Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.258/2013
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
6B_258/2013

Urteil vom 6. Januar 2014

Strafrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Mathys, Präsident,
Bundesrichter Schneider,
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari,
Gerichtsschreiber Borner.

Verfahrensbeteiligte
V.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Peter Steiner,
Beschwerdeführer,

gegen

Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Landschaft, Emma Herwegh-Platz 2a, 4410
Liestal,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Einstellungsverfügung; Entschädigung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Kantonsgerichts Basel-Landschaft, Abteilung
Strafrecht, vom 5. Februar 2013.

Sachverhalt:

A.

 Am 30. September 2011 war V.________ in einen Auffahrunfall verwickelt, wobei
er eine Gehirnerschütterung und eine Distorsion der Halswirbelsäule erlitt.
Unabhängig vom Verfahren gegen den Unfallverursacher eröffnete die
Staatsanwaltschaft Basel-Landschaft eine Strafuntersuchung gegen ihn wegen
Nichttragens der Sicherheitsgurte.

B.

 Die Staatsanwaltschaft stellte am 13. Dezember 2012 das Verfahren wegen
einfacher Verkehrsregelverletzung gegen V.________ ein und billigte ihm weder
Entschädigung noch Genugtuung zu.

 Gegen den Entschädigungsentscheid erhob V.________ Beschwerde, die das
Kantonsgericht Basel-Landschaft am 5. Februar 2013 abwies.

C.

 V.________ führt Beschwerde in Strafsachen und beantragt, das angefochtene
Urteil sei aufzuheben, und er sei mit Fr. 3'099.60 zu entschädigen.

 Das Kantonsgericht und die Staatsanwaltschaft begehren die Abweisung der
Beschwerde (act. 10 f.).

Erwägungen:

1.

 Die Vorinstanz erwägt, der Vorwurf, die Sicherheitsgurte nicht getragen zu
haben, stelle eine einfache Verletzung der Verkehrsregeln dar, die lediglich
mit Busse bedroht sei. Dabei handle es sich um einen klaren Bagatellfall im
Sinne von Art. 132 Abs. 2 und 3 StPO. In tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht
habe es keinerlei Schwierigkeiten gegeben, die den Beizug eines Anwalts
erfordert hätten. Der Beschwerdeführer berufe sich auf seine Verletzungen resp.
die Zivilforderungen daraus, die das Strafverfahren erschwert hätten. Dabei
übersehe er, dass allfällige Zivilforderungen im Strafverfahren gegen den
Unfallverursacher vorzubringen wären und mit seinem eigenen Verfahren nichts zu
tun hätten.

2.

 Wird das Verfahren gegen die beschuldigte Person eingestellt, so hat sie
Anspruch auf Entschädigung ihrer Aufwendungen für die angemessene Ausübung
ihrer Verfahrensrechte (Art. 429 Abs. 1 lit. a StPO).
Das Verfahren gegen den Beschwerdeführer verlief wie folgt:

- Die Staatsanwaltschaft eröffnete am 1. November 2011 gegen ihn ein
Strafverfahren wegen Nichttragens der Sicherheitsgurte (kantonale Akten, act.
209).
- Am 15. November 2011 schrieb sie ihm, aufgrund seiner Verletzungen und der
Tatsache, dass der Gurtstraffer nicht ausgelöst worden sei, sei anzunehmen,
dass er nicht angegurtet gewesen sei. Sie forderte ihn auf mitzuteilen, ob er
den Sachverhalt anerkenne oder nicht (act. 2, Beilage 2).
- Daraufhin mandatierte er seinen Rechtsvertreter und beteuerte, die
Sicherheitsgurte getragen zu haben.
- Am 13. Dezember 2011 stellte die Haftpflichtversicherung des
Unfallverursachers in Aussicht, es sei zu klären, inwieweit die Verletzungen
infolge Nichtangurtens entstanden seien, da hier ein adäquater
Kausalzusammenhang bestehe (act. 2, Beilage 1).
- Am 23. Oktober 2012 schlug die Staatsanwaltschaft dem Rechtsvertreter des
Beschwerdeführers telefonisch einen Vergleich vor. Sie werde das Strafverfahren
wegen Nichttragens der Sicherheitsgurte mangels rechtsgenügenden Nachweises
einstellen, wenn er den Strafantrag gegen den Unfallverursacher wegen
fahrlässiger Körperverletzung zurückziehe. Ansonsten werde ein
rechtsmedizinisches Gutachten erstellt über die Frage, ob er die
Sicherheitsgurte getragen habe und inwieweit der Verkehrsunfall für die
Verschlimmerung seines Gesundheitszustands kausal gewesen sei. Überdies wäre zu
klären, ob grobes Selbstverschulden wegen Nichttragens der Sicherheitsgurte
sowie eine konstitutionelle Prädisposition die Kausalität unterbrochen hätten
(kantonale Akten, act. 171).
- Am 13. November 2012 eröffnete die Staatsanwaltschaft dem Beschwerdeführer,
dass sie das Verfahren gegen ihn einstelle, und erwarte, dass er seinen
Strafantrag zurückziehe (a.a.O., act. 261).
- Am 13. Dezember 2012 stellte die Staatsanwaltschaft das Verfahren gegen den
Unfallverursacher wegen Rückzugs des Strafantrags ein. Sie hielt fest, dieser
habe durch sein Verhalten (Körperverletzung durch das Verursachen eines
Verkehrsunfalls infolge einfacher Verletzung der Verkehrsregeln) "rechtswidrig
und schuldhaft die Einleitung des Verfahrens bewirkt" (a.a.O., ohne actorum, S.
2), weshalb sie ihm die Verfahrenskosten auferlegte.

 Wie der Beschwerdeführer zu Recht geltend macht, erfuhr er erst mit der
zuletzt erwähnten Einstellungsverfügung von der Auffassung der
Staatsanwaltschaft, dass ihm der Unfallverursacher fahrlässig eine
Körperverletzung zugefügt habe. Zuvor musste er davon ausgehen, die
Staatsanwaltschaft sehe die Ursache seiner Verletzungen (zumindest teilweise)
im Nichttragen der Sicherheitsgurte, was für ihn erhebliche finanzielle
Einbussen hätte nach sich ziehen können. Die Erwägung der Vorinstanz, dass
allfällige Zivilforderungen im Strafverfahren gegen den Unfallverursacher
geltend zu machen seien und mit demjenigen des Beschwerdeführers nichts zu tun
hätten, trifft nicht zu. Denn im Ergebnis hätte eine Verurteilung des
Beschwerdeführers wegen Nichttragens der Sicherheitsgurte dessen Zivilansprüche
massgeblich mindern können. Unter diesen Umständen war der Beizug eines
Wahlverteidigers angemessen, um die Verfahrensrechte des Beschwerdeführers
auszuüben (vgl. zum Ganzen BGE 138 IV 197). Das angefochtene Urteil ist
aufzuheben und die Sache zur neuen Beurteilung an die Vorinstanz
zurückzuweisen.

 Der Einwand der Beschwerdegegnerin, sie habe im Zeitpunkt des
Einstellungsbeschlusses nichts von einem allfälligen Rückgriff der
Haftpflichtversicherung des Unfallverursachers gewusst, geht an der Sache
vorbei. Es gehört zum juristischen Grundwissen, dass Versicherungen bei einem
Mitverschulden des Geschädigten dessen Entschädigungsforderung regelmässig
entsprechend kürzen. Deshalb war es für den Beschwerdeführer wichtig, sich
gegen den Vorwurf zu wehren, die Sicherheitsgurte nicht getragen zu haben.

 Die Beschwerdegegnerin hält dafür, der Beschwerdeführer hätte die fragliche
Entschädigung im Verfahren gegen den Unfallverursacher geltend machen müssen,
weil in diesem die versicherungsrechtlichen Fragen zu beurteilen seien. Eine
solche Sichtweise blendet aus, dass die Beschwerdegegnerin von sich aus das
Verfahren gegen den Beschwerdeführer eröffnete und nicht etwa der Unfallgegner
dieses angestrengt hatte. Letzterem notwendige Aufwendungen eines "fremden"
Verfahrens aufzuerlegen, wäre unbillig.

3.

 Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind keine Kosten zu erheben, das Gesuch des
Beschwerdeführers um unentgeltliche Rechtspflege ist gegenstandslos und dessen
Rechtsvertreter ist vom Kanton Basel-Landschaft angemessen zu entschädigen
(Art. 66 Abs. 4 und Art. 68 Abs. 2 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird gutgeheissen, das Urteil des Kantonsgerichts
Basel-Landschaft vom 5. Februar 2013 aufgehoben und die Sache zur neuen
Beurteilung an die Vorinstanz zurückgewiesen.

2. 
Das Gesuch des Beschwerdeführers um unentgeltliche Rechtspflege ist
gegenstandslos.

3. 
Es werden keine Kosten erhoben.

4. 
Der Kanton Basel-Landschaft hat den Rechtsvertreter des Beschwerdeführers mit
Fr. 3'000.-- zu entschädigen.

5. 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Kantonsgericht Basel-Landschaft,
Abteilung Strafrecht, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 6. Januar 2014

Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Mathys

Der Gerichtsschreiber: Borner

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