Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.116/2013
Zurück zum Index Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 2013
Retour à l'indice Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 2013


Wichtiger Hinweis:
Diese Website wird in älteren Versionen von Netscape ohne graphische Elemente
dargestellt. Die Funktionalität der Website ist aber trotzdem gewährleistet.
Wenn Sie diese Website regelmässig benutzen, empfehlen wir Ihnen, auf Ihrem
Computer einen aktuellen Browser zu installieren.
Zurück zur Einstiegsseite Drucken
                                                               Grössere Schrift

Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
6B_116/2013

Urteil vom 24. September 2013

Strafrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Mathys, Präsident,
Bundesrichter Schneider,
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari,
Gerichtsschreiber Borner.

Verfahrensbeteiligte
A.________,
Beschwerdeführer,

gegen

Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen,
Beschwerdegegnerin.

Gegenstand
Hausfriedensbruch, Benutzung von Strassen über den Gemeingebrauch hinaus ohne
Bewilligung,

Beschwerde gegen den Entscheid des Kantonsgerichts St. Gallen, Strafkammer, vom
22. November 2012.

Sachverhalt:

A.

 A.________ nahm am 10. September 2011 an einer unbewilligten Demonstration in
Diepoldsau/Widnau teil. Als die Polizei die Teilnehmer kontrollieren wollte,
gelangte er über einen Zaun auf das Werkareal des Rheinunternehmens Widnau.

B.

 Das Kreisgericht Rheintal verurteilte A.________ am 29. März 2012 wegen
Hausfriedensbruchs und Teilnahme an einer unbewilligten Demonstration zu einer
Geldstrafe von 20 Tagessätzen zu Fr. 20.-- und zu einer Busse von Fr. 200.--.
Die Berufung des Verurteilten wies das Kantonsgericht St. Gallen am 22.
November 2012 ab.

C.

 A.________ führt Beschwerde in Strafsachen und beantragt, der angefochtene
Entscheid sei aufzuheben und die Sache zur neuen Beurteilung an die Vorinstanz
zurückzuweisen.

 Das Kantonsgericht hat auf eine Vernehmlassung verzichtet (act. 14). Die
Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen hat sich nicht vernehmen lassen.

Erwägungen:

1.

 Der Beschwerdeführer beanstandet mehrfach, die Staatsanwaltschaft und das
Kreisgericht hätten seinen Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt.

 Darauf ist nicht einzutreten. Denn Gegenstand des bundesgerichtlichen
Verfahrens bildet ausschliesslich der angefochtene Entscheid.

2.

 Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung von Art. 316 Abs. 2 StPO. Da bei ihm
eine Strafbefreiung wegen Wiedergutmachung in Frage komme, hätte die
Staatsanwaltschaft das Verfahren einstellen müssen.

2.1. Soweit Antragsdelikte Gegenstand des Verfahrens sind, kann die
Staatsanwaltschaft die antragstellende und die beschuldigte Person zu einer
Verhandlung vorladen, um einen Vergleich zu erzielen (Art. 316 Abs. 1 StPO).

 Kommt eine Strafbefreiung wegen Wiedergutmachung nach Art. 53 StGB in Frage,
so lädt die Staatsanwaltschaft die geschädigte und die beschuldigte Person zu
einer Verhandlung ein, um eine Wiedergutmachung zu erzielen (Abs. 2).

 Wird eine Einigung erzielt, stellt die Staatsanwaltschaft das Verfahren ein
(Abs. 3).

2.2. Diese Bestimmungen sehen vor, dass das Verfahren einzustellen ist, wenn es
zu einem Vergleich resp. zu einer Wiedergutmachung kommt. Sind jedoch im
gleichen Verfahren noch andere Delikte zu beurteilen, die nicht in einen
Vergleich resp. eine Wiedergutmachung münden, ist eine Verfahrenseinstellung
gar nicht möglich. Dies gilt jedenfalls für Verfahren, in welchen aus einem
Lebensvorgang mehrere Delikte zu beurteilen sind.

2.3. Da der Beschwerdeführer an der unbewilligten Demonstration teilnahm und
dabei in das private Gelände eindrang, fussen die beiden Taten auf einem
einheitlichen Lebensvorgang. Hinsichtlich des unbewilligten Demonstrierens
hatte die Staatsanwaltschaft keinerlei Hinweise für eine Wiedergutmachung durch
den Beschwerdeführer. Deshalb konnte sie das Verfahren nicht einstellen. Die
Rüge ist unbegründet.

3.

 Hat der Täter den Schaden gedeckt oder alle zumutbaren Anstrengungen
unternommen, um das von ihm bewirkte Unrecht auszugleichen, so sieht die
zuständige Behörde unter anderem von einer Bestrafung ab, wenn die
Voraussetzungen für die bedingte Strafe erfüllt sind und das Interesse der
Öffentlichkeit und des Geschädigten an der Strafverfolgung gering sind (Art. 53
StGB; BGE 135 IV 12 E. 3).

 Die Vorinstanz erwägt, ausser einem Schaden am Zaun habe der Beschwerdeführer
der Privatklägerin durch sein Eindringen keinen weiteren direkten materiellen
Schaden verursacht. Er habe sich bei ihr entschuldigt und wiederholt anerboten,
den Schaden zu ersetzen. Die Geldstrafe sei bedingt aufzuschieben
(angefochtener Entscheid S. 11 f. Ziff. III/3). Bei dieser Ausgangslage hätte
die Vorinstanz sämtliche Voraussetzungen für eine Strafbefreiung wegen
Wiedergutmachung prüfen müssen. Deshalb ist der angefochtene Entscheid
aufzuheben.

4.

 Der Beschwerdeführer macht geltend, die Vorinstanz habe zur Begründung des
subjektiven Tatbestands der Teilnahme an einer unbewilligten Demonstration vier
Internetseiten herangezogen, ohne sie zu den Akten genommen und ihn vorgängig
darüber informiert zu haben. Dadurch habe sie Art. 192 StPO verletzt. Dieser
Sachdarstellung widerspricht die Vorinstanz in der Vernehmlassung nicht.

 Die Rüge ist begründet. Da die Vorinstanz die Sache ohnehin neu zu beurteilen
hat, wird sie vorgängig die fraglichen Internetseiten dem Beschwerdeführer zur
Einsicht und allfälligen Stellungnahme unterbreiten.

 Soweit der Beschwerdeführer denselben Vorwurf bezüglich einer anderen
Internetseite gegenüber dem Kreisgericht erhebt, ist darauf nicht einzutreten
(vgl. E. 1).

5.

 Der Beschwerdeführer kritisiert die vorinstanzliche Auslegung von Art. 109
Abs. 1 lit. a des Strassengesetzes des Kantons St. Gallen. Inwiefern diese
Auslegung willkürlich sein sollte, legt er jedoch nicht dar. Darauf ist nicht
einzutreten.

6.

 Der Beschwerdeführer stellt ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege. Soweit
er obsiegt, ist sein Gesuch gegenstandslos. Im Übrigen kann es bewilligt
werden. Soweit der Kanton St. Gallen unterliegt, trifft ihn keine Kostenpflicht
(Art. 66 Abs. 4 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.

 Die Beschwerde wird, soweit darauf einzutreten ist, teilweise gutgeheissen,
der Entscheid des Kantonsgerichts St. Gallen vom 22. November 2012 aufgehoben
und die Sache zur neuen Beurteilung an die Vorinstanz zurückgewiesen. Im
Übrigen wird die Beschwerde abgewiesen.

2.

 Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird, soweit es nicht gegenstandslos
geworden ist, gutgeheissen.

3.

 Es werden keine Kosten erhoben.

4.

 Dieses Urteil wird den Parteien und dem Kantonsgericht St. Gallen,
Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 24. September 2013

Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Mathys

Der Gerichtsschreiber: Borner

Navigation

Neue Suche

ähnliche Leitentscheide suchen
ähnliche Urteile ab 2000 suchen

Drucken nach oben