Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 1B.34/2013
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

{T 0/2}
1B_34/2013

Urteil vom 21. Februar 2013
I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Merkli, präsidierendes Mitglied,
Bundesrichter Karlen, Eusebio,
Gerichtsschreiber Mattle.

Verfahrensbeteiligte
X.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Max Bleuler,

gegen

Staatsanwaltschaft III des Kantons Zürich, Weststrasse 70, Postfach 9717, 8036
Zürich.

Gegenstand
Sicherheitshaft,

Beschwerde gegen den Beschluss vom 24. Dezember 2012 des Obergerichts des
Kantons Zürich, III. Strafkammer.

Sachverhalt:

A.
Das Bezirksgericht Zürich bestrafte X.________ am 26. November 2012 wegen
mehrfachen sich bestechen lassens, mehrfacher ungetreuer Amtsführung,
mehrfacher Geldwäscherei und Verletzung des Amtsgeheimnisses mit 6 ¼ Jahren
Freiheitsstrafe und einer Busse von Fr. 6'000.--. Im Anschluss an die mündliche
Urteilseröffnung vom 28. November 2012 entsprach das Bezirksgericht dem Antrag
der Staatsanwaltschaft III des Kantons Zürich und versetzte X.________ bis zum
Strafantritt oder vorerst längstens bis zum 28. Mai 2013 in Sicherheitshaft.
Gleichzeitig hob es die bis dahin geltenden Ersatzmassnahmen auf, namentlich
die Pass- und Schriftensperre, die Meldepflicht sowie eine Kontosperrung.

B.
Eine von X.________ gegen den die Sicherheitshaft anordnenden Beschluss des
Bezirksgerichts vom 28. November 2012 erhobene Beschwerde wies das Obergericht
des Kantons Zürich am 24. Dezember 2012 ab.

C.
Gegen den Beschluss des Obergerichts vom 24. Dezember 2012 hat X.________ am
28. Januar 2013 Beschwerde in Strafsachen ans Bundesgericht erhoben. Er
beantragt, der angefochtene Entscheid sei aufzuheben und er unter Fortführung
der von der Staatsanwaltschaft am 26. November 2010 angeordneten und
zwischenzeitlich modifizierten Ersatzmassnahmen aus der Sicherheitshaft zu
entlassen. Im Rahmen der Beschwerde ans Bundesgericht teilt der
Beschwerdeführer mit, dass er gegen das Urteil des Bezirksgerichts vom 26.
November 2012 Berufung angemeldet hat. Die Staatsanwaltschaft beantragt die
Abweisung der Beschwerde. Die Vorinstanz hat auf eine Stellungnahme verzichtet.
Mit Eingabe vom 12. Februar 2013 hält der Beschwerdeführer an der Beschwerde
fest.

Erwägungen:

1.
Angefochten ist ein letztinstanzlicher kantonaler Zwischenentscheid in einer
Strafsache, gegen den gemäss Art. 78 ff. i.V.m. Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG die
Beschwerde in Strafsachen offen steht. Die weiteren Sachurteilsvoraussetzungen
geben zu keinen Bemerkungen Anlass. Auf die Beschwerde ist einzutreten.

2.
Der angefochtene Entscheid betrifft die Anordnung von Sicherheitshaft und damit
eine Zwangsmassnahme im Sinne von Art. 196 ff. StPO (SR 312.0).
Strafprozessuale Zwangsmassnahmen sind Verfahrenshandlungen der Strafbehörden,
die in die Grundrechte der Betroffenen eingreifen und dazu dienen, Beweise zu
sichern, die Anwesenheit von Personen im Verfahren sicherzustellen oder die
Vollstreckung des Endentscheids zu gewährleisten (Art. 196 lit. a-c StPO). Die
Auslegung und die Anwendung der im Bundesrecht geregelten Voraussetzungen für
die Grundrechtsbeschränkungen prüft das Bundesgericht mit freier Kognition
(Art. 95 lit. a BGG; vgl. BGE 128 II 259 E. 3.3 S. 269). Mit dem Entscheid über
strafprozessuale Zwangsmassnahmen wird über die Grundrechtsbeschränkung
definitiv entschieden. Somit stellen diese Zwangsmassnahmen keine vorsorglichen
Massnahmen im Sinne von Art. 98 BGG dar. Die nach dieser Bestimmung
vorgeschriebene Beschränkung der Rügegründe ist demnach nicht anwendbar (vgl.
Urteil 1B_277/2011 vom 28. Juni 2011 E. 1.2 mit Hinweisen).

3.
Untersuchungs- und Sicherheitshaft sind zulässig, wenn die beschuldigte Person
eines Verbrechens oder Vergehens dringend verdächtig ist und ausserdem Flucht-,
Kollusions- oder Wiederholungsgefahr vorliegt (Art. 221 Abs. 1 StPO). Weiter
ist Haft zulässig, wenn ernsthaft zu befürchten ist, eine Person werde ihre
Drohung, ein schweres Verbrechen auszuführen, wahr machen (Art. 221 Abs. 2
StPO). Das zuständige Gericht ordnet an Stelle der Untersuchungs- oder
Sicherheitshaft eine oder mehrere mildere Massnahmen an, wenn sie den gleichen
Zweck wie die Haft erfüllen (Art. 237 Abs. 1 StPO).

4.
Die Vorinstanz hält die Anordnung von Sicherheitshaft für rechtmässig, weil
neben nicht bestrittenem dringendem Tatverdacht Fluchtgefahr bestehe, welcher
nach der erstinstanzlichen Verurteilung des Beschwerdeführers mit
Ersatzmassnahmen nicht mehr ausreichend entgegengewirkt werden könne.

4.1 Beim Haftgrund der Fluchtgefahr gemäss Art. 221 Abs. 1 lit. a StPO geht es
um die Sicherung der Anwesenheit der beschuldigten Person im Verfahren. Nach
der Rechtsprechung des Bundesgerichts braucht es für die Annahme von
Fluchtgefahr eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass sich die beschuldigte
Person, wenn sie in Freiheit wäre, dem Vollzug der Strafe durch Flucht
entziehen würde. Im Vordergrund steht dabei eine mögliche Flucht ins Ausland,
denkbar ist jedoch auch ein Untertauchen im Inland. Bei der Bewertung, ob
Fluchtgefahr besteht, sind die gesamten konkreten Verhältnisse zu
berücksichtigen. Es müssen Gründe bestehen, die eine Flucht nicht nur als
möglich, sondern als wahrscheinlich erscheinen lassen. Die Schwere der
drohenden Strafe darf als ein Indiz für Fluchtgefahr gewertet werden, genügt
jedoch für sich allein nicht, um den Haftgrund zu bejahen (BGE 125 I 60 E. 3a
S. 62 mit Hinweisen). Miteinzubeziehen sind die familiären und sozialen
Bindungen, die berufliche und finanzielle Situation und die Kontakte zum
Ausland (Urteil 1B_424/2011 vom 14. September 2011 E. 4.1 mit Hinweis). Auch
psychische Auffälligkeiten, die auf eine besondere Neigung zu Impulsausbrüchen
bzw. Kurzschlusshandlungen schliessen lassen, können eine Fluchtneigung erhöhen
(BGE 123 I 268 E. 2e S. 271 ff.; Urteil 1B_277/2011 vom 28. Juni 2011 E. 3.3).
Mögliche Ersatzmassnahmen bei Fluchtgefahr sind unter anderen eine Ausweis- und
Schriftensperre (Art. 237 Abs. 2 lit. b StPO) und die Auflage, sich regelmässig
bei einer Amtsstelle zu melden (Art. 237 Abs. 2 lit. d StPO). Nach der
bundesgerichtlichen Praxis ist bei blossen Ersatzmassnahmen für Haft
grundsätzlich ein weniger strenger Massstab an die erforderliche Intensität des
besonderen Haftgrunds der Fluchtgefahr anzulegen als bei strafprozessualem
Freiheitsentzug, denn Untersuchungshaft stellt eine deutlich schärfere
Zwangsmassnahme dar als blosse Ersatzmassnahmen wie Ausweis- und
Schriftensperren oder Meldepflichten (BGE 133 I 27 E. 3.3 S. 31; Urteil 1B_172/
2010 vom 25. Oktober 2010 E. 3.1). Derartige Ersatzmassnahmen sind allerdings
nicht nur weniger einschneidend, sondern auch weniger wirksam. Sie können daher
zwar einer gewissen Fluchtneigung der beschuldigten Person vorbeugen, sind aber
bei ausgeprägter Fluchtgefahr unzureichend (Urteil 1B_217/2011 vom 7. Juni 2011
E. 5.3).
4.2
4.2.1 Der Beschwerdeführer hat während des bisherigen Strafverfahrens und
namentlich nach seiner Entlassung aus der Untersuchungshaft am 26. November
2010 nicht versucht, sich der Strafverfolgung zu entziehen. Auch einen ihm nach
der Entlassung aus der Untersuchungshaft erlaubten Besuch eines Seminars
ausserhalb der Schweiz hat er nicht zur Flucht genutzt. Weiter verneint die
Vorinstanz nicht, dass der Beschwerdeführer seit der Entlassung aus der
Untersuchungshaft die ihm mit den angeordneten Ersatzmassnahmen gemachten
Auflagen beachtet hat. Wie der Beschwerdeführer sodann geltend macht, ist er
nach der Entlassung aus der Untersuchungshaft mit seiner Familie in eine
günstigere Wohnung umgezogen, wobei er darauf geachtet habe, dass den Kindern
ein Schulwechsel erspart bleibe. Ausserdem habe er zusammen mit seiner Ehefrau
begonnen, Zeitungen auszutragen, um ein minimales Einkommen zu generieren. Dem
Beschwerdeführer ist zuzugestehen, dass sein Wohlverhalten nach der Entlassung
aus der Untersuchungshaft für die Beurteilung der Fluchtgefahr nicht gänzlich
bedeutungslos sein kann. Wie die Vorinstanz indessen zu Recht festgehalten hat,
hat sich die Situation für den Beschwerdeführer mit der erstinstanzlichen
Verurteilung insofern geändert, als er seither mit einer höheren
Wahrscheinlichkeit als zuvor mit einer langjährigen Freiheitsstrafe rechnen
muss. Nicht zu beanstanden ist, dass die Vorinstanz in diesem Zusammenhang
berücksichtigt hat, dass das erstinstanzliche Gericht den Beschwerdeführer zu
einer langjährigen Freiheitsstrafe verurteilt hat, obwohl es ihn von einigen
Vorwürfen freigesprochen hat und dass die erstinstanzlich ausgesprochene
Freiheitsstrafe nicht nur deutlich über dem Antrag des Beschwerdeführers liegt,
sondern auch über dem Antrag der Staatsanwaltschaft. Die Vorinstanz hat unter
diesen Umständen zu Recht festgestellt, dass die Wahrscheinlichkeit einer
Flucht bzw. eines Untertauchens des Beschwerdeführers mit der erstinstanzlichen
Verurteilung zu einer langjährigen Freiheitsstrafe deutlich gestiegen ist.
4.2.2 Der Beschwerdeführer legt nicht dar, inwiefern die Feststellung der
Vorinstanz, wonach er und seine Familie in der Schweiz über kein gutes soziales
Netzwerk zu verfügen und keine engen familiären Beziehungen zu unterhalten
scheinen, falsch sein sollte. Unbestrittenerweise sind die beruflichen
Aussichten des Beschwerdeführers in der Schweiz aufgrund der erstinstanzlichen
Verurteilung und seines Alters (Jahrgang 1955) nicht gut. Der Beschwerdeführer
bestreitet auch nicht, dass seine finanzielle und familiäre Situation schwierig
geworden ist. Zu Recht hat die Vorinstanz diese Umstände als die
Wahrscheinlichkeit einer Flucht erhöhend gewertet.
4.2.3 Die Ehefrau des Beschwerdeführers stammt aus Peru. Ihre Deutschkenntnisse
sind ungenügend. Der Beschwerdeführer und seine Familie pflegen Beziehungen zu
den in Peru lebenden Verwandten der Ehefrau und der Beschwerdeführer hat in
Peru lebende Verwandte in der Vergangenheit finanziell unterstützt. Er ist der
spanischen Sprache mächtig, hat Peru mit seiner Ehefrau und später mit den
Kindern sechs bis sieben mal bereist und dabei die dort lebenden Verwandten
besucht. Wie die Vorinstanz zu Recht erwogen hat, erhöhen die Beziehungen des
Beschwerdeführers und seiner Familie zu den in Peru lebenden Verwandten die
Wahrscheinlichkeit einer Flucht des Beschwerdeführers. Immerhin ist - was auch
die Vorinstanz getan hat - in diesem Zusammenhang anzuerkennen, dass der
Beschwerdeführer ein gewisses Interesse daran hat, dass seine Kinder in der
Schweiz bleiben und hier eine Ausbildung abschliessen können.
4.2.4 Anders als die Staatsanwaltschaft anlässlich ihres Antrags für die
Anordnung Sicherheitshaft haben weder das Bezirksgericht in seinem Beschluss
vom 28. November 2012 noch die Vorinstanz im angefochtenen Entscheid den
Umstand, dass der Beschwerdeführer und seine Frau Eigentümer eines in
Frankreich gelegenen Hauses sind, als die Fluchtgefahr zusätzlich vergrössernd
bewertet. Im Hinblick auf die bereits dargelegten Umstände und die daraus zu
ziehenden Schlüsse (vgl. nachfolgend E. 4.3) erübrigt es sich, auf die
entsprechenden Ausführungen des Beschwerdeführers einzugehen. Dies zumal er
nicht geltend macht, das im Eigentum von ihm und seiner Ehefrau stehende Haus
in Frankreich oder die neusten Entwicklungen im Zusammenhang mit dem geplanten
Verkauf des Hauses sprächen für eine Verringerung der Fluchtgefahr.

4.3 Eine Gesamtbeurteilung unter Berücksichtigung der für und gegen die
Fluchtgefahr im Sinne von Art. 221 Abs. 1 lit. a StPO sprechenden Umstände
führt zum Schluss, dass Gründe bestehen, die eine Flucht bzw. ein Untertauchen
des Beschwerdeführers nicht nur als möglich, sondern als wahrscheinlich
erscheinen lassen. Der Vorinstanz ist darin zuzustimmen, dass sich die
Fluchtgefahr nach der erstinstanzlichen Verurteilung des Beschwerdeführers zu
einer langjährigen Freiheitsstrafe als derart ausgeprägt erweist, dass die
Aufrechterhaltung bzw. Anordnung von im Vergleich zur Sicherheitshaft weniger
wirksamen Ersatzmassnahmen im Sinne von Art. 237 Abs. 1 und 2 StPO nicht mehr
ausreichend wäre, um der Fluchtgefahr in genügender Weise entgegenzuwirken.

5.
Nach dem Ausgeführten ist die Beschwerde abzuweisen. Bei diesem Ausgang des
Verfahrens wird der Beschwerdeführer grundsätzlich kostenpflichtig (vgl. Art.
66 Abs. 1 BGG). Er ersucht indes um unentgeltliche Rechtspflege. Da die
Voraussetzungen von Art. 64 Abs. 1 und 2 BGG erfüllt sind, kann dem Gesuch
entsprochen werden.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Dem Beschwerdeführer wird die unentgeltliche Rechtspflege gewährt.

2.1 Es werden keine Kosten erhoben.

2.2 Rechtsanwalt Dr. Max Bleuler wird aus der Gerichtskasse eine Entschädigung
von Fr. 1'500.-- ausgerichtet.

3.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft III des Kantons
Zürich und dem Obergericht des Kantons Zürich, III. Strafkammer, schriftlich
mitgeteilt.

Lausanne, 21. Februar 2013
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Das präsidierende Mitglied: Merkli

Der Gerichtsschreiber: Mattle