Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.237/2013
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
6B_237/2013

Urteil vom 19. Juli 2013

Strafrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Mathys, Präsident,
Bundesrichter Schneider, Oberholzer,
Gerichtsschreiberin Kratz-Ulmer.

Verfahrensbeteiligte
X.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Oskar Müller,
Beschwerdeführer,

gegen

Staatsanwaltschaft des Kantons Uri,
Postfach 959, 6460 Altdorf UR,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Grobe Verletzung von Verkehrsregeln, Beweiswürdigung,

Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Uri, Strafrechtliche
Abteilung, vom 15. November 2012.

Sachverhalt:

A.

 X.________ lenkte am 15. Januar 2011 seinen Personenwagen in Erstfeld auf der
Überholspur der Autobahn in Fahrtrichtung Nord. Als Informationstafeln einen
Spurabbau nach 1000 m und später nach 500 m ankündigten, fuhr er auf der
Überholspur weiter. Etwa 750 m vor dem Spurabbau wurde die zulässige
Höchstgeschwindigkeit auf 100 km/h und ca. 300 m vor dem Spurabbau auf 80 km/h
reduziert. Rund 250 m vor dem Spurabbau erfolgte ein Hinweis auf die
bevorstehende Baustelle. Der Spurabbau wurde mittels Leitbaken, einer
Miniguard-Leitplanke und entsprechender Signalisation eingeleitet.
X.________ versuchte ca. 300 m vor dem Spurabbau mit einer Geschwindigkeit von
100 km/h einen auf der Normalspur fahrenden Lastwagen zu überholen. Da ihm dies
nicht rechtzeitig gelang, kollidierte er ungebremst mit den Leitbaken und der
Miniguard-Leitplanke. Die Kollision hatte zur Folge, dass das Fahrzeug von
X.________ durch die Luft flog und mit einem auf der Normalspur fahrenden
Sattelschlepper zusammenstiess.

B. Das Landgerichtsvizepräsidium Uri verurteilte X.________ am 3. April 2012
wegen grober Verletzung der Verkehrsregeln im Sinne von Art. 90 Ziff. 2 SVG zu
einer bedingten Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu Fr. 30.-- und einer Busse von
Fr. 600.--. Auf Berufung von X.________ bestätigte das Obergericht des Kantons
Uri am 15. November 2012 das erstinstanzliche Urteil.

C.

 X.________ führt Beschwerde in Strafsachen. Er beantragt, ihn vom Vorwurf der
groben Verkehrsregelverletzung freizusprechen und wegen einfacher
Verkehrsregelverletzung zu bestrafen.

Erwägungen:

1.

1.1. Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die vorinstanzliche
Sachverhaltsfeststellung. Auf der Normalspur seien Lastwagen mit einem Abstand
von 10 bis 12 m hintereinander gefahren. Gestützt auf den Grundsatz "in dubio
pro reo" sei zu seinen Gunsten davon auszugehen, dass selbst ein brüskes
Abbremsen ein gefahrloses Einfädeln auf die Normalspur nicht ermöglicht
hätte. Beim Hinweis auf die Geschwindigkeitsreduktion auf 80 km/h habe er den
Fuss vom Gas genommen, um dem angekündigten Spurabbau Rechnung zu tragen. Zu
diesem Zeitpunkt hätten sich erstmals Anzeichen ergeben, dass der bei der
Spurverengung übliche Reissverschluss nicht möglich war. Er habe sich daher für
das Überholmanöver entschieden.

1.2. Die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz kann nur gerügt werden, wenn
sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von
Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des
Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG; siehe Art. 105 Abs. 1
und 2 BGG). Offensichtlich unrichtig ist die Sachverhaltsfeststellung, wenn sie
willkürlich ist (BGE 137 III 226 E. 4.2). Dem vom Beschwerdeführer angerufenen
Grundsatz "in dubio pro reo" kommt in seiner Funktion als Beweiswürdigungsregel
im Verfahren vor dem Bundesgericht keine über das Willkürverbot von Art. 9 BV
hinausgehende Bedeutung zu (BGE 127 I 38 E. 2a mit Hinweisen). Willkür bei der
Beweiswürdigung liegt vor, wenn der angefochtene Entscheid offensichtlich
unhaltbar ist oder mit der tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch steht.
Dass eine andere Lösung oder Würdigung ebenfalls vertretbar oder gar
zutreffender erscheint, genügt für die Annahme von Willkür nicht (BGE 138 I 305
E. 4.3; 137 I 1 E. 2.4; je mit Hinweisen).
Die Rüge der Verletzung von Grundrechten (einschliesslich der Willkür bei der
Sachverhaltsfeststellung) muss in der Beschwerde anhand des angefochtenen
Entscheids präzise vorgebracht und substanziiert begründet werden, andernfalls
darauf nicht eingetreten wird (Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 137 IV 1 E. 4.2.3; 136
I 65 E. 1.3.1; je mit Hinweisen).

1.3. Die Vorinstanz wirft dem Beschwerdeführer vor, er hätte, spätestens als
die Leitbaken in Sichtweite waren, das Überholmanöver abbrechen, die
Geschwindigkeit wesentlich drosseln und sich in den Verkehr auf die Normalspur
eingliedern müssen, was zu diesem Zeitpunkt noch gefahrlos möglich gewesen
wäre (Urteil S. 8 f.). Der Beschwerdeführer habe auf 100 km/h beschleunigen
müssen, um an den auf der Normalspur fahrenden Lastwagen vorbeizufahren (Urteil
S. 8, unter Hinweis auf das erstinstanzliche Urteil S. 11 f.). Es könne nicht
von einer "Reissverschluss"-Situation gesprochen werden, bei der zwei langsam
fahrende Autokolonnen auf eine Spur reduziert werden (Urteil S. 6).

1.4. Der Beschwerdeführer legt nicht dar, dass und inwiefern das Beweisergebnis
der Vorinstanz im Ergebnis nicht vertretbar und damit willkürlich sein soll. Er
beschränkt sich darauf, den zu geringen Abstand der auf der Normalspur
hintereinanderfahrenden Lastwagen zu erwähnen, ohne sich jedoch mit der
konkreten Verkehrssituation und den Ausführungen der Vorinstanz
auseinanderzusetzen. Die Vorinstanz geht von einem mit der zulässigen
Höchstgeschwindigkeit fahrenden Lastwagen auf der Normalspur aus, den der
Beschwerdeführer überholen wollte (Urteil S. 8, unter Hinweis auf das
erstinstanzliche Urteil S. 11, 13). Seine Rüge erweist sich als unbegründet,
soweit sie den Begründungsanforderungen von Art. 106 Abs. 2 BGG überhaupt zu
genügen vermag.

2.

2.1. Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die Verurteilung wegen grober
Verkehrsregelverletzung nach Art. 90 Ziff. 2 SVG. Die vorzeitige Ankündigung
eines Spurabbaus verlange vom Fahrzeugführer nicht, dass er sich unverzüglich
auf die rechte Fahrbahn eingliedere. Die Signalisation der Spurverengung gelte
nicht nur für den vom Spurabbau betroffenen Fahrzeuglenker, sondern auch für
den Verkehr auf der Normalspur. Die Lenker auf der Normalspur hätten einen
genügend grossen Abstand zum vorausfahrenden Fahrzeug einzuhalten, damit den
anderen Verkehrsteilnehmern ermöglicht werde, sich ohne Gefährdung anderer nach
rechts einzufädeln. In subjektiver Hinsicht bestreitet er, sich rücksichtslos
oder sonst wie schwerwiegend regelwidrig verhalten zu haben.

2.2. Nach Art. 90 Ziff. 2 SVG macht sich strafbar, wer durch grobe Verletzung
von Verkehrsregeln eine ernstliche Gefahr für die Sicherheit anderer hervorruft
oder in Kauf nimmt. Der objektive Tatbestand von Art. 90 Ziff. 2 SVG ist
erfüllt, wenn der Täter eine wichtige Verkehrsvorschrift in objektiv schwerer
Weise missachtet und die Verkehrssicherheit ernstlich gefährdet. Eine
ernstliche Gefahr für die Sicherheit anderer ist bereits bei einer erhöhten
abstrakten Gefährdung gegeben. Diese bedingt die naheliegende Möglichkeit einer
konkreten Gefährdung oder Verletzung. Subjektiv erfordert der Tatbestand ein
rücksichtsloses oder sonst schwerwiegend verkehrsregelwidriges Verhalten, d.h.
ein schweres Verschulden, bei fahrlässigem Handeln mindestens grobe
Fahrlässigkeit. Diese ist zu bejahen, wenn der Täter sich der allgemeinen
Gefährlichkeit seiner verkehrsregelwidrigen Fahrweise bewusst ist. Grobe
Fahrlässigkeit kann auch vorliegen, wenn der Täter die Gefährdung anderer
Verkehrsteilnehmer pflichtwidrig gar nicht in Betracht zieht. Die Annahme einer
groben Verkehrsregelverletzung setzt in diesem Fall voraus, dass das
Nichtbedenken der Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer auf Rücksichtslosigkeit
beruht (BGE 131 IV 133 E.3.2; 130 IV 32 E. 5.1; je mit Hinweisen).

2.3.

2.3.1. Überholen ist auf alle Fälle nur gestattet, wenn der nötige Raum
übersichtlich sowie frei ist und der Überholende rechtzeitig und ohne
Behinderung anderer Fahrzeuge wieder einbiegen kann (vgl. Art. 35 Abs. 2
SVG). Der Beschwerdeführer verfügte nicht über den zum Überholen nötigen freien
und übersichtlichen Raum (Urteil S. 8, unter Hinweis auf das erstinstanzliche
Urteil S. 11). Zudem durfte er unter den gegebenen Umständen das Überholmanöver
auch deshalb nicht einleiten, weil er dazu auf 100 km/h beschleunigen musste,
obwohl die zulässige Höchstgeschwindigkeit 80 km/h betrug (Urteil S. 6). Nicht
nachvollziehbar ist überdies, weshalb er nicht abbremste, als die Leitbaken vor
ihm auftauchten (Urteil S. 10). Der Beschwerdeführer kann sich nicht darauf
berufen, die auf der Normalspur fahrenden Lastwagen hätten ihm das Einbiegen
ermöglichen müssen, da er keinen entsprechenden Versuch unternahm. Im Übrigen
weist die Vorinstanz zu Recht darauf hin, dass ein allfälliges Fehlverhalten
der Lastwagenfahrer den Beschwerdeführer nicht entlastet (Urteil S. 8, unter
Hinweis auf das erstinstanzliche Urteil S. 13). Das Strafrecht kennt keine
Schuldkompensation (vgl. BGE 106 IV 58 E. 1). Selbst wenn die Lastwagen einen
ungenügenden Abstand einhielten, entschuldigt dies den Beschwerdeführer nicht.
Dieser erkannte die Situation und hätte sich danach richten können, indem er
hinter den Lastwagen auf die Normalspur einbog, was gemäss den verbindlichen
Feststellungen der Vorinstanz gefahrlos möglich war. Der Beschwerdeführer war
nicht in der Lage, sein Überholmanöver rechtzeitig vor dem Abbau der
Überholspur zu beenden. Der objektive Tatbestand von Art. 90 Ziff. 2 SVG ist
erfüllt.

2.3.2. Auch die subjektiven Voraussetzungen von Art. 90 Ziff. 2 SVG sind
gegeben. Die Vorinstanz stellt fest, dass der Beschwerdeführer 300 m vor
Spurabbau ohne Gefahr noch hätte einbiegen können. Es gab somit keinen Anlass
für die vom Beschwerdeführer beschriebene Drucksituation. Der Beschwerdeführer
handelte rücksichtslos, indem er die allgemeine Gefährlichkeit seines
verkehrsregelwidrigen Manövers nicht bedachte und sich bedenkenlos über die
Interessen der anderen Verkehrsteilnehmer hinwegsetzte.

2.4. Der Schuldspruch wegen grober Verletzung der Verkehrsregeln im Sinne von
Art. 90 Ziff. 2 SVG ist bundesrechtskonform. Die Rüge des Beschwerdeführers ist
unbegründet.

3.

 Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Die
bundesgerichtlichen Kosten sind dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs.
1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 4'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Obergericht des Kantons Uri,
Strafrechtliche Abteilung, und dem Strassenverkehrsamt des Kantons Zürich,
Abteilung Administrativmassnahmen, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 19. Juli 2013

Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Mathys

Die Gerichtsschreiberin: Kratz-Ulmer

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