Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 1B.28/2013
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Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
1B_28/2013

Urteil vom 28. Mai 2013

I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Fonjallaz, Präsident,
Bundesrichter Karlen, Eusebio,
Gerichtsschreiber Härri.

Verfahrensbeteiligte
X._________,
Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Markus Bachmann,

gegen

Obergericht des Kantons Luzern, 2. Abteilung, Hirschengraben 16, Postfach, 6002
Luzern.

Gegenstand
Strafverfahren; unentgeltliche Rechtspflege,

Beschwerde gegen die Verfügung vom 5. November 2012 des Präsidenten der 2.
Abteilung des Obergerichts des Kantons Luzern.

Sachverhalt:

A.
Am 20. März 2012 kam es im Rahmen eines Nachbarschaftsstreits zu einer verbalen
Auseinandersetzung zwischen Z.________ und X._________.

 X._________ stellte Strafantrag wegen übler Nachrede. Er machte geltend,
Z.________ habe ihn als "Idiot" bezeichnet. X._________ stellte eine
Genugtuungsforderung von Fr. 7'000.--. In der Folge eröffnete die
Staatsanwaltschaft Abteilung 1 Luzern (im Folgenden: Staatsanwaltschaft) eine
Strafuntersuchung.

 Mit Verfügung vom 6. August 2012 stellte die Staatsanwaltschaft die
Strafuntersuchung mangels zureichenden Beweises ein.

 Dagegen erhob X._________ am 21. August 2012 Beschwerde beim Obergericht des
Kantons Luzern.

 Am 27. September 2012 ersuchte er darum, im Beschwerdeverfahren sei ihm die
unentgeltliche Rechtspflege zu gewähren und Rechtsanwalt Markus Bachmann als
sein unentgeltlicher Rechtsbeistand zu ernennen.

 Mit Verfügung vom 5. November 2012 wies der Präsident der 2. Abteilung des
Obergerichts das Gesuch wegen Aussichtslosigkeit der Beschwerde bzw. Zivilklage
ab.

B.
X._________ führt Beschwerde in Strafsachen mit dem Antrag, die Verfügung des
Abteilungspräsidenten sei aufzuheben und dem Beschwerdeführer für das
vorinstanzliche Beschwerdeverfahren vollumfänglich die unentgeltliche
Rechtspflege zu erteilen sowie Markus Bachmann als sein unentgeltlicher
Rechtsbeistand zu ernennen. Eventualiter sei die Verfügung des
Abteilungspräsidenten aufzuheben und die Sache mit der Aufforderung an die
Vorinstanz zurückzuweisen, im Sinne der Begründung der Beschwerde neu zu
entscheiden.

C.
Der Abteilungspräsident beantragt unter Verzicht auf Gegenbemerkungen die
Abweisung der Beschwerde, soweit darauf einzutreten sei.

Erwägungen:

1.
Gegen den angefochtenen Entscheid ist gemäss Art. 78 Abs. 1 BGG die Beschwerde
in Strafsachen gegeben.

 Ein kantonales Rechtsmittel steht nicht zur Verfügung. Die Beschwerde ist
daher nach Art. 80 BGG zulässig.

 Der Beschwerdeführer ist nach Art. 81 Abs. 1 BGG zur Beschwerde berechtigt
(Urteile 1B_705/2011 vom 9. Mai 2012 E. 2.2; 1B_436/2011 vom 21. September 2011
E. 1, publ. in: Pra 2012 Nr. 16 S. 100; je mit Hinweisen).

 Der angefochtene Entscheid stellt einen Zwischenentscheid dar, der dem
Beschwerdeführer einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil im Sinne von Art.
93 Abs. 1 lit. a BGG bewirken kann (BGE 133 IV 335 E. 4 S. 338; Urteil 1B_436/
2011 vom 21. September 2011 E. 1, publ. in: Pra 2012 Nr. 16 S. 100). Die
Beschwerde ist auch insoweit zulässig.

 Die weiteren Sachurteilsvoraussetzungen geben zu keinen Bemerkungen Anlass.
Auf die Beschwerde ist einzutreten.

2.

2.1. Gemäss Art. 29 Abs. 3 BV hat jede Person, die nicht über die
erforderlichen Mittel verfügt, Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege, wenn
ihr Rechtsbegehren nicht aussichtslos erscheint. Soweit es zur Wahrung ihrer
Rechte notwendig ist, hat sie ausserdem Anspruch auf unentgeltlichen
Rechtsbeistand.

 Die Voraussetzungen der unentgeltlichen Rechtspflege für die
Privatklägerschaft im Strafverfahren konkretisiert Art. 136 StPO (Urteil 1B_355
/2012 vom 12. Oktober 2012 E. 3, publ. in: Pra 2013 Nr. 1 S. 1). Danach gewährt
die Verfahrensleitung der Privatklägerschaft für die Durchsetzung ihrer
Zivilansprüche ganz oder teilweise die unentgeltliche Rechtspflege, wenn: a.
die Privatklägerschaft nicht über die erforderlichen Mittel verfügt; und b. die
Zivilklage nicht aussichtslos erscheint (Abs. 1). Die unentgeltliche
Rechtspflege umfasst: a. die Befreiung von Vorschuss- und
Sicherheitsleistungen; b. die Befreiung von den Verfahrenskosten; c. die
Bestellung eines Rechtsbeistandes, wenn dies zur Wahrung der Rechte der
Privatklägerschaft notwendig ist (Abs. 2).

 Als aussichtslos sind Prozessbegehren anzusehen, bei denen die
Gewinnaussichten beträchtlich geringer sind als die Verlustgefahren und die
deshalb kaum als ernsthaft bezeichnet werden können. Dagegen gilt ein Begehren
nicht als aussichtslos, wenn sich die Gewinnaussichten und Verlustgefahren
ungefähr die Waage halten oder jene nur wenig geringer sind als diese.
Massgebend ist, ob eine Partei, die über die nötigen Mittel verfügt, sich bei
vernünftiger Überlegung zu einem Prozess entschliessen würde. Ob im Einzelfall
genügende Erfolgsaussichten bestehen, beurteilt sich aufgrund einer vorläufigen
und summarischen Prüfung der Prozessaussichten (BGE 138 III 217 E. 2.2.4 mit
Hinweis).

2.2.

2.2.1. Z.________ kann sich nicht erinnern, das Wort "Idiot" gebraucht zu
haben. Der Beschwerdeführer hat die Auseinandersetzung mit einer Videokamera
aufgenommen.

 Die Vorinstanz legt dar, der Beschwerdeführer habe die Aufnahme ohne das
Einverständnis von Z.________ erstellt. Sie nimmt in Würdigung der Aussagen an,
dass der Beschwerdeführer die Aufnahme im Bereich unmittelbar vor der Wohnung
bzw. dem Haus von Z.________ gemacht hat (angefochtener Entscheid E. 2.4 S. 3).

 Dabei handelt es sich um Sachverhaltsfeststellungen. Dass diese offensichtlich
unrichtig wären oder auf einer Rechtsverletzung nach Art. 95 BGG - insbesondere
einer Missachtung des rechtlichen Gehörs - beruhten, macht der Beschwerdeführer
nicht hinreichend substanziiert geltend (zu den Begründungsanforderungen
insoweit BGE 133 II 249 E. 1.4.2 f. S. 254 f.). Im Gegenteil räumt er ein, dass
sich die Auseinandersetzung "vor dem Haus" von Z.________ abgespielt hat
(Beschwerde S. 12 Ziff. 11.3.3). Die vorinstanzlichen
Sachverhaltsfeststellungen sind für das Bundesgericht daher verbindlich (Art.
105 Abs. 1 und 2 BGG).

2.2.2. Gemäss Art. 179 ^quater StGB wird bestraft, wer eine Tatsache aus dem
Geheimbereich eines andern oder eine nicht jedermann ohne Weiteres zugängliche
Tatsache aus dem Privatbereich eines andern ohne dessen Einwilligung mit einem
Aufnahmegerät beobachtet oder auf einen Bildträger aufnimmt.

 Nach der Rechtsprechung ist durch diese Bestimmung auch der unmittelbar an ein
Wohnhaus angrenzende Bereich geschützt. Zum Privatbereich gehört nicht nur, was
sich im Haus selbst, sondern auch, was sich in dessen unmittelbarer Umgebung
abspielt. Hierzu gehört insbesondere auch der Bereich unmittelbar vor der
Haustüre eines Wohnhauses. Der Hausbewohner, der vor die Haustüre tritt, um
beispielsweise einen dort abgestellten Gegenstand oder die Post zu holen,
verbleibt in der durch Art. 179 ^quater StGB geschützten Privatsphäre. Dasselbe
gilt für den Hausbewohner, der vor seine Haustüre tritt, um jemanden zu
begrüssen bzw. zu empfangen (BGE 118 IV 41 E. 4e S. 50).

 Mit Blick auf diese Rechtsprechung bestehen erhebliche Anhaltspunkte dafür,
dass der Beschwerdeführer die Aufnahme rechtswidrig erstellt hat.

2.2.3. Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung sind von Privaten
rechtswidrig erlangte Beweismittel nur verwertbar, wenn sie von den
Strafverfolgungsbehörden hätten erlangt werden können und überdies eine
Interessenabwägung für die Verwertung spricht (Urteil 1B_22/2012 vom 11. März
2012 E. 2.4.4 mit Hinweisen).

 Im vorliegenden Fall ist schwer ersichtlich, wie die Strafverfolgungsbehörden
die Videoaufnahme selber hätten erlangen können, da zum Zeitpunkt ihrer
Erstellung gegen Z.________ kein dringender Tatverdacht vorlag (vgl. Art. 197
Abs. 1 lit. b i.V.m. Art. 280 StPO). Der Fall ist insoweit vergleichbar mit
jenem, über den das Bundesgericht im Urteil 1B_22/2012 vom 11. März 2012 zu
befinden hatte. Dort verneinte es die Verwertbarkeit einer Videoaufnahme (E.
2.4.4).

 Es bestehen somit erhebliche Zweifel an der Verwertbarkeit auch der vom
Beschwerdeführer erstellten Videoaufnahme. Andere Beweismittel fehlen.

 Wenn die Vorinstanz unter diesen Umständen bei einer vorläufigen und
summarischen Prüfung die Erfolgsaussichten der Beschwerde bzw. Zivilklage als
wesentlich geringer eingestuft hat als die Verlustgefahren, verletzt das kein
Bundesrecht.

3.
Die Beschwerde ist abzuweisen.

 Da sie aussichtslos war, kann die unentgeltliche Rechtspflege und
Verbeiständung nach Art. 64 BGG nicht bewilligt werden. Mit Blick auf die
finanziellen Verhältnisse des Beschwerdeführers rechtfertigt es sich jedoch,
auf die Erhebung von Kosten zu verzichten (Art. 66 Abs. 1 Satz 2 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird abgewiesen.

3.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

4.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer und dem Präsidenten der 2. Abteilung
des Obergerichts des Kantons Luzern schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 28. Mai 2013
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Fonjallaz

Der Gerichtsschreiber: Härri

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