Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 1B.84/2013
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
1B_84/2013

Urteil vom 24. September 2013

I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Fonjallaz, Präsident,
Bundesrichter Merkli, Eusebio,
Gerichtsschreiber Gelzer.

Verfahrensbeteiligte
A.X.________,
Beschwerdeführerin,

gegen

Y.________, Leitender Staatsanwalt,
Beschwerdegegner.

Gegenstand
Strafverfahren; Ausstand,

Beschwerde gegen den Entscheid vom 3. Januar 2013 des Kantonsgerichts von
Graubünden, II. Strafkammer.

Sachverhalt:

A.

 A.X.________ und B.X.________ stellten am 4. April 2012 bei der
Staatsanwaltschaft des Kantons Graubünden gegen ihren Nachbarn Z.________ und
einen ihnen nicht bekannten Fahrer des Kleinlastwagens GR xx x Strafanzeige
wegen Sachbeschädigung an ihrer Thujahecke.

 Am 27. April 2012 stellte A.X.________ in der gleichen Angelegenheit bei der
Kantonspolizei Graubünden einen Strafantrag gegen Z.________ und erklärte ihre
Beteiligung am Strafverfahren als Zivilklägerin.

 Am 3. Oktober 2012 wurde A.X.________ betreffend ihre Strafanzeige vom 4.
April 2012 bei der Staatsanwaltschaft Graubünden als Auskunftsperson
einvernommen. Anlässlich dieser Einvernahme stellte A.X.________ gegenüber dem
Verfahrensleiter Y.________ mündlich ein Ausstandsbegehren, das die
Staatsanwaltschaft an das Kantonsgericht von Graubünden weiterleitete. Auf
Aufforderung dieses Gerichts reichte A.X.________ am 23. Oktober 2012 ein
schriftliches Ausstandsgesuch gegen Staatsanwalt Y.________ sowie gegen jede
andere Person der Staatsanwaltschaft Graubünden ein, das sie im Wesentlichen
damit begründete, dass sie bei dieser Staatsanwaltschaft nie Recht bekomme und
Y.________ bereits in anderen sie betreffenden Fällen involviert gewesen sei.
Mit Entscheid vom 3. Januar 2013 wies das Kantonsgericht von Graubünden (II.
Strafkammer) das Ausstandsbegehren ab, soweit es darauf eintrat und auferlegte
die Kosten des Gesuchsverfahrens von Fr. 1'000.-- A.X.________.

B.

 A.X.________ erhebt beim Bundesgericht Beschwerde, mit der sie dem Sinne nach
die Anträge stellt, der Entscheid des Kantonsgerichts vom 3. Januar 2013 sei
aufzuheben, ihr Ausstandsbegehren gegen Y.________ bzw. die gesamte
Staatsanwaltschaft Graubünden sei zu bewilligen und die Sache sei an eine
neutrale Institution zurückzuweisen. Zudem sei die Vorinstanz anzuweisen,
gemäss Schweizer Gesetz die gültigen, ihr Grundeigentum betreffenden Verträge
von 1976 mit m ^2 -Angaben zu benützen, statt sie weiterhin wie seit 1997 zu
missachten.

C.

 Staatsanwalt Y.________ und das Kantonsgericht von Graubünden verzichteten auf
eine Vernehmlassung.

Erwägungen:

1.

1.1. Die Vorinstanz hat in einem Strafverfahren gestützt auf die Schweizerische
Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (StPO; SR 312.0) entschieden. Gegen
ihren Entscheid ist damit gemäss Art. 78 Abs. 1 BGG die Beschwerde in
Strafsachen gegeben.

1.2. Gemäss Art. 59 Abs. 1 lit. b i.V.m. Art. 380 StPO hat die Vorinstanz als
einzige kantonale Instanz entschieden. Die Beschwerde ist somit nach Art. 80
BGG zulässig.

1.3. Die Beschwerdeführerin ist gemäss Art. 81 Abs. 1 lit. a und lit. b Ziff. 5
BGG zur Beschwerde berechtigt, zumal die geltend gemachte Sachbeschädigung sich
auf ihre Zivilansprüche auswirken kann (vgl. BGE 138 IV 258 E. 2.1).

1.4. Beim angefochtenen Entscheid handelt es sich um einen selbständig
eröffneten Zwischenentscheid über ein Ausstandsbegehren. Dagegen ist die
Beschwerde nach Art. 92 Abs. 1 BGG zulässig. Die weiteren
Sachurteilsvoraussetzungen geben zu keinen Bemerkungen Anlass, womit auf die
Beschwerde grundsätzlich einzutreten ist.

1.5. Mit der Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht kann insbesondere
die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Das
Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG), prüft
die bei ihm angefochtenen Entscheide aber grundsätzlich nur auf
Rechtsverletzungen hin, die von den Beschwerdeführern geltend gemacht und
begründet werden (vgl. Art. 42 Abs. 2 BGG). Erhöhte Anforderungen an die
Begründung gelten, soweit die Verletzung von Grundrechten gerügt wird (Art. 106
Abs. 2 BGG; BGE 133 II 249 E. 1.4.2 S. 254 mit Hinweisen).

2.

2.1. Nach Art. 56 StPO tritt eine in einer Strafbehörde tätige Person
namentlich in den Ausstand, wenn sie in einer anderen Stellung, insbesondere
als Mitglied einer Behörde, als Rechtsbeistand einer Partei, als
Sachverständige oder Sachverständiger, als Zeugin oder Zeuge, in der gleichen
Sache tätig war (lit. b) oder aus anderen Gründen, insbesondere wegen
Freundschaft oder Feindschaft mit einer Partei oder deren Rechtsbeistand,
befangen sein könnte (lit. f). Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts kann
sich ein Ausstandsbegehren nur gegen Personen und nicht gegen Behörden richten,
da nur die für eine Behörde tätigen Personen, nicht die Behörde als solche,
befangen sein können (BGE 137 V 210 E. 1.3.3 S. 227 mit Hinweisen). Dies
schliesst Ausstandsbegehren gegen sämtliche Mitglieder einer Behörde nicht aus,
wenn gegen jedes einzelne Mitglied spezifische Ausstandsbegehren geltend
gemacht werden, die über die Kritik hinausgehen, die Behörde als solche sei
befangen (Urteil I 874/06 vom 8. August 2007 E. 4.1 mit Hinweisen).

2.2. Das Kantonsgericht trat unter Berufung auf diese Grundsätze auf das
Ausstandsbegehren gegenüber der gesamten Staatsanwaltschaft Graubünden nicht
ein, da die Beschwerdeführerin nicht Ausstandsgesuche gegen alle
Einzelmitglieder gestellt und entsprechend begründet hatte.

2.3. Inwiefern das Kantonsgericht damit Bundesrecht verletzt haben soll, legt
die Beschwerdeführerin nicht dar und ist auch nicht ersichtlich. Insoweit ist
auf die Beschwerde mangels einer Begründung nicht einzutreten (Art. 42 Abs. 2
BGG).

3.

3.1. Art. 56 StPO konkretisiert hinsichtlich der Staatsanwaltschaft in ihrer
Funktion als Strafuntersuchungs- und Anklagebehörde den in Art. 29 Abs. 1 BV
und Art. 6 Ziff. 1 EMRK verankerten Anspruch jeder Person auf ein faires
Verfahren. Die Garantie ist verletzt, wenn bei objektiver Betrachtungsweise
Gegebenheiten vorliegen, die den Anschein der Befangenheit zu begründen
vermögen. Vom Staatsanwalt als Untersuchungs- und Anklagebehörde ist dabei
Sachlichkeit, Unbefangenheit und Objektivität namentlich insofern zu erwarten,
als er sich vor Abschluss der Untersuchung grundsätzlich nicht darauf festlegen
darf, dass dem Beschuldigten ein strafbares Verhalten zur Last zu legen sei (
BGE 138 IV 142 E. 2.2 S. 145 f.; 127 I 196 E. 2d S. 199 f.; je mit Hinweisen).
Materielle oder prozessuale Rechtsfehler stellen dagegen nur dann einen
Ausstandsgrund dar, wenn sie besonders krass sind und wiederholt auftreten,
sodass sie einer schweren Amtspflichtverletzung gleichkommen und sich einseitig
zulasten einer der Prozessparteien auswirken (BGE 138 IV 142 E. 2.3 S. 146; 125
I 119 E. 3e S. 124; Urteile 1B_11/2013 vom 11. März 2013 E. 2; 1B_224/2010 vom
11. Januar 2011 E. 4.5.2; 1B_69/2013 vom 27. Juni 2013 E. 4.2 mit weiteren
Hinweisen). Diesbezüglich sind auch die zur Verfügung stehenden Rechtsmittel
gegen beanstandete Untersuchungsmassnahmen auszuschöpfen (vgl. BGE 114 Ia 153
E. 3b/bb S. 158 f.). Die Mehrfachbefassung mit derselben Angelegenheit, zum
Beispiel wegen der Rückweisung der Sache durch eine übergeordnete
Rechtsmittelinstanz, vermag den Anschein der Befangenheit nicht zu bewirken,
solange das Verfahren noch als offen erscheint (Urteil 1B_170/2012 vom 19. Juni
2012 E 4.2; vgl. auch: BGE 138 IV 142 E. 2.3 S. 146).

3.2. Betreffend das Ausstandsgesuch gegenüber dem Staatsanwalt Y.________
führte das Kantonsgericht zusammengefasst aus, die Beschwerdeführerin werfe ihm
unter Hinweis auf einige abgeschlossene Verfahren, eingereichte Schadenersatz-
und Strafklagen pauschal vor, befangen zu sein. Es sei jedoch weder aus den
Akten noch sonst wie ersichtlich, dass sich Staatsanwalt Y.________ in den
erwähnten Verfahren einer Amtspflichtverletzung schuldig gemacht habe oder dass
ihm beanstandete materielle oder prozessuale Rechtsfehler unterlaufen seien.
Demnach vermöge der Umstand, dass er bereits verschiedene Verfahren gegen die
Beschwerdeführerin oder deren Ehemann durchgeführt habe, nicht den Anschein der
Befangenheit zu begründen. Auch der Hinweis der Beschwerdeführerin auf
Verfahren, die nicht in ihrem Sinne ausgefallen seien, vermöge objektiv
betrachtet nicht den Anschein der Befangenheit zu erwecken. Bei objektiver
Betrachtung liege somit kein Ausstandsgrund gegenüber dem Staatsanwalt
Y.________ vor, weshalb das gegen ihn gerichtete Ausstandsbegehren abzuweisen
sei.

3.3. Die Beschwerdeführerin wendet ein, ihre Familie habe im Jahr 1976
Landparzellen an drei Nachbarn verkauft, die seither ca. 130 m ^2 Land
benützten, das gemäss den damals abgeschlossenen Verträgen ihr und ihrem
Ehemann gehöre. Seit 1996 fordere sie die Einhaltung der Grenzen gemäss den
Verträgen von 1976. Staatsanwalt Y.________, die Staatsanwaltschaft Graubünden
und das Kantonsgericht von Graubünden hätten sich in allen die
Beschwerdeführerin betreffenden Verfahren seit 1997/98 einer
Amtspflichtverletzung schuldig gemacht, indem sie alle Urteile und
Entscheidungen ohne Bezug auf die gültigen Verträge von 1976 mit m2-Angaben
getroffen und damit die Gegenpartei mehrfach begünstigt hätten. Y.________ habe
mit seinen Entscheiden im Jahr 2003 die Gegenpartei durch die Entlastung von
strafbaren Handlungen auf dem Grundstück der Beschwerdeführerin mehrfach
begünstigt. Somit sei nach objektiver Betrachtung ihr Ausstandsgesuch gegen
Y.________ begründet.

3.4. Mit diesen bereits vor dem Kantonsgericht vorgebrachten Ausführungen
vermag die Beschwerdeführerin eine Amtspflichtverletzung von Staatsanwalt
Y.________ nicht aufzuzeigen, zumal sie ihre Behauptung, er und die übrige
Staatsanwaltschaft Graubünden hätten gültige Verträge von 1976 missachtet und
insoweit zu Unrecht Beweisanträge abgelehnt, nicht belegt und sie nicht
präzisiert, inwiefern Y.________ die angerufenen Verträge verletzt haben soll.
Die Beschwerdeführerin weist denn auch nicht nach, dass sie gegen Anordnungen
von Staatsanwalt Y.________ erfolgreich Rechtsmittel ergriffen hat. Demnach hat
das Kantonsgericht kein Bundesrecht verletzt, wenn es davon ausging, die
Beschwerdeführerin habe durch Staatsanwalt Y.________ begangene
Amtspflichtverletzungen nicht nachweisen können und es das damit begründete
Ausstandsbegehren ablehnte.

3.5. Da das Ausstandsverfahren nur die Prüfung der Unvoreingenommenheit des
Staatsanwalts Y.________ zum Gegenstand hat, kann auf die Beschwerde insoweit
nicht eingetreten werden, als die Beschwerdeführerin in diesem Verfahren die
Neubeurteilung verschiedener Verfügungen bzw. Entscheide der Staatsanwaltschaft
Graubünden verlangt und dazu den Beweisantrag stellt, betreffend die Grenzen
der Parzellen der Verträge von 1976 mit m ^2 -Angaben eine amtliche Nachmessung
durchzuführen. Auch kann das Ausstandsverfahren nicht dazu dienen, dem
Kantonsgericht allgemeine Weisungen zu erteilen, weshalb auf die Beschwerde
nicht eingetreten werden kann, soweit die Beschwerdeführerin damit beantragt,
die Vorinstanz anzuweisen, gemäss Schweizer Gesetz die gültigen Verträge von
1976 mit m ^2 -Angaben einzuhalten.

4.

 Somit ist die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Bei diesem
Ausgang des Verfahrens trägt die Beschwerdeführerin die Kosten (Art. 66 Abs. 1
BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.

3. 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Kantonsgericht von Graubünden, II.
Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 24. September 2013

Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Fonjallaz

Der Gerichtsschreiber: Gelzer

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