Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

II. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Subsidiäre Verfassungsbeschwerde 2D.15/2013
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
2D_15/2013

Urteil vom 24. Juli 2013

II. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Zünd, Präsident,
Bundesrichter Seiler, Bundesrichterin Aubry Girardin,
Gerichtsschreiber Klopfenstein.

Verfahrensbeteiligte
A.X.________, vertreten durch B.X.________ und C.X.________,
Beschwerdeführerin,
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Luzius Schmid,

gegen

Schulrat der Gemeinde A.________,
Erziehungs-, Kultur- und Umweltschutzdepartement des Kantons Graubünden,
Quaderstrasse 17, 7000 Chur.

Gegenstand
Disziplinarmassnahme,

Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons
Graubünden (1. Kammer
als Verfassungsgericht) vom 21. Dezember 2012.

Sachverhalt:

A.
Am 11. März 2011 führte die Oberschule der Gemeinde A.________ ihren Skitag im
Skigebiet B.________ durch. Im Anschluss daran wurde eine Gruppe von
Schülerinnen, darunter A.X.________ (geb. 1997), disziplinarisch mit 1½ Stunden
Nachsitzen bestraft, da sie entgegen den Weisungen des Lehrers nicht gemeinsam
als Gruppe nach C.________ abgefahren seien. Der Schulrat bestätigte am 17. Mai
2011 diese von den Lehrpersonen ausgesprochene Disziplinarstrafe.

B.
Am 23. Mai 2011 erhoben die Eltern von A.X.________ Beschwerde beim
Erziehungs-, Kultur- und Umweltschutzdepartement. Dieses wies die Beschwerde am
11. August 2011 ab. Dagegen erhob A.X.________, vertreten durch ihre Eltern,
Beschwerde an das Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden, welches diese mit
Urteil vom 21. Dezember 2012 ebenfalls abwies.

C.
A.X.________, vertreten durch ihre Eltern, lässt mit Eingabe vom 12. April 2013
beim Bundesgericht Verfassungsbeschwerde erheben mit dem Antrag, das
angefochtene Urteil sei aufzuheben und von einer Disziplinarmassnahme sei
abzusehen. Eventuell sei die Sache an das Verwaltungsgericht oder an den
Schulrat der Gemeinde A.________ zur neuen Beurteilung zurückzuweisen.
Das Verwaltungsgericht beantragt, die Beschwerde sei abzuweisen, soweit darauf
einzutreten sei. Das Erziehungs-, Kultur- und Umweltschutzdepartement und die
Gemeinde A.________ verzichten auf Vernehmlassung.

Erwägungen:

1.
Gegen Entscheide letztinstanzlicher kantonaler Gerichte in Angelegenheiten des
öffentlichen Rechts ist die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen
Angelegenheiten an das Bundesgericht zulässig (Art. 82 lit. a, Art. 86 Abs. 1
lit. d BGG), sofern keine der Ausnahmen gemäss Art. 83 ff. BGG vorliegt, was
hier nicht der Fall ist. Damit ist die subsidiäre Verfassungsbeschwerde
unzulässig (Art. 113 BGG) und die Eingabe als Beschwerde in
öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten an die Hand zu nehmen, da eine
unrichtige Bezeichnung des Rechtsmittels nicht schadet.

2.
Das Bundesgericht prüft das angefochtene Urteil nicht wie ein Berufungsgericht
frei und unter allen Aspekten. Es legt vielmehr seinem Urteil den Sachverhalt
zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann
die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen oder auf
entsprechende Rüge hin bloss berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich
unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht
und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend
sein kann (Art. 97 Abs. 1 und Art. 105 Abs. 2 BGG). Zu den Rechtsverletzungen
in diesem Sinne gehört namentlich eine Verletzung des rechtlichen Gehörs. Das
Bundesgericht prüft sodann die Verletzung von Grundrechten sowie von kantonalem
Recht nicht von Amtes wegen, sondern nur auf entsprechende Rüge hin (Art. 106
Abs. 2 BGG).

3.
Das Verwaltungsgericht hat sich vorweg mit der Rüge der Beschwerdeführerin
auseinandergesetzt, das rechtliche Gehör sei verletzt, weil ihr im
Beschwerdeverfahren vor dem Erziehungs-, Kultur- und Umweltschutzdepartement
nicht Gelegenheit gegeben worden sei, zu einer E-Mail der Gemeinde an den
Sachbearbeiter des Departements vom 8. August 2011 Stellung zu nehmen. Das
Gericht erwog, eine Gehörsverletzung könne geheilt werden, wenn sich dies aus
verfahrensökonomischen Gründen aufdränge und die Kognition der urteilenden
Instanz nicht eingeschränkt sei. Bei der besagten E-Mail vom 8. August 2011
habe es sich lediglich um eine Präzisierung des Sachverhalts gehandelt. Eine
allfällige Gehörsverletzung wäre daher nicht schwerwiegend und im
verwaltungsgerichtlichen Verfahren geheilt. Sodann stellte das
Verwaltungsgericht sachverhaltlich fest, die Schülergruppe sei angewiesen
worden, gemeinsam nach C.________ abzufahren; sie sei aber nicht wie angewiesen
geschlossen gefahren und habe bei der entscheidenden Abzweigung, bei welcher
vier Schülerinnen und Schüler ein Stück weit direkt nach A.________ anstatt
nach C.________ fuhren, keine genügende Verbindung gehalten. Eine
Disziplinwidrigkeit sei daher zu bejahen.

4.

4.1. Die Beschwerdeführerin bestreitet nicht, dass sie im
verwaltungsgerichtlichen Verfahren zu der E-Mail vom 8. August 2011 Stellung
nehmen konnte. Sie kritisiert aber, dass das Verwaltungsgericht eine
Gehörsverletzung nicht nur ausnahmsweise, sondern regelmässig heile, obwohl ihm
nicht eine volle Kognition zukomme; die formelle Natur des Anspruchs auf
rechtliches Gehör dürfe nicht verwässert werden.

4.2. Die vorinstanzliche Erwägung, wonach eine Gehörsverletzung vor der
Rechtsmittelinstanz geheilt werden kann, entspricht auch der
bundesgerichtlichen Rechtsprechung: Danach kann eine nicht besonders
schwerwiegende Verletzung des rechtlichen Gehörs als geheilt gelten, wenn die
betroffene Person die Möglichkeit erhält, sich vor einer Rechtsmittelinstanz zu
äussern, die sowohl den Sachverhalt wie auch die Rechtslage frei überprüfen
kann. Unter dieser Voraussetzung ist darüber hinaus - im Sinne einer Heilung
des Mangels - selbst bei einer schwerwiegenden Verletzung des Anspruchs auf
rechtliches Gehör von einer Rückweisung der Sache an die Vorinstanz abzusehen,
wenn und soweit die Rückweisung zu einem formalistischen Leerlauf und damit zu
unnötigen Verzögerungen führen würde, die mit dem (der Anhörung
gleichgestellten) Interesse der betroffenen Partei an einer beförderlichen
Beurteilung der Sache nicht zu vereinbaren wären (statt vieler: BGE 137 I 195
E. 2.3.2 S. 197 f.; 136 V 117 E. 4.2.2.2 S. 126 f.; 133 I 201 E. 2.2 S. 204 f.;
in Bezug auf das Verwaltungsgericht des Kantons Kanton Graubünden s. auch
Urteil 1C_4/2012 vom 19. April 2012 E. 4.4). Die Kritik, die in der Lehre
dagegen vorgebracht wird, überzeugt nicht: Namentlich ist der Umstand, dass dem
Anspruch auf rechtliches Gehör Grundrechtscharakter zukommt (Art. 29 Abs. 2
BV), entgegen einer in der Lehre verbreiteten Auffassung (so z.B. der von der
Beschwerdeführerin zitierte Benjamin Schindler, Die "formelle Natur" von
Verfahrensgrundrechten, ZBl 106/2005 S. 182 f.), kein prinzipieller Grund gegen
eine Heilung: Die Rechtsprechung, wonach der Anspruch auf rechtliches Gehör
formeller Natur ist, entstand ursprünglich im Rahmen der ehemaligen
staatsrechtlichen Beschwerde. Diese war ein grundsätzlich kassatorisches
Rechtsmittel, so dass das Bundesgericht bei einer Grundrechtsverletzung diesen
Mangel nicht selber korrigieren, sondern nur den angefochtenen Entscheid
aufheben konnte. Einem reformatorischen Rechtsmittel entspricht es hingegen,
dass die Rechtsmittelinstanz die Rechtsfehler der unteren Instanz durch einen
eigenen reformatorischen Entscheid korrigieren kann. Das gilt auch dann, wenn
der angefochtene Rechtsfehler in einer falschen Anwendung von Grundrechten
liegt.

4.3. Voraussetzung für eine Heilung ist, dass die heilende Rechtsmittelinstanz
in Bezug auf den vom Gehörsmangel betroffenen Aspekt eine freie Kognition hat.
Der Beschwerdeführerin ist zuzustimmen, dass das Bündner Verwaltungsgericht
entgegen seiner Aussage im angefochtenen Entscheid nicht eine volle Kognition,
sondern bloss eine Rechts- und Sachverhaltskontrolle ausübt, unter Ausschluss
einer Angemessenheitsprüfung. Entscheidend ist aber nicht, welche Formel vom
Verwaltungsgericht zur abstrakten Umschreibung seiner Kognition verwendet
wurde, sondern inwiefern es den angefochtenen Entscheid im konkreten Fall
überprüft hat (vgl. BGE 138 II 77 E. 4.2.1 S. 84). Der geltend gemachte
Gehörsmangel betrifft die Sachverhaltsfeststellung; diesbezüglich ist die
Kognition des Verwaltungsgerichts frei und eine Heilung daher zulässig.

5.

5.1. Die Beschwerdeführerin rügt sodann eine Gehörsverletzung, indem das
Verwaltungsgericht ihrem Beweisantrag auf Anhörung der Gruppenmitglieder nicht
stattgegeben habe.

5.2. Der Umfang des Anspruchs auf rechtliches Gehör richtet sich nach dem
einschlägigen Verfahrensrecht und nach Art. 29 Abs. 2 BV als Mindestgarantie.
Er umfasst das Recht auf Abnahme der rechtzeitig und formrichtig angebotenen
rechtserheblichen Beweismittel, gibt aber keinen Anspruch auf mündliche
Anhörung und steht einer vorweggenommenen Beweiswürdigung nicht entgegen: Das
Gericht kann auf die Abnahme von Beweisen verzichten, wenn es aufgrund bereits
abgenommener Beweise seine Überzeugung gebildet hat und ohne Willkür annehmen
kann, seine Überzeugung werde durch weitere Beweiserhebungen nicht geändert (
BGE 134 I 140 E. 5.3 S. 148; 131 I 153 E. 3 S. 157).

5.3. Soweit die Beschwerdeführerin geltend macht, ein Anspruch auf Befragung
ergebe sich aus Art. 12 Abs. 1 des kantonalen Gesetzes vom 31. August 2006 über
die Verwaltungsrechtspflege (VRG/GR), ist dies unbegründet: Diese Bestimmung
zählt bloss (nicht abschliessend) die möglichen Beweismittel auf, besagt aber
nicht, dass in jedem Fall alle dort genannten Beweise erhoben werden müssten.

5.4. Die Beschwerdeführerin kritisiert, dass das Verwaltungsgericht nicht
einmal begründet habe, weshalb es die beantragte Befragung nicht durchgeführt
habe. In der Tat muss aufgrund der ebenfalls in Art. 29 Abs. 2 BV enthaltenen
Begründungspflicht ein Gericht begründen, wenn es einen beantragten Beweis
nicht abnimmt. Vorliegend setzt sich das Verwaltungsgericht nicht explizit mit
dem Beweisantrag auseinander. Die Begründung ergibt sich aber implizit aus dem
angefochtenen Urteil: Die Beschwerdeführerin wollte mit der beantragten
Anhörung (Beschwerde an das Verwaltungsgericht S. 5) die Frage abklären, wie
die Lehrer auf die Schüler Einfluss genommen hatten, nachdem sie bemerkt
hatten, dass sie nach A.________ fuhren. Das Verwaltungsgericht hat aber
rechtserheblich darauf abgestellt, dass die Gruppe bei der entscheidenden
Abzweigung nicht geschlossen fuhr und keine genügende Verbindung hielt
(angefochtenes Urteil E. 3c). Dieser vom Verwaltungsgericht als entscheidend
betrachtete Sachverhalt begab sich zeitlich vor demjenigen, den die
Beschwerdeführerin mit der beantragten Anhörung abklären wollte, und konnte
durch diesen nicht beeinflusst werden. Der mit dem Beweisantrag abzuklärende
Umstand war bei dieser Beurteilung nicht rechtserheblich. Die
Beschwerdeführerin konnte aus dem angefochtenen Urteil sodann durchaus ersehen,
weshalb ihrem Begehren auf Befragung der Gruppenmitglieder D.________,
E.________, F.________ und G.________ nicht entsprochen worden war: Das
Verwaltungsgericht legte in seinen Erwägungen im Rahmen einer willkürfreien
antizipierten Beweiswürdigung (vorne E. 5.2) implizit dar, dass und weshalb die
Tatsachen, über welche die Beschwerdeführerin mit den verlangten Zeugenaussagen
Beweis führen wollte, für die Abklärung des rechtserheblichen Sachverhalts
nicht relevant waren. Damit aber ist dem Anspruch auf rechtliches Gehör (Art.
29 Abs. 2 BV) Genüge getan.

6.
Weitere Rügen gegen die vorinstanzliche Sachverhaltsfeststellung oder
Rechtsanwendung werden nicht vorgebracht. Das angefochtene Urteil ist daher
nicht zu beanstanden.

7.
Bei diesem Ausgang des Verfahrens trägt die Beschwerdeführerin die Kosten des
bundesgerichtlichen Verfahrens (Art. 65 Abs. 3 lit. a und Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird der Beschwerdeführerin, dem Schulrat der Gemeinde
A.________, dem Erziehungs-, Kultur- und Umweltschutzdepartement des Kantons
Graubünden sowie dem Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden (1. Kammer als
Verfassungsgericht) schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 24. Juli 2013
Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Zünd

Der Gerichtsschreiber: Klopfenstein

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