Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Strafrechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 6B.111/2013
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
6B_111/2013

Urteil vom 13. Mai 2013
Strafrechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Mathys, Präsident,
Bundesrichter Schneider, Denys
Gerichtsschreiberin Kratz-Ulmer.

Verfahrensbeteiligte
X.________,
vertreten durch Rechtsanwältin Véronique Dumoulin,
Beschwerdeführer,

gegen

1. Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen, Schützengasse 1, 9001 St. Gallen,
2. A.Y.________,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Andreas Kuhn,
Beschwerdegegner.

Gegenstand
Vorsätzliche Tötung; willkürliche Beweiswürdigung, Grundsatz in dubio pro reo,

Beschwerde gegen den Entscheid des Kantonsgerichts St. Gallen, Strafkammer, vom
24. Oktober 2012.

Sachverhalt:

A.
A.a Das Kreisgericht See-Gaster verurteilte X.________ am 21. Dezember 2011
wegen vorsätzlicher Tötung zu einer Freiheitsstrafe von 16 Jahren. Es
verpflichtete ihn, A.Y.________ eine Genugtuung von Fr. 5'000.-- zu bezahlen.
A.b Das Kantonsgericht St. Gallen wies die Berufung von X.________ und die
Anschlussberufung der Staatsanwaltschaft am 24. Oktober 2012 ab.
Es hält für erwiesen, dass X.________ am 15. Dezember 2010 zwischen 17 und
17.37 Uhr B.Y.________ beim C.G. Jung Haus in Rapperswil-Jona mit einem
"Engländer" mindestens 20 Schläge auf den Kopf versetzte, worauf dieser zwei
Tage später an den Folgen der Verletzungen verstarb.

B.
X.________ führt Beschwerde in Strafsachen. Er beantragt, das Urteil des
Kantonsgerichts aufzuheben, ihn vom Vorwurf der vorsätzlichen Tötung
freizusprechen und umgehend aus der Sicherheitshaft zu entlassen. Die
Zivilforderung sei abzuweisen, und es sei ihm für die zu Unrecht erstandene
Untersuchungs- und Sicherheitshaft Schadenersatz sowie eine Genugtuung von
mindestens Fr. 220'000.-- zuzusprechen. Eventualiter sei die Sache zur
Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Er ersucht um unentgeltliche
Rechtspflege.

Erwägungen:

1.
1.1 Der Beschwerdeführer rügt eine willkürliche Beweiswürdigung und eine
Verletzung des Grundsatzes in "dubio pro reo". Er sei mit dem Opfer verabredet
gewesen, um die Häuser östlich des C.G. Jung Hauses zu besichtigen. Für die
Besichtigung habe er das Auto vor dem Garagentor des C.G. Jung Hauses parkiert.
Da er starken Harndrang verspürt habe, sei er beim Tatort kurz ausgestiegen und
habe sich etwas abseits begeben. Als er wieder zum Fahrzeug zurückgekehrt sei,
habe er gesehen, wie das Opfer von zwei dunkel gekleideten Männern angegriffen
worden sei. Die Täter seien daraufhin geflüchtet (Beschwerde S. 4). Die
Vorinstanz habe die Beweise einseitig zu seinen Ungunsten gewürdigt und eine
Dritttäterschaft trotz Indizien nicht geprüft.

1.2 Die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz kann nur gerügt werden, wenn
sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von
Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des
Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG; siehe Art. 105 Abs. 1
und 2 BGG). Offensichtlich unrichtig ist die Sachverhaltsfeststellung, wenn sie
willkürlich ist (BGE 137 III 226 E. 4.2). Dem vom Beschwerdeführer angerufenen
Grundsatz "in dubio pro reo" kommt in seiner Funktion als Beweiswürdigungsregel
im Verfahren vor dem Bundesgericht keine über das Willkürverbot von Art. 9 BV
hinausgehende Bedeutung zu (BGE 127 I 38 E. 2a mit Hinweisen). Willkür bei der
Beweiswürdigung liegt vor, wenn der angefochtene Entscheid offensichtlich
unhaltbar ist oder mit der tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch steht.
Dass eine andere Lösung oder Würdigung ebenfalls vertretbar oder gar
zutreffender erscheint, genügt für die Annahme von Willkür nicht (BGE 138 I 305
E. 4.3; 137 I 1 E. 2.4; je mit Hinweisen).
Die Rüge der Verletzung von Grundrechten (einschliesslich der Willkür bei der
Sachverhaltsfeststellung) muss in der Beschwerde anhand des angefochtenen
Entscheids präzise vorgebracht und substanziiert begründet werden, andernfalls
darauf nicht eingetreten wird (Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 137 IV 1 E. 4.2.3; 136
I 65 E. 1.3.1; je mit Hinweisen).
1.3
1.3.1 Unbestritten ist, dass der Beschwerdeführer um 17.37 Uhr bei der
kantonalen Notrufzentrale (KNZ) einen Überfall meldete. Die KNZ versuchte
daraufhin viermal erfolglos, ihn zu kontaktieren. Die Polizei traf um 18 Uhr am
Tatort ein, fand den Beschwerdeführer und das Opfer vor, wobei Letzteres
schwere Kopfverletzungen aufwies. Der Rettungsdienst war kurz nach der Polizei
um 18.03 Uhr vor Ort. Der Beschwerdeführer wechselte vor dem Eintreffen der
Polizei seine Schuhe und den Pullover. Im Fahrzeuginnern konnten Handschuhe
sichergestellt werden, welche an der Innenseite seine DNA-Spuren aufwiesen und
mit dem Blut des Opfers befleckt waren. Blutspritzer befanden sich zudem im
Neuschnee hinter dem abgestellten Personenwagen, an der hinteren Stossstange
sowie am linken hinteren Kotflügel des Wagens. Weitere Blutspuren wurden am
Fahrzeughimmel im Auto, an der Lesebrille im Kofferraum und an den
Wildlederschuhen sowie der Hose des Beschwerdeführers festgestellt. Die
Tatwaffe war in ein Tuch eingewickelt und befand sich unter der
Kofferraumabdeckung des Personenwagens (Urteil S. 4 f.).
1.3.2 Die Vorinstanz erwägt, die Angaben des Beschwerdeführers zum Tathergang
seien widersprüchlich, unglaubwürdig und mit dem Spurenbild nicht vereinbar.
Gemäss dem Bericht des kriminaltechnischen Dienstes seien spurenmässig keine
Hinweise auf eine Tatbeteiligung einer Drittperson festzustellen. Die
Bekleidung des Beschwerdeführers habe hingegen Blutspuren aufgewiesen, die sich
gemäss Gutachten des Instituts für Rechtsmedizin dadurch erklären liessen, dass
er sich nahe bei der blutenden Kopfverletzung aufgehalten haben muss und sich
dabei "ausgehend von den Kopfwunden feine Blutspritzer an seiner Jeanshose
auflagern konnten". Am Ort, an welchem gemäss seiner Darstellung der Kampf
zwischen Täter und Opfer stattgefunden habe, hätten sich keinerlei Blutspuren
befunden. Auch seine Angaben, er habe das blutende, bewusstlose Opfer zum Auto
gezogen, stünden im Widerspruch zum Spurenbild. Es seien keine Schleifspuren im
Schnee festgestellt worden (Urteil S. 6). Befragt zum Umstand, dass es hinter
dem Fahrzeug Blutspritzer gehabt habe, habe er eine neue Version geliefert, die
weder mit dem rechtsmedizinischen Gutachten noch den Spuren im Schnee vereinbar
sei. Gegen den Beschwerdeführer spreche auch, dass er nach dem Tatgeschehen die
Schuhe wechselte und den am Tatort vorbeikommenden Personen ruhig erklärte, es
sei alles in Ordnung und die Polizei bzw. ein Krankenwagen sei unterwegs
(Urteil S. 6 f.).
B.Y.________ vertraute dem Beschwerdeführer in den Monaten vor der Tat
insgesamt USD 130'000.-- für den Wertschriftenhandel an. Dieses Vermögen war
bis zum Tattag auf USD 2'256.44 zusammengeschrumpft (Urteil S. 11). Die
Vorinstanz lässt offen, ob das Motiv für die Tat darin bestand, einen
unliebsamen Gläubiger zu beseitigen. Ein Aggressionsausbruch des
Beschwerdeführers als Folge eines Streits mit dem Opfer über finanzielle
Angelegenheiten sei naheliegend. Aufgrund der Akten verblieben jedoch nicht zu
unterdrückende Zweifel, dass es sich auch anders hätte verhalten können (Urteil
S. 13).
1.4
1.4.1 Anfechtungsobjekt vor Bundesgericht bildet der letztinstanzliche
kantonale Entscheid (Art. 80 Abs. 1 BGG), d.h. das Urteil des Obergerichts.
Nicht einzutreten ist auf den Einwand, die Staatsanwaltschaft und das
erstinstanzliche Gericht gingen zu Unrecht davon aus, er habe die KNZ erst
kontaktiert, nachdem die Zeugen D.________ und E.________ am Tatort
vorbeigekommen waren (Beschwerde S. 4 f.).
1.4.2 Soweit der Beschwerdeführer der vorinstanzlichen Beweiswürdigung
lediglich seine eigene Sicht der Dinge gegenüberstellt, erschöpfen sich seine
Vorbringen in unzulässiger appellatorischer Kritik. Darauf ist nicht
einzutreten. Dies ist der Fall, wenn er ausführt, er hätte die KNZ nicht
angerufen, wenn er die Tat selbst begangen hätte. Gleiches gilt für den
Einwand, er hätte die blutbefleckten Kleider und Schuhe nicht im Wagen
hinterlassen, hätte er seine angeblichen Spuren verwischen wollen. Entgegen den
Erwiderungen des Beschwerdeführers spricht auch nichts gegen die
Glaubwürdigkeit des Zeugen D.________.
1.4.3 Der Beschwerdeführer macht geltend, die Blut- und Schleifspuren im Schnee
hätten bei der Ankunft der Polizei wegen des grossen Schneefalles im
Tatzeitpunkt gar nicht festgestellt werden können. Der Einwand ist
unbehelflich. Die Vorinstanz legt hinlänglich und schlüssig dar, dass sich am
Tatort eine Vielzahl von Blutspuren befanden, welche für die Täterschaft des
Beschwerdeführers sprechen (Urteil S. 6). Blutspuren wurden u.a. im Neuschnee
festgestellt. Die Vorinstanz durfte willkürfrei davon ausgehen, dass Blut- bzw.
Schleifspuren an der vom Beschwerdeführer bezeichneten Stelle bei der
Spurensicherung unmittelbar nach der Tat trotz des Schneefalles erkannt worden
wären.
1.4.4 Insgesamt legt die Vorinstanz willkürfrei dar, weshalb sie Anhaltspunkte
für eine Dritttäterschaft verneint und zur Überzeugung gelangt, der
Beschwerdeführer habe dem Opfer die tödlichen Kopfverletzungen zugefügt. Der
Beschwerdeführer beschränkt sich darauf, einzelne Indizien herauszugreifen,
welche angeblich gegen seine Täterschaft sprechen, ohne sich jedoch mit der
gesamten Beweislage auseinanderzusetzen. Er zeigt nicht auf, dass und inwiefern
das Beweisergebnis der Vorinstanz im Ergebnis nicht vertretbar und damit
willkürlich sein soll.

2.
2.1 Der Beschwerdeführer beanstandet, die Vorinstanz habe zu Unrecht abgelehnt,
F.________, G.________ und D.________ zu befragen und die von ihm beantragten
Akten (Daily Statements der H.________ AG; Aufzeichnung seiner
Telefongespräche; Kontoauszüge der I.________) zu edieren.
2.1.1 Das Urteil des Kreisgerichts See-Gaster erging nach Inkrafttreten der
Schweizerischen Strafprozessordnung (StPO; SR 312.0) am 1. Januar 2011. Das
vorliegende Verfahren richtet sich damit nach neuem Recht (Art. 454 Abs. 1
StPO; BGE 137 IV 219 E. 1.1).
Gemäss Art. 139 Abs. 2 StPO wird über Tatsachen, die unerheblich, offenkundig,
der Strafbehörde bekannt oder bereits rechtsgenügend erwiesen sind, nicht
Beweis geführt. Es liegt keine Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art. 29 Abs.
2 BV) vor, wenn ein Gericht auf die Abnahme beantragter Beweismittel
verzichtet, weil es aufgrund der bereits abgenommenen Beweise seine Überzeugung
gebildet hat und in vorweggenommener Beweiswürdigung annehmen kann, dass seine
Überzeugung durch weitere Beweiserhebungen nicht geändert würde (BGE 136 I 229
E. 5.3; 134 I 140 E. 5.3).
2.1.2 Der Beschwerdeführer legt nicht dar, in welcher Hinsicht die Einvernahme
von G.________ für das Tatgeschehen relevant gewesen wäre. Der
Beschwerdeschrift sind keinerlei Hinweise zu entnehmen, inwiefern sie ihn
entlasten würde. Auf die Rüge, G.________ sei nicht einvernommen worden, ist
mangels Begründung nicht einzutreten (Art. 42 Abs. 2 und Art. 106 Abs. 2 BGG).
2.1.3 Im Übrigen setzt sich der Beschwerdeführer mit den vorinstanzlichen
Ausführungen nicht auseinander und zeigt nicht auf, weshalb diese willkürlich
sein sollen. Gemäss dem im Berufungsverfahren neu eingegangenen Bericht des
kriminaltechnischen Dienstes wurden DNA-Spuren von F.________ inwendig an den
Ärmelausgängen der Jacke des Beschwerdeführers gefunden. Beide arbeiteten seit
Jahren zusammen. Die Vorinstanz konnte willkürfrei annehmen, die Spuren seien
nicht am Tatabend gesetzt worden, und F.________ als Täter ausschliessen, da
der Beschwerdeführer seinen langjährigen Kollegen als Angreifer wiedererkannt
hätte (Urteil S. 7).
2.1.4 Es liegen keine Hinweise vor, dass die Aussagen von D.________
unzutreffend sind. Dieser bestätigte an der Konfrontationseinvernahme seine
früheren Angaben. Die Vorinstanz würdigt willkürfrei, dass eine erneute
Befragung zu keinen neuen Erkenntnissen führen würde (Urteil S. 8). Eine
Verletzung von Art. 343 Abs. 3 i.V.m. Art. 405 Abs. 1 StPO bzw. von Art. 389
Abs. 2 StPO macht der Beschwerdeführer zu Recht nicht geltend.
2.1.5 Schliesslich durfte die Vorinstanz auch auf den beantragten Aktenbeizug
verzichten. Sie konnte Anzeichen für eine Involvierung der H.________ AG ohne
Willkür verneinen. Der Beschwerdeführer zeigt nicht ansatzweise auf, worin die
geltend gemachte tiefere Verstrickung dieser Gesellschaft hätte bestehen
können. Er listet lediglich auf, was die Vorinstanz noch hätte abklären müssen,
ohne zu begründen, wozu diese Abklärungen geführt hätten. Die Vorinstanz sprach
den Beschwerdeführer vom Vorwurf des Mordes frei. Soweit der Antrag auf
Aktenbeizug mit dem Tatbestandsmerkmal der Skrupellosigkeit in Verbindung
stand, konnte sie diesen mangels Relevanz abweisen (Urteil S. 13).

3.
Den Antrag betreffend die Zivilforderung sowie das Schadenersatz- und
Genugtuungsbegehren begründet der Beschwerdeführer nicht bzw. ausschliesslich
mit dem ersuchten Freispruch. Da es beim Schuldspruch bleibt, ist darauf nicht
einzutreten.

4.
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Das
Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege ist infolge Aussichtslosigkeit der
Beschwerde abzuweisen (Art. 64 Abs. 1 und 2 BGG). Der finanziellen Lage des
Beschwerdeführers ist bei der Festsetzung der Gerichtskosten Rechnung zu tragen
(Art. 65 Abs. 2 BGG).
Das Gesuch um Entlassung aus der Sicherheitshaft wird mit dem Entscheid in der
Sache gegenstandslos.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.

3.
Die Gerichtskosten von Fr. 800.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Kantonsgericht St. Gallen, Strafkammer,
schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 13. Mai 2013

Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Mathys

Die Gerichtsschreiberin: Kratz-Ulmer

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