Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 1B.267/2013
Zurück zum Index I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 2013
Retour à l'indice I. Öffentlich-rechtliche Abteilung, Beschwerde in Strafsachen 2013


Wichtiger Hinweis:
Diese Website wird in älteren Versionen von Netscape ohne graphische Elemente
dargestellt. Die Funktionalität der Website ist aber trotzdem gewährleistet.
Wenn Sie diese Website regelmässig benutzen, empfehlen wir Ihnen, auf Ihrem
Computer einen aktuellen Browser zu installieren.
Zurück zur Einstiegsseite Drucken
                                                               Grössere Schrift

Bundesgericht
Tribunal fédéral
Tribunale federale
Tribunal federal

[8frIR2ALAGK1]     
{T 0/2}
                   
1B_267/2013

Urteil vom 10. September 2013

I. öffentlich-rechtliche Abteilung

Besetzung
Bundesrichter Aemisegger, präsidierendes Mitglied, Bundesrichter Merkli, Chaix,
Gerichtsschreiber Störi.

Verfahrensbeteiligte
X.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Armin Durrer,

gegen

Staatsanwaltschaft des Kantons Nidwalden, Kreuzstrasse 2, 6371 Stans,
Kantonsgericht Nidwalden, Einzelgericht in Strafsachen als
Zwangsmassnahmengericht, Rathausplatz 1, 6371 Stans.

Gegenstand
Untersuchungshaft,

Beschwerde gegen den Beschluss vom 15. Juli 2013
des Obergerichts des Kantons Nidwalden, Beschwerdeabteilung in Strafsachen.

Sachverhalt:

A. 
Die Kantonspolizei Nidwalden nahm X.________ am 15. Mai 2013 in seiner Wohnung
in Stans vorläufig fest, nachdem ihn seine Ehefrau wegen Tätlichkeiten,
einfacher Körperverletzung und Drohung angezeigt hatte. Am 18. Mai 2013
versetzte ihn das Zwangsmassnahmengericht auf Antrag der Staatsanwaltschaft bis
zum 15. August 2013 in Untersuchungshaft. Es hielt den dringenden Tatverdacht
für erstellt und Kollusions- sowie Wiederholungsgefahr für gegeben.

Am 28. Mai 2013 erhob X.________ Beschwerde gegen diesen Entscheid und
beantragte, ihn aufzuheben und ihn, eventuell unter Anordnung von geeigneten
Ersatzmassnahmen im Sinn von Art. 237 Abs. 2 StPO, aus der Untersuchungshaft zu
entlassen, oder eventuell die Sache ans Zwangsmassnahmengericht zurückzuweisen.

Am 15. Juli 2013 wies das Obergericht des Kantons Nidwalden die Beschwerde ab.
Es befand, X.________ sei der ihm vorgeworfenen Taten dringend verdächtig, und
es bestehe Kollusionsgefahr, die nicht durch mildere Ersatzmassnahmen gebannt
werden könne.

B. 
Mit Beschwerde in Strafsachen beantragt X.________, diesen Entscheid des
Obergerichts aufzuheben und ihn unverzüglich, eventuell unter Anordnung von
Ersatzmassnahmen, aus der Haft zu entlassen. Subeventuell sei die Sache an die
Vorinstanz zu neuem Entscheid zurückzuweisen.

C. 
Die Staatsanwaltschaft und das Obergericht verzichten auf Vernehmlassung.

Erwägungen:

1. 
Angefochten ist der kantonal letztinstanzliche Haftentscheid des Obergerichts.
Dagegen ist die Beschwerde in Strafsachen nach den Art. 78 ff. BGG gegeben. Der
Antrag auf Aufhebung des angefochtenen Entscheids und Haftentlassung ist
zulässig (BGE 132 I 21 E. 1). Der Beschwerdeführer ist durch die Verweigerung
der Haftentlassung in seinen rechtlich geschützten Interessen betroffen und
damit zur Beschwerde befugt (Art. 81 Abs. 1 BGG). Er macht die Verletzung von
Bundesrecht geltend, was zulässig ist (Art. 95 lit. a BGG). Die weiteren
Sachurteilsvoraussetzungen geben zu keinen Bemerkungen Anlass, sodass auf die
Beschwerde einzutreten ist.

2. 
Untersuchungshaft kann unter anderem angeordnet werden, wenn ein dringender
Tatverdacht in Bezug auf ein Verbrechen oder Vergehen sowie Flucht-,
Kollusions- oder Wiederholungsgefahr besteht (Art. 221 Abs. 1 StPO). Für das
Obergericht besteht neben dem dringenden Tatverdacht Kollusionsgefahr.

2.1. Nach den Aussagen der Ehefrau des Beschwerdeführers anlässlich ihrer
Einvernahme durch die Staatsanwaltschaft vom 18. Mai 2013 wurde sie von diesem
vor rund 15 Jahren zum ersten Mal geschlagen. Seither habe er sie wiederholt,
vielleicht ein- bis zweimal pro Jahr geschlagen. In letzter Zeit hätten sich
die Auseinandersetzungen gehäuft; etwa drei Wochen vor dem Vorfall vom 15. Mai
2013 habe er sie mit der flachen Hand geohrfeigt, wobei sie habe ausweichen
können. Am 15. Mai 2013 habe er sie an der linken Hand verletzt, sie habe
starke Prellungen und Schwellungen erlitten. Ausserdem habe er sie bedroht mit
den Worten, sie solle sich aufs Bahngleis legen oder aus dem Fenster springen,
sonst würde er nachhelfen. Die Aussage, dass der Beschwerdeführer seine Ehefrau
über Jahre hinweg immer wieder schlug, wird von der Tochter und - in
eingeschränktem Mass - auch vom Sohn bestätigt. Der Beschwerdeführer ist somit
jedenfalls dringend verdächtig, seine Ehefrau über viele Jahre immer wieder
geschlagen und sie, zumindest beim Vorfall, der zu seiner Verhaftung führte,
auch massiv bedroht zu haben. Einfache Körperverletzung und Drohung sind
Vergehen (Art. 123 und Art. 180 i.V.m. Art. 10 Abs. 3 StGB). Der allgemeine
Haftgrund ist damit gegeben.

2.2.

2.2.1. Kollusion bedeutet, dass sich der Beschuldigte mit Zeugen,
Auskunftspersonen, Sachverständigen oder Mitbeschuldigten ins Einvernehmen
setzt oder sie zu wahrheitswidrigen Aussagen veranlasst. Die Untersuchungshaft
wegen Kollusionsgefahr soll verhindern, dass ein Beschuldigter die Freiheit
dazu missbraucht, die wahrheitsgetreue Abklärung des Sachverhalts zu vereiteln
oder zu gefährden. Dabei genügt nach der Rechtsprechung die theoretische
Möglichkeit, dass der Beschuldigte in Freiheit kolludieren könnte nicht, um die
Fortsetzung der Haft unter diesem Titel zu rechtfertigen, vielmehr müssen
konkrete Indizien für eine solche Gefahr sprechen (BGE 123 I 31 E. 3c; 117 Ia
257 E. 4b und c).

2.2.2. In Fällen häuslicher Gewalt besteht zu Beginn der Strafuntersuchung
regelmässig Kollusionsgefahr, da der Tatverdacht wie hier häufig im
Wesentlichen auf den Aussagen des Opfers beruht und der mutmassliche Täter in
Freiheit versucht sein könnte, dieses unter Druck zu setzen, um die Belastungen
gegen seinen Willen wahrheitswidrig zurückzunehmen oder zu relativieren. Die
Strafverfolgungsbehörden haben daher zu Beginn des Strafverfahrens
Kollusionsgefahr zu Recht bejaht.

Die Staatsanwaltschaft hat nunmehr die Ehefrau am 18. Mai 2013 alleine und am
10. Juli 2013 unter Teilnahme des Beschwerdeführers im Nebenraum, den Sohn am
4. Juni 2013 und die Tochter am 13. Juni 2013 sowie zwei Zeuginnen am 28. Juni
2013 einvernommen. Damit sind die Aussagen derjenigen Personen, auf die der
Beschwerdeführer in Freiheit allenfalls Druck ausüben könnte, in gerichtlich
verwertbarer Weise festgehalten. Die dem Beschwerdeführer vorgeworfenen
Tätlichkeiten, Körperverletzungen und Drohungen zum Nachteil seiner Ehefrau
werden zudem von Amtes wegen verfolgt (Art. 123 Ziff. 1 und 2 Abs. 4, Art. 126
Abs. 1 und 2 lit. b sowie Art. 180 Abs. 1 und 2 lit. a StGB), weshalb es nicht
in deren Macht steht, das Strafverfahren durch Rückzug des Strafantrags
hinfällig werden zu lassen. Es ist daher nicht ersichtlich, in welcher
Beziehung der Beschwerdeführer die wahrheitsgetreue Abklärung des Sachverhalts
noch nachhaltig gefährden könnte, selbst wenn es ihm gelänge, seine Ehefrau
einzuschüchtern und sie dazu zu bringen, ihn wahrheitswidrig zu entlasten oder
gegen ihren Willen den Strafantrag zurückzuziehen. Nach der
Konfrontationseinvernahme vom 10. Juli 2013 bestand somit keine derart grosse
Kollusionsgefahr mehr, dass die Fortsetzung der Untersuchungshaft
gerechtfertigt gewesen wäre. Ersatzmassnahmen im Sinn von Art. 237 StPO hätten
ausgereicht. Auch wenn der Staatsanwaltschaft eine kurze Frist zugestanden
werden muss, um nach der Konfrontationseinvernahme die Haftgründe zu überprüfen
und allfällige mit einer Haftentlassung zu verbindende Ersatzmassnahmen zu
organisieren, hätte das Obergericht am 15. Juli 2013, als es die Haftbeschwerde
beurteilte, den Beschwerdeführer unverzüglich aus der Haft entlassen müssen,
nachdem es nicht davon ausging, dass ein anderer besonderer Haftgrund erfüllt
war (unten E. 2.3). Es ist damit festzustellen, dass der Beschwerdeführer seit
dem 16. Juli 2013 in Untersuchungshaft gehalten wurde, obwohl die
Voraussetzungen dazu nicht mehr erfüllt waren.

2.3. Weitere besondere Haftgründe hat das Obergericht, wie erwähnt, nicht
geprüft, und es ist auch nicht ersichtlich, dass solche gegeben sein könnten.
Dass Fluchtgefahr im Sinn von Art. 221 Abs. 1 lit. a StPO bestehen könnte, hat
es zu Recht nicht in Betracht gezogen. Auch Wiederholungsgefahr im Sinn von
Art. 221 Abs. 1 lit. c StPO, die bei Ersttätern nur in Ausnahmefällen
angenommen werden kann (BGE 137 IV 84 E. 3.2 S. 85 f.; 135 I 71 E. 2.3 S. 73;
je mit Hinweisen), muss verneint werden. Die Übergriffe des Beschwerdeführers
auf seine Ehefrau sollen praktisch ausnahmslos im häuslichen Rahmen
stattgefunden haben. Mit dem Auszug der Ehefrau aus der ehelichen Wohnung und
der Einleitung der Scheidung erscheint damit die Gefahr weiterer
Gewalttätigkeiten des Beschwerdeführers zu Lasten seiner Ehefrau als eher
gering; sie kann zudem durch geeignete Ersatzmassnahmen - etwa Kontakt- und
Rayonverbote, Meldepflicht - weiter reduziert werden. Ausführungsgefahr im Sinn
von Art. 221 Abs. 2 StPO fällt mangels einer entsprechenden konkreten Drohung
ebenfalls ausser Betracht.

3. 
Damit ist die Beschwerde teilweise (soweit die Haft ab dem Datum des
obergerichtlichen Entscheids betreffend) gutzuheissen, der angefochtene
Entscheid des Obergerichts aufzuheben und festzustellen, dass die
Untersuchungshaft ab dem 16. Juli 2013 ungerechtfertigt war. Da der
Beschwerdeführer nach Auskunft des Zwangsmassnahmengerichts in der Zwischenzeit
unter Anordnung von Ersatzmassnahmen aus der Haft entlassen wurde, erübrigen
sich entsprechende Anweisungen. Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind keine
Kosten zu erheben (Art. 66 Abs. 4 BGG). Hingegen hat der Kanton Nidwalden dem
Beschwerdeführer eine angemessene Parteientschädigung zu bezahlen (Art. 68 Abs.
1 und 2 BGG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1. 
Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen, der angefochtene Entscheid des
Obergerichts des Kantons Nidwalden vom 15. Juli 2013 aufgehoben und
festgestellt, dass die Untersuchungshaft gegen den Beschwerdeführer ab dem 16.
Juli 2013 ungerechtfertigt war. Im Übrigen wird die Beschwerde abgewiesen.

2. 
Es werden keine Kosten erhoben.

3. 
Der Kanton Nidwalden hat dem Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche
Verfahren eine Parteientschädigung von Fr. 1'500.-- zu bezahlen.

4. 
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft des Kantons
Nidwalden, dem Kantonsgericht Nidwalden und dem Obergericht des Kantons
Nidwalden, Beschwerdeabteilung in Strafsachen, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 10. September 2013
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts

Das präsidierende Mitglied: Aemisegger

Der Gerichtsschreiber: Störi

Navigation

Neue Suche

ähnliche Leitentscheide suchen
ähnliche Urteile ab 2000 suchen

Drucken nach oben