Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 1B.2/2013
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
1B_2/2013

Urteil vom 5. Juni 2013

I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Fonjallaz, Präsident,
Bundesrichter Aemisegger, Karlen,
Gerichtsschreiber Geisser.

Verfahrensbeteiligte
X.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Philip Stolkin,

gegen

Staatsanwaltschaft Basel-Stadt, Binningerstrasse 21, 4001 Basel.

Gegenstand
Entfernung von Beweismitteln aus den Akten; Befangenheit,

Beschwerde gegen den Entscheid vom 9. November 2012 vom Appellationsgericht des
Kantons Basel-Stadt, Appellationsgerichtspräsident.

Sachverhalt:

A.
Die Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt eröffnete gegen X.________ wegen
Versicherungsbetrugs ein Strafverfahren. Sie wirft ihm vor, seine vollständige
Arbeitsunfähigkeit vorgetäuscht und so unrechtmässig Versicherungsleistungen
bezogen zu haben. Am 22. Juni 2012 erhob sie Anklage.
X.________ stellte am 27. Mai 2012 gegen den Untersuchungsbeamten Y.________
ein Ausstandsgesuch und beantragte, die Protokolle der von diesem
durchgeführten Einvernahmen aus den Akten zu weisen; zudem seien sämtliche
Beobachtungsberichte und Videoaufnahmen, welche in Verletzung des Schutzes der
Privatsphäre erlangt worden seien, als Beweismittel zu entfernen. Die
Staatsanwaltschaft wies beide Anträge am 13. Juni 2012 ab.

B.
Der Appellationsgerichtspräsident des Kantons Basel-Stadt wies die von
X.________ dagegen erhobene Beschwerde am 9. November 2012 ab, soweit er darauf
eintrat.

C.
Mit Beschwerde in Strafsachen beantragt X.________, den Entscheid des
Appellationsgerichtspräsidenten aufzuheben und die Vorinstanzen anzuweisen,
alle Amtshandlungen aus dem Recht zu weisen, an denen der Untersuchungsbeamte
Y.________ teilgenommen habe; zudem seien die Videoaufnahmen und
Beobachtungsberichte aus den Akten zu entfernen.
Der Appellationsgerichtspräsident schliesst auf Abweisung der Beschwerde,
soweit darauf einzutreten sei. Die Staatsanwaltschaft beantragt, die Beschwerde
abzuweisen.
X.________ hat eine Replik eingereicht, worin er an seinen Anträgen festhält.

Erwägungen:

1.

1.1. Gegen den angefochtenen Entscheid ist gemäss Art. 78 Abs. 1 BGG die
Beschwerde in Strafsachen gegeben. Sie ist zulässig gegen Entscheide letzter
kantonaler Instanzen (Art. 80 Abs. 1 BGG). Der Beschwerdeführer ist nach Art.
81 Abs. 1 lit. a und b Ziff. 1 BGG zur Beschwerde befugt.

1.2. Soweit der angefochtene Entscheid die Entfernung der Beobachtungsberichte
und Videoaufnahmen aus den Akten betrifft, handelt es sich um einen
Zwischenentscheid, gegen den die Beschwerde an das Bundesgericht zulässig ist,
wenn die Voraussetzungen von Art. 93 Abs. 1 lit. a oder b BGG erfüllt sind.
Nach der Rechtsprechung zu Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG soll sich das
Bundesgericht in der Regel nur einmal mit der gleichen Streitsache befassen
müssen. Ein Zwischenentscheid ist daher nur ausnahmsweise anfechtbar, sofern
ein rechtlicher Nachteil droht, der auch durch einen für den Rechtsuchenden
günstigen Endentscheid nicht mehr zu beheben ist (BGE 136 IV 92 E. 4 S. 95; 134
III 188 E. 2.1 f. S. 190 f.; je mit Hinweisen).
Zwischenentscheide, welche die Beweisführung betreffen, haben in der Regel
keinen nicht wieder gutzumachenden Nachteil rechtlicher Art zur Folge (BGE 99
Ia 437 E. 1 S. 438; Urteile 1B_17/2013 vom 12. Februar 2013 E. 1.2; 1B_325/2011
vom 27. September 2011 E. 1.4; je mit Hinweisen).
Vorliegend ist streitig, ob die Ergebnisse der Überwachung des
Beschwerdeführers aus den Akten zu entfernen sind. Die Vorinstanz verneint
dies. Das Gesetz sieht vor rechtskräftigem Abschluss des Strafverfahrens keine
definitive Entfernung von Beweismitteln vor, deren Verwertbarkeit streitig ist
(vgl. Art. 141 Abs. 5 StPO; Urteil 1B_584/2011 vom 12. Dezember 2011 E. 3.2).
Über Verwertungsverbote wird im Endentscheid zu befinden sein. Sollten die
kantonalen Instanzen ein solches verneinen und den Beschwerdeführer schuldig
sprechen, könnte dieser Beschwerde in Strafsachen nach Art. 78 ff. BGG führen.
Bejahte das Bundesgericht ein Beweisverwertungsverbot, wäre der mit dem
angefochtenen Entscheid entstandene Nachteil behoben (vgl. Urteil 1B_325/2011
vom 27. September 2011 E. 1.4). Es besteht somit kein nicht wieder
gutzumachender Nachteil.
Die Voraussetzung von Art. 93 Abs. 1 lit. b BGG, die in Strafsachen eng
auszulegen ist (BGE 133 IV 288 E. 3.2 S. 292), ist hier nicht erfüllt.
In Bezug auf die Entfernung der Beobachtungsberichte und Videoaufnahmen aus den
Akten ist auf die Beschwerde daher nicht einzutreten.

1.3. Soweit der angefochtene Entscheid das Ausstandsgesuch gegen den
Untersuchungsbeamten Y.________ mit dem Antrag auf Entfernung der
Einvernahmeprotokolle aus den Akten betrifft, stellt er einen nach Art. 92 BGG
anfechtbaren Zwischenentscheid dar (vgl. Urteil 1P.673/1992 vom 5. Februar 1993
E. 1b, nicht publ. in: BGE 119 Ia 13).
Insoweit ist auf die Beschwerde einzutreten.

2.
Streitig ist, ob das Ausstandsbegehren verspätet ist. Die Vorinstanz bejaht
dies, was der Beschwerdeführer als bundesrechtswidrig rügt.

2.1. Nach der Rechtsprechung zu Art. 29 Abs. 1 und Art. 30 Abs. 1 i.V.m. Art. 5
Abs. 3 BV ist das Ausstandsgesuch ohne Verzug zu stellen. Wer einen Richter
oder Beamten nicht unverzüglich ablehnt, wenn er von einem Ausstandsgrund
Kenntnis erhält, sondern sich stillschweigend auf den Prozess einlässt oder
diesen fortführt, verwirkt den Anspruch auf spätere Anrufung des
Ablehnungsgrundes. Es wäre mit dem Grundsatz von Treu und Glauben bzw. dem
Verbot des Rechtsmissbrauchs unvereinbar, Ausstandsgründe, welche in einem
früheren Verfahrensstadium hätten geltend gemacht werden können, bei
ungünstigem Ausgang nachzuschieben (BGE 132 II 485 E. 4.3 S. 496 f.; 126 III
249 E. 3c S. 254; 124 I 121 E. 2 S. 123).

2.2. Der Beschwerdeführer stützt seinen Vorwurf der Befangenheit des
Untersuchungsbeamten Y.________ auf dessen Verhalten an den Einvernahmen vom
13. Dezember 2007, 30. Januar und 24. April 2008 sowie 6./7. Januar 2009.
Demnach waren dem Beschwerdeführer die Umstände, auf die er sich zur Begründung
des Ausstandsbegehrens im Wesentlichen beruft, spätestens im Januar 2009
bekannt. Nach Treu und Glauben hätte er sein Gesuch unverzüglich danach stellen
sollen. Stattdessen wartete er über drei Jahre zu und stellte das Begehren am
27. Mai 2012 erst kurz vor Abschluss des Vorverfahrens durch Anklageerhebung.
Es ist damit offensichtlich verspätet. Der Beschwerdeführer hat seinen Anspruch
auf Ablehnung des Untersuchungsbeamten verwirkt.
Die Beschwerde erweist sich in diesem Punkt als unbegründet.

3.
Sie ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann.
Die Rechtsbegehren waren von vornherein aussichtslos. Das Gesuch um
unentgeltliche Rechtspflege ist daher abzuweisen (Art. 64 Abs. 1 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf eingetreten werden kann.

2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.

3.
Die Gerichtskosten von Fr. 1'500.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.

4.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft Basel-Stadt und
dem Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt, Appellationsgerichtspräsident,
schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 5. Juni 2013
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Fonjallaz

Der Gerichtsschreiber: Geisser

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