Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.183/2013
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
6B_183/2013

Urteil vom 10. Juni 2013

Strafrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Schneider, präsidierendes Mitglied,
Bundesrichter Denys, Oberholzer,
Gerichtsschreiber Keller.

Verfahrensbeteiligte
X.________,
vertreten durch Advokatin Christina Reinhardt,
Beschwerdeführer,

gegen

Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt,
Beschwerdegegnerin,

Y.________,
vertreten durch Advokat Daniel Tschopp,
Beschwerdegegner.

Gegenstand
Angriff; rechtliches Gehör, Unschuldsvermutung etc.,

Beschwerde gegen das Urteil des
Appellationsgerichts des Kantons Basel-Stadt, Ausschuss, vom 8. August 2012.

Sachverhalt:

A.
Gemäss Anklage hielt sich X.________ am 16. Dezember 2005 zusammen mit seinem
Kollegen Z.________ in der Diskothek "Kuppel" in Basel auf. Um ca. 02.45 Uhr
gerieten der Kollege und Y.________ auf der Tanzfläche aneinander. Es entstand
eine heftige verbale Auseinandersetzung, die ausserhalb des Lokals fortgeführt
wurde. Als sich mehrere weitere Personen in den Streit eingemischt hatten,
eskalierte die Situation. Die Beteiligten stiessen sich gegenseitig, schlugen
mit Fäusten und warfen Flaschen. Dabei fiel Z.________ auf den mit Scherben
übersäten Boden und zog sich eine tiefe Schnittverletzung an der Hand zu. Als
sich Y.________ zu seinem in der Nähe auf dem Zooparkplatz abgestellten
Fahrzeug begeben hatte, folgten ihm mehrere Personen, darunter auch X.________.
Y.________ wollte flüchten, worauf ihn die Verfolger tätlich angriffen.
Z.________, der über seine Wunde äusserst aufgebracht war, schlug zusätzlich
mit einer Flasche und anderen Gegenständen auf das Opfer ein. Y.________ erlitt
aufgrund der Angriffe Rissquetschwunden am Hinterkopf und am rechten
Unterschenkel, Quetschungen an der rechten Flanke und am rechten Unterarm, eine
Gehirnerschütterung sowie eine Verstauchung der Halswirbelsäule. Y.________ war
zunächst arbeitsunfähig und bezieht heute eine Rente der Invalidenversicherung
von 100 %.

B.
Das Strafgericht Basel-Stadt sprach X.________ vom Vorwurf des Angriffs zum
Nachteil von Y.________ frei, verurteilte ihn jedoch gestützt auf andere
Anklagesachverhalte wegen bandenmässigen Raubes, Diebstahls, Hausfriedensbruchs
sowie Inumlaufsetzens falschen Geldes zu einer teilbedingten Freiheitsstrafe
von 2¾ Jahren. Den Vollzug von 18 Monaten schob das Gericht auf.
X.________ und das Opfer Y.________ erhoben gegen dieses Urteil Appellation
bzw. Anschlussappellation beim Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt, das
den Beschuldigten am 8. August 2012 wegen bandenmässigen Raubes, Diebstahls,
Hausfriedensbruchs, Inumlaufsetzens falschen Geldes sowie Angriffs verurteilte
und dieselbe Sanktion aussprach.

C.
X.________ erhebt Beschwerde in Strafsachen. Er beantragt, das angefochtene
Urteil sei aufzuheben und die Sache zur neuen Beurteilung an die Vorinstanz
zurückzuweisen. Eventualiter sei das Urteil abzuändern, die Verurteilung wegen
Angriffs aufzuheben und eine bedingte Freiheitsstrafe von 20 Monaten
auszufällen. Die Schadenersatzforderung von Y.________ sei aufzuheben und die
grundsätzliche Gutheissung der Adhäsionsklage an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Eventualiter sei die Schadenersatzforderung auf den Zivilweg zu verweisen. Er
ersucht um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung.

D.
Das Appellationsgericht Basel-Stadt beantragt die Abweisung der Beschwerde. Die
Staatsanwaltschaft Basel-Stadt liess sich nicht vernehmen. Das Opfer Y.________
beantragt, die Beschwerde sei abzuweisen und das angefochtene Urteil zu
bestätigen.

Erwägungen:

1.

1.1. Der Beschwerdeführer wendet sich gegen den Schuldspruch wegen Angriffs.
Die Vorinstanz habe die Verurteilung auf die Aussagen von W.________ gestützt.
Die Einvernahme im Ermittlungsverfahren sei allerdings unter Verletzung des
Konfrontationsrechts, d.h. des Anspruchs auf rechtliches Gehör, durchgeführt
worden. Er habe keine Gelegenheit gehabt, Ergänzungsfragen zu stellen. Im
Rahmen des Appellationsprozesses sei er zwar konfrontiert worden, die Zeugin
habe ihn dort jedoch nicht mehr belastet. Sie habe sich nur noch an seine
Anwesenheit in der ersten Phase der Auseinandersetzung erinnert. An eine
Beteiligung in der zweiten Phase könne sie sich ausdrücklich nicht erinnern.
Sie habe zudem jegliche Gewalttätigkeiten in diesem Zeitpunkt durch ihn
verneint und damit den Tatvorwurf klar widerlegt. Die Vorinstanz erachte aus
willkürlichen Gründen die früheren belastenden Aussagen als bestätigt. Die
Zeugin habe im Appellationsverfahren wohl glaubhaft ausgesagt. Es gehe jedoch
nicht an, ihre Glaubwürdigkeit auf frühere Aussagen zu erstrecken. Diese seien
ohne Konfrontationsmöglichkeit ohnehin nicht verwertbar. Die Vorinstanz stütze
sich zudem auf die Zeugenaussage von V.________ im Ermittlungsverfahren. Sie
räume zwar ein, dass diese Aussagen mangels Konfrontation nicht verwertbar
seien, gleichwohl gehe sie von einem Indiz aus. Darin liege eine offenkundige
Rechtsverletzung (Art. 32 Abs. 2 BV i.V.m. Art. 6 Ziff. 1 und Art. 6 Ziff. 3
lit. d EMRK). Weiter habe die erste Instanz diese Zeugen vom Hörensagen als
nicht massgeblich bezeichnet. Auch die übrigen von der Vorinstanz angeführten
Zeugenaussagen seien nicht verwertbar, zudem habe lediglich U.________
belastende Aussagen gemacht. Schliesslich verletze die Vorinstanz die
Unschuldsvermutung. Es sei unbestritten, dass er am Ort der Auseinandersetzung
gewesen sei. Dies könne jedoch nicht als Indiz für eine aktive Teilnahme an der
Gewalt gegen Y.________ gewertet werden (Beschwerde, S. 4 ff.).

1.2. Die Vorinstanz erwägt, der Beschwerdeführer habe fortwährend bestritten,
in der zweiten Phase der tätlichen Auseinandersetzung auf dem Zooparkplatz das
Opfer Y.________ geschlagen und getreten zu haben. Die Zeugin W.________ sei
als glaubwürdig einzustufen, obwohl sie der Seite des Opfers nahestehe. Sie sei
mit dem Beschwerdeführer anlässlich der Appellationsverhandlung konfrontiert
worden, weshalb auch ihre früheren Aussagen im Ermittlungsverfahren verwertbar
seien. Sie habe damals den Beschwerdeführer zweifelsfrei als einen der Täter
identifiziert, die das Opfer geschlagen und Flaschen nach ihm geworfen hätten.
Die Vorinstanz gibt in der Folge ausführlich ihre früheren Aussagen wider und
bewertet deren Glaubhaftigkeit.
Die Vorinstanz räumt ein, dass W.________ anlässlich der
Appellationsverhandlung nicht mehr aus freier Erinnerung habe schildern können,
ob der Beschwerdeführer das Opfer geschlagen habe. Sie habe ihre früheren
Aussagen jedoch ohne zu zögern bestätigt. Diese Unsicherheiten beeinträchtigten
die Glaubhaftigkeit ihrer Aussagen nicht. Auf diese sei abzustellen, zumal sie
von weiteren Zeugen bestätigt würden. Der Zeuge V.________ sei zwar nicht mit
dem Beschwerdeführer konfrontiert worden. Seine Aussagen seien jedoch immerhin
als Indizien zu verwerten. Dies gelte auch für die Angaben der übrigen
Beteiligten und Zeugen, soweit sie nicht mit dem Beschwerdeführer konfrontiert
worden seien (Urteil, S. 14 ff.).
In Würdigung aller Umstände sei davon auszugehen, dass sich der
Beschwerdeführer nicht nur durch seine Anwesenheit mit Schreien und
Herumtelefonieren an den Geschehnissen beteiligt, sondern auch physisch mit
Schlägen und/oder Tritten auf das Opfer eingewirkt habe. Er habe zwar mit
geringerer Intensität als Z.________ zugeschlagen, habe jedoch zumindest
eventualvorsätzlich mit der eingetretenen Körperverletzung des Opfers rechnen
müssen. Welchem Täter die einzelnen Verletzungen zuzuschreiben seien, sei
bezüglich des Angrifftatbestandes unerheblich (Urteil, S. 17).

1.3. Der in Art. 6 Ziff. 3 lit. d EMRK garantierte Anspruch des
Angeschuldigten, den Belastungszeugen Fragen zu stellen, ist ein besonderer
Aspekt des Rechts auf ein faires Verfahren. Eine belastende Zeugenaussage ist
grundsätzlich nur verwertbar, wenn der Beschuldigte wenigstens einmal während
des Verfahrens angemessene und hinreichende Gelegenheit hatte, das Zeugnis in
Zweifel zu ziehen und Fragen an den Belastungszeugen zu stellen. Damit die
Verteidigungsrechte gewahrt sind, muss der Beschuldigte namentlich in der Lage
sein, die Glaubhaftigkeit einer Aussage prüfen und den Beweiswert in
kontradiktorischer Weise auf die Probe und in Frage stellen zu können (BGE 133
I 33 E. 2.2; 131 I 476 E. 2.2; 129 I 151 E. 3.1 und 4.2; je mit Hinweisen).
Dieser Anspruch wird als Konkretisierung des rechtlichen Gehörs (Art. 29 Abs. 2
BV) auch durch Art. 32 Abs. 2 BV gewährleistet (BGE 131 I 476 E. 2.2; 129 I 151
E. 3.1 mit Hinweisen).

1.4. Dem Anspruch, den Belastungszeugen Fragen zu stellen, kommt grundsätzlich
ein absoluter Charakter zu (BGE 131 I 476 E. 2.2; 129 I 151 E. 3.1). Auf eine
Konfrontation des Angeklagten mit dem Belastungszeugen oder auf die Einräumung
der Gelegenheit zu ergänzender Befragung des Zeugen kann nur unter besonderen
Umständen verzichtet werden (hierzu ausführlich Urteil 6B_125/2012 vom 28. Juni
2012 E. 3.3.1 mit Hinweisen). Die Beantwortung von Fragen der Verteidigung an
den Belastungszeugen darf nicht mittels antizipierter Beweiswürdigung als nicht
notwendig erklärt werden (BGE 129 I 151 E. 4). Dies gilt entgegen dem Hinweis
in BGE 129 I 151 E. 4.3 auch, wenn das streitige Zeugnis nicht den einzigen
oder einen wesentlichen Beweis darstellt. Unerheblich ist, dass die belastende
Aussage lediglich eines von mehreren Gliedern einer Indizienkette bildet
(Urteil 6B_125/2012 vom 28. Juni 2012 E. 3.3.1 mit zahlreichen Hinweisen).

1.5. Die Konfrontation kann entweder im Zeitpunkt der Aussage des
Belastungszeugen vor dem Staatsanwalt erfolgen oder auch in einem späteren
Verfahrensstadium (BGE 125 I 127 E. 6b mit Hinweisen). Die Vorinstanz
konfrontierte den Beschwerdeführer mit W.________ anlässlich der
Appellationsverhandlung. Aus dem Einvernahmeprotokoll ergibt sich, dass sich
diese an die Ereignisse nicht mehr erinnern konnte und nach entsprechendem
Vorhalt lediglich ihre früheren Aussagen bestätigte. Auf entsprechende Fragen
der Rechtsvertreterin des Beschwerdeführers verneinte sie, dass dieser das
Opfer in der zweiten Phase der Auseinandersetzung getreten oder geschlagen hat
(Vorakten, pag. 3453). Die Vorinstanz stuft die Aussagen der Zeugin W.________
im Rahmen der Appellationsverhandlung als glaubhaft ein. Gleichzeitig
bezeichnet sie deren gegenteiligen Aussagen in der staatsanwaltschaftlichen
Befragung ebenso als glaubhaft. Allein auf diese - sich widersprechenden -
Aussagen lässt sich der Schuldspruch wegen Angriffs nicht stützen.
Die Vorinstanz qualifiziert die Aussagen der übrigen Belastungszeugen im
Ermittlungsverfahren mangels Konfrontation zu Recht als nicht verwertbar. Sie
beruft sich allerdings gleichwohl auf diese und bezeichnet sie "nur, aber
immerhin" als Indiz für die Richtigkeit der Angaben von W.________.
Unverwertbare Beweismittel dürfen auch nicht als Indiz verwendet werden. Mit
ihrer Berücksichtigung missachtet die Vorinstanz das Konfrontationsrecht und
damit den Anspruch des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör. Da sich die
Vorinstanz auf keine weiteren Beweismittel abstützt, verletzt der Schuldspruch
wegen Angriffs Bundesrecht. Bei dieser Sachlage ist auf die übrigen Vorbringen
des Beschwerdeführers nicht einzugehen.

2.

2.1. Die Beschwerde ist gutzuheissen. Der Entscheid des Appellationsgerichts
des Kantons Basel-Stadt vom 8. August 2012 ist aufzuheben und die Sache zur
neuen Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Bei diesem Ausgang des
Verfahrens sind keine Gerichtskosten zu erheben (Art. 66 Abs. 1 i.V.m. Abs. 4
BGG).

 Der Beschwerdegegner unterliegt mit seinem Antrag auf kostenfällige Abweisung
der Beschwerde, weshalb er grundsätzlich kostenpflichtig wird (Art. 66 Abs. 1
BGG). Er stellt indes ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und
Verbeiständung, das gutzuheissen ist. Seine Bedürftigkeit ist ausgewiesen, und
sein Standpunkt kann nicht als aussichtslos bezeichnet werden (Art. 64 Abs. 1
und Abs. 2 BGG). Dem Rechtsvertreter des Beschwerdegegners ist für das
bundesgerichtliche Verfahren eine angemessene Entschädigung aus der
Bundesgerichtskasse auszurichten.

 Der Kanton Basel-Stadt hat dem Beschwerdeführer eine angemessene
Parteientschädigung auszurichten (Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG). Da der
Beschwerdeführer obsiegt, wird sein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und
Verbeiständung gegenstandslos.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Der Entscheid des Appellationsgerichts des
Kantons Basel-Stadt vom 8. August 2012 wird aufgehoben und die Sache zur neuen
Beurteilung an die Vorinstanz zurückgewiesen.

2.
Das Gesuch des Beschwerdegegners um unentgeltliche Rechtspflege und
Verbeiständung wird gutgeheissen. Für das bundesgerichtliche Verfahren wird ihm
Daniel Tschopp, Basel, als unentgeltlicher Anwalt beigegeben.

3.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

4.
Dem Vertreter des Beschwerdegegners wird aus der Bundesgerichtskasse eine
Entschädigung von Fr. 1'500.-- ausgerichtet.

5.
Der Kanton Basel-Stadt hat dem Beschwerdeführer eine Parteientschädigung von
Fr. 3'000.-- auszurichten.

6.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Appellationsgericht des Kantons
Basel-Stadt, Ausschuss, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 10. Juni 2013

Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Das präsidierende Mitglied: Schneider

Der Gerichtsschreiber: Keller

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