Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 1B.98/2013
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
1B_98/2013

Urteil vom 25. April 2013
I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Fonjallaz, Präsident,
Bundesrichter Merkli, Karlen, Eusebio, Chaix.
Gerichtsschreiber Störi.

Verfahrensbeteiligte
X.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Advokat Alexander Imhof,

gegen

Staatsanwaltschaft Rheinfelden-Laufenburg, Verwaltungsgebäude Roter Löwe,
Marktplatz, 5080 Laufenburg.

Gegenstand
Strafverfahren; Beschlagnahmebefehl,

Beschwerde gegen den Entscheid vom 14. Februar 2013 der Beschwerdekammer in
Strafsachen des Obergerichts des Kantons Aargau.

Sachverhalt:

A.
Am 10. Januar 2013 stoppte die Kantonspolizei Aargau in Eiken den vom deutschen
Staatsangehörigen X.________ gelenkten BMW X6 M mit dem deutschen
Kontrollschild "...", nachdem ihre Geschwindigkeitsmessung ergeben hatte, dass
er die ausserorts zulässige Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h um netto 69 km/h
überschritten hatte. Die Staatsanwaltschaft Rheinfelden-Laufenburg liess das
Fahrzeug gleichentags zur Sicherstellung von Geldstrafen, Bussen und Kosten
sowie zur Einziehung gemäss Art. 263 Abs. 1 lit. b und d StPO beschlagnahmen.
Zur Begründung führte sie an, die X.________ vorgeworfene
Verkehrsregelverletzung werde nach Art. 90 Abs. 3 und 4 SVG mit Freiheitsstrafe
zwischen einem und vier Jahren geahndet. Er habe keinen festen Wohnsitz in der
Schweiz, weshalb es nicht möglich sei, sein Vorstrafenregister und seinen
automobilistischen Leumund umgehend abzuklären.
Die Beschwerdekammer des Obergerichts des Kantons Aargau wies die Beschwerde
X.________ gegen den Beschlagnahmebefehl am 14. Februar 2013 ab, soweit es
darauf eintrat.

B.
Mit Beschwerde in Strafsachen beantragt X.________, diesen Entscheid der
Beschwerdekammer sowie den Beschlagnahmebefehl der Staatsanwaltschaft
aufzuheben und das beschlagnahmte Fahrzeug umgehend freizugeben. Eventuell sei
die Sache an die Vorinstanz zur Neubeurteilung zurückzuweisen.

C.
Die Staatsanwaltschaft und die Beschwerdekammer verzichten auf Vernehmlassung.

Erwägungen:

1.
Angefochten ist der Entscheid der Beschwerdekammer, mit welchem sie die
Beschwerde gegen die Beschlagnahme eines Fahrzeugs abwies. Es handelt sich um
den Entscheid einer letzten kantonalen Instanz in einer Strafsache, gegen den
die Beschwerde in Strafsachen zulässig ist (Art. 78 Abs. 1, Art. 80 Abs. 1
BGG). Er schliesst das Verfahren gegen den Beschwerdeführer nicht ab, ist
mithin ein Zwischenentscheid. Als solcher ist er nach Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG
anfechtbar, wenn er einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil rechtlicher
Natur (BGE 133 IV 139 E. 4) bewirken könnte. Dies ist bei der Beschlagnahme der
Fall, da der Beschwerdeführer an der freien Ausübung seiner Nutzungsrechte am
Fahrzeug gehindert wird (BGE 128 I 129 E. 1; Urteile 1B_711/2012 vom 14. März
2013 E. 1.1 und 6B_218/2007 vom 23. August 2007 E. 2.4). Die übrigen
Sachurteilsvoraussetzungen geben zu keinen Bemerkungen Anlass, sodass auf die
Beschwerde einzutreten ist.

2.
Die Beschwerdekammer ist im angefochtenen Entscheid zum Schluss gekommen, die
Beschlagnahme des BMW X6 M im Hinblick auf dessen allfällige Einziehung nach
Art. 90a SVG sei gemäss Art. 263 Abs. 1 lit. d StPO zulässig. Offen liess sie,
ob die Beschlagnahme des Fahrzeugs auch zur Sicherstellung von
Verfahrenskosten, Geldstrafen, Bussen und Entschädigungen nach Art. 263 Abs. 1
lit. b StPO zulässig wäre.

2.1 Als Zwangsmassnahme im Sinn von Art. 196 StPO kann eine Beschlagnahme
angeordnet werden, wenn sie gesetzlich vorgesehen ist, ein hinreichender
Tatverdacht vorliegt, sie verhältnismässig ist und durch die Bedeutung der
Straftat gerechtfertigt wird (Art. 197 Abs. 1 StPO). Eine Beschlagnahme ist
u.a. im Hinblick auf eine allfällige Einziehung durch den Strafrichter zulässig
(Art. 263 Abs. 1 lit. d StPO). Nach der Rechtsprung des Bundesgerichts zu den
altrechtlichen kantonalen Strafprozessordnungen, die weiterhin Geltung
beanspruchen kann, setzt die Einziehungsbeschlagnahme voraus, dass ein
begründeter, konkreter Tatverdacht besteht, die Verhältnismässigkeit gewahrt
wird und die Einziehung durch den Strafrichter nicht bereits aus
materiellrechtlichen Gründen als offensichtlich unzulässig erscheint.
Entsprechend ihrer Natur als provisorische (konservative) prozessuale Massnahme
prüft das Bundesgericht bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Beschlagnahme
- anders als der für die (definitive) Einziehung zuständige Sachrichter - nicht
alle Tat- und Rechtsfragen abschliessend; es hebt eine Beschlagnahme nur auf,
wenn ihre Voraussetzungen offensichtlich nicht erfüllt sind (BGE 124 IV 313 E.
4 S. 316; vgl. auch BGE 128 I 129 E. 3.1.3 S. 133 f.; 126 I 97 E. 3d/aa S. 107;
Urteile 1B_711/2012 vom 14. März 2013 E. 3.1; 1B_397/2012 vom 10. Oktober 2012
E. 5.1; 1B_252/2008 vom 16. April 2009 E. 4.3).

2.2 Unbestritten ist, dass der Beschwerdeführer dringend verdächtig ist, die
gesetzlich erlaubte Höchstgeschwindigkeit ausserorts um netto 69 km/h
überschritten zu haben.

2.3 Umstritten ist, ob die Einziehung des Tatfahrzeugs in Betracht fällt.
2.3.1 Der Gesetzgeber hat im Rahmen des Handlungsprogramms des Bundes für mehr
Sicherheit im Strassenverkehr ("Via sicura") die Strafbestimmungen des SVG per
1. Januar 2013 verschärft. Dabei hat er zu den beiden bisherigen Kategorien von
Verkehrsregelverletzungen - der als Übertretung strafbaren einfachen (Art. 90
Abs. 1 SVG) und der als Vergehen strafbaren groben Verkehrsregelverletzung
(Art. 90 Abs. 2 SVG) - eine dritte Kategorie von als Verbrechen strafbaren,
besonders bzw. qualifiziert groben Verkehrsregelverletzungen hinzugefügt (Art.
90 Abs. 3 SVG). Danach wird mit Freiheitsstrafe zwischen einem und vier Jahren
bestraft, "wer durch vorsätzliche Verletzung elementarer Verkehrsregeln das
hohe Risiko eines Unfalls mit Schwerverletzten oder Todesopfern eingeht,
namentlich durch besonders krasse Missachtung der zulässigen
Höchstgeschwindigkeit, waghalsiges Überholen oder Teilnahme an einem nicht
bewilligten Rennen mit Motorfahrzeugen". In Art. 90 Abs. 4 SVG wird sodann
aufgelistet, welche Geschwindigkeitsübertretungen in jedem Fall nach Abs. 3
geahndet werden. Wird, was dem Beschwerdeführer vorgeworfen wird, die zulässige
Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h um mindestens 60 km/h überschritten, liegt
eine qualifiziert grobe Geschwindigkeitsüberschreitung im Sinn von Abs. 3 vor.
2.3.2 Nach Art. 90a Abs. 1 SVG kann der Strafrichter "die Einziehung eines
Motorfahrzeugs anordnen, wenn:
a. eine grobe Verkehrsregelverletzung in skrupelloser Weise begangen wurde; und
b. der Täter durch die Einziehung von weiteren groben Verkehrsregelverletzungen
abgehalten werden kann".
In der Botschaft wird dazu ausgeführt, die Einziehung stelle einen Eingriff in
die von Art. 26 BV geschützte Eigentumsgarantie dar und sei nur in
Ausnahmefällen verhältnismässig und gerechtfertigt. Ihre Zulässigkeit hänge
stark vom Einzelfall ab. Nicht jede grobe Verkehrsregelverletzung solle
automatisch zur Einziehung des Tatfahrzeugs führen. Von der Möglichkeit der
Einziehung dürfe nur Gebrauch gemacht werden, wenn die Verkehrsregelverletzung
in skrupelloser Weise begangen worden sei und sie geeignet sei, den Täter von
weiteren groben Verkehrsregelverletzungen abzuhalten; das urteilende Gericht
sei verpflichtet, darüber eine Prognose abzugeben (BBl 2010 S. 8484 f.).
2.3.3 Mit Art. 90a SVG wollte der Gesetzgeber die an sich nach Art. 69 StGB
schon bisher mögliche und in verschiedenen Kantonen auch praktizierte
Einziehung von Fahrzeugen auf Bundesebene einheitlich regeln (Cédric Mizel, Le
délit de chauffard et sa répression pénale et administrative, in: AJP 2013 S.
189 ff., S. 199). Damit kann die bisherige Praxis jedenfalls teilweise
weiterhin Geltung beanspruchen.
Die Einziehungsvoraussetzungen von Art. 90a Abs. 1 lit. a SVG dürften bei
Verkehrsdelikten im Sinn von Art. 90 Abs. 3 und 4 SVG in der Regel gegeben
sein. Die Einziehung ist aber nicht auf diese Fälle beschränkt, sondern fällt
auch bei groben Verkehrsregelverletzungen im Sinn von Art. 90 Abs. 2 SVG in
Betracht. Für die kumulativ zu erfüllende Einziehungsvoraussetzung von Art. 90a
Abs. 1 lit. b SVG kann an die bisherige Praxis angeknüpft werden (Darstellung
bei Jürg Krumm, Die Sicherungseinziehung von Motorfahrzeugen, AJP 2013 S. 375
ff., insbesondere S. 380 ff.). Danach hat das Gericht im Sinne einer
Gefährdungsprognose zu prüfen, ob das Fahrzeug in der Hand des Täters in der
Zukunft die Verkehrssicherheit gefährdet bzw. ob dessen Einziehung geeignet
ist, ihn vor weiteren groben Verkehrswidrigkeiten abzuhalten (BGE 137 IV 249 E.
4.4; Urteil 1B_168/2012 vom 8. Mai 2012 E. 2).
2.3.4 Wie oben in E. 2.1 dargelegt, sind diese Fragen zur Problematik einer
allfälligen Einziehung nicht abschliessend zu klären; das wird Sache des
Strafrichters sein, dem das Bundesgericht vorliegend nicht vorzugreifen hat.
Aus den vorstehenden Ausführungen ergibt sich für die hier allein zu
beurteilende Zulässigkeit der Beschlagnahme Folgendes:
Der Beschwerdeführer ist einer qualifiziert groben Verkehrsregelverletzung im
Sinn von Art. 90 Abs. 3 und 4 SVG dringend verdächtig, mithin eines Verbrechens
und damit einer Straftat, deren Schwere die Einziehung eines Personenwagens
rechtfertigen könnte. Damit liegt es im Bereich des Möglichen, dass diese
Straftat die Einziehungsvoraussetzung von Art. 90 Abs. 1 lit. a SVG erfüllt.
Das Gleiche gilt für die Voraussetzung von lit. b: Der Beschwerdeführer hat
sich bisher nach den Angaben des Kraftfahrt-Bundesamtes (Flensburg) bereits
vier zum Teil gravierende Geschwindigkeitsübertretungen zu Schulden kommen
lassen. Es könnte durchaus sein, dass das sehr leistungsstarke, sportliche
Tatfahrzeug weitere Geschwindigkeitsexzesse des Beschwerdeführers begünstigt,
eine Einziehung mithin geeignet ist, den Beschwerdeführer von
Geschwindigkeitsexzessen in der Schweiz abzuhalten. Dessen Einziehung fällt
daher aus materiellrechtlichen Gründen nicht von vornherein ausser Betracht,
womit die zu ihrer Sicherung erfolgte Beschlagnahme grundsätzlich nicht zu
beanstanden ist.

2.4 Unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismässigkeit (Art. 36 Abs. 3 BV) muss
die Beschlagnahme des Fahrzeugs geeignet und erforderlich sein, um dessen
Einziehung sicherzustellen; dass sie angesichts der Schwere des
strafrechtlichen Vorwurfs grundsätzlich gerechtfertigt ist, wurde bereits
dargelegt (oben E. 2.3.4 2. Absatz). Fraglich erscheint, ob die Beschlagnahme
des Fahrzeugs zur Sicherung einer allfälligen Einziehung erforderlich ist. Beim
Beschwerdeführer handelt es sich nach den Akten um einen solventen, in
geordneten Verhältnissen lebenden und - ausserhalb des Strassenverkehrs -
gesetzestreuen deutschen Staatsangehörigen, von dem erwartet werden kann, dass
er sich den Konsequenzen einer allfälligen Verurteilung unterzieht. Allerdings
wäre es für ihn ein Leichtes, das Fahrzeug nach einer Freigabe in sein
Heimatland überführen, was eine allfällige Einziehung jedenfalls erschweren
würde. Eine mildere Massnahme, den Schweizerischen Strafverfolgungsbehörden den
Zugriff auf das Fahrzeug zu sichern, ist nicht ersichtlich. Insgesamt erscheint
die Beschlagnahme daher auch unter diesem Gesichtspunkt (gerade noch)
vertretbar. Die Strafverfolgungsbehörden werden allerdings dem Umstand, dass
die Beschlagnahme unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismässigkeit heikel
erscheinen könnte, durch eine besonders beförderliche Verfahrensführung
Rechnung zu tragen haben.

3.
Die Beschwerde ist somit als unbegründet abzuweisen. Bei diesem Ausgang des
Verfahrens trägt der Beschwerdeführer die Kosten (Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft
Rheinfelden-Laufenburg und der Beschwerdekammer in Strafsachen des Obergerichts
des Kantons Aargau schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 25. April 2013
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Fonjallaz

Der Gerichtsschreiber: Störi

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