Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 1B.429/2013
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
1B_429/2013

Urteil vom 23. Dezember 2013

I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Fonjallaz, Präsident,
Bundesrichter Aemisegger, Merkli,
Gerichtsschreiber Störi.

Verfahrensbeteiligte
X.________, Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwalt Serge Flury,

gegen

Staatsanwaltschaft IV des Kantons Zürich, Büro C-2, Molkenstrasse 17, Postfach,
8026 Zürich.

Gegenstand
Haftentlassung,

Beschwerde gegen den Beschluss vom 29. Oktober 2013 des Obergerichts des
Kantons Zürich, III. Strafkammer.

Sachverhalt:

A. 
X.________ sandte am 23. April 2013 frühmorgens zwei E-Mails an die
Kantonspolizei Zürich. Darin bringt sie zum Ausdruck, sie sei 2004 von
Y.________ mit einem Messer verletzt worden; die Polizei nehme sie nicht ernst
und habe ihre Anzeige falsch protokolliert. "Wenn W.________ (ein Beamter der
Kantonspolizei) am kommenden Freitag wieder falsch protokolliert muss ich mir
ernsthaft überlegen das was Sie mir unterstellen zu sein: eine Mörderin, auch
zu werden." Die Staatsanwaltschaft IV des Kantons Zürich eröffnete gegen
X.________ eine Strafuntersuchung wegen Gewalt und Drohung gegen Beamte und
liess sie am 24. April 2013 verhaften. Am 26. April 2013 wurde sie vom
Zwangsmassnahmengericht in Untersuchungshaft versetzt.

 Nachdem X.________ am 5. Juli 2013 unter Anordnung von Ersatzmassnahmen und
Kontaktverboten aus der Haft entlassen worden war, rief sie gemäss der Telefon-
und Aktennotiz der Verwaltungssekretärin Z.________ von der Staatsanwaltschaft
I am 23. Juli 2013 die Staatsanwaltschaft an. Dabei habe sie u.a. unter
Bezugnahme auf den "Fall Kneubühler" geäussert, man brauche sich nicht zu
wundern, wenn sie die Nächste sei, die Amok laufe. Am 26. Juli 2013 wurde
X.________ vom Zwangsmassnahmengericht erneut in Untersuchungshaft versetzt.

 Am 8. Oktober 2013 wies das Zwangsmassnahmengericht ein Haftentlassungsgesuch
von X.________ ab und verlängerte die Untersuchungshaft gegen sie bis zum 26.
November 2013.

 Am 29. Oktober 2013 wies das Obergericht des Kantons Zürich die Beschwerde von
X.________ gegen diese Verfügung des Zwangsmassnahmengerichts ab. Es kam zum
Schluss, der dringende Tatverdacht sei erstellt, und es bestehe
Wiederholungsgefahr.

B. 
Mit Urteil 1B_391/2013 ist das Bundesgericht am 20. November 2013 auf eine von
V.________ für X.________ gegen diesen Obergerichtsentscheid erhobene
Beschwerde nicht eingetreten.

C. 
Mit Beschwerde in Strafsachen beantragt X.________, den Obergerichtsentscheid
vom 29. Oktober 2013 aufzuheben und sie umgehend aus der Haft zu entlassen.
Ausserdem ersucht sie um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung.

D. 
Das Obergericht verzichtet auf Vernehmlassung. Die Staatsanwaltschaft
beantragt, sie abzuweisen.

 X.________ hält in ihrer Replik an der Beschwerde fest.

E. 
Mit eigenhändiger Eingabe vom 14. Dezember 2013 reicht X.________ in eigenem
Namen eine von W.________ verfasste Beschwerde und ein Parteigutachten ein.

Erwägungen:

1. 
Angefochten ist der kantonal letztinstanzliche Haftentscheid des Obergerichts.
Dagegen ist die Beschwerde in Strafsachen nach den Art. 78 ff. BGG gegeben. Der
Antrag auf Aufhebung des angefochtenen Entscheids und Haftentlassung ist
zulässig (BGE 132 I 21 E. 1). Die Beschwerdeführerin ist durch die Verweigerung
der Haftentlassung in ihren rechtlich geschützten Interessen betroffen und
damit zur Beschwerde befugt (Art. 81 Abs. 1 BGG); dass das
Zwangsmassnahmengericht des Bezirksgerichts Zürich in der Zwischenzeit
Sicherheitshaft gegen die Beschwerdeführerin angeordnet hat, ändert nichts
daran, dass sie nach wie vor ein aktuelles Rechtsschutzinteresse an der
Behandlung ihrer Beschwerde hat. Sie macht die Verletzung von Bundesrecht
geltend, was zulässig ist (Art. 95 lit. a BGG). Die übrigen
Sachurteilsvoraussetzungen geben zu keinen Bemerkungen Anlass, womit auf die
Beschwerde einzutreten ist.

 Die von der Beschwerdeführerin mit Eingabe vom 14. Dezember 2013 eingereichte
Beschwerde ist offensichtlich verspätet und daher unbeachtlich. Das schadet ihr
allerdings nicht, da ihr amtlicher Verteidiger ihre Interessen im Verfahren
sachgerecht und angemessen wahrnimmt und die von ihr als Beschwerde
eingereichten Ausführungen von V.________ ohnehin nicht geeignet wären, den
Ausgang des Verfahrens zu beeinflussen.

2. 
Untersuchungshaft kann unter anderem angeordnet werden, wenn ein dringender
Tatverdacht in Bezug auf ein Verbrechen oder Vergehen sowie Flucht-,
Kollusions- oder Wiederholungsgefahr besteht (Art. 221 Abs. 1 StPO). Für das
Obergericht besteht neben dem dringenden Tatverdacht Wiederholungsgefahr (Art.
221 Abs. 1 StPO).

2.1. Nicht oder jedenfalls nicht substanziiert bestritten ist, dass die
Beschwerdeführerin der Drohung im Sinn von Art. 180 Abs. 1 StGB dringend
verdächtig ist. Sie gibt zu, die Urheberin der vorn im Sachverhalt teilweise
wiedergegebenen E-Mails vom 23. April 2013 zu sein, und es liegt nahe, dass
deren Inhalt eine schwere Drohung im Sinn von Art. 180 Abs. 1 StGB darstellen
könnte.

 Den zweiten Tatvorwurf - sie habe am 23. Juli 2013 anlässlich eines Telefonats
mit Z.________ wiederum eine strafrechtlich relevante Drohung ausgestossen -
bestreitet die Beschwerdeführerin allerdings. Die Befragung von Z.________ als
Zeugin habe ergeben, dass sie bei diesem Telefonat nicht gedroht habe; das
ergebe sich auch daraus, dass die Staatsanwaltschaft diesen Vorfall nicht zum
Gegenstand ihres Antrags vom 11. November 2013 auf Anordnung einer Massnahme
für eine schuldunfähige Person nach Art. 374 f. StPO gemacht habe.

 Es trifft zwar zu, dass die Staatsanwaltschaft diesen zweiten Tatvorwurf im
mit Einreichung des Antrags vom 11. November 2013 beim Bezirksgericht Zürich
anhängig gemachten Strafverfahren nicht erhebt. Die Gründe dafür sind dem
Bundesgericht nicht bekannt. Z.________ hat indessen auch als Zeugin am 25.
Oktober 2013 bestätigt, dass die Beschwerdeführerin beim fraglichen Telefonat
die Aussage machte, wenn das so weiterlaufe, brauche man sich nicht zu wundern,
wenn sie die Nächste sei, die Amok laufe. Auch wenn die Zeugin nicht den
Eindruck hatte, die Beschwerdeführerin würde nun umgehend einen Amoklauf
starten, so ändert das nichts daran, dass diese Aussage die Beschwerdeführerin
dringend verdächtig macht, sich (erneut) einer Drohung im Sinn von Art. 180
StGB schuldig gemacht zu haben.

 Damit besteht ein dringender Tatverdacht in Bezug auf die wiederholte Begehung
eines Vergehens (Art. 180 Abs. 1 i.V.m. Art. 10 Abs. 3 StGB); der allgemeine
Haftgrund ist damit gegeben.

2.2. Als besonderen Haftgrund nimmt das Obergericht Wiederholungsgefahr an.
Aufgrund des dringenden Tatverdachts in Bezug auf die Vofälle vom 23. April und
vom 23. Juli 2013 sei davon auszugehen, dass die Beschwerdeführerin kurze Zeit
nach ihrer Entlassung aus der Untersuchungshaft mutmasslich rückfällig geworden
sei. Nach dem Schlussgutachten von U.________ sei die Gefahr, dass die
Beschwerdeführerin in Freiheit neue Drohungen ausstossen würde, deutlich
erhöht, weil neben den bestehenden querulatorischen Tendenzen eine Progredienz
hinsichtlich wahnhaften Erlebens zu erkennen sei. Für das Obergericht (E. 3.4
c) S. 16) deckt sich diese Auffassung mit der eigenen Einschätzung, dass sich
der psychische Zustand der Beschwerdeführerin in den letzten Monaten
verschlechtert und sich damit die Gefahr, dass sie in Freiheit rückfällig
werden könnte, entsprechend erhöht hat.

 Drohung im Sinn von Art. 180 Abs. 1 StGB wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei
Jahren und damit mit der nach dem Gesetz für Vergehen höchstmöglichen Strafe
bedroht. Sie zählt damit entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin zu den
schweren Vergehen im Sinn von Art. 221 Abs. 1 lit. c StPO, die Anlass für die
Annahme von Wiederholungsgefahr bieten können (Urteil 1B_238/2012 vom 16. Mai
2012 E. 2.2). U.________ hat bei der Beschwerdeführerin im vorläufigen
Gutachten vom 27. Juni 2013 (dessen Schlussfassung liegt dem Bundesgericht
nicht vor) eine querulatorische Entwicklung bei paranoid-narzisstischer
Persönlichkeitsstörung (ICD-10 F 60.0) diagnostiziert, wobei die festgestellten
kognitiven Verzerrungen ein "wahnnahes" Ausmass angenommen hätten. Es ist daher
ernsthaft zu befürchten, dass die kaum krankheitseinsichtige Beschwerdeführerin
in Freiheit bei potenziell zunehmenden Wahnvorstellungen weitere strafrechtlich
relevante Drohungen ausstossen könnte. Das Obergericht hat kein Bundesrecht
verletzt, indem es Wiederholungsgefahr bejahte.

2.3. Das Obergericht hat die Verhältnismässigkeit der Haft bis zum 26. November
2013 bejaht und ausgeführt, dass sich bei einer Verlängerung über diesen
Zeitpunkt hinaus die Frage der Verhältnismässigkeit ernsthaft stellen würde.
Nach den Ausführungen des Gutachters bedürfe die Beschwerdeführerin intensiver
fachpsychiatrischer, psychotherapeutischer und sozial rehabilitativer
Behandlung, die im Gefängnis nicht gewährleistet werden könne. Im Lichte dieser
gutachterlichen Ausführungen dränge sich die Frage auf, ob nicht eine sichere
Unterbringung der Beschwerdeführerin - allenfalls gestützt auf eine andere
Rechtsgrundlage als die Strafprozessordnung - ausserhalb des Gefängnisses
angezeigt wäre.

 Die Beschwerdeführerin befindet sich nunmehr seit rund 7 Monaten in
Untersuchungshaft. Auch wenn der Staatsanwalt eine stationäre Massnahme nach
Art. 59 Abs. 1 StGB beantragt, deren Dauer unbestimmt ist und sich daher rein
rechnerisch nicht sagen lässt, die Untersuchungshaft komme bereits in grosse
zeitliche Nähe des möglicherweise drohenden Massnahmenvollzugs, so sind die
Zweifel des Obergerichts an der Verhältnismässigkeit einer weiteren
Verlängerung der Untersuchungs- bzw. Sicherheitshaft begründet. Mit der vom
Zwangsmassnahmengericht bis zum 22. März 2014 bewilligten Sicherheitshaft ist
das zulässige Mass jedenfalls ausgeschöpft.

3. 
Die Beschwerde ist damit abzuweisen. Bei diesem Ausgang des Verfahrens würde
die Beschwerdeführerin an sich kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 1 BGG). Sie hat
jedoch ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung gestellt,
welches gutzuheissen ist, da die Prozessarmut der Beschwerdeführerin
ausgewiesen scheint und die Beschwerde nicht aussichtslos war (Art. 64 Abs. 1
und 2 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird gutgeheissen:

2.1. Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

2.2. Rechtsanwalt Serge Flury, wird für das bundesgerichtliche Verfahren als
amtlicher Verteidiger eingesetzt und mit Fr. 1'500.-- aus der
Bundesgerichtskasse entschädigt.

3. 
Dieses Urteil wird der Beschwerdeführerin, der Staatsanwaltschaft IV des
Kantons Zürich, Büro C-2, und dem Obergericht des Kantons Zürich, III.
Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 23. Dezember 2013

Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Fonjallaz

Der Gerichtsschreiber: Störi

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