Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 1B.448/2013
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
1B_448/2013

Urteil vom 22. Januar 2014

I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Fonjallaz, Präsident,
Bundesrichter Merkli, Karlen,
Gerichtsschreiber Geisser.

Verfahrensbeteiligte
X.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Radek Janis,

gegen

Staatsanwaltschaft IV des Kantons Zürich, Molkenstrasse 15/17, Postfach 2251,
8026 Zürich.

Gegenstand
Untersuchungshaft,

Beschwerde gegen den Beschluss vom 25. November 2013 des Obergerichts des
Kantons Zürich, III. Strafkammer.

Sachverhalt:

A. 
Die Staatsanwaltschaft IV des Kantons Zürich führt gegen X.________ eine
Strafuntersuchung wegen sexueller Handlungen mit Kindern. Sie wirft ihm vor,
seine beiden Töchter, seine Nichte und seine beiden Schwestern sexuell
missbraucht zu haben.
Seit dem 22. März 2013 befindet sich X.________ in Untersuchungshaft.

B. 
Das Zwangsmassnahmengericht des Bezirkes Zürich erstreckte am 21. Juni 2013 die
Haft bis zum 23. Dezember 2013. X.________ focht diesen Entscheid beim
Obergericht des Kantons Zürich an. Dieses wies die Beschwerde am 23. Juli 2013
ab.

C. 
Am 22. Oktober 2013 ersuchte X.________ um Haftentlassung. Das
Zwangsmassnahmengericht wies das Gesuch am 29. Oktober 2013 ab. Die von ihm
dagegen erhobene Beschwerde wies das Obergericht am 25. November 2013 ab.

D. 
X.________ führt Beschwerde in Strafsachen mit dem Hauptantrag, den Entscheid
des Obergerichts aufzuheben und ihn unverzüglich aus der Haft zu entlassen;
eventuell sei die Staatsanwaltschaft anzuweisen, ein Zweitgutachten zur
Wiederholungsgefahr einzuholen.
Das Obergericht hat auf eine Vernehmlassung verzichtet. Die Staatsanwaltschaft
schliesst auf Abweisung der Beschwerde. X.________ hat keine Replik
eingereicht.

Erwägungen:

1. 
Der angefochtene Entscheid betrifft die Entlassung aus der Untersuchungshaft.
Dagegen steht die Beschwerde in Strafsachen nach Art. 78 ff. BGG grundsätzlich
offen.
Der Beschwerdeführer nahm am vorinstanzlichen Verfahren teil. Mit Entscheid vom
21. Juni 2013 erstreckte das Zwangsmassnahmengericht die Haft bis zum 23.
Dezember 2013. Eine Mitteilung, dass die Strafbehörden die Haft in der Folge
nicht verlängert hätten, ist nicht erfolgt. Es ist davon auszugehen, dass sich
der Beschwerdeführer nach wie vor in Haft befindet. Er hat somit ein aktuelles
praktisches Rechtsschutzinteresse an der Behandlung der Beschwerde (vgl. BGE
137 IV 177 E. 2.2 S. 179 f.; Urteil 1B_72/2013 vom 11. März 2013 E. 1.1). Er
ist deshalb nach Art. 81 Abs. 1 BGG zur Beschwerde berechtigt.
Die weiteren Sachurteilsvoraussetzungen geben zu keinen Bemerkungen Anlass. Auf
die Beschwerde ist - unter Vorbehalt der hinreichenden Begründung der Rügen
nach Art. 42 Abs. 2 bzw. Art. 106 Abs. 2 BGG - einzutreten.

2. 
Gemäss Art. 221 Abs. 1 StPO ist Untersuchungshaft zulässig, wenn die
beschuldigte Person eines Verbrechens oder Vergehens dringend verdächtig ist
und ernsthaft zu befürchten ist, dass sie durch schwere Verbrechen oder
Vergehen die Sicherheit anderer erheblich gefährdet, nachdem sie bereits früher
gleichartige Straftaten verübt hat (lit. c).
Der Beschwerdeführer bestreitet den dringenden Tatverdacht nicht. Er rügt
jedoch, die Vorinstanz habe den Haftgrund der Wiederholungsgefahr zu Unrecht
bejaht.

3. 
Die Aufrechterhaltung von Untersuchungshaft wegen Wiederholungsgefahr ist
verhältnismässig, wenn einerseits die Rückfallprognose sehr ungünstig und
anderseits die zu befürchtenden Delikte von schwerer Natur sind. Die rein
hypothetische Möglichkeit der Verübung weiterer Delikte sowie die
Wahrscheinlichkeit, dass nur geringfügige Straftaten verübt werden, reichen
dagegen nicht aus, um eine Präventivhaft zu begründen (BGE 137 IV 84 E. 3.2 S.
85 f.; 135 I 71 E. 2.3 S. 73).
Art. 221 Abs. 1 lit. c StPO verlangt als weitere Voraussetzung, dass der
Beschuldigte bereits früher gleichartige Vortaten verübt hat. Auch bei den
Vortaten muss es sich um Verbrechen oder schwere Vergehen gegen gleiche oder
gleichartige Rechtsgüter gehandelt haben. Die früher begangenen Straftaten
können sich aus rechtskräftig abgeschlossenen Strafverfahren ergeben. Sie
können jedoch auch Gegenstand eines hängigen Strafverfahrens bilden, in dem
sich die Frage der Untersuchungs- und Sicherheitshaft stellt. Das Gesetz
spricht von verübten Straftaten und nicht bloss einem Verdacht, so dass dieser
Haftgrund nur bejaht werden kann, wenn mit an Sicherheit grenzender
Wahrscheinlichkeit feststeht, dass der Beschuldigte solche Straftaten begangen
hat. Neben einer rechtskräftigen Verurteilung gilt der Nachweis auch bei einem
glaubhaften Geständnis oder einer erdrückenden Beweislage als erbracht (BGE 137
IV 84 E. 3.2 S. 86).

4.
Zu den Vortaten hält die Vorinstanz fest, aufgrund des Teilgeständnisses des
Beschwerdeführers sei damit zu rechnen, dieser habe sich wegen sexueller
Handlungen mit Kindern (Art. 187 Ziff. 1 StGB) strafbar gemacht. Es sei von
mehr als einem Delikt auszugehen. Bei den Straftaten handle es sich um
Verbrechen. Das Vortatenerfordernis nach Art. 221 Abs. 1 lit. c StPO sei somit
erfüllt.
In Bezug auf die Rückfallgefahr stützt sich die Vorinstanz auf das
Kurzgutachten von Dr. med. Kiesewetter vom 4. Oktober 2013. Als
legalprognostisch belastend bezeichnet der Sachverständige im Wesentlichen die
jahrelange Dauer der Tathandlungen, die überdauernden Persönlichkeitszüge des
Beschwerdeführers im Sinne des Manipulativen und Unreifen sowie seine
mangelhafte und unkritische Auseinandersetzung mit der eigenen Tatbereitschaft.
Entlastende Faktoren seien derzeit kaum erkennbar. In einer Gesamtschau der
einzelnen Risikofaktoren stuft der Gutachter die Wahrscheinlichkeit zukünftiger
Sexualdelikte als "erheblich hoch" ein. Die erhöhte Rückfallgefahr beschränke
sich auf Übergriffe im sozialen Nahraum des Beschwerdeführers. Es dürfte ihm
dabei leicht fallen, über ein Verhältnis mit einer erwachsenen Frau auch eine
Beziehung mit einer Minderjährigen aufzubauen.
Gestützt darauf erwägt die Vorinstanz, die Wahrscheinlichkeit sei zwar klein,
dass der Beschwerdeführer Sexualstraftaten an Kindern ausserhalb seines
sozialen Nahraums begehen könnte. Gross sei die Rückfallgefahr aber für
Übergriffe auf Kinder, die ihm nahestünden. Schwer wiege dabei der Umstand,
dass es dem Beschwerdeführer leicht fallen dürfte, über die Beziehung mit einer
Frau in Kontakt mit Mädchen zu gelangen. Dass sich seine Ehefrau von ihm
getrennt habe, schmälere die Rückfallgefahr somit nicht wesentlich. Bei
sexuellen Handlungen mit Kindern sei - aus Gründen des Opferschutzes - kein
allzu strenger Massstab an die Annahme von Wiederholungsgefahr zu legen. Unter
diesen Umständen seien die Voraussetzungen von Art. 221 Abs. 1 lit. c StPO
erfüllt.

5. 
Die Erwägungen der Vorinstanz sind in keiner Weise zu beanstanden. Darauf kann
vorab verwiesen werden.
Der Beschwerdeführer bestreitet nicht, dass das Vortatenerfordernis erfüllt
ist. Er beanstandet hingegen die vorinstanzliche Beurteilung der
Rückfallgefahr.

5.1. Der Beschwerdeführer rügt zunächst die Verletzung seines Anspruchs auf
rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV). Die Vorinstanz sei auf seine Einwände
zur Rückfallgefahr nicht eingegangen.
Das Gericht muss sich nicht mit jedem Vorbringen im Einzelnen
auseinandersetzen. Es darf sich bei seiner Begründung auf die für den Entscheid
wesentlichen Gesichtspunkte beschränken (BGE 134 I 84 E. 4.1 S. 88 mit
Hinweisen).
Die Vorinstanz hat sich entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers nicht mit
dem schlichten Hinweis auf das Gutachten begnügt. Sie hat sich mit seinen
Einwänden auseinandergesetzt, soweit sie dies zur Begründung der
Wiederholungsgefahr für notwendig hielt. Der Beschwerdeführer war denn auch in
der Lage, den Entscheid sachgerecht anzufechten. Damit genügt die Vorinstanz
ihrer Begründungspflicht. Seine Rüge geht danach fehl.

5.2. Der Beschwerdeführer bringt im Weiteren vor, der gutachterliche Befund sei
unschlüssig und voreingenommen. Indem die kantonalen Strafbehörden darauf
abstellten, ohne ein Zweitgutachten eingeholt zu haben, verletzten sie das
Willkürverbot (Art. 9 BV).
Die Vorinstanz hat diesen Einwand verworfen (vgl. angefochtener Entscheid S. 13
f. und 15 f.). Auf die betreffende Begründung geht der Beschwerdeführer in
keiner Weise ein. So zeigt er nicht auf, inwiefern triftige Gründe bestünden,
um von den Feststellungen des Sachverständigen abzuweichen oder ein
Zusatzgutachten anzuordnen (vgl. BGE 129 I 49 E. 4 S. 57 f.). Die Beschwerde
genügt insoweit den Begründungsanforderungen nicht (vgl. Art. 106 Abs. 2 BGG;
BGE 133 II 249 E. 1.4.2 S. 254). Nicht einzutreten ist somit auf den
Eventualantrag, die Staatsanwaltschaft anzuweisen, ein Zweitgutachten
einzuholen.

5.3. Der Beschwerdeführer bringt vor, die Annahme der Vorinstanz, er könnte in
Freiheit ein enges Verhältnis zu einem Kind aufbauen, finde im Gutachten keine
Stütze. Auch dadurch sei sie in Willkür verfallen.
Willkür in der Beweiswürdigung liegt etwa dann vor, wenn die Behörde in ihrem
Entscheid von Tatsachen ausgeht, die mit der tatsächlichen Situation in klarem
Widerspruch stehen (BGE 124 IV 86 E. 2a S. 88; vgl. auch BGE 135 I 71 E. 2.5 S.
73 f.; 130 I 337 E. 5.4.2 S. 345 f.).
Von einer hohen Rückfallgefahr geht der Sachverständige lediglich für
Übergriffe auf Mädchen aus, zu denen der Beschwerdeführer ein vertrautes
Verhältnis aufgebaut habe. Diese Einschränkung hat die Vorinstanz ebenso
berücksichtigt wie die Einschätzung des Gutachters, dass es dem
Beschwerdeführer leicht fallen dürfte, über die Beziehung mit einer Frau erneut
in Kontakt zu einem Mädchen zu gelangen (Gutachten S. 14). Der Sachverständige
stützt sich insoweit auf Befundtatsachen zum Beziehungsleben des
Beschwerdeführers und zu den Umständen der Anlasstaten (vgl. a.a.O. S. 2 f., 4
und 8). Die Annahme der Vorinstanz, der Beschwerdeführer könnte in Freiheit
erneut ein enges Verhältnis zu einem Kind aufbauen, ist demnach nicht haltlos,
sondern stützt sich auf den Befund des Gutachters. Die Beweiswürdigung im
angefochtenen Entscheid hält vor dem Willkürverbot stand. Die Beschwerde ist in
diesem Punkt unbegründet.

5.4. Der Beschwerdeführer bringt schliesslich vor, die Vorinstanz habe an die
Annahme von Wiederholungsgefahr einen zu tiefen Massstab gelegt und damit Art.
221 Abs. 1 lit. c StPO verletzt.
Dass der Gutachter lediglich von einer "erheblich hohen" und nicht von einer
"sehr hohen" Rückfallgefahr spricht, ist entgegen der Ansicht des
Beschwerdeführers kein Grund, um die Wiederholungsgefahr zu verneinen. Zwar ist
das Gericht unter dem Vorbehalt triftiger Gründe an die fachlichen
Feststellungen des Gutachters gebunden; doch bleibt es dem richterlichen Urteil
überlassen, ab wann die Wahrscheinlichkeit einer Rückfallgefahr als
rechtserheblich zu erachten ist (vgl. u.a. Urteil 1B_349/2010 vom 9. November
2010 E. 2.3.3).
In ihrem Urteil hat die Vorinstanz die Schwere der zu befürchtenden Delikte
sodann zu Recht mitberücksichtigt. Vorliegend steht die sexuelle Integrität von
Kindern auf dem Spiel. Insoweit ist es entgegen der Auffassung des
Beschwerdeführers angezeigt, an die Annahme von Wiederholungsgefahr keinen
allzu strengen Massstab zu legen. Andernfalls setzte das Gericht mögliche Opfer
einer nicht verantwortbaren Gefahr aus (vgl. BGE 123 I 268 E. 2e S. 271; Urteil
1B_50/2013 vom 25. Februar 2013 E. 4.3). Würdigt man diese Umstände gesamthaft,
bestehen mit der Vorinstanz hinreichend konkrete Anhaltspunkte, der
Beschwerdeführer könnte in Freiheit rückfällig werden. Diese Erkenntnis vermag
er mit seinen Vorbringen nicht in Zweifel zu ziehen. Wenn die Vorinstanz die
Wiederholungsgefahr bejaht hat, verletzt das demnach kein Bundesrecht. Die
Beschwerde ist somit unbegründet.

6. 
Sie ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann.
Von der Mittellosigkeit des Beschwerdeführers ist auszugehen. Da die Haft einen
schweren Eingriff darstellt, konnte er sich zur Beschwerde veranlasst sehen.
Die unentgeltliche Prozessführung und Rechtsverbeiständung wird daher bewilligt
(Art. 64 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf eingetreten werden kann.

2. 
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird gutgeheissen und dem
Beschwerdeführer Rechtsanwalt Radek Janis als unentgeltlicher Rechtsbeistand
beigegeben.

3. 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

4. 
Radek Janis wird aus der Gerichtskasse eine Entschädigung von Fr. 1'500.--
ausgerichtet.

5. 
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft IV des Kantons
Zürich und dem Obergericht des Kantons Zürich, III. Strafkammer, schriftlich
mitgeteilt.

Lausanne, 22. Januar 2014

Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Fonjallaz

Der Gerichtsschreiber: Geisser

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