010 u.a.
der versuchten vorsätzlichen Tötung, der mehrfachen Übertretung des
Betäubungsmittelgesetzes, der Widerhandlung gegen das Waffengesetz und der
mehrfachen Widerhandlung gegen das Bundesgesetz über die Ausländerinnen und
Ausländer schuldig. Es verurteilte ihn unter Einbezug der Sanktionen gemäss den
Entscheiden des Untersuchungsamts St. Gallen (28. Februar 2008) und des
Bezirksamts Münchwilen (6. Januar 2009) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 5 ½
Jahren und einer Busse von Fr. 900.--. Zudem bestrafte es X.________, teilweise
als Zusatzstrafe zum Entscheid des Bezirksamts Münchwilen, mit einer Geldstrafe
von 30 Tagessätzen zu Fr. 60.--. Sodann widerrief das Kreisgericht den mit
Entscheid des Untersuchungsamts St. Gallen (12. Dezember 2006) gewährten
bedingten Vollzug für eine Freiheitsstrafe von einem Monat.

A.b. Am 2. Februar 2012 sprach das Kreisgericht St. Gallen X.________ u.a. der
schweren Widerhandlung, des mehrfachen Vergehens und der mehrfachen Übertretung
gegen das Betäubungsmittelgesetz sowie des mehrfachen Vergehens gegen das
Strassenverkehrsgesetz schuldig. Es verurteilte ihn zu einer Freiheitsstrafe
von 27 Monaten und einer Busse von Fr. 300.--.

B.

 Das Kantonsgericht St. Gallen vereinigte die beiden Verfahren und bestätigte
am 19. November 2012, soweit angefochten, die erstinstanzlichen Schuldsprüche.
Es verurteilte X.________ im Zusammenhang mit dem Urteil des Kreisgerichts St.
Gallen vom 27. September 2010 zu einer Freiheitsstrafe von 4 ½ Jahren, einer
Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu Fr. 40.-- und einer Busse von Fr. 900.--. Es
widerrief den mit Entscheid des Untersuchungsamts St. Gallen (28. Februar 2008)
gewährten bedingten Vollzug für eine Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu Fr.
100.-- und den mit Entscheid des Bezirksamts Münchwilen (6. Januar 2009)
gewährten bedingten Vollzug für eine Geldstrafe von 10 Tagessätzen zu Fr.
70.--. Im Zusammenhang mit dem Urteil des Kreisgerichts St. Gallen vom 2.
Februar 2012 verurteilte das Kantonsgericht X.________ zu einer Freiheitsstrafe
von 2 Jahren und einer Busse von Fr. 300.--. Ferner ordnete es eine
vollzugsbegleitende ambulante Massnahme an.

 Die Schuldsprüche der versuchten vorsätzlichen Tötung und des
Anstaltentreffens zum Handel von einem Kilogramm Kokain stützen sich auf
folgende Sachverhalte: Am 1. Juli 2009 feuerte X.________ zwei Revolverschüsse
auf A.________, wobei er ihn töten wollte (Anklageschrift vom 22. Juni 2010).
Ferner bot ihm "Luan" am 8. August 2011 ein Kilogramm Kokain zum Weiterverkauf
an. X.________ verhandelte mit "Leo" über ein Darlehen, um damit den Kauf der
Betäubungsmittel zu finanzieren. Beide Geschäfte kamen nicht zustande, da er
nicht bereit war, für das Darlehen den Zins von 15 % zu bezahlen
(Anklageschrift vom 6. Dezember 2011).

C.

 X.________ beantragt mit Beschwerde in Strafsachen, das Urteil des
Kantonsgerichts St. Gallen aufzuheben und ihn von den Vorwürfen der versuchten
vorsätzlichen Tötung und des Anstaltentreffens zum Handel von einem Kilogramm
Kokain freizusprechen. Eventualiter sei die Angelegenheit zur neuen Beurteilung
an die Vorinstanz zurückzuweisen.

Erwägungen:

1.

1.1. Soweit der Beschwerdeführer den tatsächlichen Feststellungen der
Vorinstanz lediglich seine Sicht der Dinge gegenüberstellt, kann auf die
Beschwerde nicht eingetreten werden. Er erhebt keine Willkürrüge (vgl. Art. 105
Abs. 1 und Art. 97 Abs. 1 BGG; BGE 137 III 226 E. 4.2 S. 234 mit Hinweisen).

1.2. Auf die Beschwerde kann weiter nicht eingetreten werden, soweit der
Beschwerdeführer rügt, seine Aussagen an der Einvernahme vom 2. Juli 2009 seien
nicht verwertbar (Beschwerde S. 8-10 N. 10-16 und S. 13 N. 27). Er setzt sich
nicht mit den diesbezüglichen Erwägungen der Vorinstanz auseinander (Urteil S.
13-16 E. 5) und genügt damit den Begründungsanforderungen nicht (Art. 42 Abs. 2
Satz 1 und Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 136 I 65 E. 1.3.1 mit Hinweisen).

2.

2.1. Der Beschwerdeführer macht geltend, B.________ sei bei der Abgabe der
Schüsse vor Ort gewesen. Dieser müsse u.a. Auskunft darüber geben können, ob er
(der Beschwerdeführer) auf den Kontrahenten gezielt habe und ob dieser
ebenfalls bewaffnet gewesen sei. Weder die Beschwerdegegnerin noch die
Vorinstanz hätten die angemessenen Massnahmen getroffen, um B.________ zu
befragen. Indem die Vorinstanz trotzdem annehme, eine Einvernahme sei nicht
möglich und darauf verzichte, verletze sie Art. 6 Ziff. 3 lit. d EMRK, Art. 29
Abs. 2 sowie Art. 32 BV (Beschwerde S. 3-8 N. 1-9 und S. 13 N. 28 f.).

2.2. Die Vorinstanz erwägt, nach B.________ sei erfolglos gefahndet worden. Der
Beschwerdeführer habe zunächst ebenfalls keine hinreichenden Angaben über
dessen Erreichbarkeit machen können. Als die Adresse bekannt gewesen sei, sei
B.________ unter Zusicherung des freien Geleits zur Einvernahme vorgeladen
worden. Die Berufungsverhandlung sei verschoben worden, weil er kein Visum
erhalten habe. Trotz erneuter Vorladung sei er der verschobenen Verhandlung
ohne Nachricht fern geblieben. Es bestünden keine Anhaltspunkte, dass die
Beschwerdegegnerin ungenügend nachgeforscht habe. Es sei offensichtlich, dass
sich B.________ dem vorliegenden Verfahren nicht stellen wolle. Insgesamt seien
die angemessenen und zumutbaren Massnahmen zur Beschaffung seiner Aussagen
vorgenommen worden. Angesichts seines bisherigen Verhaltens erscheine es nicht
erfolgsversprechend, nachträglich noch den Rechtshilfeweg zu beschreiten
(Urteil S. 11 f.). Das Beweismittel sei somit unerreichbar. Indes habe auch ein
Schuldspruch zu ergehen, wenn dem Sachverhalt einzig die Angaben des
Beschwerdeführers zugrunde gelegt würden, die er mit denjenigen von B.________
belegen wolle (Urteil S. 13 2. Abschnitt). Die Vorinstanz stellt fest, nach den
übereinstimmenden Aussagen von C.________, dem Beschwerdeführer und A.________
habe sich Letzterer nach dem ersten Schuss hinter einem parkierten
Personenwagen versteckt. Der Beschwerdeführer habe eingeräumt, den zweiten und
dritten Schuss Richtung Garagentor bzw. Richtung Auto abgegeben zu haben, um
A.________ am Behändigen der fallen gelassenen Waffe zu hindern. Gemäss
Fotodokumentation seien die Projektile unterhalb des Dreiecksfensters bzw. im
oberen Bereich der B-Säule des Fahrzeugs eingeschlagen. Damit sei erstellt,
dass der Beschwerdeführer zwei Mal direkt auf A.________ geschossen habe
(Urteil S. 21).

2.3. Beruht der angefochtene Entscheid auf mehreren selbstständigen
Begründungen, ist für jede einzelne darzutun, weshalb sie Recht verletzt. Ficht
der Beschwerdeführer nur eine von zwei selbstständigen Begründungen an, bleibt
der angefochtene Entscheid gestützt auf die unangefochtene Begründung im
Ergebnis auch bestehen, wenn die erhobenen Einwände begründet sind. Die
Beschwerde läuft in diesem Fall auf einen blossen Streit über
Entscheidungsgründe hinaus, die für sich allein keine Beschwer bedeuten (BGE
133 IV 119 E. 6.3; 121 IV 94 E. 1b; je mit Hinweisen).

2.4. Der Beschwerdeführer setzt sich mit der vorinstanzlichen Begründung, er
sei auch schuldig zu sprechen, wenn dem Sachverhalt lediglich seine (allenfalls
von B.________ bestätigten) Aussagen zugrunde gelegt würden, nicht auseinander.
Dass die Beweiswürdigung der Vorinstanz willkürlich sein soll, ist weder
dargetan noch ersichtlich. Auf die Beschwerde kann in diesem Punkt nicht
eingetreten werden.

3.

3.1. Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches
Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV). Er sei nie mit D.________ konfrontiert worden. Die
Vorinstanz stütze den Schuldspruch betreffend Anstaltentreffen zum Handel mit
Kokain auf die protokollierten Telefongespräche zwischen ihm und D.________. Er
habe aber bestritten, dass es um Drogengeschäfte gegangen sei, weshalb eine
Konfrontation zwingend sei. Ohne die Möglichkeit, dem Gesprächspartner
Ergänzungsfragen zum Inhalt der Telefonate zu stellen, seien die Protokolle
nicht verwertbar (Beschwerde S. 11 N. 17 f. und S. 13 N. 30).

3.2. Die Rüge ist unbegründet. Der Einwand des Beschwerdeführers, er sei mit
dem "Hauptbelastungszeugen D.________" nicht konfrontiert worden, geht an der
Sache vorbei. Die Vorinstanz stützt den Schuldspruch betreffend
Anstaltentreffen zum Handel mit Kokain auf die Aussagen des Beschwerdeführers
und die protokollierten Telefonate zwischen ihm sowie D.________ und nicht auf
Aussagen eines Zeugen oder einer Auskunftsperson (Urteil S. 26 lit. d). Im
Übrigen legt der Beschwerdeführer nicht dar, er habe die Konfrontation mit
D.________ beantragt. Der Beschuldigte kann grundsätzlich nicht den Vorwurf
erheben, gewisse Zeugen seien nicht zwecks Konfrontation vorgeladen worden,
wenn er es unterlässt, entsprechende Anträge zu stellen (Urteil 6B_521/2008 vom
26. November 2008 E. 5.3.1 mit Hinweisen). Der Beschwerdeführer macht weiter
nicht geltend, ihm bzw. seinem Verteidiger sei keine Akteneinsicht gewährt
worden (vgl. BGE 135 I 187 E. 2.2 mit Hinweis). Entgegen seiner Darstellung
bestritt er nicht, dass an den abgehörten Telefongesprächen über
Drogengeschäfte geredet wurde, sondern erklärte auf entsprechenden Vorhalt, er
habe die Möglichkeit gehabt, ein Kilogramm Kokain zu beziehen. D.________ habe
ihn gefragt, wie viel das koste. Allerdings stellte der Beschwerdeführer sich
auf den Standpunkt, es sei alles nur Quatsch gewesen, weil D.________ "sowieso
kein Geld" gehabt habe (Urteil S. 26 2. Abschnitt). Die Vorinstanz würdigt
diesen Einwand als Schutzbehauptung (Urteil S. 26 lit. d), was der
Beschwerdeführer nicht beanstandet. Dass und inwiefern ihm eine wirksame
Verteidigung nicht möglich gewesen sein sollte, ist weder dargelegt noch
ersichtlich.

4.

4.1. Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die Strafzumessung. Er rügt, mit
einer Strafreduktion von lediglich 1 ½ Jahren berücksichtige die Vorinstanz
nicht genügend, dass er die Tötung nur versucht habe. Sie verurteile ihn im
ersten Verfahren zu einer Freiheitsstrafe von 4 ½ Jahren. Dies beziehe sie bei
der Beurteilung der Frage des Aufschubs des Vollzugs der Freiheitsstrafe von 2
Jahren zu Unrecht nicht mit ein. Der Vollzug einer Strafe und die ambulante
Massnahme würden bei ihm ihre Wirkung nicht verfehlen. Daher könne ihm im
zweiten Verfahren keine ungünstige Prognose gestellt werden. Insofern bedürfe
es auch keiner ambulanten Massnahme mehr (Beschwerde S. 11-13 N. 19-26 und S.
14 N. 31).

4.2. Das Bundesgericht hat die Grundsätze der Strafzumessung (BGE 136 IV 55 E.
5.4 ff. mit Hinweisen), zur Anwendbarkeit des Asperationsprinzips und zur
Bildung der Einsatz- sowie Gesamtstrafe nach Art. 49 StGB dargelegt (vgl. BGE
138 IV 120 E. 5, 113 E. 3.4; 137 IV 57; Urteil 6B_390/2012 vom 18. Februar 2013
E. 4.2-4.4; je mit Hinweisen). Darauf kann verwiesen werden.

4.3. Die Vorinstanz setzt sich mit den wesentlichen schuldrelevanten
Komponenten auseinander und würdigt alle Strafzumessungsfaktoren zutreffend.
Auf ihre Ausführungen kann verwiesen werden (Urteil S. 30 ff.). Namentlich
trägt sie dem Umstand, dass es bei der Tötung lediglich beim Versuch blieb,
hinreichend Rechnung, insbesondere weil die Nichtvollendung der Tat erheblich
vom Zufall und dem Einschreiten eines Dritten abhing (Urteil S. 31 E. 3a/bb).

 Die Vorinstanz erwägt, die Voraussetzungen für eine - von den Parteien
übereinstimmend beantragte - ambulante Massnahme seien erfüllt. Sie verweist
hierfür auf die Ausführungen im Gutachten (Urteil S. 36 lit. b). Die Anordnung
einer Massnahme bedeutet zugleich eine ungünstige Prognose, so dass eine
gleichzeitig ausgefällte Strafe nicht bedingt oder teilbedingt aufgeschoben
werden kann (Urteil 6B_141/2009 vom 24. September 2009 E. 1 mit Hinweisen).
Vorliegend ist somit unbeachtlich, dass die Vorinstanz nicht darauf eingeht, ob
der Vollzug der im ersten Verfahren ausgesprochenen Freiheitsstrafe von 4 ½
Jahren eine günstige Wirkung auf den Beschwerdeführer haben kann.

5.

 Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Die
Gerichtskosten sind dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 4'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Kantonsgericht St. Gallen, Strafkammer,
schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 26. August 2013

Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Mathys

Die Gerichtsschreiberin: Pasquini

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