Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 1B.405/2013
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
1B_405/2013

Urteil vom 3. Dezember 2013

I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Fonjallaz, Präsident,
Bundesrichter Merkli, Eusebio,
Gerichtsschreiber Härri.

Verfahrensbeteiligte
X.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Fürsprecher Martin Schmutz,

gegen

Staatsanwaltschaft des Kantons Bern, Region Bern-Mittelland, Hodlerstrasse 7,
3011 Bern,
Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Bern, Maulbeerstrasse 10, Postfach 6250,
3001 Bern,
Zwangsmassnahmengericht des Kantons Bern, Hodlerstrasse 7, 3011 Bern.

Gegenstand
Sicherheitshaft,

Beschwerde gegen den Beschluss vom 29. Oktober 2013 des Obergerichts des
Kantons Bern, Beschwerdekammer in Strafsachen.

Sachverhalt:

A. 
Die Staatsanwaltschaft Bern-Mittelland (im Folgenden: Staatsanwaltschaft)
führte eine Strafuntersuchung gegen X.________ (geb. 1987) wegen des Verdachts
verschiedener Delikte.

 Am 11. Juli 2013 nahm ihn die Polizei fest. Am 15. Juli 2013 versetzte ihn das
Zwangsmassnahmengericht des Kantons Bern in Untersuchungshaft.

 Am 9. August 2013 ersuchte er um Haftentlassung. Am 21. August 2013 wies das
Zwangsmassnahmengericht das Gesuch ab. Die von X.________ dagegen erhobene
Beschwerde wies das Obergericht des Kantons Bern (Beschwerdekammer in
Strafsachen) am 11. September 2013 ab.

B. 
Am 26. September 2013 erhob die Staatsanwaltschaft beim Regionalgericht
Bern-Mittelland gegen X.________ Anklage insbesondere wegen Diebstahls,
Hausfriedensbruchs, mehrfachen Führens eines Personenwagens trotz Entzugs des
Führerausweises, mehrfacher einfacher und grober Verkehrsregelverletzung und
Urkundenfälschung.

 Gleichentags beantragte die Staatsanwaltschaft dem Zwangsmassnahmengericht die
Anordnung von Sicherheitshaft.

 Am 4. Oktober 2013 ordnete das Zwangsmassnahmengericht Sicherheitshaft bis am
27. Januar 2014 an.

 Die von X.________ hiergegen eingereichte Beschwerde wies das Obergericht am
29. Oktober 2013 ab. Es bejahte - unter Hinweis auf seinen Entscheid vom 11.
September 2013 - Wiederholungsgefahr und beurteilte die Haft als
verhältnismässig.

C. 
X.________ führt Beschwerde in Strafsachen mit dem Antrag, der Beschluss des
Obergerichts sei aufzuheben; er sei unverzüglich aus der Haft zu entlassen.
Eventualiter sei die Sache zum neuen Entscheid an die Vorinstanz
zurückzuweisen.

D. 
Das Obergericht, das Zwangsmassnahmengericht und die Generalstaatsanwaltschaft
des Kantons Bern haben auf Gegenbemerkungen verzichtet.

 Die Staatsanwaltschaft hat sich vernehmen lassen mit dem Antrag, die
Beschwerde abzuweisen.

 X.________ hat auf eine Stellungnahme dazu verzichtet.

Erwägungen:

1. 
Gegen den angefochtenen Entscheid ist gemäss Art. 78 Abs. 1 BGG die Beschwerde
in Strafsachen gegeben.

 Ein kantonales Rechtsmittel steht nicht zur Verfügung. Die Beschwerde ist
daher nach Art. 80 BGG zulässig.

 Der Beschwerdeführer ist gemäss Art. 81 Abs. 1 lit. a und b Ziff. 1 BGG zur
Beschwerde befugt.

 Die weiteren Sachurteilsvoraussetzungen geben zu keinen Bemerkungen Anlass.
Auf die Beschwerde ist einzutreten.

2.

2.1. Gemäss Art. 221 Abs. 1 StPO ist Sicherheitshaft zulässig, wenn die
beschuldigte Person eines Verbrechens oder Vergehens dringend verdächtig ist
und ernsthaft zu befürchten ist, dass sie durch schwere Verbrechen oder
Vergehen die Sicherheit anderer erheblich gefährdet, nachdem sie bereits früher
gleichartige Straftaten verübt hat (lit. c).

 Der Beschwerdeführer anerkennt den dringenden Tatverdacht. Er macht geltend,
es fehle an der Wiederholungsgefahr nach Art. 221 Abs. 1 lit. c StPO.

2.2. Nach der Rechtsprechung kann die Untersuchungs- bzw. Sicherheitshaft wegen
Wiederholungsgefahr dem Verfahrensziel der Beschleunigung dienen, indem
verhindert wird, dass sich der Strafprozess durch immer neue Delikte
kompliziert und in die Länge zieht. Auch die Wahrung des Interesses an der
Verhütung weiterer schwerwiegender Delikte ist nicht verfassungs- und
grundrechtswidrig. Vielmehr anerkennt Art. 5 Ziff. 1 lit. c EMRK ausdrücklich
die Notwendigkeit, Beschuldigte an der Begehung strafbarer Handlungen zu
hindern, somit Spezialprävention, als Haftgrund (BGE 137 IV 84 E. 3.2 S. 85;
135 I 71 E. 2.2 S. 72 mit Hinweisen). Die Aufrechterhaltung von
Untersuchungshaft wegen Wiederholungsgefahr ist zulässig, wenn einerseits die
Rückfallprognose sehr ungünstig und anderseits die zu befürchtenden Delikte von
schwerer Natur sind. Die rein hypothetische Möglichkeit der Verübung weiterer
Delikte sowie die Wahrscheinlichkeit, dass nur geringfügige Straftaten verübt
werden, reichen dagegen nicht aus, um eine Präventivhaft zu begründen (BGE 135
I 71 E. 2.3 S. 73 mit Hinweisen).

 Art. 221 Abs. 1 lit. c StPO ist entgegen dem deutschsprachigen
Gesetzeswortlaut dahin auszulegen, dass "Verbrechen oder schwere Vergehen"
drohen müssen (BGE 137 IV 84 E. 3.2 S. 85 f.).

 Art. 221 Abs. 1 lit. c StPO verlangt, dass die beschuldigte Person bereits
früher gleichartige Vortaten verübt hat. Auch bei den Vortaten muss es sich um
Verbrechen oder schwere Vergehen gegen gleiche oder gleichartige Rechtsgüter
gehandelt haben. Die früher begangenen Straftaten können sich aus rechtskräftig
abgeschlossenen Strafverfahren ergeben. Sie können jedoch auch Gegenstand eines
noch hängigen Strafverfahrens bilden, in dem sich die Frage der Untersuchungs-
und Sicherheitshaft stellt. Das Gesetz spricht von verübten Straftaten und
nicht bloss einem Verdacht, so dass dieser Haftgrund nur bejaht werden kann,
wenn mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststeht, dass die
beschuldigte Person solche Straftaten begangen hat. Neben einer rechtskräftigen
Verurteilung gilt der Nachweis auch bei einem glaubhaften Geständnis oder einer
erdrückenden Beweislage als erbracht (BGE 137 IV 84 E. 3.2 S. 86 mit
Hinweisen).

2.3.

2.3.1. Der Beschwerdeführer ist insbesondere wegen mehrerer Diebstähle
vorbestraft. Dabei handelt es sich um Verbrechen (Art. 139 Ziff. 1 i.V.m. Art.
10 Abs. 2 StGB). Im jetzigen Verfahren legt ihm die Staatsanwaltschaft erneut
einen Diebstahl zur Last. Er habe als Sanitär unbeaufsichtigt in einer Wohnung
gearbeitet und dort Schmuck im Wert von insgesamt ca. Fr. 45'000.-- an sich
genommen. Zwar bestreitet der Beschwerdeführer die Tat. Ein Ring, der zum
Diebesgut gehört, wurde jedoch in seinem Portemonnaie, das er auf sich trug,
aufgefunden. Dies belastet ihn stark. Nach der Rechtsprechung kommt die Annahme
von Wiederholungsgefahr auch bei schweren Vermögensdelikten in Betracht
(Urteile 1B_344/2012 vom 19. Juni 2012 E. 3.2; 1B_379/2011 vom 2. August 2011
E. 2.8). Solche müssen beim Beschwerdeführer befürchtet werden. Schon mit Blick
darauf dürfte Wiederholungsgefahr zu bejahen sein. Wie es sich damit verhält,
kann jedoch offen bleiben.

2.3.2. Der Beschwerdeführer ist überdies wegen zahlreicher Widerhandlungen
gegen das Strassenverkehrsgesetz vorbestraft, insbesondere wegen grober
Verkehrsregelverletzung (Überschreitung der Höchstgeschwindigkeit auf der
Autobahn um 48 km/h) und mehrfachen Fahrens trotz Entzugs des Führerausweises.

 Am 15. Juli 2011 und 12. Dezember 2012 wurde gegen ihn mangels charakterlicher
Eignung zum Lenken eines Motorfahrzeugs ein Sicherungsentzug des
Führerausweises auf unbestimmte Zeit verfügt. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm
vor, dessen ungeachtet erneut mehrfach ein Motorfahrzeug gelenkt zu haben. Das
gesteht er grundsätzlich ein. Er bestreitet insoweit lediglich, täglich
gefahren zu sein. Wie es sich hiermit verhält, kann dahingestellt bleiben.
Schon aufgrund der Vorstrafen und der eingestandenen neuen Missachtungen des
Sicherungsentzugs muss angenommen werden, dass er bei einer Haftentlassung
wieder ein Motorfahrzeug lenken würde, zumal ihn in der Vergangenheit nicht
einmal die Beschlagnahme seiner Fahrzeuge davon abgehalten hat.

 Dass dabei eine ernstliche Gefahr für andere Verkehrsteilnehmer bestünde,
ergibt sich bereits aus dem verkehrspsychologischen Gutachten vom 5. Mai 2011.
Darin wird ausgeführt, dem Beschwerdeführer mangle es an
Verantwortungsbewusstsein und der nötigen Reife; Einsicht in seine gefährdende
Fahrweise habe er nicht; vielmehr gehe er ausschliesslich von sich selber aus
und nehme kaum Rücksicht auf andere; nach seinem bisherigen Verhalten biete er
keine Gewähr, dass er als Motorfahrzeuglenker die Vorschriften beachte und auf
andere Rücksicht nehme.

 Darauf, dass dies nach wie vor zutrifft, deutet der ihm neu zur Last gelegte
Vorfall vom 11. Juli 2013 hin. Danach soll er um ca. 10.30 Uhr in der Stadt
Bern bei regem Verkehr mit 80-90 km/h gefahren sein; dabei habe er - einmal
unter Missachtung der Sicherheitslinie - Personenwagen in gefährlicher Weise
überholt; sodann sei er ungebremst auf ein ziviles Polizeifahrzeug, das ihn
habe anhalten wollen, zugefahren; schliesslich habe er ein anderes Fahrzeug
beschädigt und sich dessen ungeachtet von der Unfallstelle entfernt. Zwar
bestreitet der Beschwerdeführer diese Tat. Einer der beteiligten Polizeibeamten
gibt jedoch an, er habe ihn erkannt. Zudem entspräche die ihm vorgeworfene
Fahrweise seinem automobilistischen Leumund. Auch insoweit besteht somit eine
stark belastende Beweislage.

 Unter diesen Umständen müssen vom Beschwerdeführer erneut andere
Verkehrsteilnehmer erheblich gefährdende Widerhandlungen gegen das
Strassenverkehrsgesetz befürchtet werden, zumal er - wie sich an der
Schlusseinvernahme vom 19. September 2013 gezeigt hat - nach wie vor
uneinsichtig ist. Insoweit geht es um den Schutz von Leib und Leben und damit
ein hochwertiges Rechtsgut.

 Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers hat er bereits mehrere schwere
Vergehen im Strassenverkehr begangen und ist das Vortatenerfordernis damit auch
insoweit erfüllt. Dies gilt selbst dann, wenn man den Vorfall vom 11. Juli 2013
ausser Acht lässt. Sowohl für die grobe Verkehrsregelverletzung (Art. 90 Abs. 2
SVG) als auch das Führen eines Motorfahrzeugs trotz Entzugs des Ausweises (Art.
95 Abs. 1 lit. b SVG) droht das Gesetz nicht nur Geldstrafe, sondern
Freiheitsstrafe bis zu 3 Jahren an. Die vom Beschwerdeführer begangene
Geschwindigkeitsüberschreitung auf der Autobahn um 48 km/h ist als schweres
Vergehen einzustufen. Dasselbe gilt für das mehrfache Führen eines
Motorfahrzeugs trotz Entzugs des Ausweises, da der Beschwerdeführer im
Strassenverkehr mangels charakterlicher Eignung und Reife eine erhebliche
Gefahr darstellt.

2.3.3. Muss demnach beim Beschwerdeführer nicht nur mit schweren
Vermögensdelikten gerechnet werden, sondern ebenso mit der ernstlichen
Gefährdung der Sicherheit anderer im Strassenverkehr, hält es vor Bundesrecht
stand, wenn die Vorinstanz Wiederholungsgefahr bejaht hat. Die Beschwerde ist
insoweit unbegründet.

3.

3.1. Der Beschwerdeführer wendet ein, die Haft sei unverhältnismässig. Ein
Ausnahmefall, bei dem ihre Verlängerung für mehr als 3 Monate zulässig wäre,
sei nicht gegeben.

3.2. Gemäss Art. 212 Abs. 3 StPO dürfen Untersuchungs- und Sicherheitshaft
nicht länger dauern als die zu erwartende Freiheitsstrafe.

 Der Beschwerdeführer wird am 27. Januar 2014 ca. 6 ½ Monate in Haft verbracht
haben. Angesichts seiner zahlreichen einschlägigen Vorstrafen, der ihm neu zur
Last gelegten erheblichen neuen Delikte und seiner Uneinsichtigkeit muss er mit
einer Freiheitsstrafe rechnen, welche diese Dauer deutlich übersteigt. Die Haft
ist deshalb verhältnismässig.

3.3. Gemäss Art. 229 Abs. 3 lit. b i.V.m. Art. 227 Abs. 7 StPO wird die
Sicherheitshaft jeweils für längstens 3 Monate, in Ausnahmefällen für längstens
6 Monate bewilligt (BGE 137 IV 180 E. 3.5 S. 184 ff.).

 Ein Ausnahmefall kann etwa angenommen werden, wenn von vornherein ersichtlich
ist, dass der Haftgrund auch nach mehr als drei Monaten noch gegeben ist
(Botschaft vom 21. Dezember 2005 zur Vereinheitlichung des Strafprozessrechts,
BBl 2006 1233).

 Das Regionalgericht hat die Hauptverhandlung auf den 23./24. Januar 2014
angesetzt. Das Zwangsmassnahmengericht hat die Haft bis zum 27. Januar 2014
verlängert, damit eine ausreichende zeitliche Marge zwecks Einreichung eines
Haftverlängerungsantrags bei einer allfälligen Verfahrensverzögerung zur
Verfügung steht. Die Vorinstanz nimmt an, an der Wiederholungsgefahr werde sich
bis dann nichts ändern. Dem ist zuzustimmen. Damit verletzt es kein
Bundesrecht, wenn das Zwangsmassnahmengericht die Haft um etwas über drei
Monate verlängert hat.

4. 
Die Beschwerde ist abzuweisen.

 Von der Bedürftigkeit des Beschwerdeführers ist auszugehen. Da die Haft einen
schweren Eingriff in die persönliche Freiheit darstellt, konnte er sich zur
Beschwerde veranlasst sehen. Die unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung
nach Art. 64 BGG wird daher bewilligt. Es werden keine Kosten erhoben und dem
Vertreter des Beschwerdeführers wird eine Entschädigung ausgerichtet.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird gutgeheissen.

3. 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

4. 
Dem Vertreter des Beschwerdeführers, Fürsprecher Martin Schmutz, wird aus der
Bundesgerichtskasse eine Entschädigung von Fr. 2'000.-- ausgerichtet.

5. 
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft des Kantons
Bern (Region Bern Mittelland), der Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Bern,
dem Zwangsmassnahmengericht des Kantons Bern und dem Obergericht des Kantons
Bern (Beschwerdekammer in Strafsachen) schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 3. Dezember 2013

Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Fonjallaz

Der Gerichtsschreiber: Härri

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