Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 1B.383/2013
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
1B_383/2013

Urteil vom 18. November 2013

I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Fonjallaz, Präsident,
Bundesrichter Karlen, Eusebio,
Gerichtsschreiber Geisser.

Verfahrensbeteiligte
X.________, Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwalt Ralph
Schiltknecht,

gegen

Staatsanwaltschaft Zofingen-Kulm, Untere Grabenstrasse 32, Postfach 1475, 4800
Zofingen,
Zwangsmassnahmengericht des Kantons Aargau, Mellingerstrasse 2a, 5400 Baden.

Gegenstand
Anordnung Untersuchungshaft,

Beschwerde gegen den Entscheid vom 24. September 2013 des Obergerichts des
Kantons Aargau, Beschwerdekammer in Strafsachen.

Sachverhalt:

A. 
Die Staatsanwaltschaft Zofingen-Kulm führt eine Strafuntersuchung gegen die
ungarische Staatsangehörige X.________ (in der Folge: X.________) wegen des
Verdachts der Brandstiftung gemäss Art. 221 Abs. 2 StGB. Die Staatsanwaltschaft
wirft ihr vor, im Nachtklub, in dem sie arbeitete, am 4. September 2013
vorsätzlich einen Brand verursacht zu haben.
Die Polizei nahm X.________ am gleichen Tag fest.
Die Staatsanwaltschaft beantragte dem Zwangsmassnahmengericht des Kantons
Aargau am 5. September 2013 die Anordnung von Untersuchungshaft für die
vorläufige Dauer von drei Monaten.
Das Zwangsmassnahmengericht wies den Antrag am 6. September 2013 ab und
verfügte die unverzügliche Freilassung von X.________. Es verneinte den
dringenden Tatverdacht.

B. 
Diese Verfügung focht die Staatsanwaltschaft gleichentags beim Obergericht des
Kantons Aargau an. Am 24. September 2013 hiess dieses die Beschwerde gut,
soweit es darauf eintrat. Es verfügte die Untersuchungshaft für die Dauer von
drei Monaten. Anders als das Zwangsmassnahmengericht bejahte es den dringenden
Tatverdacht. Zudem nahm es Fluchtgefahr an.

C. 
X.________ führt Beschwerde in Strafsachen und beantragt, den Entscheid des
Obergerichts aufzuheben; sie sei unverzüglich aus der Haft zu entlassen.
Das Obergericht, das Zwangsmassnahmengericht und die Staatsanwaltschaft
verzichten je auf eine Stellungnahme.

Erwägungen:

1. 
Da alle Sachurteilsvoraussetzungen gegeben sind, ist auf die Beschwerde in
Strafsachen einzutreten.

2. 
Gemäss Art. 221 Abs. 1 StPO ist Untersuchungshaft zulässig, wenn die
beschuldigte Person eines Verbrechens oder Vergehens dringend verdächtig ist
und ernsthaft zu befürchten ist, dass sie sich durch Flucht dem Strafverfahren
oder der zu erwartenden Sanktion entzieht (lit. a).

3. 
Die Staatsanwaltschaft wirft der Beschwerdeführerin Brandstiftung im Sinne von
Art. 221 Abs. 2 StGB vor. Dieser Tatbestand stellt ein Verbrechen dar (Art. 10
Abs. 2 StGB).
Gegen die Annahme der Fluchtgefahr wendet die Beschwerdeführerin nichts ein.
Sie bestreitet einzig den dringenden Tatverdacht.

4. 
Das Bundesgericht hat bei der Überprüfung des dringenden Tatverdachts keine
erschöpfende Abwägung sämtlicher belastender und entlastender Beweisergebnisse
vorzunehmen. Zu prüfen ist vielmehr, ob genügend konkrete Anhaltspunkte für
eine Straftat und eine Beteiligung der Beschwerdeführerin daran vorliegen, die
Untersuchungsbehörden somit das Bestehen eines dringenden Tatverdachts mit
vertretbaren Gründen bejahen durften. Im Haftprüfungsverfahren genügt der
Nachweis von konkreten Verdachtsmomenten, wonach das inkriminierte Verhalten
mit erheblicher Wahrscheinlichkeit die fraglichen Tatbestandsmerkmale erfüllen
könnte. Das Beschleunigungsgebot in Haftsachen lässt keinen Raum für
ausgedehnte Beweismassnahmen. Zur Frage des dringenden Tatverdachts hat das
Haftgericht weder ein eigentliches Beweisverfahren durchzuführen, noch dem
erkennenden Strafgericht vorzugreifen. Vorbehalten bleibt allenfalls die
Abnahme eines liquiden Alibibeweises (BGE 137 IV 122 E. 3.2 S. 126 f. mit
Hinweisen).
Bei Beginn der Strafuntersuchung sind die Anforderungen an den dringenden
Tatverdacht noch geringer als im Laufe des Strafverfahrens, in dem ein immer
strengerer Massstab an die Erheblichkeit und Konkretheit des Tatverdachts zu
stellen ist. Nach Durchführung der in Betracht kommenden
Untersuchungshandlungen muss eine Verurteilung als wahrscheinlich erscheinen (
BGE 137 IV 122 E. 3.1 und 3.3 S. 126 f. mit Hinweis; Urteil 1B_466/2012 vom 3.
September 2012 E. 2.2.2).

4.1. Gemäss Polizeibericht brach im besagten Nachtklub am 4. September 2013 um
kurz nach 04.00 Uhr ein Brand aus. Dieser war bereits gelöscht, als die Polizei
eintraf. In der Garderobe im 1. Stock des Hauses fanden die Beamten zwei
ausgebrannte Rollkoffer vor. Der Brandermittler verneinte Fahrlässigkeit als
Brandursache. Die Polizisten hielten die Beschwerdeführerin in der Nähe des
Gebäudes an. Sie stand unter Alkoholeinfluss (1,45 Promille).
Dieser Sachverhalt ist unbestritten.

4.2. Ausgehend davon belasten die Beschwerdeführerin als mögliche
Brandstifterin folgende Verdachtsmomente:

4.2.1. Ihre Arbeitskolleginnen A.________ und B.________ sagten als Zeugin bzw.
Auskunftsperson aus, die Beschwerdeführerin habe an jenem Morgen gegen 04.00
Uhr an ihre Schlafzimmertür im 2. Stock geklopft. Sie sei betrunken und
aufgewühlt gewesen. Sie habe von ihnen "Feuer" verlangt und nach ihrer
Handtasche gesucht. Dann sei sie wieder gegangen. Kurz darauf hätten sie im
Haus laute Geräusche und die Stimme der Beschwerdeführerin gehört. Als sie den
Hausgang betreten hätten, sei dieser voller Rauch gewesen. Sofort hätten sie
alle Leute aus ihren Zimmern geholt. Jenes der Beschwerdeführerin sei verlassen
gewesen.
Bei summarischer Würdigung erscheinen die Aussagen von A.________ und
B.________ glaubhaft. Sie stimmen in den wesentlichen Punkten überein, sind
individuell, detailliert und in sich schlüssig. Was den äusseren Gang der
Ereignisse betrifft, bestätigt die Beschwerdeführerin die Ausführungen der
Zeugin und der Auskunftsperson denn auch weitgehend (vgl.
Konfrontationseinvernahme der Beschwerdeführerin mit A.________ S. 5). Sie
räumt zudem ein, sich in den frühen Morgenstunden alleine im unteren Bereich
des Hauses aufgehalten zu haben. Zuletzt sei sie in der Garderobe gewesen, um
dort nach ihrer Handtasche zu suchen (vgl. Eröffnung der Festnahme S. 2 und 4
f.). Diese Aussagen belasten die Beschwerdeführerin.

4.2.2. Erschwerend kommt hinzu, dass die Angaben der Beschwerdeführerin in
Bezug auf das Brandereignis auf den ersten Blick ungereimt erscheinen. Zum
einen vermag sie nicht mehr annähernd einzuordnen, wann das Feuer ausbrach
(vgl. Eröffnung der Festnahme S. 9). Zum anderen widerspricht sie sich darüber,
wo sie sich zu jenem Zeitpunkt aufhielt. Zunächst will sie sich bereits
draussen befunden haben; dann aber gibt sie an, noch im Haus gewesen zu sein
(vgl. polizeiliche Einvernahme S. 3 f.).

4.2.3. Wenn die Vorinstanz gestützt auf eine summarische Beweiswürdigung die
Aussagen von A.________ und B.________ als glaubhafter einstuft als jene der
Beschwerdeführerin, ist das demnach nicht zu beanstanden. Dem Strafgericht
greift sie damit in keiner Weise vor (vgl. in diesem Sinne auch BGE 137 IV 122
E. 3.3 S. 127).
Würdigt man die dargelegten Umstände gesamthaft, bestehen mit der Vorinstanz
konkrete Anhaltspunkte, dass die Beschwerdeführerin am besagten Morgen um kurz
nach 04.00 Uhr in die Garderobe ging, um dort den Brand zu legen.

4.3. Was die Beschwerdeführerin vorbringt, vermag diesen Tatverdacht nicht in
Zweifel zu ziehen. Zwar steht die Untersuchung in Bezug auf mögliche Tatmotive
noch am Anfang. Die Vorinstanz erkennt aber auch insoweit ein Verdachtsmoment,
das hinreichend bestimmt ist. So ist unstreitig, dass die Beschwerdeführerin,
A.________ und B.________ am Morgen des Brandausbruchs nach Ungarn fahren
wollten. Nach Angabe des Busfahrers waren jedoch nur zwei Plätze reserviert
(vgl. Polizeibericht S. 6). Von daher ist die Annahme berechtigt, die
Beschwerdeführerin könnte den Brand aus Wut auf ihre Kolleginnen gelegt haben,
weil diese die letzten Plätze im Bus belegten. Dazu ins Bild passt die
Tatsache, dass das angezündete Reisegepäck B.________ gehörte.
Bei Ergehen des angefochtenen Entscheids stand die Strafuntersuchung noch am
Anfang. Insoweit sind an den dringenden Tatverdacht noch keine hohen
Anforderungen zu stellen (vgl. E. 4 oben). Legt man diesen Massstab zugrunde,
hat die Vorinstanz in Anbetracht der dargelegten Umstände den dringenden
Tatverdacht mit vertretbaren Gründen bejaht.
Die Beschwerde ist im vorliegenden Punkt unbegründet.

4.4. Soweit sich die Beschwerdeführerin auf die Einvernahme von C.________, dem
Geschäftsführer des Nachtklubs, vom 30. September 2013 beruft, stützt sie sich
auf ein Beweismittel, das nach Ausfällung des angefochtenen Entscheids
entstanden ist. Dieses stellt im vorliegenden Verfahren ein echtes Novum dar
und ist deshalb unbeachtlich (vgl. BGE 133 IV 342 E. 2.1 S. 343 f.). Abgesehen
davon ist nicht erkennbar, inwiefern die Aussagen von C.________ geeignet
wären, den dringenden Tatverdacht in Zweifel zu ziehen.
Die Beschwerde ist auch in dieser Hinsicht unbehelflich.

5. 
Demnach ist die angeordnete Untersuchungshaft rechtmässig.

6. 
Die Beschwerde ist abzuweisen.
Von der Mittellosigkeit der Beschwerdeführerin ist auszugehen. Da die Haft
einen schweren Eingriff darstellt, konnte sie sich zur Beschwerde veranlasst
sehen. Die unentgeltliche Prozessführung und Rechtsverbeiständung wird daher
bewilligt (Art. 64 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird gutgeheissen und der
Beschwerdeführerin Rechtsanwalt Ralph Schiltknecht als unentgeltlicher
Rechtsbeistand beigegeben.

3. 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

4. 
Rechtsanwalt Ralph Schiltknecht wird aus der Gerichtskasse eine Entschädigung
von Fr. 1'500.-- ausgerichtet.

5. 
Dieses Urteil wird der Beschwerdeführerin, der Staatsanwaltschaft
Zofingen-Kulm, dem Zwangsmassnahmengericht des Kantons Aargau und dem
Obergericht des Kantons Aargau, Beschwerdekammer in Strafsachen, schriftlich
mitgeteilt.

Lausanne, 18. November 2013

Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Fonjallaz

Der Gerichtsschreiber: Geisser

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