Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 1B.446/2013
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
1B_446/2013

Urteil vom 23. Januar 2014

I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Fonjallaz, Präsident,
Bundesrichter Aemisegger, Merkli,
Gerichtsschreiber Uebersax.

Verfahrensbeteiligte
X.________,
Beschwerdeführer,
vertreten durch Rechtsanwalt Radek Janis,

gegen

Staatsanwaltschaft IV des Kantons Zürich.

Gegenstand
Haftentlassung,

Beschwerde gegen den Beschluss des Obergerichts
des Kantons Zürich, III. Strafkammer,
vom 4. Dezember 2013.

Sachverhalt:

A.

A.a. Die Staatsanwaltschaft IV des Kantons Zürich führt gegen X.________ eine
Strafuntersuchung wegen Schändung und weiteren Straftatbeständen. Vorgeworfen
wird ihm im Wesentlichen, er habe am 12. August 2013, um ca. 23.50 Uhr, im
Arboretum am Mythenquai in Zürich sexuelle Handlungen mit den beiden damals
noch minderjährigen A.________ (geb. 1997) und B.________ (geb. 1997)
vorgenommen, obwohl er das Alter der Opfer gekannt habe oder hätte kennen
müssen und obwohl er wusste, dass sie beide stark alkoholisiert und deshalb
urteils- und widerstandsunfähig gewesen seien.

A.b. Mit Verfügung vom 17. August 2013 versetzte das Zwangsmassnahmengericht
Zürich X.________ in Untersuchungshaft. Es bewilligte dieselbe bis zum 15.
Februar 2014. Am 29. August 2013 wies das Obergericht des Kantons Zürich, III.
Strafkammer, eine dagegen erhobene Beschwerde ab.

B. 
Mit Eingabe vom 6. November 2013 stellte X.________ ein Gesuch um
Haftentlassung. ?m 15. November 2013 wies das Zwangsmassnahmengericht Zürich
dieses Gesuch ab.

C. 
Dagegen erhob X.________ Beschwerde beim Obergericht des Kantons Zürich, wobei
er nebst dem Hauptantrag auf sofortige Haftentlassung eventuell eine solche
unter Auflagen und unter Anordnung von Ersatzmassnahmen sowie subeventuell eine
solche nach einer nochmaligen Frist bis zum 5. Dezember 2013 zwecks Vornahme
der noch ausstehenden erforderlichen Ermittlungen beantragte. Mit Beschluss vom
4. Dezember 2013 wies das Obergericht, III. Strafkammer, die Beschwerde ab.

D. 
X.________ führt beim Bundesgericht Beschwerde in Strafsachen mit dem Antrag,
unverzüglich aus der Haft entlassen zu werden. Überdies ersucht er um Erteilung
der unentgeltlichen Rechtspflege und Verbeiständung. Zur Begründung macht er im
Wesentlichen geltend, die Untersuchungsbehörden hätten das Beschleunigungsgebot
verletzt, da inzwischen genügend Zeit zur Vornahme der nötigen Ermittlungen
ungenutzt verstrichen sei.

E. 
Die Staatsanwaltschaft IV des Kantons Zürich schliesst auf Abweisung der
Beschwerde. Das Obergericht hat auf eine Stellungnahme verzichtet.

F. 
X.________ hat sich innert Frist nicht mehr vernehmen lassen.

Erwägungen:

1.

1.1. Der angefochtene Entscheid betrifft die Entlassung aus der
Untersuchungshaft (vgl. Art. 228 StPO). Dagegen steht die Beschwerde in
Strafsachen nach Art. 78 ff. BGG offen. Der angefochtene Entscheid ist kantonal
letztinstanzlich (Art. 222 StPO, Art. 80 BGG). Beim Entscheid des Obergerichts
handelt es sich um einen Zwischenentscheid, der einen nicht wieder
gutzumachenden Nachteil im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG bewirken kann.
Der Beschwerdeführer nahm vor der Vorinstanz am Verfahren teil und hat als
direkt betroffener Adressat des angefochtenen Entscheides ein rechtlich
geschütztes Interesse an dessen Änderung bzw. Aufhebung. Er ist mithin nach
Art. 81 Abs. 1 BGG zur Beschwerde berechtigt. Das Bundesgericht kann nach Art.
107 Abs. 2 BGG bei Gutheissung der Beschwerde in der Sache selbst entscheiden.
Der Antrag auf Haftentlassung ist somit zulässig.

1.2. Mit der Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht kann insbesondere
die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Das
Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG), prüft
die bei ihm angefochtenen Entscheide aber grundsätzlich nur auf
Rechtsverletzungen hin, die von den Beschwerdeführern geltend gemacht und
begründet werden (vgl. Art. 42 Abs. 2 BGG). Das Bundesgericht legt seinem
Urteil den von der Vorinstanz festgestellten Sachverhalt zugrunde (Art. 105
Abs. 1 BGG), es sei denn, dieser sei offensichtlich unrichtig oder beruhe auf
einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG (vgl. Art. 97 Abs. 1 und Art.
105 Abs. 2 BGG).

2.

2.1. Die in Untersuchungshaft gesetzte Person kann jederzeit ein
Haftentlassungsgesuch stellen (Art. 228 StPO). Diesem ist stattzugeben, wenn
die Haftvoraussetzungen nicht (mehr) erfüllt sind. Die Untersuchungshaft
schränkt die persönliche Freiheit des Häftlings ein (Art. 10 Abs. 2 i.V.m. Art.
31 BV, Art. 5 EMRK). Dies ist zulässig, wenn der Grundrechtseingriff auf einer
gesetzlichen Grundlage beruht, im öffentlichen Interesse liegt und
verhältnismässig ist; zudem darf er den Kerngehalt des Grundrechts nicht
beeinträchtigen (Art. 36 BV). Im vorliegenden Fall steht ein Freiheitsentzug
und damit eine schwerwiegende Einschränkung der persönlichen Freiheit in Frage.
Es bedarf deshalb sowohl nach Art. 36 Abs. 1 Satz 2 BV als auch nach Art. 31
Abs. 1 BV einer Grundlage im Gesetz selbst. Gemäss Art. 221 StPO ist
Untersuchungshaft nur zulässig, wenn die beschuldigte Person eines Verbrechens
oder Vergehens dringend verdächtig ist und ein im Gesetz genannter Haftgrund
vorliegt. Nach Art. 221 Abs. 1 lit. a-c StPO ist Untersuchungshaft bei Flucht-,
Fortsetzungs- oder Kollusionsgefahr zulässig.

2.2. Der Beschwerdeführer wird dringend verdächtigt, sich an zwei aufgrund
starken Alkoholkonsums urteils- oder widerstandsunfähigen weiblichen Opfern
sexuell vergangen und damit insbesondere den Tatbestand der Schändung nach Art.
191 StGB erfüllt zu haben. Der Beschwerdeführer stellt diesen dringenden
Tatverdacht, bei dem das Alter der Opfer für die Erfüllung des objektiven
Tatbestandes keine wesentliche Rolle spielt, vor Bundesgericht nicht mehr in
Frage. Das Zwangsmassnahmengericht stützte die Haft auf Fortsetzungs- und
Kollusionsgefahr. Die Vorinstanz verneinte das Vorliegen von Fortsetzungsgefahr
ausdrücklich, ging aber von weiterhin gegebener Kollusionsgefahr aus. Für
Fluchtgefahr sahen die Vorinstanzen keine Anzeichen.

2.3. Kollusionsgefahr liegt vor, wenn ernsthaft zu befürchten ist, die
beschuldigte Person könnte Personen beeinflussen oder auf Beweismittel
einwirken, um so die Wahrheitsfindung zu beeinträchtigen (Art. 221 Abs. 1 lit.
b StPO). Die strafprozessuale Haft wegen Kollusionsgefahr soll verhindern, dass
die beschuldigte Person die Freiheit dazu missbrauchen würde, die
wahrheitsgetreue Abklärung des Sachverhalts zu vereiteln oder zu gefährden.
Konkrete Anhaltspunkte für Kollusionsgefahr können sich nach der Rechtsprechung
des Bundesgerichts namentlich ergeben aus dem bisherigen Verhalten des
Beschuldigten im Strafprozess, aus seinen persönlichen Merkmalen, aus seiner
Stellung und seinen Tatbeiträgen im Rahmen des untersuchten Sachverhaltes sowie
aus den persönlichen Beziehungen zwischen ihm und den ihn belastenden Personen.
Bei der Frage, ob im konkreten Fall eine massgebliche Beeinträchtigung des
Strafverfahrens wegen Verdunkelung droht, ist auch der Art und Bedeutung der
von Beeinflussung bedrohten Aussagen bzw. Beweismittel, der Schwere der
untersuchten Straftaten sowie dem Stand des Verfahrens Rechnung zu tragen. Auch
im fortgeschrittenen Untersuchungsstadium kann noch Kollusionsgefahr vorliegen
(vgl. das Urteil des Bundesgerichts 1B_388/2012 vom 19. Juli 2012). Mit
zunehmender Verfahrensdauer und insbesondere nach Abschluss der
Strafuntersuchung bedarf der Haftgrund der Kollusionsgefahr jedoch einer
besonders sorgfältigen Prüfung (BGE 137 IV 122 E. 4.2 S. 127 f.; 132 I 21 E.
3.2 S. 23).

2.4. Bei der Prüfung der Rechtmässigkeit der Untersuchungshaft ist auch das
strafprozessuale Beschleunigungsgebot gemäss Art. 5 StPO zu beachten. Danach
nehmen die Strafbehörden die Strafverfahren unverzüglich an die Hand und
bringen sie ohne unbegründete Verzögerung zum Abschluss (Abs. 1); befindet sich
eine beschuldigte Person in Haft, so wird ihr Verfahren vordringlich
durchgeführt (Abs. 2).

3.

3.1. Der Beschwerdeführer rügt, es liege inzwischen auch keine Kollusionsgefahr
mehr vor, zumal sich die Strafbehörden entgegen halten lassen müssten, die
Ermittlungen verschleppt und damit gegen das strafprozessuale
Beschleunigungsgebot verstossen zu haben.

3.2. Die Vorinstanz ging zusammen mit der Staatsanwaltschaft davon aus, es
müsse noch eine Konfrontationseinvernahme des Beschwerdeführers mit den Opfern
vorgenommen werden. Würde der Beschwerdeführer aus der Haft entlassen, hätte er
die Möglichkeit, seine Opfer zu beeinflussen. Überdies könnte er Spuren
beseitigen und müssten andere Spuren, insbesondere eine beschlagnahmte
Gin-Flasche, das Mobiltelefon des Beschwerdeführers sowie der allfällige
Fingernagelschmutz des einen Opfers noch ausgewertet werden. Auch müssten noch
weitere Personen aus dem Bekanntenkreis des Beschwerdeführers kontaktiert und
allenfalls einvernommen werden.

3.2.1. Der Beschwerdeführer befindet sich seit dem 17. August 2013, mithin seit
über fünf Monaten, in Untersuchungshaft. Die Grundlagen für die Auswertung der
Spuren sind seit geraumer Zeit vorhanden, und diese hätte schon längst
vollzogen werden können. Offenbar ist das Mobiltelefon inzwischen ausgewertet
worden. Weshalb die übrigen Ermittlungen nicht vorangeschritten bzw. noch nicht
abgeschlossen worden sind, ist nicht nachvollziehbar. Schon die Vorinstanz
hielt einerseits fest, es sei nicht ohne weiteres ersichtlich, inwiefern der
Beschwerdeführer Spuren seiner Delinquenz beseitigen könnte. Dennoch schloss
sie das nicht aus. Konkrete Anhaltspunkte dafür finden sich aber auch im
angefochtenen Entscheid nicht. Die Möglichkeit der Spurenbeseitigung oder der
Beeinflussung möglicher Zeugen ist allgemein formuliert und bleibt theoretisch
und sehr vage. Soweit sie sich insbesondere auf die mögliche Beeinflussung von
bis heute namentlich nicht genannten Personen aus dem Bekanntenkreis des
Beschwerdeführers bezieht, ist unklar, inwieweit deren Aussagen zur Aufklärung
der Tat beitragen können sollten, nachdem die bei der Tat anwesenden Personen
bekannt sind und als Zeugen einvernommen wurden. Das gilt auch für die
angebliche Möglichkeit, dass noch ein weiterer Mann an der Tatbegehung
beteiligt gewesen sein könnte. Abgesehen von der vagen Aussage eines Zeugen,
noch jemanden gesehen zu haben, und möglichen Schmutzspuren gibt es dafür
offenbar bisher keine weiteren konkreten Anhaltspunkte. Worin die Gefahr von
Absprachen liegen soll, ist daher nicht erhärtet.

3.2.2. Die Vorinstanz begründete die Kollusionsgefahr vorrangig mit den noch
ausstehenden Konfrontationseinvernahmen zwischen dem Beschwerdeführer und den
Opfern der Tat. Diese Konfrontationseinvernahmen standen jedenfalls im
Zeitpunkt des angefochtenen Entscheids noch aus und wurden offenbar bis heute
nicht durchgeführt. Die Staatsanwaltschaft, die sich dazu seit ihrer
Stellungnahme vor der Vorinstanz nicht mehr geäussert hat, bringt auch dazu
keine Gründe vor, weshalb sie damit zuwartete und insofern weiterhin untätig zu
sein scheint. Abgesehen davon, dass sich die beiden Opfer offenbar wegen
Trunkenheit ohnehin nur sehr vage an die fraglichen Ereignisse und deren
Umstände zu erinnern vermögen, hatten die Ermittlungsbehörden auch insoweit
angesichts der bereits abgelaufenen fünf Monate Haftdauer längst genügend Zeit,
um die Konfrontationen durchzuführen. Erneut werden nachvollziehbare Gründe für
die Verzögerung weder geltend gemacht noch sind sie ersichtlich. Trotz des
nicht zu beschönigenden Tatvorwurfs darf dies nicht zu Lasten des
Beschwerdeführers gehen, der vor der Vorinstanz ausdrücklich den Eventualantrag
gestellt hatte, der Staatsanwaltschaft sei eine Frist bis zum 5. Dezember 2013
zu setzen, um die noch ausstehenden notwendigen Ermittlungshandlungen
vorzunehmen. Die Vorinstanz, die selbst am 4. Dezember 2013 entschied, sah von
einer solchen Frist zwar ab, doch ist seither erneut mehr als ein Monat
vergangen. Selbst wenn die Festtagszeit über das Jahresende berücksichtigt
wird, so musste die Dringlichkeit der Ermittlungen auch für die
Staatsanwaltschaft offenkundig sein.

3.3. Die Untersuchungsbehörden hätten den massgeblichen Gesichtspunkten schon
seit längerem vertieft nachgehen können und müssen, soweit sie diese für
glaubwürdig bzw. wesentlich erachten. Sie bringen im vorliegenden Verfahren
keine nachvollziehbare Erklärung für die Verzögerung bei den Ermittlungen vor.
Für die Annahme einer massgeblichen konkreten Kollusionsgefahr genügt dies
nicht. Unter diesen Voraussetzungen und unter Berücksichtigung des
Beschleunigungsgebots rechtfertigt die allenfalls bloss noch geringe und
vorwiegend theoretische Kollusionsgefahr die bis zum 15. Februar 2014
bewilligte Untersuchungshaft des Beschwerdeführers nicht mehr.

4. 
Die Beschwerde ist gutzuheissen, der angefochtene Entscheid aufzuheben und der
Beschwerdeführer unverzüglich aus der Haft zu entlassen.

Bei diesem Verfahrensausgang sind keine Kosten zu erheben (Art. 66 Abs. 4 BGG).
Der Kanton Zürich hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren
angemessen zu entschädigen (vgl. Art. 68 BGG). Damit wird das Gesuch um
unentgeltliche Rechtspflege gegenstandslos.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird gutgeheissen, und der Beschluss des Obergerichts des
Kantons Zürich, III. Strafkammer, vom 4. Dezember 2013 wird aufgehoben.

2. 
Der Beschwerdeführer ist unverzüglich aus der Haft zu entlassen.

3. 
Es werden keine Kosten erhoben.

4. 
Der Kanton Zürich hat Rechtsanwalt Radek Janis für das bundesgerichtliche
Verfahren mit Fr. 2'000.-- zu entschädigen.

5. 
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft IV des Kantons
Zürich und dem Obergericht des Kantons Zürich, III. Strafkammer, schriftlich
mitgeteilt.

Lausanne, 23. Januar 2014

Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Fonjallaz

Der Gerichtsschreiber: Uebersax

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