Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 1B.66/2013
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
1B_66/2013

Urteil vom 23. Mai 2013

I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Fonjallaz, Präsident,
Bundesrichter Merkli, Eusebio,
Gerichtsschreiber Störi.

Verfahrensbeteiligte
X.________, Beschwerdeführer,

gegen

Sandro Thomann, Staatsanwaltschaft des Kantons Bern, Region Oberland,
Scheibenstrasse 11, 3600 Thun,
Beschwerdegegner.

Gegenstand
Strafverfahren; Ausstand,

Beschwerde gegen den Beschluss vom 31. Januar 2013 des Obergerichts des Kantons
Bern, Strafabteilung, Beschwerdekammer in Strafsachen.

Sachverhalt:

A.
Der ausserordentliche Staatsanwalt der Region Oberland des Kantons Bern Sandro
Thomann erliess am 30. Oktober 2012 einen Strafbefehl gegen X.________, mit dem
er diesem wegen mehrfacher Drohung gegen Behörden und Beamte (Art. 285 Abs. 1
StGB), Drohung (Art. 180 Abs. 1 StGB) und Beschimpfung (Art. 177 StGB) eine
Geldstrafe von 30 Tagessätzen à 70 Franken auferlegte.

X.________ erhob Einsprache gegen diesen Strafbefehl, wobei er sinngemäss auch
den Ausstand von Staatsanwalt Thomann verlangte.

Die Beschwerdekammer in Strafsachen der Strafabteilung des Obergerichts des
Kantons Bern wies das Ausstandsgesuch am 31. Januar 2013 kostenpflichtig ab.

B.
X.________ beantragt mit Beschwerde vom 12. Februar 2013, diesen Entscheid des
Obergerichts wegen Verfahrensfehlern sowie Verweigerung des rechtlichen Gehörs
und sämtliche ihm vom Obergericht je auferlegten Kosten aufzuheben, da er
armengenössig sei. Zudem ersucht er sinngemäss um unentgeltliche Rechtspflege.

C.
Das Obergericht verzichtet auf Vernehmlassung. Staatsanwalt Thomann beantragt,
die Beschwerde kostenfällig abzuweisen.

D.
X.________ reicht eine Beschwerdeergänzung ein, in der er im Wesentlichen
beantragt, es sei festzustellen, dass die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde
(KESB) Oberland West für seinen Fall nicht zuständig und eine Bevormundung nach
Art. 398 ZGB nicht zulässig sei.

Erwägungen:

1.
Der angefochtene Entscheid schliesst das Strafverfahren gegen den
Beschwerdeführer nicht ab, er ermöglicht vielmehr dessen Weiterführung. Es
handelt sich um einen selbstständig eröffneten, kantonal letztinstanzlichen
Zwischenentscheid über ein Ausstandsbegehren, gegen den die Beschwerde in
Strafsachen nach Art. 92 Abs. 1 BGG zulässig ist. Als Beschuldigter ist der
Beschwerdeführer zur Beschwerde berechtigt (Art. 81 Abs. 1 lit. a und b BGG).
Die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen geben zu keinen Bemerkungen Anlass,
weshalb auf die Beschwerde grundsätzlich einzutreten ist. Gegenstand des
Verfahrens ist allerdings einzig, ob der Beschwerdegegner befangen erscheint
oder nicht. Auf die Kritik des Beschwerdeführers an der KESB ist
dementsprechend nicht einzutreten. Das Gleiche gilt, soweit der
Beschwerdeführer beantragt, unabhängig vom vorliegenden Verfahren sämtliche je
vom Obergericht zu seinen Lasten getroffenen Kostenentscheide aufzuheben.

2.
Der Beschwerdeführer wirft dem Obergericht vor, seine Replik vom 28. Dezember
2012 ignoriert und dadurch sein rechtliches Gehör verletzt zu haben.

Die Rüge ist unbegründet, das Obergericht hat die Eingabe zur Kenntnis genommen
(angefochtener Entscheid E. 1).

3.
Nach der in Art. 30 Abs. 1 BV und in Art. 6 Ziff. 1 EMRK enthaltenen Garantie
des verfassungsmässigen Richters hat der Einzelne Anspruch darauf, dass seine
Sache von einem unparteiischen, unvoreingenommenen und unbefangenen Richter
ohne Einwirken sachfremder Umstände entschieden wird. Liegen bei objektiver
Betrachtungsweise Gegebenheiten vor, die den Anschein der Befangenheit und die
Gefahr der Voreingenommenheit zu begründen vermögen, so ist die Garantie
verletzt (BGE 125 I 219 E. 3a; 120 Ia 184 E. 2b). Verfahrens- oder andere
Rechtsfehler, die einem Gericht unterlaufen, können nach der Rechtsprechung den
Anschein der Befangenheit allerdings nur begründen, wenn sie wiederholt
begangen wurden oder so schwer wiegen, dass sie Amtspflichtverletzungen
darstellen (BGE 116 Ia 14 E. 5; 135 E. 3a; ZBl 106/2005 S. 327 E. 4.1; Urteil
5A_374/2012 vom 16. August 2012 E. 2.1).

4.
Nach Art. 352 Abs. 1 StPO kann der Staatsanwalt u.a. dann einen Strafbefehl
erlassen, wenn die beschuldigte Person im Vorverfahren den Sachverhalt
eingestanden hat oder dieser anderweitig ausreichend geklärt ist und er eine
Geldstrafe von höchstens 180 Tagessätzen für ausreichend hält.

4.1. Der Beschwerdeführer macht geltend, die Voraussetzungen für den Erlass
eines Strafbefehls seien nicht erfüllt gewesen, da er den diesem zu Grunde
liegenden Sachverhalt nie eingestanden habe - die Vorwürfe seien vielmehr
unbegründet - und dieser auch nicht anderweitig erstellt sei. Der Staatsanwalt
habe ihn nie befragt und ihm so das rechtliche Gehör verweigert. Als
Beschuldigtem hätte ihm zudem von Rechts wegen ein Verteidiger bestellt werden
müssen. Aus diesem aus seiner Sicht unzulässigen Vorgehen leitet der
Beschwerdeführer ab, der Beschwerdegegner sei ihm gegenüber befangen.

4.2. Der Strafbefehl ist kein eigentliches Urteil, es handelt sich dabei
vielmehr um ein Angebot der Staatsanwaltschaft an den Beschuldigten zur
summarischen Erledigung des Verfahrens (Niklaus Schmid, Praxiskommentar zur
StPO, Zürich 2009, Vorbemerkungen zu Art. 352-357, N. 1 f.; Franz Riklin in:
Basler Kommentar zur StPO, Basel 2011, N. 1 f. zu Art. 352). Der Beschuldigte
kann das Angebot auf einfache Weise ausschlagen, indem er Einsprache erhebt,
die er nicht einmal zu begründen braucht (Art. 354 Abs. 1 und 2 StPO). Diesem
für den Beschuldigten unverbindlichen Charakter des Strafbefehls entspricht,
dass dem Staatsanwalt ein weites Ermessen zusteht, ob und wann er einen solchen
erlassen will. Er ist insbesondere nicht verpflichtet, den Beschuldigten vorher
anzuhören oder auch nur eine Untersuchung durchzuführen (vgl. Art. 309 Abs. 4
StPO).

4.3. Damit ergibt sich, dass dem Beschwerdegegner beim Erlass des Strafbefehls
jedenfalls keine groben Verfahrensfehler unterlaufen sind. Nach dem Gesagten
war er nicht verpflichtet, den Beschuldigten anzuhören, und es lag in seinem
pflichtgemässen Ermessen zu beurteilen, ob der Sachverhalt anderweitig
ausreichend geklärt war. Ob die Verurteilung des Beschwerdeführers rechtens
ist, wird im Einspracheverfahren zu klären sein. In diesem wird er seine
Parteirechte voll ausüben und auch die Bestellung eines amtlichen Verteidigers
beantragen können. Die vom Beschwerdeführer gegen den Beschwerdegegner
vorgebrachten Einwände sind damit nicht geeignet, diesen objektiv als befangen
erscheinen zu lassen, die Rüge ist unbegründet.

5.
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Bei diesem
Ausgang des Verfahrens trägt der Beschwerdeführer die Kosten (Art. 66 Abs. 1
BGG). Er hat zwar ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege gestellt, welches
indessen abzuweisen ist, da die Beschwerde aussichtslos war (Art. 64 Abs. 1
BGG). Den bescheidenen finanziellen Verhältnissen des Beschwerdeführers ist bei
der Festsetzung der Gerichtskosten Rechnung zu tragen.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.

3.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Bern,
Strafabteilung, Beschwerdekammer in Strafsachen, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 23. Mai 2013
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Fonjallaz

Der Gerichtsschreiber: Störi

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