Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.1250/2013
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
                 
6B_1250/2013

Urteil vom 24. April 2015

Strafrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Denys, Präsident,
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari,
Bundesrichter Oberholzer, Rüedi,
Bundesrichterin Jametti,
Gerichtsschreiber Held.

Verfahrensbeteiligte
X.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Stefan Wenger,
Beschwerdeführer,

gegen

1. Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Thurgau, Zürcherstrasse 323, 8510
Frauenfeld,
2. A.________,
3. B.________,
Beschwerdegegner.

Gegenstand
Versuchte vorsätzliche Tötung; versuchte vorsätzliche schwere Körperverletzung;
Strafzumessung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts des Kantons Thurgau vom 28.
Oktober 2013.

Sachverhalt:

A.

 X.________ wartete am 21. Mai 2009 zusammen mit Y.________ und Z.________ auf
dem Bahnsteig am Bahnhof in Kreuzlingen auf den Zug. Als A.________ und
B.________ auf der tiefer gelegenen Perronrampe erschienen (und lärmten),
rannte Y.________ die Treppen hinunter und schlug A.________ ohne Vorwarnung
mit der Faust zunächst ins Gesicht und dann auf den Hinterkopf, wodurch dieser
zu Boden stürzte. B.________ wurde beim Versuch, weitere Attacken auf
A.________ zu unterbinden, von dem hinter ihm stehenden Z.________
festgehalten. Y.________ schlug B.________ zweimal mit der Faust ins Gesicht,
woraufhin Z.________ diesen sofort losliess. X.________, der das Geschehen
zuvor vom Perron aus beobachtet hatte, eilte hinzu und sprang aus vollem Lauf
mit dem rechten Fuss Richtung Kopf des an der Rampenwand sitzenden A.________,
der auf die Seite kippte. Anschliessend trat er mehrmals von vorne und von oben
auf den am Boden liegenden A.________ ein, der sich vor den ausschliesslich
gegen seinen Kopf geführten Tritten mit den Armen schützte. X.________ trug
Turnschuhe und stützte sich während des Tretens teilweise noch am Handlauf der
Perronrampe ab. Gleichzeitig schlug Y.________ mit Fäusten weiter auf
B.________ ein und stiess dessen Kopf mit grosser Wucht (mehrmals) gegen die
Betonwand. B.________ hockte zusammengekauert an der Wand der Perronrampe und
schützte sich mit Armen und Händen vor weiteren Schlägen. Y.________ versetzte
ihm einen Kniestoss gegen den geschützten Kopf. Anschliessend trat X.________
zweimal Richtung Oberkörper von B.________, bevor er sich mit Y.________ und
Z.________ entfernte, ohne sich um die Opfer zu kümmern.

 A.________ erlitt diverse Kontusionsmale und Blutergüsse an der Stirn und an
beiden Unterarmen sowie eine Prellung/Verstauchung der Wirbelsäule. Die
Blessuren klangen nach vier Tagen ab. B.________ trug Beulen am Hinterkopf
sowie an Schläfe und Stirn davon. Sein Unterkiefer schmerzte und am linken Arm
hatte er einen blauen Fleck. Die Beulen spürte er vier Tage lang, hatte jedoch
keine (Kopf-) Schmerzen. Er konsultierte keinen Arzt.

B.

 Das Bezirksgericht Kreuzlingen sprach X.________ vom Vorwurf der versuchten
vorsätzlichen Tötung frei und verurteilte ihn (neben weiterer Schuldsprüche für
Fahren in fahrunfähigem Zustand und für mehrfache grobe Verletzung von
Verkehrsregeln) sowie Y.________ wegen versuchter schwerer und (vollendeter)
einfacher Körperverletzung zu einer teilbedingten Freiheitsstrafe von 30
Monaten respektive einer bedingten Freiheitsstrafe von 24 Monaten.
Am 28. Oktober 2013 verurteilte das Obergericht Thurgau auf Berufung der
Staatsanwaltschaft X.________ (neben der in Rechtskraft erwachsenen
Schuldsprüche der Verkehrsregelverletzungen) wegen versuchter vorsätzlicher
Tötung und versuchter schwerer Körperverlet-zung zu viereinhalb Jahren
Freiheitsstrafe. Gegen Y.________ sprach es eine teilbedingte Freiheitsstrafe
von 30 Monaten wegen versuchter schwerer und (vollendeter) einfacher
Körperverletzung aus.

C.

 Gegen das Urteil des Obergerichts führen sowohl X.________ (6B_1250/2013) als
auch Y.________ (separates Verfahren 6B_45/2014) Beschwerde in Strafsachen.
X.________ beantragt sinngemäss, das Urteil des Obergerichts sei aufzuheben. Er
sei wegen versuchter schwerer Körperverletzung und einfacher Körperverletzung
schuldig zu sprechen, und das Verfahren sei zur neuen Beurteilung an die
Vorinstanz zurückzuweisen.

 Das Obergericht und die Staatsanwaltschaft beantragen die Abweisung der
Beschwerde. A.________ und B.________ haben sich nicht vernehmen lassen.

Erwägungen:

1.

1.1. Der Beschwerdeführer rügt, die Vorinstanz lege seiner Verurteilung wegen
versuchter vorsätzlicher Tötung eine willkürliche Sachverhaltsfeststellung
zugrunde. Die Schlussfolgerung, er habe mit voller Wucht zugetreten, sei
spekulativ. Die Videoaufzeichnung lasse keine Rückschlüsse auf die Intensität
der Tritte zu, und auch das Sachverständigengutachten des Instituts für
Rechtsmedizin am Kantonsspital St. Gallen (IRM St. Gallen) äussere sich hierzu
nicht. Der Beschwerdegegner 2 sei zu keinem Zeitpunkt bewusst- oder schutzlos
gewesen, andernfalls er sich nicht hätte schützen können. Auch die von der
Vorinstanz angeführte Reglosigkeit des Opfers ergebe sich weder aus dem
Überwachungsvideo noch aus den Täter- und Opferbefragungen.

1.2. Die Vorinstanz erwägt, aufgrund der Videoaufnahme sei erstellt, dass der
Beschwerdeführer mit voller Wucht zugetreten habe. Jedenfalls seien keinerlei
Zurückhaltung oder Skrupel zu erkennen, zumal sich der Beschwerdeführer beim
Treten teilweise noch am Geländer abgestützt habe, um einen besseren Stand zu
haben. Entscheidend bleibe, was der Beschwerdeführer gewollt habe, und das sei
nach seinen eigenen Angaben ohne Einschränkung das Treten gegen den Kopf des
Opfers gewesen. Es sei unbestritten, dass der Beschwerdeführer keinen direkten
Tötungsvorsatz gehabt habe und dass es an einem erkennbaren Beweggrund für eine
Tötung fehle. Es könne nur vermutet werden, dass er bei seiner hochgradig
brutalen Gewalttat aus einem unklaren Motivbündel mit einer gedankenlosen,
dumpfen Misshandlungs- und Verletzungsabsicht gehandelt habe. Der
Beschwerdeführer habe um die lebensgefährliche Wirkung von Fusstritten gegen
den Kopf und den Oberkörper bzw. die Gefahr des Todes gewusst. Er habe erst
aufgehört zu treten, als Z.________ ihn vom reglos am Boden liegenden
Beschwerdegegner 2 weggeholt habe. Unerheblich sei, ob der Beschwerdegegner 2
tatsächlich bewusstlos gewesen sei. Der Beschwerdeführer habe erkennen können
und offensichtlich auch erkannt, dass der Beschwerdegegner 2 reglos am Boden
gelegen habe und offensichtlich mindestens benommen, wenn nicht bewusstlos
gewesen sei. Er habe von Benommenheit, wenn nicht Bewusstlosigkeit und damit
von einer erhöhten Lebensgefahr für den Beschwerdegegner 2 ausgehen müssen.
Trotz seines Wissens, mit welcher brutalen Gewalt er gegen den Kopf des
Beschwerdegegners 2 eingewirkt hatte, habe er diesen in einer offensichtlich
hilflosen Lage liegen gelassen und dessen Tod in Kauf genommen.

 Der Beschwerdeführer habe mit zwei Tritten in Richtung Oberkörper des
Beschwerdegegners 3 gezielt. Er habe damit rechnen müssen und billigend in Kauf
genommen, den Beschwerdegegner 3 mit seinen Fusstritten schwer zu verletzen.
Dieser sei zuvor bereits von Y.________ heftig traktiert worden, weshalb die
zusätzlichen, massiven Fusstritte, die bezüglich Stärke und Treffsicherheit
sowie der möglichen Wirkung wesentlich schwerer wiegten als Schläge, eine
lebensgefährliche Körperverletzung hätten bewirken können.

1.3. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die
Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Die vorinstanzliche
Sachverhaltsfeststellung kann nur gerügt werden, wenn sie willkürlich (Art. 9
BV) ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und
wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein
kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Willkür bei der Beweiswürdigung liegt vor, wenn der
angefochtene Entscheid offensichtlich unhaltbar ist oder mit der tatsächlichen
Situation in klarem Widerspruch steht (BGE 139 III 334 E. 3.2.5 S. 339; 138 I
49 E. 7.1; je mit Hinweisen).

1.4.

1.4.1. Dass die Intensität der Tritte (objektiv) nicht zu bestimmen ist, kommt
(vorliegend) nur untergeordnete Bedeutung zu und wirkt sich nicht auf den
Ausgang des Verfahrens aus. Dem Beschwerdeführer wird keine vollendete, sondern
eine versuchte eventualvorsätzliche Tötung vorgeworfen. Entscheidend ist
demnach nicht, wie intensiv die Tritte tatsächlich waren, sondern was für
Folgen der Beschwerdeführer aufgrund seiner Tritte für möglich gehalten und in
Kauf genommen hat (vgl. Urteil 6B_1087/2013 vom 22. Oktober 2014 E. 2.3). Der
Beschwerdeführer behauptet nicht, er habe nur "dosiert" zugetreten, um die
Folgen der Tritte zu minimieren. Die Vorinstanz durfte aufgrund der
Videoaufzeichnung demnach willkürfrei zu dem Schluss gelangen, der
Beschwerdeführer habe zumindest ohne erkennbare Zurückhaltung zugetreten. Ob
dies die Annahme eines Tötungsvorsatzes zu begründen vermag, ist eine
Rechtsfrage.

1.4.2. Aktenwidrig und teilweise widersprüchlich sind die vorinstanzlichen
Feststellungen, der Beschwerdeführer habe den in Seitenlage liegenden
Beschwerdegegner 2 mehrere Male massiv mit den Füssen getreten, obwohl nicht
erkennbar gewesen sei, ob dieser bewusstlos sei. Unklar bleibt zunächst, ob der
Beschwerdeführer eine allfällige Benommenheit/Bewusstlosigkeit nur "erkennen
konnte" (womit ihm lediglich ein fahrlässiges Verhalten vorgeworfen würde) oder
"offensichtlich auch erkannte". Die Annahme, der Beschwerdeführer habe eine
allfällige Benommenheit oder Regungslosigkeit und somit eine Bewusstlosigkeit
des Beschwerdegegners 2 annehmen können bzw. erkannt, lässt sich weder mit der
Videoüberwachung noch mit den Aussagen der Beteiligten, auf die sich die
Vorinstanz explizit beruft, vereinbaren. Bevor die Sicht auf den Angriff durch
die übrigen Beteiligten, insbesondere Z.________ verdeckt wird, ist deutlich zu
sehen, dass sich der Beschwerdegegner 2 bewegt, während und solange der
Beschwerdeführer auf ihn eintritt. Auch nachdem keine Tritte mehr erkennbar
sind und der Beschwerdeführer sich über den Beschwerdegegner 2 beugt, sind
deutlich Bewegungen des Körpers, insbesondere der Beine zu sehen. Erst nachdem
der Beschwerdeführer vom Beschwerdegegner 2 ablässt und sich gegen den
Beschwerdegegner 3 wendet, lässt sich nicht mehr sagen, ob der mit dem Rücken
zur Kamera liegende Beschwerdegegner 2 sich noch bewegt.

 Weder Täter noch Opfer haben je erwähnt, der Beschwerdegegner 2 habe
regungslos am Boden gelegen, geschweige denn eine Bewusstlosigkeit in Erwägung
gezogen. Der Beschwerdegegner 2 gab an, er habe immer in Seitenlage gelegen und
sein Gesicht mit den Oberarmen geschützt. Nachdem der Beschwerdeführer (mit den
Tritten gegen das geschützte Gesicht) aufgehört habe, sei noch der Finalschlag
gegen sein rechtes Bein im unteren Bereich gekommen. Danach hätten die drei
Angreifer sich auf italienisch unterhalten, und er habe gehört, wie sie sich
entfernten. Der Beschwerdeführer gab an, der Beschwerdegegner 2 habe sich bis
zur Beendigung des Angriffs bewegt und "Hör' auf, hör' auf" geschrien. Der
Beschwerdegegner 2 habe sich die ganze Zeit geschützt, sein Gesicht sei nie
frei gewesen. Z.________ und der Beschwerdeführer sagten unabhängig von
einander aus, sie glaubten nicht, dass die Beschwerdegegner 2 und 3 ernstlich
verletzt worden seien. Anhaltspunkte, dass der Beschwerdegegner 2 bewusstlos
gewesen sei oder der Beschwerdeführer dies angenommen haben könnte, liegen
nicht vor. Der Beschwerdeführer wurde hierzu - selbst von der Vorinstanz -
während des gesamten Verfahrens nicht befragt.

2.

2.1. Der Beschwerdeführer rügt, die Vorinstanz verletze Art. 111 i.V.m. Art. 12
Abs. 2 StGB, indem sie eine eventualvorsätzlich versuchte Tötung bejahe.
Aufgrund seiner mit den vom Beschwerdegegner 2 übereinstimmenden Aussagen und
des Tatvideos ergebe sich, dass er diesen nie direkt am Kopf, sondern
ausschliesslich an den zum Schutz erhobenen Armen getroffen habe. Er habe nie
gegen ungeschützte Körperteile des Beschwerdegegners 2 getreten. Entgegen der
Vorinstanz habe zu keinem Zeitpunkt objektiv eine nahe Todesgefahr bestanden.
Er sei auch nicht davon ausgegangen, dass seine Tritte tödlich sein könnten, da
der Beschwerdegegner 2 sich unablässig habe schützen können.

2.2. Die Vorinstanz erwägt, der Beschwerdeführer habe um die lebensgefährliche
Wirkung seines Vorgehens bzw. die Gefahr des Todes gewusst (Urteil E. 4 d/cc S.
38), woraus jedoch nicht auf versuchte Tötung geschlossen werden dürfe. Denn
auch der Tatbestand der schweren Körperverletzung gemäss Art. 122 Abs. 1 StGB
setze eine lebensgefährliche Verletzung voraus. Zudem bestehe das Wissen um das
Risiko der Tatbestandsverwirklichung auch beim bewusst fahrlässig Handelnden,
weshalb die Unterscheidung auf der Wollensseite erfolge (Urteil E. 3 e/ff und
gg S. 21 f.; BGE 130 IV 58 E. 8.4). Es müssten weitere Umstände vorhanden sein,
um einen Eventualvorsatz auf Tötung anzunehmen, die jedoch aufgrund des
Tatbestandsmerkmals der lebensgefährlichen Verletzung nicht ohne weiteres in
der Gewaltbereitschaft des Beschwerdeführers erblickt werden könnten.
Allerdings würde es den Bogen überspannen, wenn zusätzlich noch weitere
Umstände im Sinn von Fakten bezüglich der Tat oder des Täters bewiesen werden
müssten, denn es liege in der Natur der Sache, dass es in "solchen Fällen" an
zusätzlichen Elementen wie der Verwendung von Waffen oder gefährlichen
Werkzeugen ebenso fehle wie an erkennbaren Beweggründen (Urteil E. 4 d/aa S. 36
f.).
Der Beschwerdeführer - so die Vorinstanz - habe aufgrund der verhältnismässig
grossen Anzahl und der ärztlich bestätigten äussersten Heftigkeit der auf den
wohl empfindlichsten Körperbereich gerichteten Tritte, gegen deren Wirkung sich
der Beschwerdegegner 2 nur beschränkt habe wehren können, eine nahe
Lebensgefahr geschaffen. Unabhängig davon, ob es dem Beschwerdeführer vor oder
während der Tat in den Sinn gekommen sei, er könne den Beschwerdegegner 2
töten, habe sich ihm ein möglicher Todeseintritt aufgrund der Tritte gegen den
Oberkörper und den Kopf des Beschwerdegegners 2 während des Angriffs als so
wahrscheinlich aufdrängen müssen, dass sein Verhalten nur als Inkaufnahme des
Tods ausgelegt werden könne. Daran ändere nichts, dass er keinen direkten
Tötungsvorsatz hatte und es an einem erkennbaren Beweggrund für eine Tötung
fehlt. Eine eventuelle innere Einstellung, den Tod des Opfers nicht zu wollen,
habe nur in einer derart vagen Hoffnung bestehen können, die kein Vertrauen im
Sinne bewusster Fahrlässigkeit darstellen könne. Der Beschwerdeführer habe den
Ausgang vernünftigerweise gar nicht in der Weise beeinflussen können, dass
"nur" eine einfache oder schwere Körperverletzung resultieren werde. Dass es
dem Beschwerdegegner 2 über weite Strecken gelungen sei, den Kopf mit den Armen
zu schützen, ändere an der geschaffenen Lebensgefahr nur wenig. Der
Beschwerdeführer habe keinen Einfluss darauf gehabt und auch nicht einschätzen
können, wie effizient sich der Beschwerdegegner 2 zu schützen vermochte. Auch
könnten die bei Fusstritten gegen den Kopf entstehenden Beschleunigungswerte
durch Abwehrhaltung nur teilweise verhindert werden (Urteil E. 4 d/oo S. 45).
Es könne als allgemein bekannt vorausgesetzt werden, dass trotz
lebensgefährlicher oder tödlicher Verletzungen innerer Organe äussere
Verletzungen vollständig fehlen könnten und damit auch nicht erkennbar seien,
weshalb gleichgültig sei, dass der Beschwerdegegner 2 keine augenscheinlichen
Verletzungen aufgewiesen habe. Der Beschwerdeführer habe bei seiner hochgradig
brutalen Gewalttat mit einer gedankenlosen, dumpfen Misshandlungs- und
Verletzungsabsicht gehandelt. Auch dass er (und die anderen) den
Beschwerdegegner 2, von dem sie nicht haben wissen können, ob er bewusstlos
gewesen sei und medizinischer Hilfe bedurft habe, liegen liessen, spreche für
einen eventualvorsätzlichen Tötungsversuch.

3.

3.1. Wer vorsätzlich einen Menschen tötet, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter
fünf Jahren bestraft (Art. 111 StGB).

 Vorsätzlich begeht ein Verbrechen oder Vergehen, wer die Tat mit Wissen und
Willen ausführt oder wer die Verwirklichung der Tat für möglich hält und in
Kauf nimmt (Art. 12 Abs. 2 StGB). Eventualvorsatz, welcher zur Erfüllung des
subjektiven Tatbestandes von Art. 111 StGB genügt (BGE 103 IV 65 E. I.2 S. 67
ff.; Christian Schwarzenegger, in: Basler Kommentar, Strafrecht II, 3. Aufl.
2013, N. 7 zu Art. 111 StGB; vgl. Stratenwerth/Wohlers, Schweizerisches
Strafgesetzbuch, Handkommentar, 3. Aufl. 2013, N. 6 zu Art. 111 StGB), ist nach
ständiger Rechtsprechung gegeben, wenn der Täter die Tatbestandsverwirklichung
für möglich hält, aber dennoch handelt, weil er den Erfolg für den Fall seines
Eintritts in Kauf nimmt, sich mit ihm abfindet, mag er ihm auch unerwünscht
sein (BGE 137 IV 1 E. 4.2.3 S. 4 mit Hinweis).
Was der Täter weiss, will und in Kauf nimmt, betrifft eine innere Tatsache und
ist Tatfrage. Rechtsfrage ist hingegen, nach welchen tatsächlichen
Voraussetzungen bewusste Fahrlässigkeit, Eventualvorsatz oder direkter Vorsatz
gegeben ist (BGE 137 IV 1 E. 4.2.3 S. 4; 135 IV 152 E. 2.3.2 S. 156; je mit
Hinweisen). Da sich Tat- und Rechtsfragen insoweit teilweise überschneiden, hat
der Sachrichter die in diesem Zusammenhang relevanten Tatsachen möglichst
erschöpfend darzustellen, damit erkennbar wird, aus welchen Umständen er auf
Eventualvorsatz geschlossen hat. Das Bundesgericht kann in einem gewissen
Ausmass die richtige Bewertung dieser Umstände im Hinblick auf den
Rechtsbegriff des Eventualvorsatzes überprüfen (BGE 134 IV 189 E. 1.3; 133 IV 1
E. 4.1, 9 E. 4.1; je mit Hinweisen). Für den Nachweis des Vorsatzes darf der
Richter vom Wissen des Täters auf den Willen schliessen, wenn sich diesem die
Verwirklichung der Gefahr als so wahrscheinlich aufdrängte, dass die
Bereitschaft, sie als Folge hinzunehmen, vernünftigerweise nur als Inkaufnahme
des Erfolgs ausgelegt werden kann (BGE 137 IV 1 E. 4.2.3 mit Hinweis). Je
grösser die Wahrscheinlichkeit der Tatbestandsverwirklichung ist und je
schwerer die Rechtsgutsverletzung wiegt, desto näher liegt die
Schlussfolgerung, der Täter habe die Tatbestandsverwirklichung in Kauf genommen
(BGE 135 IV 12 E. 2.3.2; 133 IV 222 E. 5.3).

 Allerdings kann nicht unbesehen aus dem Wissen des Täters um die Möglichkeit
des Erfolgseintritts auf dessen Inkaufnahme geschlossen werden. Sicheres Wissen
um die unmittelbare Lebensgefahr, also um die Möglichkeit des Todes, ist nicht
identisch mit sicherem Wissen um den Erfolgseintritt (BGE 133 IV 9 E. 4.1).
Andernfalls würde ein auf unmittelbare Lebensgefahr gerichteter (Gefährdungs-)
Vorsatz immer auch den Eventualvorsatz auf dessen Tötung in sich schliessen,
sofern der Täter nicht annimmt, der drohende Erfolg könne durch sein eigenes
Vorgehen oder das Verhalten eines anderen abgewendet werden, mit der Folge,
dass sämtliche Straftatbestände, die tatbestandlich die vorsätzliche
Herbeiführung einer (unmittelbaren) Lebensgefahr voraussetzen (vgl. Art. 122
Abs. 1, Art. 129 und 140 Ziff. 4 StGB), überflüssig würden (Urteil 6B_754/2012
vom 18. Juli 2013 E. 4.2; Jörg Rehberg, Vorsätzliche Lebensgefährdung =
Eventualvorsätzliche Tötung? - Bemerkungen zum Gefährdungsvorsatz nach der
bundesgerichtlichen Praxis, ZStrR 114/1996 S. 21; Cornelia Meier, Die
Lebensgefährdung, Diss. Freiburg 2006, S. 62 f.; a.A. Max Willfratt, Gefährdung
des Lebens nach Art. 129 StGB, ZStrR 84/1968, S. 251 ff.; je mit Hinweisen).
Ein Tötungsvorsatz ist zu verneinen, wenn der Täter trotz der erkannten
möglichen Lebensgefahr handelt, aber darauf vertraut, die Todesgefahr werde
sich nicht realisieren. Ein Tötungsvorsatz kann angesichts der hohen
Mindeststrafe bei Straftaten gegen das Leben und des gravierenden
Schuldvorwurfs bei Kapitaldelikten nur angenommen werden, wenn zum
Wissenselement weitere Umstände hinzukommen (vgl. BGE 133 IV 9 E. 4.1; zur
Verneinung des Eventualvorsatzes vgl. Urteil 6B_775/2011 vom 4. Juni 2012 E.
2.4). Solche Umstände liegen namentlich vor, wenn der Täter das ihm bekannte
Risiko in keiner Weise kalkulieren und dosieren kann und der Geschädigte
keinerlei Abwehrchancen hat (BGE 133 IV 1 E. 4.5; 131 IV 1 E. 2.2).

3.2. Der angefochtene Entscheid verletzt Bundesrecht. Die Vorinstanz hält fest,
der Beschwerdeführer habe zwar um die lebensgefährliche Wirkung seines
Vorgehens gewusst, jedoch keinen direkten Tötungsvorsatz gehabt; auch fehle es
an einem erkennbaren Motiv für eine Tötung. Damit verneint sie sowohl, dass der
Beschwerdeführer den Tod des Beschwerdegegners 2 wollte als auch, dass er irrig
annahm, seine Tritte seien auf jeden Fall tödlich.
Eine lebensgefährliche Verletzung im Sinne von Art. 122 Abs. 1 StGB ist
gegeben, wenn die Verletzung zu einem Zustand führt, in dem sich die
Möglichkeit des Todes dermassen verdichtet, dass sie zur ernstlichen und
dringlichen Wahrscheinlichkeit wird (BGE 131 IV 1 E. 1.1; 125 IV 242 E. 2b/dd;
Roth/Berkemeier, in: Basler Kommentar, Strafrecht II, 3. Aufl. 2013, N. 5 zu
Art. 122 StGB; je mit Hinweisen). Die Vorinstanz setzt das sichere Wissen um
die unmittelbare Lebensgefahr mit der billigenden Inkaufnahme des Todes gleich.
Sie zeigt keine objektiven Umstände auf, die darauf schliessen lassen, dem
Beschwerdeführer habe sich durch sein Verhalten ein über die unmittelbare
Lebensgefahr im Sinne von Art. 122 Abs. 1 StGB hinausgehendes Todesrisiko
aufgedrängt, was er billigend in Kauf genommen hätte.
Die Vorinstanz setzt sich über das Gutachten des IRM St. Gallen hinweg, wenn
sie bei Fusstritten gegen Kopf und Oberkörper eines - am Boden liegenden -
Menschen generell ein hohes oder sogar sehr hohes Risiko des Todeseintritts
bejaht. Das IRM St. Gallen betont, eine bestimmte Gewalteinwirkung, z.B. ein
Fusstritt gegen den Kopf, gehe nicht regelhaft mit bestimmten Verletzungen oder
einer bestimmten Verletzungsschwere einher und müsse nicht generell zum Tod
führen oder lebensgefährlich sein. Die Vorinstanz scheint insoweit zu
verkennen, dass die von Daniel H. Heinke in seiner Studie "Tottreten - eine
kriminalwissenschaftliche Untersuchung" (Bremen 2010) gewonnenen Erkenntnisse
auf Todesfälle durch Tottreten beruhen und für Verletzungsmuster überlebender
Opfer von Angriffen durch Fusstritte nur bedingt aussagekräftig sind bzw. nicht
eins zu eins übertragen werden können.
Auch die konkreten Verletzungshandlungen erweisen sich vorliegend als nicht
derart gefährlich, dass auf eine eventualvorsätzliche Tötung geschlossen werden
kann. Gemäss Dr. C.________ und dem IRM barg die grosse Anzahl von Tritten auf
den wehrlos am Boden liegenden Beschwerdegegner 2 die Möglichkeit schwerer und
lebensgefährlicher Verletzungen, nicht hingegen ein gesteigertes Todesrisiko.
Dass die angewendete Gewalt nicht zu schwersten Verletzungen führte, ist unter
anderem darauf zurückzuführen, dass der Beschwerdegegner 2 sich mit beiden
Armen unablässig und effizient den Kopf schützte (Dr. C.________, kantonale
Akten S 1 30). Der Beschwerdegegner 2 konnte sich zwar gegen die Tritte nicht
wehren, war diesen jedoch - anders als eine bewusstlos am Boden liegende Person
- zu keinem Zeitpunkt schutzlos ausgesetzt. Er befand sich nie in
(unmittelbarer) Lebensgefahr und wies keinerlei augenscheinliche Verletzungen
auf. Die erlittenen Blutergüsse und Prellungen an Armen und im Gesicht konnten
von ihm selbst behandelt werden und waren bereits nach vier Tagen überwiegend
verheilt. Nach eigenen Angaben waren die Tritte - wohl auch aufgrund seiner
Alkoholisierung (ca. 8 Flaschen zu 3 dl Bier) - nicht allzu schmerzhaft. Dass
der Beschwerdeführer keinen Einfluss darauf hatte, wie effizient sich der
Beschwerdegegner 2 schützen konnte und nicht wusste, ob und ggf. was für
Verletzungen dieser erlitten hatte, ist kein Beleg (zu Ungunsten) des
Beschwerdeführers, er habe den Tod des Beschwerdegegners 2 in Kauf genommen. Er
hat gesehen, dass der Beschwerdegegner 2 sich permanent gegen die Tritte
schützen konnte und musste vorliegend nicht von schwerwiegenderen Folgen als
einer lebensgefährlichen Körperverletzung ausgehen.

3.3. Soweit die Vorinstanz einen Tötungsvorsatz mit lebensgefährlichen oder
tödlichen Verletzungen innerer Organe infolge von Tritten gegen den Oberkörper
begründet, weicht sie von ihren eigenen, durch die Videoaufzeichnung und die
übereinstimmenden Aussagen der Beteiligten bestätigten
Sachverhaltsfeststellungen ab, wonach der Beschwerdeführer ausschliesslich in
Richtung und gegen den geschützten Kopf des Beschwerdegegners 2 trat.
Dass der Beschwerdeführer und die beiden Mitbeschudigten den Beschwerdegegner 2
liegen liessen, ohne sich um diesen zu kümmern, vermag keinen Tötungsvorsatz zu
begründen. Die Vorinstanz setzt sich in Widerspruch zu ihren eigenen
Feststellungen, dass die Beschuldigten Angst gehabt hätten, die
Beschwerdegegner 2 und 3 würden die Polizei benachrichtigen. Dies spricht gegen
die Annahme, die Beschuldigten seien davon ausgegangen oder hätten gewusst,
dass der Beschwerdegegner 2 noch längere Zeit unentdeckt und ohne medizinische
Hilfe bleiben könne, zumal der Beschwerdegegner 3 auch noch am Tatort war.
Zudem ist eine vorsätzliche Tötung durch Unterlassen nicht angeklagt und käme
nur in Betracht, wenn der Beschwerdeführer und die beiden Mitbeschuldigten
davon ausgegangen wären, dass der Beschwerdegegner 2 nach dem Angriff noch
lebte, mithin ihre Körperverletzungshandlungen nicht für (unmittelbar) tödlich
gehalten hätten. Auffällig ist, dass die Vorinstanz diesen Umstand nur beim
Beschwerdeführer als Hinweis für einen Tötungsvorsatz wertet, nicht jedoch bei
Y.________.

4.
Soweit sich der Beschwerdeführer gegen den Schuldspruch wegen versuchter
schwerer Körperverletzung wendet, erweisen sich seine Rügen als unbegründet.
Der Beschwerdeführer verkennt, dass es sich bei dem unter dem Titel Ereignisse
beschriebenen Lebenssachverhalt nicht um die verbindlichen
Sachverhaltsfeststellungen der Vorinstanz handelt, und die Vorinstanz ihrer
rechtlichen Würdigung zudem lediglich zwei Tritte Richtung Oberkörper des
Beschwerdegegners 3 zugrunde legt. Ob der Beschwerdeführer mit diesen Tritten
billigend in Kauf genommen hat, den Beschwerdegegner 3 lebensgefährlich zu
verletzen, erscheint angesichts des Gutachtens des IRM St. Gallen zweifelhaft,
kann jedoch offenbleiben. Gemäss angefochtenem Urteil schloss sich der
Beschwerdeführer dem Vorsatz von Y.________, die Beschwerdegegner 2 und 3
tätlich anzugreifen, an und wirkte in der Folge bei der Tat in so massgebender
Weise mit, dass beide grundsätzlich als Mittäter handelten. Der
Beschwerdeführer muss sich demnach die Tathandlungen von Y.________ gegenüber
dem Beschwerdegegner 3, von denen er wusste und die in ihrer Intensität nicht
über seine eigenen hinaus gingen, infolge mittäterschaftlichen Handelns
zurechnen lassen. Eine diesbezügliche Klarstellung in den Erwägungen und im
Dispositv ist angezeigt.

5.

 Die Beschwerde erweist sich teilweise als begründet, so dass es sich erübrigt,
auf die weiteren Rügen einzugehen.

 Der Beschwerdeführer wird im Umfang seines Unterliegens kostenpflichtig (Art.
66 Abs. 1 BGG). Soweit die Beschwerde gutzuheissen ist, hat der Kanton Thurgau
ihm für das bundesgerichtliche Verfahren eine angemessene Parteientschädigung
auszurichten (Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG). Die Beschwerdegegner 2 und 3 haben
sich nicht vernehmen lassen und keine Anträge gestellt, weshalb sie keine
Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG) und keine Parteientschädigung zu
entrichten (Art. 68 Abs. 1 BGG) haben.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen, das Urteil des Obergerichts des
Kantons Thurgau vom 28. Oktober 2013 wird aufgehoben und die Sache zur neuen
Beurteilung an die Vorinstanz zurückgewiesen. Im Übrigen wird sie abgewiesen.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 1'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3. 
Der Kanton Thurgau hat dem Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche
Verfahren eine Parteientschädigung von Fr. 2'000.-- auszurichten.

4. 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Thurgau
schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 24. April 2015

Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Denys

Der Gerichtsschreiber: Held

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