Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 1B.302/2013
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
1B_302/2013

Urteil vom 8. Januar 2014

I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Fonjallaz, Präsident,
Bundesrichter Merkli, Karlen,
Gerichtsschreiber Nussbaumer.

Verfahrensbeteiligte
X.________,
Beschwerdeführer,
vertreten durch Rechtsanwältin Simone Tschopp,

gegen

Staatsanwaltschaft Bern-Mittelland,
Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Bern.

Gegenstand
Strafverfahren; Beschlagnahme,

Beschwerde gegen den Beschluss des Obergerichts
des Kantons Bern, Strafabteilung, Beschwerdekammer
in Strafsachen, vom 5. August 2013.

Sachverhalt:

A. 
Die Regionale Staatsanwaltschaft Bern-Mittelland führt gegen X.________
aufgrund einer Anzeige seiner Ehefrau eine Untersuchung wegen Vergewaltigung,
Drohung etc. Anlässlich einer Hausdurchsuchung am 20. Dezember 2012 wurden
unter anderem mehrere Schusswaffen und Munition sichergestellt. In der Folge
wurden X.________ zwei Ordonnanzwaffen der Armee (Sturmgewehr 57 und 90)
herausgegeben, jedoch ohne die dazugehörigen Verschlüsse. Mit Verfügung vom 21.
März 2013 beschlagnahmte die Staatsanwaltschaft ein Langgewehr, einen
Karabiner, die erwähnten Verschlüsse sowie die sichergestellte Munition. In
Gutheissung der hiegegen erhobenen Beschwerde wies das Obergericht des Kantons
Bern, Beschwerdekammer in Strafsachen, die Angelegenheit zur Begründung der
Beschlagnahmeverfügung an die Staatsanwaltschaft zurück. Am 15. April 2013
erliess die Staatsanwaltschaft eine neue Beschlagnahmeverfügung.

B. 
Die hiegegen erhobene Beschwerde wies das Obergericht des Kantons Bern,
Beschwerdekammer in Strafsachen, mit Entscheid vom 5. August 2013 ab.

C. 
X.________ lässt Beschwerde in Strafsachen führen mit dem Antrag, in Aufhebung
des vorinstanzlichen Entscheides seien ihm das Langgewehr, der Karabiner, die
beiden Verschlüsse zu den Sturmgewehren 90 und 57 sowie die Munition
herauszugeben.
Das Obergericht und die Staatsanwaltschaft des Kantons Bern haben am 11.
September und am 12. September 2013 auf Vernehmlassungen je ausdrücklich
verzichtet.

Erwägungen:

1. 
Angefochten ist der Entscheid der Beschwerdekammer, mit welchem sie die
Beschwerde gegen die Beschlagnahme von Waffen, Verschlüssen und Munition
abwies. Es handelt sich um den Entscheid einer letzten kantonalen Instanz in
einer Strafsache, gegen den die Beschwerde in Strafsachen zulässig ist (Art. 78
Abs. 1, Art. 80 Abs. 1 BGG). Er schliesst das Verfahren gegen den
Beschwerdeführer nicht ab, ist mithin ein Zwischenentscheid. Als solcher ist er
nach Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG anfechtbar, wenn er einen nicht wieder
gutzumachenden Nachteil rechtlicher Natur (BGE 133 IV 139 E. 4 S. 140 f. mit
Hinweisen) bewirken könnte. Dies ist bei der strafprozessualen Beschlagnahme
der Fall (BGE 128 I 129 E. 1 S. 131; nicht amtl. publizierte E. 1 von BGE 139
IV 250). Auch die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen von Art. 78 ff. BGG sind
erfüllt.

2.

2.1. Als Zwangsmassnahme im Sinn von Art. 196 StPO kann eine Beschlagnahme
angeordnet werden, wenn sie gesetzlich vorgesehen ist, ein hinreichender
Tatverdacht vorliegt, sie verhältnismässig ist und durch die Bedeutung der
Straftat gerechtfertigt wird (Art. 197 Abs. 1 StPO). Eine Beschlagnahme ist
u.a. im Hinblick auf eine allfällige Einziehung durch den Strafrichter zulässig
(Art. 263 Abs. 1 lit. d StPO). Nach der Rechtsprung des Bundesgerichts zu den
altrechtlichen kantonalen Strafprozessordnungen, die weiterhin Geltung
beanspruchen kann, setzt die Einziehungsbeschlagnahme voraus, dass ein
begründeter, konkreter Tatverdacht besteht, die Verhältnismässigkeit gewahrt
wird und die Einziehung durch den Strafrichter nicht bereits aus
materiellrechtlichen Gründen als offensichtlich unzulässig erscheint.
Entsprechend ihrer Natur als provisorische (konservative) prozessuale Massnahme
prüft das Bundesgericht bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Beschlagnahme
- anders als der für die (definitive) Einziehung zuständige Sachrichter - nicht
alle Tat- und Rechtsfragen abschliessend; es hebt eine Beschlagnahme nur auf,
wenn ihre Voraussetzungen offensichtlich nicht erfüllt sind (BGE 139 IV 250 E.
2.1 S. 252 f. mit Hinweisen; 124 IV 313 E. 4 S. 316).

2.2. Bei Beschwerden gegen Eingriffe in individuelle Grundrechte durch
Zwangsmassnahmen prüft das Bundesgericht die Auslegung und Anwendung der StPO
frei (BGE 137 IV 122 E. 2 S. 125, 340 E. 2.4 S. 346; Urteil 1B_277/2011 vom 28.
Juni 2011 E. 1.2). Soweit jedoch reine Sachverhaltsfragen und damit Fragen der
Beweiswürdigung zu beurteilen sind, greift das Bundesgericht nur ein, wenn die
tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz offensichtlich unrichtig sind oder
auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruhen (Art. 97 Abs. 1
i.V.m. Art. 105 Abs. 2 BGG; BGE 137 IV 122 E. 2 S. 125 f.; 135 I 71 E. 2.5 S.
73 f.).

3.

3.1. Das kantonale Gericht bejahte den hinreichenden Tatverdacht damit, dass
gegen den Beschwerdeführer unter anderem wegen Drohung und Vergewaltigung eine
Untersuchung eröffnet worden sei, was bereits einen hinreichenden Tatverdacht
gegen ihn voraussetze (Art. 309 Abs. 1 lit. a StPO). Weiter könne auf die
Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft verwiesen werden, wonach die
Privatklägerin über die Vorwürfe gegen den Beschwerdeführer ein Tagebuch
geführt habe, was den Tatverdacht gegen ihn zusätzlich untermauere. Im
vorliegenden Strafverfahren zeichne sich in Bezug auf gewisse Vorwürfe eine
Verfahrenseinstellung ab, nicht aber in Bezug auf die Vorwürfe der Drohung und
Vergewaltigung.

3.2.

3.2.1. Der Beschwerdeführer wirft der Vorinstanz zunächst eine einseitige
Sachverhaltsfeststellung und Beweiswürdigung vor, weil sie wichtige
Sachverhaltselemente nicht berücksichtigt habe, obschon diese in der Beschwerde
ausdrücklich genannt und aktenmässig erstellt seien. Namentlich habe die
Vorinstanz verschiedene Umstände in Zusammenhang mit dem Eheschutzverfahren als
für den Beschwerdeführer entlastende Sachverhaltselemente nicht berücksichtigt.
So habe der Beschwerdeführer das Eheschutzverfahren eingeleitet, bereits zum
zweiten Mal nach 2009. Die Ehefrau habe die Strafanzeige erst eingereicht,
nachdem sich die Einräumung eines Besuchsrechts des Beschwerdeführers und
allenfalls sogar ein Obhutsentzug der Ehefrau gegenüber abzuzeichnen begann.
Vorgängig zum Eheschutz- und Strafverfahren sei eine Gefährdungsmeldung der
Kantonspolizei Bern wegen kindswohlgefährdendem Verhalten der Ehefrau ausgelöst
worden, welche jegliche Mitwirkung in diesem Verfahren verweigert habe. Die
Vorinstanz sei nicht von jeglicher Beweiswürdigung entbunden. Als entlastende
Indizien hätten auch die Aussagen des früheren Lebenspartners der
Privatklägerin gewertet und die Tatsache erwähnt werden müssen, dass das
Strafverfahren wegen der Hälfte der von der Privatklägerin erhobenen Vorwürfe
inzwischen rechtskräftig eingestellt sei. Die zur Anzeige gebrachten Vorwürfe
fänden in den Aufzeichnungen der Privatklägerin (praktisch) keine Stütze. Indem
die Vorinstanz den (ohnehin fraglichen) konkreten Beweiswert der
Tagebucheinträge nicht würdige, sondern schematisch auf eine erhöhte
Glaubwürdigkeit derselben abstelle, verletze sie den Grundsatz der freien
Beweiswürdigung durch einen rechtsverletzenden Missbrauch des ihr zustehenden
Ermessens. Auch habe das kantonale Gericht die Begründungspflicht verletzt.

3.2.2. Im Unterschied zum erkennenden Sachrichter nehmen die kantonalen
Gerichte und auf Beschwerde hin das Bundesgericht bei der Überprüfung des
hinreichenden Tatverdachtes im strafprozessualen Zwangsmassnahmenverfahren
keine erschöpfende Abwägung aller strafrechtlich in Betracht fallenden Tat- und
Rechtsfragen vor (E. 2.1 hievor). Daher war die Vorinstanz nicht gehalten, sich
umfassend mit allen Fragen, wie der Glaubwürdigkeit der Aussagen der
Privatklägerin, auseinanderzusetzen. Insbesondere musste sie nicht näher auf
das frühere und das laufende Eheschutzverfahren eingehen. In diesem
Zusammenhang genügt es, wenn sich die Vorinstanz mit dem vorgeworfenen
Sachverhalt und den diesbezüglichen Beweismitteln auseinandersetzt. Soweit es
hier um reine Sachverhaltsfragen, insbesondere um die Beweiswürdigung geht,
können daher die tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz nicht als
offensichtlich unrichtig oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95
BGG beruhend betrachtet werden. Ebensowenig liegt eine Verletzung der
Begründungspflicht vor, da sich die Vorinstanz auf die für den Entscheid
wesentlichen Punkte beschränkt hat (BGE 134 I 83 E. 4.1 S. 88 mit Hinweisen).

3.3. Im Lichte der dem Bundesgericht bei der Beurteilung der Zulässigkeit der
Beschlagnahme zukommenden Überprüfungsbefugnis (E. 2.2 hievor) kann der
Vorinstanz keine Bundesrechtsverletzung vorgeworfen werden, wenn sie von einem
hinreichenden Tatverdacht ausging. Die Staatsanwaltschaft Bern-Mittelland führt
nach wie vor gegen den Beschwerdeführer eine Untersuchung wegen Vergewaltigung,
Drohung etc. und hat in diesen Punkten gemäss der eigenen Darstellung des
Beschwerdeführers in der Zwischenzeit Anklage beim Strafgericht erhoben. Sie
erachtet mithin aufgrund der Untersuchung die Verdachtsgründe als hinreichend
(Art. 324 Abs. 1 StPO). Damit ist auch der für Beschlagnahmungen genügende
hinreichende konkrete Tatverdacht (weiterhin) gegeben und eine Verurteilung
nicht ausgeschlossen. Alle diesbezüglichen Einwendungen in der Beschwerde
ändern daher nichts. Insbesondere wird es Aufgabe des Sachgerichts sein, die
einzelnen Beweismittel zu würdigen, namentlich die Tagebuchaufzeichnungen und
die Aussagen der Privatklägerin sowie deren Glaubwürdigkeit.

4.

4.1. Das kantonale Gericht hat die Beschlagnahme sämtlicher Schusswaffen zu
Beweiszwecken als rechtmässig betrachtet. Ferner hat es für sämtliche Waffen
den für die Einziehungsbeschlagnahme erforderlichen unmittelbaren Konnex
zwischen dem Gegenstand und der Erfüllung des vorgeworfenen Tatbestandes
bejaht, da der begründete Verdacht bestehe, dass sie zumindest im Zusammenhang
mit den vorgeworfenen Drohungen verwendet worden seien. Schliesslich ging das
kantonale Gericht davon aus, dass es in absehbarer Zukunft wieder zu Kontakten
zwischen dem Beschwerdeführer und seiner Familie komme, beispielsweise im
Rahmen eines Besuchsrechts. Mit anderen Worten bestehe weiterhin
Konfliktpotential zwischen den Eheleuten und damit die konkrete Möglichkeit
einer weiteren Gefährdung der Familie des Beschwerdeführers. Aus diesem Grund
sei die Gefahr weiterer deliktischer Verwendung der Schusswaffen zur Zeit zu
bejahen. Die Beschlagnahme der Schusswaffen erweise sich als geeignet, weitere
Delikte gegen die Privatklägerin und die gemeinsamen Kinder zu verzögern oder
zu erschweren (Hinweis auf BGE 137 IV 249 E. 4.5.2). Gleichzeitig trage die
Staatsanwaltschaft mit der Möglichkeit des zeitweisen Gebrauchs des
Sturmgewehrs 90 dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit Rechnung, da der
Beschwerdeführer auf das Sturmgewehr für seine Tätigkeit als Jungschützenleiter
und Sportschütze angewiesen sei.

4.2. Die vom Beschwerdeführer dagegen vorgebrachten Einwendungen sind nicht
geeignet, die Sachverhaltsfeststellung als offensichtlich unrichtig oder die
rechtliche Würdigung der Vorinstanz als bundesrechtswidrig erscheinen zu
lassen. Weder die Beschlagnahme sämtlicher Schusswaffen (bzw. der Verschlüsse)
samt Munition noch die Annahme einer weiteren Ausführungsgefahr lässt sich
beanstanden. Sollte sich im Falle einer Verurteilung ergeben, dass alle
beschlagnahmten Waffen - was angesichts der widersprüchlichen Aktenlage vom
Sachgericht zu entscheiden sein wird - zumindest im Zusammenhang mit den
Drohungen stehen, so liegt eine Einziehung durch das Sachgericht im Bereich des
Möglichen, unabhängig von der Frage der weiteren Ausführungsgefahr. Die
Verhältnismässigkeit der Beschlagnahmung hat das kantonale Gericht ebenfalls zu
Recht bejaht.

5. 
Die Beschwerde ist somit abzuweisen. Damit wird der Beschwerdeführer
kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

3. 
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft
Bern-Mittelland, der Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Bern und dem
Obergericht des Kantons Bern, Strafabteilung, Beschwerdekammer in Strafsachen,
schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 8. Januar 2014

Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Fonjallaz

Der Gerichtsschreiber: Nussbaumer

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