Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 1B.426/2013
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
1B_426/2013

Urteil vom 10. Dezember 2013

I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Fonjallaz, Präsident,
Bundesrichter Karlen, Eusebio,
Gerichtsschreiber Forster.

Verfahrensbeteiligte
X.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Advokat Dr. Alex Hediger,

gegen

Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt, Binningerstrasse 21, Postfach, 4001
Basel.

Gegenstand
Sicherheitshaft,

Beschwerde gegen den Entscheid vom 18. November 2013 des Appellationsgerichts
des Kantons Basel-Stadt, Einzelgericht.

Sachverhalt:

A. 
Das Strafgericht des Kantons Basel-Stadt verurteilte X.________ (der sich seit
6. Mai 2013 in strafprozessualer Haft befindet) am 17. Oktober 2013 wegen
mehrfacher Vergewaltigung, sexueller Nötigung, mehrfacher einfacher
Körperverletzung, mehrfacher Nötigung, Drohung und mehrfachen Tätlichkeiten zu
drei Jahren Freiheitsstrafe (davon 18 Monate unbedingt) sowie einer Busse von
Fr. 1'000.--. Sowohl der Verurteilte als auch die Staatsanwaltschaft des
Kantons Basel-Stadt haben gegen das erstinstanzliche Strafurteil Berufung
erhoben. Mit Beschluss vom 17. Oktober 2013 verlängerte das Strafgericht die
Sicherheitshaft gegen den Verurteilten bis zum 9. Januar 2014. Eine von diesem
dagegen erhobene Beschwerde wies das Appellationsgericht des Kantons
Basel-Stadt, Einzelgericht, mit Entscheid vom 18. November 2013 ab.

B. 
Gegen den Entscheid des Appellationsgerichtes gelangte X.________ mit
Beschwerde vom 26. November 2013 an das Bundesgericht. Er beantragt im
Hauptstandpunkt die Aufhebung des angefochtenen Entscheides und die sofortige
Haftentlassung.

 Die Staatsanwaltschaft und das Appellationsgericht beantragen je die Abweisung
der Beschwerde. Der Beschwerdeführer verzichtete mit Schreiben vom 6.
(Posteingang: 9.) Dezember 2013 auf eine Replik.

Erwägungen:

1. 
Der angefochtene Entscheid stützt sich auf Art. 231 Abs. 1 i.V.m. Art. 222 und
Art. 393 Abs. 1 lit. b StPO (zur Zulässigkeit der StPO-Beschwerde gegen
Haftentscheide gestützt auf Art. 231 Abs. 1 StPO vgl. Urteil des
Bundesgerichtes 1B_381/2011 vom 5. August 2011 E. 2.2). Die
Sachurteilsvoraussetzungen von Art. 78 ff. BGG sind erfüllt und geben zu keinen
Bemerkungen Anlass.

2. 
Der Beschwerdeführer bestreitet den besonderen Haftgrund der Fluchtgefahr. Zwar
sei er serbischer Staatsangehöriger und habe vor seiner Inhaftierung hin und
wieder Reisen in sein Heimatland unternommen. Er lebe jedoch seit Jahrzehnten
in der Schweiz, wo er eine Niederlassungsbewilligung habe. Er sei Vater von
vier in der Schweiz lebenden Kindern, zu denen er Kontakt pflegen wolle. Mit
Ausnahme seines in Serbien lebenden Vaters halte sich seine Kernfamilie in der
Schweiz auf. Bei seiner Aussage, dass er (der Beschwerdeführer) möglicherweise
nach Kanada oder Australien auswandern würde, habe es sich lediglich um
spontane theoretische Gedanken gehandelt für den Fall, dass ihm eines Tages
wider Erwarten die Niederlassungsbewilligung in der Schweiz entzogen würde.
Aussichten auf eine berufliche Existenz sehe er nur in der Schweiz. Im
Verfahren vor der Beschwerdeinstanz habe er eine Bestätigung eingereicht für
eine ihm in Aussicht stehende Arbeitsstelle. Sein Antrag auf Haftentlassung sei
zumindest gestützt auf geeignete Ersatzmassnahmen (Pass- und Schriftensperre,
Kaution) zu bewilligen.

3.

3.1. Die Annahme von Fluchtgefahr setzt ernsthafte Anhaltspunkte dafür voraus,
dass die beschuldigte Person sich dem Strafverfahren oder der zu erwartenden
Sanktion durch Flucht entziehen könnte (Art. 221 Abs. 1 lit. a StPO). Nach der
Rechtsprechung des Bundesgerichtes darf die Schwere der drohenden Sanktion zwar
als ein Indiz für Fluchtgefahr gewertet werden. Sie genügt jedoch für sich
allein nicht, um den Haftgrund zu bejahen. Vielmehr müssen die konkreten
Umstände des betreffenden Falles, insbesondere die gesamten Lebensverhältnisse
der beschuldigten Person, in Betracht gezogen werden (BGE 125 I 60 E. 3a S. 62;
117 Ia 69 E. 4a S. 70; je mit Hinweisen). So ist es zulässig, die familiären
und sozialen Bindungen des Häftlings, dessen berufliche Situation und Schulden
sowie Kontakte ins Ausland und Ähnliches mitzuberücksichtigen. Auch bei einer
befürchteten Ausreise in ein Land, das die beschuldigte Person grundsätzlich an
die Schweiz ausliefern bzw. stellvertretend verfolgen könnte, wäre die Annahme
von Fluchtgefahr nicht ausgeschlossen (BGE 123 I 31 E. 3d S. 36 f.).
Strafprozessuale Haft darf allerdings nur als "ultima ratio" angeordnet oder
aufrechterhalten werden. Wo sie durch mildere Massnahmen ersetzt werden kann,
muss von ihrer Anordnung oder Fortdauer abgesehen und an ihrer Stelle eine
solche Ersatzmassnahme verfügt werden (Art. 212 Abs. 2 lit. c i.V.m. Art. 237
f. StPO; vgl. BGE 137 IV 122 E. 6 S. 131 f.; 135 I 71 E. 2.3 S. 73, E. 2.16 S.
78 f.; 133 I 270 E. 3.3.1 S. 279).

3.2. Bei Beschwerden, die gestützt auf das Recht der persönlichen Freiheit
(Art. 10 Abs. 2, Art. 31 BV) wegen strafprozessualer Haft erhoben werden, prüft
das Bundesgericht im Hinblick auf die Schwere des Eingriffes die Auslegung und
Anwendung der StPO frei. Art. 98 BGG gelangt bei strafprozessualen
Zwangsmassnahmen nicht zur Anwendung (BGE 138 IV 186 E. 1.2 S. 189; 137 IV 122
E. 2 S. 125; 340 E. 2.4 S. 346; Urteil des Bundesgerichtes 1B_277/2011 vom 28.
Juni 2011 E. 1.2). Soweit jedoch reine Sachverhaltsfragen und damit Fragen der
Beweiswürdigung zu beurteilen sind, greift das Bundesgericht nur ein, wenn die
tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz offensichtlich unrichtig sind oder
auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruhen (Art. 97 Abs. 1
i.V.m. Art. 105 Abs. 2 BGG; BGE 135 I 71 E. 2.5 S. 73 f.).

3.3. Im angefochtenen Entscheid wird der Haftgrund der Fluchtgefahr im
Wesentlichen wie folgt begründet: Der Beschwerdeführer habe an der
Hauptverhandlung ausgesagt, dass ein grosser Teil seiner Verwandtschaft in
Serbien lebe, wohin er gerne auch reise. Für den Fall, dass er aus der Schweiz
ausgewiesen würde, habe er schon erwogen, nach Kanada oder Australien
auszuwandern. Er lebe zwar seit seinem zwölften Lebensjahr in der Schweiz und
sei Vater von vier hier wohnhaften Kindern. Zu den zwei Kindern seiner
ehemaligen Lebenspartnerin, der mutmasslich Geschädigten, dürfte ein Kontakt
allerdings in nächster Zeit kaum möglich sein. Über sein Verhältnis zu den
anderen zwei Kindern sei nichts bekannt. Ein eigentliches Familienleben habe er
jedenfalls nie gepflegt; seine Unterhaltspflichten gegenüber seinen Kindern
habe er (gemäss einer separaten Verurteilung vom 31. Mai 2011) mehrfach
vernachlässigt. Eine feste Beziehung zu einer in der Schweiz lebenden Partnerin
führe er nicht. Er habe keinen Beruf gelernt, nur sporadisch gearbeitet und
nach eigenen Angaben Fr. 400'000.-- Schulden. Da der Beschwerdeführer vor
seiner Verhaftung arbeitslos gewesen sei, erscheine das von ihm eingereichte
Stellenangebot einer Firma eher als Gefälligkeitsschreiben. Zudem sei im Falle
einer rechtskräftigen Verurteilung seine Niederlassungsbewilligung in Frage
gestellt. Im hängigen Berufungsverfahren sei mit der Bestätigung oder gar
Verschärfung der erstinstanzlich ausgesprochenen Freiheitsstrafe ernsthaft zu
rechnen. Bei gesamthafter Betrachtung erscheine eine Flucht nicht nur als
möglich, sondern als wahrscheinlich. Ersatzmassnahmen für Sicherheitshaft
könnten die dargelegte Fluchtgefahr nicht ausreichend bannen. Angesichts seiner
desolaten finanziellen Verhältnisse könne er eine Kaution nicht selbst
bezahlen; der drohende Verfall einer Drittkaution bilde keinen handfesten
Beweggrund gegen eine Flucht. Auch eine Schriften- und Passsperre biete keine
ausreichende Gewähr, dass sich der Beschwerdeführer dem weiteren Verfahren und
dem drohenden Strafvollzug stellt (vgl. angefochtener Entscheid, S. 3 f., E.
2.3-2.4).

3.4. Was der Beschwerdeführer dagegen einwendet, lässt den angefochtenen
Entscheid nicht als bundesrechtswidrig erscheinen. Er muss im hängigen
Berufungsverfahren mit der Ausfällung bzw. Bestätigung einer mehrjährigen
Freiheitsstrafe wegen schweren Sexualverbrechen und weiteren Delikten ernsthaft
rechnen. Auch bei Anrechnung der bisher erstandenen Untersuchungs- und
Sicherheitshaft (von ca. sieben Monaten) begründet der ihm drohende (Rest-)
Strafvollzug einen erheblichen Fluchtanreiz. Sodann räumt der Beschwerdeführer
ein, dass er Kontakte in sein Heimatland (insbesondere zu seinem Vater) pflegt
und sich regelmässig dort aufgehalten hat. Ebenso durften die kantonalen
Instanzen mitberücksichtigen, dass er vor seiner Verhaftung in instabilen
persönlichen und beruflichen Verhältnissen lebte und hohe Schulden hat. Im
vorliegenden Fall bestehen ausreichend konkrete Anhaltspunkte für eine
Fluchtgefahr. Auch die Einschätzung der kantonalen Instanzen, der dargelegten
Fluchtneigung lasse sich im gegenwärtigen Zeitpunkt mit Ersatzmassnahmen für
Haft nicht ausreichend begegnen, hält vor dem Bundesrecht stand.

4. 
Die Beschwerde ist abzuweisen.

 Der Beschwerdeführer stellt ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege. Er ist
amtlich verteidigt und befindet sich seit längerer Zeit in strafprozessualer
Haft. Seine finanzielle Bedürftigkeit wird ausreichend glaubhaft gemacht. Da
auch die übrigen Voraussetzungen von Art. 64 BGG grundsätzlich erfüllt
erscheinen, kann dem Gesuch stattgegeben werden.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird gutgeheissen:

2.1. Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

2.2. Dem Rechtvertreter des Beschwerdeführers, Advokat Dr. Alex Hediger, wird
aus der Bundesgerichtskasse eine Entschädigung von Fr. 1'500.-- (pauschal,
inkl. MWSt) entrichtet.

3. 
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer sowie der Staatsanwaltschaft, dem
Strafgericht und dem Appellationsgericht, Einzelgericht, des Kantons
Basel-Stadt schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 10. Dezember 2013

Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Fonjallaz

Der Gerichtsschreiber: Forster

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